Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 03.06.2003, Az.: 5 A 195/03

Asyl; Dubliner Übereinkommen; Einreise; Einwilligung zur Klageänderung; Folge; Folgeantrag; Klageänderung; rechtsmißbräuchlich; sachdienliche Klageänderung; unbeachtlichkeit des Asylantrages; Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
03.06.2003
Aktenzeichen
5 A 195/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48280
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zur Unzulässigkeit einer Klageänderung mit der sich ein Folgeantragsteller nach Ablehnung des Folgeantrags und Klageerhebung im Gerichtsverfahren erstmals in der mündlichen Verhandlung auf die Unbeachtlichkeit seines Asylantrags beruft.
2. Zur Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland nach dem Dubliner Übereinkommen für einen Folgeantrag nach Durchführung des Erstverfahrens in Deutschland, zwischenzeitlicher Übernahme des Folgeverfahrens in Norwegen und erstmaliger Berufung des Folgeantragstellers auf eine Einreise vor Erstantragstellung über Italien.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Der nach seinen Angaben – Personalpapiere befinden sich nicht in dem beigezogenen Verwaltungsvorgängen – am D. 1964 in E. geborene Kläger, serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger, Moslem und nach seinen Angaben dem Volk der Roma zugehörig, begehrte ursprünglich die Durchführung eines Asylfolgeverfahrens in Deutschland; nunmehr möchte er erreichen, nicht in sein Heimatland, sondern nach Italien abgeschoben zu werden bzw. dorthin ausreisen zu können.

2

Seinen Asylerstantrag stellte er (in Deutschland) am 6. Mai 2002. Zur Begründung berief er sich auf Probleme wegen seiner Volkszugehörigkeit als Roma. Er habe zuletzt in Zemun gelebt. Etwa fünf bis sechs Monate vor seiner am 27. oder 28. Juli 2001 erfolgten Ausreise habe er seinen Arbeitsplatz verloren. Kurz vor der Ausreise hätten sie (er und seine Familie) dann ihr Haus verkauft und seien auf dem Landweg über ihm unbekannte Länder nach Deutschland gereist. Sie hätten ihr Heimatland wegen der Diskriminierung als Roma verlassen; wegen der Einzelheiten wird auf das Anhörungsprotokoll in der Beiakte B Bezug genommen. Das beklagte Bundesamt lehnte mit bestandskräftigem Bescheid vom 06.06.2002 den Asylantrag im Sinne des Asylverfahrensgesetzes als offensichtlich unbegründet ab, stellte das Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG fest, forderte den Kläger zur Ausreise binnen Wochenfrist auf und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise seine Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien (Belgrad) oder einen anderen aufnahmebereiten oder –verpflichteten Drittstaat an.

3

Nach Aktenlage suchte der Kläger darauf hin in Norwegen um Asyl nach. Dem deshalb von den norwegischen Behörden gestellten Übernahmeersuchen nach dem Dubliner Übereinkommen entsprach das beklagte Bundesamt im November 2002. Der Kläger kehrte daraufhin nach Aktenlage im März 2003 in das Bundesgebiet zurück.

4

Am 19. März 2003 stellte der Prozessbevollmächtigte des Klägers für diesen einen Folgeantrag. Zur Begründung berief er sich darauf, dass nach Belgrad zurückkehrende Roma keine staatliche Unterstützung unterhielten, sondern in „Slums“ verbannt würden und Willkür ausgesetzt wären. Zur näheren Begründung wurde auf einen von der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin unter dem Datum vom Dezember 2002 herausgegebenen Bericht über eine Reise nach Belgrad, einen (weiteren) Reisebericht einer Flüchtlingshilfeorganisation vom Oktober 2002, eine UNHCR Stellungnahme zur Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo vom Januar 2003 sowie einen Bericht der Gesellschaft für bedrohte Völker vom Oktober 2001 Bezug genommen.

5

Das beklagte Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 3. April 2003 den Antrag auf Durchführung eines Folgeverfahrens und auf Änderung der Feststellungen zu § 53 AuslG ab. Die Voraussetzungen für eine Gruppenverfolgung zu Lasten von Roma in Serbien und Montenegro seien unverändert nicht gegeben. Ebenso wenig sei die Entscheidung zu § 53 AuslG abzuändern. Insbesondere läge keine im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu berücksichtigende extreme Gefahrenlage für nach Serbien und Montenegro zurückkehrende Roma vor; wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen.

6

Der Kläger hat darauf am 17. April 2003 den Verwaltungsrechtsweg beschritten und in der Klageschrift angekündigt, seine Anerkennung als Asylberechtigter bzw. die Feststellung der Voraussetzungen der §§ 51 (Abs.1), 53 AuslG zu begehren.

7

Nach Mitteilung des beklagten Bundesamtes vom 19.5.2003 hat der Kläger gegenüber dem Bundesamt mit Schreiben vom 6.5.2003 vorgetragen, vor seiner (Erst-)Einreise nach Deutschland in Italien gewesen und dort im Juli 2001 registriert worden zu sein, und deshalb beantragt, ihn nach Italien zurückzuführen. Mit Schreiben vom 12. Mai 2003 hat das beklagte Bundesamt dies abgelehnt. Nachdem das Asylerstverfahren in Deutschland durchgeführt worden sei, ergebe sich aus der nachträglichen Angabe des Klägers, vor der Asyl(erst-) antragsstellung in Italien gewesen zu sein, nicht mehr rückwirkend die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung eines Asyls-(Erst-) oder Folgeverfahrens nach dem Dubliner Übereinkommen.

8

Auf die Bitte des Gerichts vom 27.5.2003 um sofortige Stellungnahme, welchen Antrag er nun stellen wolle, hat der Kläger schriftlich nicht geantwortet. In der mündlichen Verhandlung am 3.6.2003 hat seine (neue) Bevollmächtigte erklärt, dass es dem Kläger nunmehr darum gehe, am Folgetag nicht in sein Heimatland, sondern nach Italien abgeschoben zu werden bzw. dorthin ausreisen zu können.

9

Er beantragt,

10

den Bescheid (des beklagten Bundesamtes) vom 3. April 2003, hilfsweise den Bescheid vom 6. Juni 2002 hinsichtlich der Abschiebungsandrohung aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass der Folgeantrag des Klägers unbeachtlich ist.

11

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Begründung in dem angefochtenen Bescheid,

12

die Klage abzuweisen.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14

Die Klage bleibt erfolglos.

15

Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag stellt sich nämlich als Klageänderung dar (1.1), die unzulässig ist (1.2). Im Übrigen wäre der geänderte Antrag auch unzulässig (2.1) und unbegründet (2.2) gewesen.

16

1.1 Eine Klageänderung i.S.v. § 91 VwGO ist gegeben, wenn der Kläger sein in der Klageschrift nach § 82 VwGO festgelegtes Klagebegehren ändert. Bei einer Verpflichtungsklage wird der Streitgegenstand als Teil des Klagebegehren geändert, wenn der Kläger im Laufe des Gerichtsverfahrens den Erlass eines anderen als den ursprünglich beantragten Verwaltungsakt begehrt. Hieran gemessen liegt vorliegend eine Klageänderung vor.

17

Der Kläger hat nämlich im Laufe des Gerichtsverfahrens sein Begehren auf Erlass eines Anerkennungsbescheides ( als Asylberechtigter bzw. Berechtigter i.S.v. §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG) geändert und begehrt nunmehr durch Bescheid des beklagten Bundesamtes die Feststellung, dass sein Asylantrag unbeachtlich sei.

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1.2 Nach § 91 Abs. 1 VwGO ist eine Änderung der Klage zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Beide Voraussetzungen fehlen hier.

19

Eine Einwilligung der Beklagten liegt nämlich nicht vor. Sachdienlich ist eine Klageänderung in der Regel nicht, wenn durch die Klageänderung ein gänzlich neuer Prozeßstoff, der die bisherigen Grundlagen des Rechtsstreits ändert und das Ergebnis des bisherigen Verfahrens unverwertbar macht, in den Prozess eingeführt wird oder wenn der Rechtsstreit ohne Berücksichtigung der Klageänderung bereits entscheidungsreif wäre (vgl. Kopp/Ramsauer, VwGO-Kommentar, 13. Aufl., § 91, Rdn. 20). Hieran gemessen ist die Klageänderung nicht sachdienlich. Denn die ursprünglich unter Berufung auf die allgemeine Lage der Roma in Serbien (-Montenegro) geführte Klage mit dem Ziel der Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter bzw. Berechtigter i.S.v. §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG wäre aus den im Bescheid v. 3.4.2003 angeführten Gründen und wegen des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 51 VwVfG für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens abweisungsreif gewesen. Dieses (vorläufige) Ergebnis des bisherigen Verfahrens ist jedoch mit der Klageänderung unverwertbar geworden, da es dem Kläger nicht mehr um eine inhaltliche Entscheidung über seinen Folgeantrag (in Deutschland) geht, sondern er dessen Unbeachtlichkeit festgestellt haben möchte. Außerdem ist die Klageänderung auch deshalb nicht sachdienlich, weil das Gericht zwar über den alten, nicht aber über neuen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vom 3.6.2003 hätte entscheiden können. Denn zu dieser Verhandlung war kein Vertreter der Beklagten erschienen. Da die Beklagte nicht mit der Einführung eines neuen Streitgegenstandes in das Gerichtsverfahren und der sofortigen Entscheidung hierüber in der mündlichen Verhandlung rechnen musste – der Kläger hatte eine dahingehende ausdrückliche Anfrage des Gerichts unbeantwortet gelassen -, hätte der Beklagten zur Wahrung des rechtlichen Gehörs ( § 108 Abs. 2 VwGO) erst die Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem neuen Streitgegenstand gegeben werden müssen (vgl. Beschluss des BVerwG v. 20.12.2000 – 8 B 238/00 – NJW 2001, 1151), hierüber also erst zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden dürfen.

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2.1. Der geänderte Antrag mit dem Ziel, die Unbeachtlichkeit des Asylantrages des Klägers festzustellen, wäre außerdem unzulässig gewesen. Hierfür hätte dem Kläger schon das Rechtsschutzbedürfnis gefehlt. Sein Begehren, vorrangig nach Italien ausreisen zu können bzw. dorthin abgeschoben zu werden, hätte er – jeweils die Aufnahmebereitschaft oder – Verpflichtung Italiens unterstellt - nämlich unmittelbar gegenüber der die Abschiebung betreibenden Behörde geltend machen können (vgl. Beschluss des VG Oldenburg v. 15.12.1999 – 11 B 4532/99 – NVwZ-Beilage I 6/2000, 71 f sowie Hailbronner, AuslR, § 29 AsylVfG, Rdn. 25); die Bescheide des beklagten Bundesamtes standen dem nicht entgegen, da dem Kläger mit Bescheid vom 6.6.2002 nicht nur die Abschiebung in sein Heimatland, sondern auch in sonstige aufnahmebereite oder – verpflichtete Drittstaaten angedroht worden war und dieser Bescheid durch den weiteren Bescheid des beklagten Bundesamtes v. 3.4.2003 unverändert geblieben ist. Außerdem ist es rechtsmißbräuchlich, zunächst ausdrücklich die Anerkennung als Asylberechtigter bzw. Berechtigter i.S.v. §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG gegenüber dem beklagten Bundesamt zu beantragen, gegen die ablehnende Entscheidung Klage zu erheben und dann – nach verspätetem Erscheinen – in der mündlichen Verhandlung die Feststellung der Unbeachtlichkeit dieses Antrages zu begehren. Selbst wenn man dem nicht folgt, fehlte dem Kläger jedenfalls die erforderliche Klagebefugnis für die Feststellung der fehlenden Entscheidungszuständigkeit der deutschen Behörden. Die Zuständigkeitsregelungen des Dubliner Abkommens vermitteln insoweit nämlich grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Folgeantragstellers auf (vorrangige) Durchführung eines Folgeverfahrens in einem bestimmten Vertragsstaat (vgl. Brechmann, in: Callies/Ruffert, EU-und EG-Vertragskommentar, 2. Aufl., Art. 63 EGV, Rdn. 11 sowie Marx, AsylVfG, 4. Aufl., § 29, Rdn. 29 ff jeweils mwN).

21

2.2. Schließlich wäre der geänderte Antrag aber auch unbegründet gewesen. Das beklagte Bundesamt ist zu Recht von seiner Entscheidungszuständigkeit ausgegangen.

22

Maßgebend sind insoweit die Bestimmungen des Dubliner Abkommens v. 15.6.1990 (BGBl. II 1994, S. 792), das nach Art. 1 des Bonner Protokolls vom 19.6.1990 (BGBl. II 1995, S. 738) an die Stelle des zuvor geltenden Durchführungsübereinkommen zum Schengener Übereinkommen getreten ist und für den vorliegend im März 2003 gestellten (Folge-)Antrag auch noch nicht durch die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates v. 18.2.2003 (ABl. 2003 Nr. L 50/1, vgl. Art. 29 Abs. 2) abgelöst worden ist.

23

Das Dubliner Abkommen ist auch auf Folgeanträge anzuwenden (vgl. nur Beschluss des VG Sigmaringen v. 5.3.2001 – 4 K 12393/00 – InfAuslR 2001, 249 ff). Es enthält allerdings keine ausdrückliche gesonderte Regelung über die Zuständigkeit bei einem Folgeantrag. Aus der Systematik dieses Abkommens, insbesondere des Art. 10, lässt sich jedoch der Schluss ziehen, dass, solange nach Abschluss des früheren Asylerstverfahrens keine Ausreise aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten erfolgt ist, immer der Staat zuständig ist, der – unabhängig von seiner Zuständigkeit - das frühere Verfahren tatsächlich durchgeführt und abgeschlossen hat (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 29, Rdn. 108, 109). Dementsprechend war Deutschland auch für die Entscheidung über den Folgeantrag des Klägers zuständig, da das Asylerstverfahren des Klägers in Deutschland durchgeführt worden ist und der Kläger danach nicht das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten des Dubliner Abkommens, das mit Wirkung ab dem 15.3.2001 auch für Norwegen gilt (vgl. Abl.EG 2001 Nr. L 93/1), (insgesamt) verlassen hatte. Selbst wenn man insoweit jedoch aus der Systematik des Dubliner Abkommens keine gesonderte Zuständigkeit für Folgeanträge entnähme, ergäbe sich vorliegend nichts anderes. Denn dann ergäbe sich die deutsche Zuständigkeit gemäß Art. 11 dieses Abkommens durch die Stattgabe des Übernahmeersuchens der norwegischen Behörden im Jahr 2002 (vgl. VGH München v. 28.1.2002 – 22 B 00.30925 – AuAS 2002, 57 ff), weiter hilfsweise aus Art. 6 des Dubliner Abkommens. Eine vorrangige Zuständigkeit Italiens bestünde nach der letztgenannten Bestimmung hingegen unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 nicht, da jedenfalls nach Art. 6 Abs. 2 dieses Abkommens wegen des mehr als sechsmonatigen Aufenthaltes des Klägers in Deutschland vor seiner erneuten Asylantragstellung im April 2003 die Zuständigkeit der deutschen Behörden gegeben ist.

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Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG, § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.