Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 25.06.2003, Az.: 3 B 342/03

Ausbildung; besondere Härte; Sozialhilfe

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
25.06.2003
Aktenzeichen
3 B 342/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48111
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner verpflichtet werden soll, dem in einer Ausbildung befindlichen Antragsteller ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren, ist nicht begründet.

2

Der Antragsteller hat den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erforderlichen Anordnungsanspruch, d.h. die überwiegende Wahrscheinlichkeit für die materielle Berechtigung seines Begehrens, nicht glaubhaft gemacht.

3

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Da nach Wesen und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die vorläufige Regelung grundsätzlich die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Erbringung von Geldleistungen - wie sie im vorliegenden Fall von dem Antragsteller begehrt wird - im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur ausgesprochen werden, wenn der Antragsteller die tatsächlichen Voraussetzungen für einen entsprechenden Anspruch (Anordnungsanspruch) und weiterhin glaubhaft macht, er befinde sich wegen fehlender anderer Geldmittel in einer existentiellen Notlage und sei deswegen - mit gerichtlicher Hilfe - auf die sofortige Befriedigung seines Anspruchs dringend angewiesen (Anordnungsgrund).

4

Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angezeigten summarischen Prüfung steht dem Antragsteller der geltend gemachte Anspruch nicht zu.

5

Einem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß §§ 11, 12 BSHG steht § 26 Abs. 1 Satz 1 BSHG entgegen. Nach dieser Vorschrift haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder der §§ 60-62 des 3. Sozialgesetzbuches dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob der Betroffene die dort genannten Leistungen tatsächlich erhält. Ausschlussgrund ist vielmehr die Förderungsfähigkeit dem Grunde nach.

6

Der Antragsteller befindet sich auf der Grundlage eines Berufsausbildungsvertrages in der Ausbildung zum Elektroinstallateur. Dabei handelt es sich um seine erste Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf, welche gemäß § 59, 60 SGB III grundsätzlich förderungsfähig ist. Dementsprechend ist im vorliegenden Verfahren nicht von Belang, dass der vom Antragsteller beim Arbeitsamt B. gestellte Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe nach dem SGB III mit Bescheid vom 31.03.2003 abgelehnt worden ist, weil der bei seinem Onkel lebende afghanische Antragsteller, dessen Asylantrag 1999 bestandskräftig abgelehnt und dem im Januar 2003 wegen seiner Ausbildung eine Aufenthaltsbefugnis erteilt wurde, die persönlichen Voraussetzungen für eine Förderung gemäß § 63 SGB III (s. insbesondere Abs. 2 der Vorschrift) nicht erfüllt.

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Damit ist ein Anspruch des Antragstellers auf Hilfe zum Lebensunterhalt für den geltend gemachten Bedarf gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 BSHG ausgeschlossen. Zwar gilt dieser Ausschluss nur für den rein ausbildungsgeprägten Bedarf, nicht aber für solche Leistungen, die zwar nach ihrer Zuordnung im Gesetz Hilfe zum Lebensunterhalt sind, die aber einen Bedarf betreffen, der durch besondere Umstände bedingt ist, die von der Ausbildung unabhängig sind (vgl. grundlegend BVerwG, Urt. v. 17.01.1985 – 5 C 29.84 -, FEVS 34, 232 ff.). Der vom Antragsteller geltend gemachte Bedarf für allgemeinen Lebensunterhalt, Unterkunftskosten, eine Busfahrkarte, Schulmaterialien und Reinigung von Arbeitskleidung etc. ist jedoch dem ausbildungsgeprägten Bedarf zuzurechnen. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines von der Ausbildung unabhängigen speziellen Bedarfs z.B. im Sinne von § 23 BSHG liegen nicht vor (vgl. BVerwG, B. v. 13.05.1993 – 5 B 47.93 -, Buchholz 436.0 § 26 BSHG Nr. 9; Brühl in LPK-BSHG § 26 Rn. 17).

8

Bei im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglicher und zulässiger summarischer Prüfung liegt auch kein besonderer Härtefall im Sinne von § 26 Abs. 1 Satz 2 BSHG vor, der die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt als Beihilfe oder Darlehen rechtfertigen könnte. Nach Wortlaut, Zweck und Gesetzessystematik enthält die Vorschrift eine Ausnahme vom Regeltatbestand in § 26 Abs. 1 Satz 1 BSHG, deren Reichweite aus der Gegenüberstellung zur Regelvorschrift zu bestimmen ist. Eine besondere Härte im Sinne von § 26 Abs. 1 Satz 2 BSHG besteht deshalb nur, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden und vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden ist. Hilfebedürftige, die nicht (mehr) gefördert werden, sind in der Regel gehalten, von der Ausbildung ganz oder vorübergehend Abstand zu nehmen, um für die Dauer der Hilfebedürftigkeit den Ausschluss von der Hilfe zum Lebensunterhalt abzuwenden. Insoweit handelt es sich um eine vom Gesetzgeber gewollte Folge eines mehrstufigen Sozialleistungssystems, welche grundsätzlich hinzunehmen ist. Damit wird dem Zweck von § 26 Abs. 1 Satz 1 BSHG Rechnung getragen, die Sozialhilfe davon zu befreien, eine (versteckte) Ausbildungsförderung auf einer „zweiten Ebene“ zu sein. Ein besonderer Härtefall liegt dementsprechend erst dann vor, wenn im Einzelfall Umstände hinzutreten, die einen Ausschluss von der Ausbildungsförderung durch Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß §§ 11, 12 BSHG auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart, d.h. als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig, erscheinen lassen (vgl. für alles Vorstehende BVerwG, Urt. v. 14.10.1993 – 5 C 16.91 -, FEVS 44, 269 ff.). Der 4. Senat des OVG Lüneburg hat in seiner Rechtsprechung besondere Härtefälle in diesem Sinne in vier Gruppen von Fällen anerkannt (vgl. B. v. 29.09.1995 – 4 M 5332/95 -, FEVS 46, 422), und für die Fallgruppe der Auszubildenden, die selbst durch einen Abbruch ihrer Ausbildung nicht die Möglichkeit erhielten, ihre Hilfebedürftigkeit aus eigenen Mitteln und Kräften wegen Behinderung, Krankheit, Schwangerschaft oder Betreuung kleiner Kinder zu beseitigen, ausdrücklich eine andere Ansicht wie das Bundesverwaltungsgericht vertreten (vgl. zuletzt OVG Lüneburg, Urt. v. 26.06.2002 – 4 LB 35/02 -, recherchiert in Juris unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 14.10.1993, a.a.O., dem sich der 12. Senat des OVG Lüneburg angeschlossen hat; Urt. v. 23.03.1995 – 12 L 5357/95 -). Des weiteren soll eine besondere Härte vorliegen, wenn die pauschalierten Leistungen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes erheblich unter dem Bedarf liegen, den der Abschnitt II des Bundessozialhilfegesetzes beschreibt. Außerdem soll ein entsprechender Fall vorliegen, wenn nur eine „Pro-forma-Immatrikulation“ vorliegt, ein Student also lediglich eingeschrieben ist, ohne dass er noch an Universitätsveranstaltungen in irgendeiner Art teilnimmt oder sich auf eine Prüfung vorbereitet. Ergänzend wird das Vorliegen einer besonderen Härte in solchen Fällen für möglich gehalten, in denen die finanzielle Grundlage für die Ausbildung, die zuvor gesichert war, entfallen ist, wenn dies vom Hilfesuchenden nicht zu vertreten, die Ausbildung schon fortgeschritten ist und der Hilfesuchende begründete Aussicht hat, wieder zu seinem Geld zu kommen und deshalb der Träger der Sozialhilfe nur zur Überbrückung einer vorübergehenden Notlage einspringen muss. Es liegen jedoch die Voraussetzungen keiner der genannten Fallgruppen vor.

9

Vielmehr führt § 63 SGB III aus Statusgründen zu einem Leistungsausschluss bei Ausländern in der Situation des Antragstellers. Es handelt sich somit um eine bereits durch das SGB III geregelte typische Lebenssituation, bei deren Vorliegen aufgrund der gesetzgeberischen Wertung im SGB III nicht von einer „besonderen Härte“ im Sinne von § 26 Abs. 1 Satz 2 BSHG auszugehen ist. Dementsprechend rechtfertigt auch der möglicherweise aus dem Anspruchsausschluss resultierende Abbruch der begonnenen Ausbildung keine Förderung nach dem BSHG. Dem Antragsteller, der im Besitz einer Arbeitserlaubnis ist, ist zuzumuten, nach Abbruch seiner Ausbildung seinen Lebensunterhalt durch anderweitige Tätigkeit sicherzustellen. Entgegen der Ansicht des Antragstellers kommt es nicht darauf an, ob er neben seiner Ausbildung auf eine zusätzliche Tätigkeit im Sinne von § 18 Abs. 3 BSHG verwiesen werden kann. Die dazu angeführte Rechtsprechung (vgl. Brühl in LPK-BSHG § 26 Rn. 28) bezieht sich auf den im vorliegenden Verfahren nicht gegebenen Fall, in dem zwar ein Ausschluss gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 BSHG z.B. aufgrund der Regelungen in Abs. 2 nicht vorliegt, der Auszubildende aber auf seine Selbsthilfemöglichkeiten gemäß § 2 Abs. 1 BSHG, d.h. zusätzliche Tätigkeiten neben seiner Ausbildung, verwiesen wird. Es liegt auch kein dem Beschluss des VG Hamburg vom 29.01.1993 (8 VG 79/93, info also 1994, 38 ff.) vergleichbarer Fall vor. Dort wurde ein vom Gesetzgeber nicht berücksichtigter atypischer Sachverhalt angenommen, da der Schulbesuch des Auszubildenden neben der gemäß § 26 BSHG ausschließlich nach Maßgabe des Bafög zu fördernden Ausbildung ebenso originär vom BSHG verfolgten Zielen, nämlich der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, diente.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt die Kammer auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge Bezug.

11

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.