Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 17.06.2003, Az.: 4 A 424/02

Altenheim; Ausschlussfrist; Einrichtung; Einrichtungscharakter; gewöhnlicher Aufenthalt; Heim; Heimbetreuung; Heimbetreuungsbedürftigkeit; Kostenerstattung; Kostenerstattungsanspruch; Pflegeheim; Sozialhilfe; Sozialhilfeträger; Vorläufigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
17.06.2003
Aktenzeichen
4 A 424/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48497
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Einem Kostenerstattungsanspruch steht nicht die Ausschlussfrist des § 111 SGB X entgegen, wenn das Erstattungsbegehren im Laufe des Verfahrens auf eine andere Rechtsgrundlage gestellt wird, denn dadurch wird das Erstattungsbegehren als solches nicht berührt.

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, an den Kläger 5.226,31 € nebst Prozesszinsen in Höhe von 7,47 % p.a. vom 20. Dezember 2002 bis 31. Dezember 2002 und 6,97 % p.a. ab dem 1. Januar 2003 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird auf 5.226,31 € festgesetzt.

Tatbestand:

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Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung der Sozialhilfeaufwendungen für die Unterbringung von Herrn A. B. in der Seniorenresidenz "E. ".

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Die Eheleute F. B., geb. am 8. Oktober 1913, und A. B., geb. am 24. Dezember 1910, die zuvor in G. gewohnt hatten, zogen am 15. Januar 1998 in die Seniorenresidenz "E. ", Alten- und Pflegeheim, ein, und bezogen dort ein Doppelzimmer. Unter dem 15. Januar 1998 beantragte das Heim beim Kläger die Übernahme der Kosten für die Betreuung. Diesen Antrag leitete der Kläger kommentarlos der Beklagten zu, die eine Bearbeitung ablehnte, weil ihre Zuständigkeit nur gegeben sei, wenn eine vollstationäre Pflege im Heim erbracht werde, dieses jedoch nicht geklärt sei. In derselben Form verfuhr die Beklagte mit einem weiteren Schreiben des Heimes in dem mitgeteilt wurde, dass das angesparte Vermögen der Eheleute B. seit Februar 1998 aufgebraucht sei. Im aufgrund einer Untersuchung am 9. März 1998 erstellten Gutachten des Medizinischen Dienstes der AOK G. vom 16. März 1998 wurde bezogen auf Herrn A. B. festgestellt, dass eine erhebliche Pflegebedürftigkeit nicht vorliege. Weder die zeitlichen, noch die inhaltlichen Dimensionen für eine Pflegestufe seien aufgezeigt. Der Schwerpunkt der Versorgung liege im allgemeinen Betreuungsbereich, sowie im hauswirtschaftlichen Bereich. Präventive Maßnahmen zur Vermeidung einer drohenden Pflegebedürftigkeit seien nicht angezeigt. Vollstationäre Pflege sei nicht relevant. Deshalb lehnte die AOK G. durch Schreiben vom 25. März 1998 Leistungen bei vollstationärer Pflege ab. Durch Schreiben ebenfalls vom 25. März 1998 stellte die AOK G. fest, dass bei F. B. die Voraussetzungen der Pflegestufe II vorlägen und bewilligte entsprechende Leistungen. Nach Vorlage dieser Unterlagen lehnte die Beklagte durch Schreiben vom 24. August 1998 und 18. Oktober 1999 bezogen auf Herrn A. B. eine Übernahme des Falles wegen fehlender Zuständigkeit ab. Bezogen auf Frau F. B. erteilte die Beklagte eine Kostenzusage. Aufgrund einer weiteren Begutachtung von Herrn A. B. wurde dieser durch Schreiben der AOK H. vom 30. November 1999 rückwirkend ab dem 1. Oktober 1999 in Pflegstufe I eingestuft.

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Durch Bescheid vom 27. Dezember 1999 bewilligte der Kläger Herrn A. B. für die Zeit ab dem 1. Februar 1998 bis zum 31. Januar 1999 Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen. Der Landschaftsverband H. stellte in Aussicht, ab dem 1. Februar 1999 über die Hilfegewährung unmittelbar zu entscheiden. Für die Zeit vom 1. Februar 1998 bis zum 31. Januar 1999 stellte das Alten- und Pflegeheim dem Kläger insgesamt 10.230,46 DM (vgl. Bl. 63 Beiakte A) in Rechnung, von denen 10.221,78 DM überwiesen wurden (vgl. Bl. 68 Beiakte A); im Januar 1998 war Herr A. B. noch Selbstzahler. Bezüglich des letztgenannten Betrages machte der Kläger durch Schreiben vom 4. Februar 2000 gegenüber der Beklagten Kostenerstattung geltend; zur Begründung bezog er sich insoweit auf § 103 BSHG. Am 4. Mai 2000 verstarb Herr A. B.. Durch Schreiben vom 22. Mai 2002 lehnte die Beklagte eine Kostenerstattung ab, weil ein Anspruch nach § 103 Abs. 1 Satz 1 BSHG nicht gegeben sei, denn die Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG hätten nicht vorgelegen.

4

Am 20. Dezember 2002 hat der Kläger den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus: Der Kostenerstattungsanspruch sei nach § 103 Abs. 1 BSHG gegeben, weil Herr A. B. aufgrund seines Alters und seiner sonstigen Einschränkungen im allgemeinen Betreuungsbereich bzw. in dem hauswirtschaftlichen Bereich heimbetreuungsbedürftig gewesen sei. Dieses ergäbe sich auch aus dem Gutachten des Medizinischen Dienstes vom 16. März 1998. Unerheblich sei, ob auch ein Bedarf an Hilfe zur Pflege i. S. d. §§ 68 ff. BSHG bestehe. Auch liege die Situation des § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG vor, weil aufgrund der unterschiedlichen Rechtsauffassungen zwischen den Beteiligten nicht innerhalb von 4 Wochen festgestanden habe, ob und wo der gewöhnliche Aufenthalt nach § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG begründet worden sei.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagte zu verpflichten, an ihn 5.226,31 € nebst Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit der Klage wegen der für Herrn A. B. geleisteten Sozialhilfeaufwendungen zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie wiederholt ihre Rechtsauffassung zur Anwendung des § 103 Abs. 1 BSHG. Ergänzend führt sie aus, dass Herr B. mit seinem Zuzug nach E. dort seinen gewöhnliche Aufenthalt begründet hatte, weil er bei Einzug in die Seniorenresidenz nicht heimbetreuungsbedürftig gewesen sei. Auch hätte der Kläger nur vorläufig eintreten dürfen, um seinen Kostenerstattungsanspruch nicht zu verlieren. Dies sei jedoch nicht geschehen, denn im Bescheid vom 27. Dezember 1999 habe der Kläger endgültig über die Hilfegewährung entschieden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und auch begründet.

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Der Kostenerstattungsanspruch ist entweder nach § 103 Abs. 1 BSHG, sofern bei Herrn A. B. bei Aufnahme in das Alten- und Pflegeheim eine Heimbetreuungsbedürftigkeit i.S.d. § 97 Abs. 4 BSHG bestand, oder nach § 107 BSHG begründet, sofern die Heimbetreuungsbedürftigkeit nicht vorgelegen hatte und Herr B. somit einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hatte, da in diesem Fall die Vorschrift des § 109 BSHG nicht greift. Da sich das Kostenerstattungsbegehren nur auf den Zeitraum vom 1. Februar 1998 bis zum 31. Januar 1999 bezieht und damit nicht über den Erstattungszeitraum des § 107 Abs. 2 BSHG von zwei Jahren hinausgeht, ist im vorliegenden Verfahren eine Klärung der Frage der Heimbetreuungsbedürftigkeit nicht erforderlich.

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Bezogen auf den Anspruch nach § 103 Abs. 1 BSHG hat die Beklagte auch keine substantiierten Einwände erhoben. Zweifel i.S.d. § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG liegen auch vor, wenn aufgrund unterschiedlicher Rechtsauffassungen über den Einrichtungscharakter gemäß § 97 Abs. 4 BSHG gestritten wird, wovon "der gewöhnliche Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme" abhängt (vgl. § 109 BSHG). Soweit die Beklagte auf den Vorläufigkeitscharakter der Regelung abstellt, ist zu beachten, dass auch eine im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG vorläufige Regelung dem Hilfeempfänger gegenüber endgültig ist und sich die Vorläufigkeit nur im Innenverhältnis zwischen zwei Sozialhilfeträgern auswirkt. Hier ist es unschädlich, wenn sich aus dem Bewilligungsbescheid selbst nicht ergibt, dass der Bewilligende nur vorläufig eintreten wollte. Vielmehr reicht es aus, wenn sich - wie im vorliegenden Fall - dieses nur vorläufig Eintretenwollen auch aus dem sonstigen Schriftverkehr zwischen den Beteiligten ergibt.

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Dem Begehren des Klägers steht, sofern sich der Kostenerstattungsanspruch aus § 107 BSHG ergeben sollte - worauf die Beteiligten bisher noch nicht abgestellt haben, nicht die Ausschlussfrist des § 111 SGB X entgegenstehen,. Denn für die Wahrung der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X genügt es, dass der Kostenerstattungsanspruch konkludent geltend gemacht wird, sofern der Rechtssicherungswille deutlich erkennbar ist. Die zu erstattenden Leistungen, die für die Entstehung des Erstattungsanspruchs maßgeblichen Umstände und der Leistungszeitraum müssen deutlich gemacht werden; einer Bezifferung des Erstattungsanspruchs bedarf es nicht (vgl. Nds. Oberverwaltungsgericht, Urt. vom 10. April 2002 - 4 LB 3480/01 mit Bezugnahme auf BVerwG, Urt. vom 4. März 1993 - 5 C 6.91 - BVerwGE 92, 167). Diese Voraussetzungen hatte der Kläger bereits durch sein Schreiben vom 4. Februar 2000 erfüllt. Dabei ist es unerheblich, ob die in der Argumentation herangezogene Vorschrift des § 103 Abs. 1 BSHG einschlägig ist oder ob sich das Kostenerstattungsbegehren auch oder allein auf eine andere Rechtsgrundlage stützen lässt, denn hierbei handelt sich nur um Begründungselemente, die das Kostenerstattungsbegehren als solches nicht berühren.

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Die Entscheidung über die Gewährung von Prozesszinsen ergibt sich §§ 291 i.V.m. 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

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Die Klage hat deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO Erfolg.

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Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 13 Abs. 1 GKG i.V.m. § 188 Satz 2, 2. Halbsatz VwGO.