Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 12.06.2003, Az.: 3 B 267/03
behindertes Kind; Eingliederungshilfe; Familienentlastender Dienst; geistige Behinderung; Gruppenbetreuung; Gruppenförderung; Kostenübernahme; Sozialhilfe
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 12.06.2003
- Aktenzeichen
- 3 B 267/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48109
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 39 BSHG
- § 40 Abs 1 S 8 BSHG
- § 55 SGB 9
- § 58 SGB 9
- § 31 SGB 8
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Im Eilverfahren kann im Rahmen der Interessenabwägung ein mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehender Hilfeanspruch (hier Gruppenangebot des FED) zugesprochen werden.
Tenor:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten des familienentlastenden Dienstes – Teilnahme einmal wöchentlich im Anschluss an die Schule – des Paritätischen C. zu gewähren.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege der einstweiligen Anordnung, die Kosten für die Teilnahme an Freizeit- und Gruppenangeboten des familienentlastenden Dienstes des Paritätischen C. im Umfang von sechs Stunden wöchentlich zu übernehmen.
Der 1995 geborene Antragsteller ist geistig behindert. Er besucht die D. Schule in C. normalerweise montags bis donnerstags in der Zeit von 8.00 Uhr bis 14.45 Uhr und freitags in der Zeit von 8.00 Uhr bis 12.25 Uhr. Die geschiedene Mutter des Antragstellers ist allein erziehend. Sie betreut zwei ältere Halbgeschwister des Antragstellers, nämlich die 1988 geborene Tochter E. und den 1990 geborenen Sohn F.. Die Mutter, früher als Briefzustellerin tätig, ist aufgrund eines Bandscheibenvorfalls mit nachfolgender Rheumaerkrankung berufsunfähig. Sie leidet ausweislich der Akte unter permanenten Schmerzen, weswegen schon einige Nerven „tot gespritzt“ wurden. Nachdem bei der Tochter E. im Oktober 2002 erzieherische Probleme – Drogenmissbrauch – aufgetreten waren und auch der Sohn F. – Sachbeschädigung – polizeilich aufgefallen war, beantragte die Mutter des Antragstellers bei dem Jugendamt des Antragsgegners Hilfe zur Erziehung. Das Jugendamt stellte in der Teamvorlage zum Antrag auf Hilfe zur Erziehung fest, dass die Mutter des Antragstellers angab, aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme, die im Winter schlimmer seien, könne sie ihren Kindern nicht gerecht werden und besonders dem Antragsteller nicht die nötigen Grenzen setzen. Sie habe deswegen schon Kontakte zum familienentlastenden Dienst aufgenommen, der jedoch durch Pflegeversicherungsgelder finanziert werde, auf die der Antragsteller keinen Anspruch habe. Aufgrund der vorliegenden sozialen Probleme des Antragstellers habe man ihr geraten, Kontakte zum Jugendamt aufzunehmen. Bei dem Antragsteller liege jedoch eine eindeutige geistige Behinderung vor, die amtsärztlicherseits bestätigt worden sei. Nach dem Bericht des Jugendamtes ist Ziel der beantragten Jugendhilfe der Verbleib der Tochter E. in der Familie und die Stärkung der Mutter in dem durch die geistige Behinderung des Antragstellers besonders belasteten Familiensystem. Dabei soll im Einzelnen ein Erziehungskonzept zum Entwickeln von Vereinbarungen im Zusammenleben zwischen der Tochter E. und der Mutter erarbeitet werden, die Position der Tochter innerhalb der Familie gestärkt werden, eine Drogenberatung stattfinden, die Position der Mutter gestärkt werden, regelmäßiger Schulbesuch und das Aufstellen von einhaltbaren Regeln und Grenzen und das Erarbeiten von sinnvollen Freizeitgestaltungen erreicht werden. Hierzu gewährte das Jugendamt des Antragsgegners mit Bescheid vom 05.02.2003 ab 17.01.2003 Hilfe zur Erziehung in Form von sozialpädagogischer Familienhilfe gemäß § 31 SGB VIII im Umfang von zwei Kontakten wöchentlich, wobei die Hilfe durch das G. geleistet wird. Als weitere Maßnahme wurde in dem Vorlagebericht vorgeschlagen zu versuchen, die Familie durch den familienentlastenden Dienst zu entlasten.
Hierzu wurde über das Jugendamt ein amtsärztliches Gutachten zur Erforderlichkeit und der Frage der Kostentragung des familienentlastenden Dienstes angefordert. Mit ärztlicher Stellungnahme vom 23.12.2002 stellte die Leiterin des Schul- und Jugendärztlichen Dienstes des Gesundheitsamtes des Antragsgegners fest, dass der Antragsteller, der aus Voruntersuchungen bekannt sei – zuletzt der Schuleingangsuntersuchung -, geistig behindert sei (Mikrocephalie mit mentaler Entwicklungsverzögerung). Von einer seelischen Behinderung sei nicht auszugehen. Damit seien die Voraussetzungen zur Gewährung von Eingliederungshilfe gemäß BSHG in vollem Umfang gegeben. Weiter heißt es in der ärztlichen Stellungnahme: „Die Entlastung der Mutter durch den familienentlastenden Dienst des Paritätischen C. wird ärztlicherseits ohne Einschränkung befürwortet.“ Daraufhin stellte der Antragsteller mit Antrag vom 04.02.2003 (22.01.2003) einen Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten der Betreuung durch den familienentlastenden Dienst. Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 18.02.2003 mit der Begründung ab, dass zwischen dem Antragsgegner als Träger der Sozialhilfe und dem Paritätischen C. eine Vereinbarung gemäß § 93 Abs. 2 BSHG nicht geschlossen worden sei, so dass eine Kostenübernahme im Rahmen der Sozialhilfe nicht in Betracht komme. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller, vertreten durch seine Mutter, Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, das Nichtvorhandensein einer Leistungsvereinbarung befreie den Antragsgegner nicht von der grundsätzlichen Gewährleistungspflicht gemäß § 93 Abs. 1 BSHG. Die beantragten Leistungen zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft dienten der Beseitigung oder Milderung seiner Behinderung und deren Folgen und sollten seine persönliche Entwicklung fördern. Hierzu legte der Antragsteller eine Stellungnahme der D. Schule vor. Danach besucht der Antragsteller diese Schule seit 1 1/2 Jahren, habe dabei Kontakt zu gleichaltrigen Mitschülern, die ebenfalls eine geistige Behinderung hätten und habe in dieser Zeit im Bereich des Sozialverhaltens eine positive Entwicklung gemacht. Der Antragsteller spiele mit gleichaltrigen Mitschülern ausdauernd und gut. Weiter heißt es in der Stellungnahme: „Aus schulischer Sicht wäre es von Vorteil, wenn er auch nachmittags Kontakte zu anderen Kindern mit geistiger Behinderung hätte, um diese Entwicklung zu fördern. Daher wäre es von Vorteil, wenn die Teilnahme an verschiedenen Gruppen des familienentlastenden Dienstes ermöglicht würde.“ Über den Widerspruch des Antragstellers ist noch nicht entschieden.
Mit Antrag vom 11.04.2003 beantragte der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Übernahme der beantragten Kosten für den familienentlastenden Dienst in Trägerschaft des Paritätischen C.. Zur Begründung trägt die Mutter des Antragstellers ergänzend vor, dass die sozialpädagogische Familienhilfe, die gewährt werde, da sie mit den älteren Kindern Erziehungsprobleme habe und sie sich auch aufgrund ihrer eigenen rheumatischen Erkrankung insgesamt mit der zusätzlichen Betreuung des geistig behinderten Antragstellers überfordert fühle, hilfreich sei, aber keine Auswirkungen auf das Bedürfnis des Antragstellers nach sozialen Kontakten auch außerhalb der Familie habe. Der Antragsteller finde in der häuslichen Umgebung aufgrund seiner Behinderung keine Freunde, da er nicht mithalten könne und dann ausgeschlossen werde. Versuche, ihn z.B. beim Fußball unterzubringen, seien fehlgeschlagen. Da seine Behinderung nicht auf den ersten Blick erkennbar sei, komme es oft zu Fehleinschätzungen und auch zu Enttäuschungen. Die beantragten Leistungen zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft dienten der Beseitigung und der Milderung seiner Behinderung und deren Folgen und sollten seine Entwicklung fördern. Dies ergebe sich auch aus den Angebotsschreiben des familienentlastenden Dienstes des Paritätischen C.. Die offenen Gruppenangebote (offen für behinderte und nicht behinderte Kinder) orientierten sich nicht am Alter, sondern an der entsprechenden Reife der Kinder. Das Gruppenangebot sei deswegen sehr geeignet, den individuellen Bedarf des Antragstellers auf Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu decken und seine persönliche Entwicklung zu fördern.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die beantragten Kosten für den familienentlastenden Dienst zu übernehmen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Seiner Auffassung nach können die beantragten Leistungen weder nach dem BSHG noch nach den Vorschriften des SGB IX gewährt werden. Zielsetzung des familienentlastenden Dienstes sei es eigentlich, durch eine zeitweise Entlastung der betreuenden Familienangehörigen die physischen und psychischen Voraussetzungen für die weitere Pflege und Betreuung innerhalb der Familie zu erhalten oder zu schaffen. Die Familie des Antragstellers erhalte bereits Hilfe zur Erziehung in Form von sozialpädagogischer Familienhilfe mit zwei Kontakten wöchentlich durch das G. H.. Ziel dieser sozialpädagogischen Familienhilfe sei nach dem Hilfeplan ebenfalls die Stabilisierung der Mutter, die Entlastung der Mutter und der Verbleib der Kinder in der Familie. Aufgrund dieser intensiven Betreuung sei darüber hinaus ein weiterer Bedarf im Rahmen eines familienentlastenden Dienstes nicht zu erkennen. Aus der sozialhygienischen Stellungnahme der früheren Amtsärztin sowie der Ärztin für Kinderheilkunde des Gesundheitsamtes des Landkreises C. vom 28.05.1998 ergebe sich, dass der Antragsteller nicht geistig und auch nicht seelisch behindert sei. Er habe allein wegen der Zugehörigkeit zum Personenkreis der von Behinderung Bedrohten im Sinne des § 39 Abs. 2 Satz 1 BSHG i.V.m. § 5 der VO zu § 47 BSHG Eingliederungshilfe durch Frühförderung, danach durch Betreuung im Heilpädagogischen Sonderkindergarten der Lebenshilfe bis zur Einschulung im Juli 2001 erhalten. Die nunmehr beantragte Hilfe falle nicht unter § 40 Abs. 1 Ziff. 8 BSHG. Die danach zu gewährenden Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 SGB IX umfassten nach Abs. 2 Ziff. 7 auch Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben. Gemäß § 58 SGB IX umfassten die Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben aber vor allem Hilfen zur Förderung der Begegnung und des Umgangs mit nicht behinderten Menschen. Nach der Kommentierung des LPK zum SGB IX 1. Aufl. Rz. 5 zu § 58 betone die Vorschrift insbesondere die Hilfen, die geeignet seien, behinderten Menschen die Begegnung und den Umgang mit nicht behinderten Menschen zu ermöglichen oder zu erleichtern, wie z.B. Volkshochschulkurse und Vereinsmitgliedschaften. Die vom Antragsteller beantragten Leistungen stellten keine Förderung der Begegnung und des Umgangs mit nicht behinderten Menschen dar und könnten deswegen auch nicht gemäß § 40 Abs. 1 Ziff. 8 BSHG gefördert werden. Sie könnten auch nicht im Rahmen einer Einzelfallhilfe als Leistungen gemäß § 69b BSHG (sog. andere Leistungen für die zeitweilige Entlastung der Pflegepersonen) übernommen werden, da auch diese Entlastung bereits durch die gewährte sozialpädagogische Familienhilfe erfolge.
Das Gericht hat eine telefonische Auskunft der für den familienentlastenden Dienst verantwortlichen Mitarbeiterin des Paritätischen C. eingeholt, nach der derzeit nachmittags in den Räumen der D. Schule von zwei Gruppen ein dreistündiges Gruppenangebot im Anschluss an die Schulzeit angeboten wird. Für den Antragsteller käme eine Freitagsgruppe „sog. Bastelgruppe“ in Betracht. Nach den Sommerferien sollten noch weitere Gruppen eingerichtet werden, z.B. eine Spiel- und Sportgruppe, die unter Umständen für den Antragsteller noch geeigneter wäre als die Bastelgruppe. Hier würde besonders die Feinmotorik und die Sinneswahrnehmung geübt und geschult. Nach dieser Angabe betragen die Kosten für einen Gruppennachmittag 30,00 EUR und umfassen die Raummiete, Materialkosten und die Kosten für den Transport.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Sozial- und Jugendamtes des Antragsgegners Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung waren.
II.
Der zulässige Antrag ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um von dem Rechtsuchenden wesentliche Nachteile abzuwenden. Ihrer Natur nach darf eine solche Anordnung jedoch nur eine einstweilige Regelung treffen oder einen vorläufigen Zustand schaffen. Dieser Sicherungszweck der einstweiligen Anordnung verbietet es im Allgemeinen, einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorzugreifen. Von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung Ausnahmen nur zugelassen, wenn wirksamer Rechtsschutz im Klageverfahren nicht oder nicht ausreichend erreichbar ist und dies für den Antragsteller zu schlechthin unzumutbaren Nachteilen führen würde (Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3. Aufl., Rn 231 ff. m.w.N.). Außerdem setzt eine einstweilige Anordnung voraus, dass nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage der Antragsteller mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Hauptsacheverfahren mit dem von ihm geltend gemachten Anspruch Erfolg haben wird. Sowohl die Dringlichkeit der angestrebten gerichtlichen Entscheidung als auch der geltend gemachte Anspruch sind von den Rechtsuchenden glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angezeigten summarischen Prüfung steht dem Antragsteller mit großer Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf die begehrte Eingliederungshilfe zu. Nach den §§ 39 Abs. 1 Satz 1, 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG i.V.m. den §§ 55 und 58 des 9. Buches Sozialgesetzbuch – SGB IX – ist Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Eingliederungshilfe zu gewähren, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 39 Abs. 3 BSHG ist es Aufgabe der Eingliederungshilfe, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört vor allem, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufes oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen.
Bei der Entscheidung des Sozialhilfeträgers, in welcher Form und in welchem Maß Eingliederungshilfe zu gewähren ist, handelt es sich gemäß § 4 Abs. 2 BSHG um eine Ermessensentscheidung. Die Regelung des § 40 BSHG gewährt nämlich im Grundsatz keinen Anspruch auf eine konkrete Maßnahme (vgl. BVerwG, Urt. v. 02.09.1993 – 5 C 50.91 -, BVerwGE 94, 127, 133). Das der Behörde eingeräumte Ermessen ist aber durch die aus § 39 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BSHG folgende Rechtspflicht bestimmt, im Einzelfall solche Maßnahmen zu ergreifen, die im Hinblick auf die Person des Hilfesuchenden und die Art und Schwere seiner Behinderung am besten geeignet sind, die Aufgaben der Eingliederungshilfe soweit wie möglich und nachhaltig zu erfüllen (BVerwG, Urt. v. 31.08.1995, Buchholz § 40 BSHG Nr. 19 S. 8/9).
Weitere Voraussetzung für die Gewährung von Eingliederungshilfe ist, dass ein ggf. bestehender Bedarf für eine Eingliederungsmaßnahme nicht bereits anderweitig gedeckt wird. Dies ist Ausdruck des Grundsatzes des Nachranges der Sozialhilfe, der sich aus § 2 Abs. 1 BSHG ergibt und auch für die Hilfe in besonderen Lebenslagen Gültigkeit hat.
Der Antragsteller gehört nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung unzweifelhaft dem Kreis der Personen im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG an, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des 9. Buches Sozialgesetzbuch wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzunehmen, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind. Bei ihm liegt nach summarischer Prüfung eine geistige Behinderung im Sinne des § 2 EingliederungshilfeVO vor. Dies ergibt sich aus den vorliegenden ärztlichen und fachlichen Stellungnahmen. Die Leiterin des Schul- und Jugendärztlichen Dienstes des Gesundheitsamtes des Antragsgegners, Frau I., geht in ihrer Stellungnahme vom 23.12.2002 davon aus, dass bei dem Antragsteller eine Mikrocephalie mit mentaler Entwicklungsverzögerung und geistiger Behinderung vorliegt. Gleichzeitig erklärt sie, dass von einer seelischen Behinderung nicht auszugehen ist. Diese ärztliche Stellungnahme wird gestützt dadurch, dass der Antragsteller aus Voruntersuchungen und zuletzt durch die Schuleingangsuntersuchung, welche im Jahre 2001 erfolgt sein muss, bekannt ist. Nach dieser Stellungnahme ist auch dem Arztbericht des Sozialpädiatrischen Zentrums J. zu entnehmen, dass bei dem Antragsteller eine Mikrocephalie mit geistiger Behinderung vorliegt. Auch die ärztliche Bescheinigung der Ärzte für Kinderheilkunde Dr. K. und Dipl. Med. L. vom 06.11.2001 geht bei dem Antragsteller von einem IQ von 70 aus, was ebenfalls auf das Vorliegen einer geistigen Behinderung hindeutet. Der Antragsteller wird in der D. Schule, welche das Merkmal „G“ trägt, beschult. Nach der Stellungnahme dieser Schule vom 17.03.2003 wird dort ebenfalls davon ausgegangen, dass bei dem Antragsteller eine geistige Behinderung vorliegt. In der Vergangenheit selbst ist der Sozialhilfeträger zumindest vom Drohen einer wesentlichen Behinderung bei dem Antragsteller ausgegangen, der deswegen Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für die mobile Frühförderung durch die Lebenshilfe und später durch Übernahme der Kosten des Sonderkindergartens – teilstationäre Einrichtung für geistig Behinderte – erhalten hat. Zwar wurde in der Sozialhygienischen Stellungnahme vom 28.05.1999 eine wesentliche Behinderung bejaht, als nachgewiesen aber nur eine körperliche, sprachliche Behinderung und nicht eine geistige Behinderung angesehen. Gleichzeitig schließt diese Stellungnahme aber mit der Begründung, dass der Antragsteller zumindest von einer erheblichen Lernbehinderung bedroht ist. Das Gericht hat nach diesen fachlichen Stellungnahmen insbesondere im Hinblick auf die aktuelle jugendfachärztliche Stellungnahme des Gesundheitsamtes des Antragsgegners vom 23.12.2002 keinen Zweifel daran, dass der Antragsteller dem Personenkreis des § 39 Abs. 1 BSHG zuzurechnen ist und dass nicht von einer seelischen Behinderung, sondern von einer geistigen bzw. geistigen und körperlichen Behinderung auszugehen ist.
Die vom Paritätischen Wohlfahrtsverband angebotene Gruppenbetreuung im Rahmen des familienentlastenden Dienstes kann nach summarischer Prüfung geeignet sein, die Aufgabe der Eingliederungshilfe zu erfüllen, eine drohende bzw. bestehende Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern, vor allem, ihm die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 39 Abs. 3 BSHG i.V.m. den §§ 55 und 58 SGB IX). Das Betreuungsangebot des FED besteht zur Zeit in der Möglichkeit, den Antragsteller in eine Bastelgruppe zu integrieren, in der bei zwei Betreuern und sechs Teilnehmern die Assoziationsfähigkeiten der Teilnehmer gefördert werden sollen und ebenso Eigenständigkeit und Selbständigkeit, z.B. beim selbständigen Besorgen von Materialien zum Basteln. Daneben werden in der Gruppe, die nach der Beschreibung offen ist für behinderte und nicht behinderte Teilnehmer, auch die sozialen Kontakte im Umgang miteinander und mit Fremden gefördert.
Nach den im summarischen Verfahren nicht anzuzweifelnden Angaben der Mutter des Antragstellers hat der achtjährige Antragsteller außerhalb der Schule derzeit nicht die Möglichkeit, mit anderen Kindern zu spielen, da er abgelehnt wird. Die älteren in der Pubertät befindlichen Halbgeschwister bereiten erhebliche erzieherische Schwierigkeiten und können diesen Mangel an Spielgefährten damit ebenso wenig ersetzen wie die erkrankte Mutter, die nach den ebenfalls nicht anzuzweifelnden Angaben - vgl. Berichte des Jugendamtes und der Amtsärztin – aufgrund ihrer eigenen Überforderung und gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht in der Lage ist, dieses Defizit an angemessener Förderung und an dem Alter bzw. Entwicklungsstand des Antragstellers angemessenen Umgang und angemessener Geselligkeit auszugleichen. Die Aufgabe und das Ziel der Eingliederungshilfe, dem Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen und zu erleichtern, schließt solche Maßnahmen ein, die dem Hilfesuchenden den Kontakt mit seiner Umwelt (nicht nur mit der Familie) sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben ermöglichen und erleichtern (vgl. Hess. VGH, Urt. v. 26.05.1992 in FEVS 43, S. 128 ff.). Bei Kindern im Alter des Antragstellers gehört dazu auch die Ermöglichung des Umgangs und Kontaktes mit anderen Kindern in gleicher Entwicklungsstufe zum Zwecke des Spielens, Bastelns, Sporttreibens oder zum Zwecke der Ausübung ähnlicher Aktivitäten.
Die Teilnahme am Gruppenangebot des familienentlastenden Dienstes kommt danach als Maßnahme der Eingliederungshilfe für den Antragsteller in Betracht (vgl. zur Kostenübernahme familienentlastender Dienste im Rahmen der Eingliederungshilfe auch Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, B. v. 16.04.1997 – 10 B 41/97 – in Rechtsdienst der Lebenshilfe 1997, S. 58 und VG Oldenburg, B. v. 16.07.1999 – Az. 13 B 247/99 -, best. durch OVG Lüneburg, B. v. 20.10.1999, Az. 4 M 3197/99, in Rechtsdienst der Lebenshilfe 1999, S. 159 ff.).
Der Bedarf des Antragstellers auf Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft wird nicht durch die der Familie gewährte sozialpädagogische Familienhilfe nach § 31 SGB VIII gedeckt. Wie sich aus den Unterlagen des Jugendamtes und der Teamvorlage sowie dem Hilfeplan ergibt, dient diese der Familie gewährte sozialpädagogische Familienhilfe mit zwei wöchentlichen Kontakten nicht dazu, dem Antragsteller die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern und seine Behinderung zu beseitigen oder zu mildern, sondern die Erarbeitung eines Erziehungskonzeptes insbesondere im Zusammenleben mit der älteren Tochter, die Drogenberatung, die Stärkung der Positionen der Tochter und der Mutter innerhalb der Familie, die Erreichung eines regelmäßigen Schulbesuches und das Aufstellen von einhaltbaren Regeln und Grenzen neben der Erarbeitung von sinnvollen Freizeitgestaltungen durchzuführen. Der voraussichtlich bestehende Bedarf des Antragstellers wird damit durch diese Hilfe nicht gedeckt.
Nach den vorliegenden Unterlagen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Teilnahme des Antragstellers am Gruppenangebot des familienentlastenden Dienstes nicht den Zielen des § 39 BSHG dient, sondern lediglich das Ziel hat, die Mutter zu entlasten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass diese Nebenfolge der Zielsetzung des § 7 BSHG, nämlich der Gewährung familiengerechter Hilfe, entsprechen würde. Es ist auch ohne weiteres verständlich, dass eine solche Entlastung der Mutter zusätzlich positive Auswirkungen auf die Entwicklung des Antragstellers haben kann, indem die Fähigkeit der Mutter, ihre Betreuungsaufgaben wahrzunehmen, gestärkt und gesteigert wird (vgl. auch § 20 EingliederungshilfeVO) und indem die positive Entwicklung, die der Antragsteller nach den Angaben der Sonderschule vom 17.03.2003 in der Schule durch den Kontakt zu gleichaltrigen Mitschülern im Bereich des Sozialverhaltens bereits gemacht hat, weiter gefördert würde. Auch das Argument des Antragsgegners, die Teilnahme an den Gruppenangeboten des familienentlastenden Dienstes stelle deswegen keine Eingliederungshilfemaßnahme dar, weil nach § 55 i.V.m. § 58 Ziff. 1 SGB IX in erster Linie die Begegnung und der Umgang mit nicht behinderten Menschen gefördert werden solle, greift nicht durch, da zum einen die Gruppenangebote eine integrative Betreuung zulassen, zum anderen die Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben zwar „vor allem“ solchen Zwecken dient, aber die Regelung, wie die Wortwahl zeigt, offen ist für weitergehende und andere Maßnahmen und weil zum anderen die in § 58 Nr. 2 SGB IX angesprochene Hilfe zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung oder kulturellen Zwecken dienen, nicht auf die allein integrative Hilfe beschränkt ist. Im summarischen Verfahren spricht damit Überwiegendes dafür, dass das Gruppenangebot des familienentlastenden Dienstes einem dem Grunde nach bestehenden Anspruch des Antragstellers auf Gewährung von Eingliederungshilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft entspricht und geeignet und erforderlich ist, diese Hilfe zu gewähren. Über Art und Maß der Eingliederungshilfe entscheidet der Sozialhilfeträger jedoch in Anwendung von § 4 Abs. 2 BSHG nach Ermessen. Auf die Bewilligung von Kosten für eine bestimmte Maßnahme besteht deshalb regelmäßig nur dann ein Anspruch, wenn das Ermessen des Sozialhilfeträgers auf Null reduziert ist (vgl. Urt. d. Kammer v. 06.06.2001 – 3 A 184/00 -). In der ursprünglich ablehnenden Entscheidung ist der Antragsgegner, ohne eine Ermessensprüfung überhaupt vorzunehmen oder eine weitere Prüfung des Bedarfs des Antragstellers anzustellen, allerdings rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die beantragte Hilfe bereits deswegen nicht in Betracht kommt, weil er keine Vereinbarung nach § 93 Abs. 2 BSHG mit dem Träger des familienentlastenden Dienstes geschlossen hat.
Im vorliegenden Fall ist deswegen nicht ausreichend geklärt, ob allein die Beschäftigung und Förderung des Antragstellers im Rahmen des Gruppenangebotes des familienentlastenden Dienstes, welcher sich noch im Aufbau befindet, ohne Alternative zwingend geboten ist. Es fehlt auch an dem nach § 46 BSHG vom Träger der Sozialhilfe so frühzeitig wie möglich für einen Behinderten, insbesondere ein geistig bzw. körperlich wesentlich behindertes Kind, aufzustellenden Gesamtplan, bei dessen Aufstellung nach § 46 BSHG der Träger der Sozialhilfe nicht nur mit dem behinderten Menschen, sondern vor allem auch mit den behandelnden Ärzten, dem Gesundheitsamt, dem Jugendamt und weiteren Beteiligten, wie z.B. den Sonderschullehrern und etwaigen Therapeuten, die unter Umständen bei dem Antragsteller Ergotherapie durchführen, zusammenwirken muss. Im Rahmen dieser Gesamtplanung kann auch überprüft werden, ob ggf. andere Maßnahmen der Eingliederungshilfe zur Deckung des Eingliederungshilfebedarfes des Antragstellers vorrangig in Betracht kommen und welche Maßnahmen bzw. Hilfen dieses sein könnten.
Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ist es in Abwägung der widerstreitenden Interessen geboten, zur Sicherung des voraussichtlich bestehenden Eingliederungshilfebedarfes des Antragstellers den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, Hilfe durch Übernahme der Kosten für den familienentlastenden Dienst zu leisten. Gerade bei Kindern in der Entwicklung ist es geboten, dass erforderliche Eingliederungshilfemaßnahmen zeitnah und unverzüglich durchgeführt werden (vgl. auch § 44 BSHG), damit eine größtmögliche Förderung erreicht wird. Denn gerade in diesem Entwicklungsalter sind bekanntermaßen Förderungsmaßnahmen in besonderem Maße geeignet, bestehende Defizite auszugleichen. Bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmenden Interessenabwägung ist auch zu berücksichtigen, dass nach den Angaben des familienentlastenden Dienstes die Kosten der Maßnahme, 30,00 EUR pro Nachmittag, sich in einem vertretbaren Rahmen halten und der Antragsgegner es in der Hand hat, durch kurzfristige weitere Ermittlungen, wie Einholung von ärztlichen Gutachten und Berichten, den konkreten Maßnahmebedarf eindeutig zu klären. Für den Antragsteller könnte das weitere Warten auf erforderliche Eingliederungshilfemaßnahmen demgegenüber zu nicht aufzuholenden und nicht mehr ausgleichbaren Nachteilen in der Verbesserung seiner Fähigkeiten führen. Damit ist auch die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung, der Anordnungsgrund gegeben.
Da im vorliegenden Verfahren nur eine vorläufige Regelung geboten ist, war es ausreichend, die Hilfe durch den familienentlastenden Dienst auf ein Gruppenangebot in der Woche zu begrenzen, zumal derzeit weitergehende Angebote nicht konkret bestehen. Insgesamt übersteigt das Interesse des behinderten Antragstellers an einer seine Behinderung ausgleichenden bzw. mildernden sofortigen Eingliederungshilfemaßnahme das Interesse des Antragsgegners daran, von der Kostenlast vorläufig befreit zu sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 i.V.m. § 188 Satz 2 VwGO.