Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.07.2003, Az.: 16 K 444/02
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Fehlen von Auswirkung des Grundfreibetrages und Kinderfreibetrages bei einem zu versteuernden Einkommen von 0,00 DM; Freihaltung der erforderlichen Aufwendungen einer Familie und des Existenzminimuns vom Zugriff der Einkommensteuer
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 03.07.2003
- Aktenzeichen
- 16 K 444/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 26983
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0703.16K444.02.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 17.02.2005 - AZ: XI B 138/03
Rechtsgrundlagen
- § 10d Abs. 1 EStG
- § 10d Abs. 2 S. 1 EStG
- Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG
- Art. 1 GG
- Art. 20 GG
- Art. 6 Abs. 1 GG
- § 32a Abs. 1 S. 2 EStG
- § 32 Abs. 6 EStG
- Art. 3 Abs. 1 GG
Redaktioneller Leitsatz
Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass sich Grund- und Kinderfreibetrag nicht mehr auswirken, wenn sich bereits aufgrund des Verlustabzugs ein zu versteuerndes Einkommen von 0 DM ergibt.
Tatbestand
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den 31.12.1990. Die Beteiligten streiten um die Vereinbarkeit von § 10 d Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz i.d.F. des Streitjahres (EStG) mit dem Grundgesetz (GG).
Die Klägerin wird mit ihrem Ehemann zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielte in den Veranlagungszeiträumen 1985 und 1986 erhebliche Verluste aus einem Gewerbebetrieb. Der damaligen Rechtslage entsprechend wurden die Verluste noch nicht gesondert festgestellt. Ausweislich der der Klägerin erteilten Einkommensteuerbescheide für die Veranlagungszeiträume 1985 bis 1990 ging der Beklagte von folgenden Besteuerungsgrundlagen aus:
Jahr | Einkünfte aus Gewerbebetrieb | Gesamtbetrag der Einkünfte | Sonderausgaben | Ausbildungsfreibetrag | Kinderfreibetrag |
---|---|---|---|---|---|
1985 | -224.398,00 DM | -198.566,00 DM | 11.719,00 DM | 432,00 DM | |
1986 | -192.609,00 DM | -165.698,00 DM | 10.680,00 DM | 1.800,00 DM | 2.484,00 DM |
1987 | 34.199,00 DM | 9.182,00 DM | 1.355,00 DM | 2.484,00 DM | |
1988 | -6.778,00 DM | 33.979,00 DM | 9.087,00 DM | 180,00 DM | 2.484,00 DM |
1989 | -5.815,00 DM | 45.844,00 DM | 8.308,00 DM | 495,00 DM | 2.484,00 DM |
1990 | -7.265,00 DM | 45.231,00 DM | 8.189,00 DM | 718,00 DM | 3.024,00 DM |
Der Beklagte nahm für die Veranlagungszeiträume ab 1987 unter nachrichtlicher Mitteilung der verbleibenden Verlustabzüge folgende Verlustabzüge von dem durch Sonderausgaben und Ausbildungsfreibeträge bereits geminderten Gesamtbetrag der Einkünfte der Klägerin und ihres Ehemannes vor:
Jahr | Verlustabzug | Verbleibender Verlustabzug 1984 | verbleibender Verlustabzug 1985 | verbleibender Verlustabzug 1986 |
---|---|---|---|---|
1987 | 23.662,00 DM | 26.796,00 DM | 198.566,00 DM | 165.698,00 DM |
1988 | 24.712,00 DM | 2.084,00 DM | 198.566,00 DM | 165.698,00 DM |
1989 | 37.041,00 DM | 163.609,00 DM | 165.698,00 DM |
Entsprechend der geänderten Rechtslage stellte der Beklagte den der Klägerin verbleibenden Verlustabzug auf den 31.12.1990 erstmals gesondert fest. Nachdem in dem Einkommensteuerbescheid für 1990 ein Verlustvortrag von 36.324,00 DM vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen worden war, wurde mit dem im Streit stehenden Bescheid der verbleibende Verlustabzug auf den 31.12.1990 mit 330.024,00 DM festgestellt. Dabei hatte der Beklagte als Ausgangsgröße der Berechnung den verbleibenden Verlustabzug auf den 31.12.1988 statt auf den 31.12.1989 eingestellt, so dass der verbleibende Verlustabzug auf den 31.12.1990 um den im Veranlagungszeitraum 1989 verbrauchten Verlustvortrag von 37.041,00 DM zu hoch festgestellt wurde.
Gegen die Feststellung richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage. Die Klägerin vertritt die Auffassung, die gesetzliche Regelung des Verlustabzugs durch den Gesetzgeber für die Jahre 1985 bis 1990 verletze die Rechte der Klägerin aus Art. 3 Abs. 1 GG. Der aus dieser Vorschrift abzuleitende Grundsatz einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gebiete eine Regelung des Verlustabzugs vom Gesamtbetrag der Einkünfte nur soweit, bis die Summe von nach der Gesetzessystematik erst im Anschluss an den Verlustabzug abziehbaren existenzsichernden Aufwendungen, Grundfreibetrag und ggf. zu gewährenden Kinderfreibeträgen erreicht sei. Nur eine Verschonung dieser Beträge verwirkliche über die Gesamtdauer der einkommensteuerlich relevanten Betätigung eine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.
In Jahren, in die wegen aktueller Verluste kein Verlustrücktrag oder Verlustvortrag erfolge, seien zudem einkommensteuerlich abziehbare existenzsichernde Aufwendungen sowie Grund- und Kinderfreibetrag dem verbleibenden Verlustvortrag hinzuzurechnen, um auch dadurch dem existenzsichernden Charakter dieser tatsächlichen oder typisierten Aufwendungen über die Gesamtdauer der Steuerpflicht Rechnung zu tragen. Ansonsten verstoße der Gesetzgeber gegen die ihm durch Art. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG auferlegte Pflicht, die einmal getroffenen Sachentscheidungen (Freistellung des Existenzminimums und Verlustausgleich über den Veranlagungszeitraum hinaus) folgerichtig umzusetzen.
Nach dem im Streitjahr und in den Vorjahren seit der Entstehung der Verluste der Klägerin geltenden Recht des Verlustabzugs sei die Klägerin nämlich gegenüber einem Steuerpflichtigen, der im Abzugsjahr Einkünfte i.H. des Grund- und ggf. Kinderfreibetrages erziele, schlechter gestellt, weil diesem im Abzugsjahr mehr Mittel zur Deckung des Lebensbedarfs zur Verfügung stünden und er trotzdem der gleichen einkommensteuerlichen Belastung unterliege.
Die Freibeträge seien zudem nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in folgender Höhe vom Verlustabzug auszunehmen:
Jahr | Kinderfreibetrag | Grundfreibetrag |
---|---|---|
1985 | 2.432,00 DM | 8.424,00 DM |
1986 | 2.484,00 DM | 9.072,00 DM |
1987 | 2.484,00 DM | 9.072,00 DM |
1988 | 2.484,00 DM | 9.504,00 DM |
1989 | 2.484,00 DM | 9.504,00 DM |
1990 | 3.024,00 DM | 11.232,00 DM |
In Jahren, in denen wegen aktueller Verluste kein Verlustrücktrag oder Verlustvortrag erfolge, seien Grund- und Kinderfreibetrag sowie Sonderausgaben dem verbleibenden Verlustvortrag hinzuzurechnen, um die existenzsichernde Wirkung dieser Steuerbegünstigungen auch in Verlustjahren zu erhalten.
Der Schutz des Existenzminimums über die Gesamtdauer der Erwerbstätigkeit werde durch das geltende Recht nicht sichergestellt. Dies werde zunehmend in der fachwissenschaftlichen Literatur beklagt. Auch aus der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie aus jüngeren Entscheidungen des Bundesfinanzhofs sei die Tendenz ersichtlich, dem sog. subjektiven Nettoprinzip, mithin dem Schutz der nicht der Disposition des Steuerpflichtigen unterliegenden, notwendigen existenzsichernden Aufwendungen stärker als bislang Geltung zu verschaffen.
Die Klägerin ist deshalb der Ansicht, auch unter Außerachtlassung des Verlustvortrags aus Jahren vor 1985 stehe ihr auf den 31.12.1990 ein höherer verbleibender Verlustvortrag zu. Wegen der von der Klägerin erstellten Berechnung des verbleibenden Verlustabzugs wird auf die Anlage zur Klageschrift vom 23.09.2002 (Bl. 32 bis 38 Gerichtsakte) verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 1990 aufzuheben und den Verlustvortrag auf DM 388.807 herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er vertritt weiter seine Auffassung aus dem Verwaltungsverfahren.
Dem Gericht haben die für die Klägerin geführten Einkommensteuerakten ab 1991 sowie die Einspruchsakte zu dem im Streit stehenden Feststellungsbescheid vorgelegen.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Feststellungsbescheid verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
1)
Verluste, die weder durch den Verlustausgleich innerhalb eines Veranlagungszeitraums, noch nach § 10 d Abs. 1 EStG im Wege des Verlustrücktrags steuerlich wirksam werden, können sich nach § 10 d Abs. 2 EStG in den folgenden Veranlagungszeiträumen auswirken (Verlustvortrag), und zwar seit 1985 ohne zeitliche Begrenzung. Nach § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG waren solche verbliebenen Verluste in den vom Streitfall berührten Jahren wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen.
Seit 1990 ist der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag, der auch im laufenden Veranlagungszeitraum nicht abgezogen werden konnte, gesondert festzustellen, § 10 d Abs. 3 Satz 1 EStG.
Der Beklagte hat dementsprechend im Rahmen der Veranlagung der Klägerin zur Einkommensteuer für 1990 wie auch für die Vorjahre den vom Gesamtbetrag ihrer Einkünfte nach Abzug von Sonderausgaben und Ausbildungsfreibeträgen bzw. Behinderten-Pauschbeträgen verbleibenden Betrag mit verbliebenem Verlust verrechnet, so dass sich der der Klägerin zustehende Kinderfreibetrag und der tarifliche Grundfreibetrag für die Klägerin nicht auswirkten. Bei der Verlustverrechnung war der Beklagte an den insoweit zwingenden Normbefehl des § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG gebunden (§ 88 Abgabenordnung). Die angefochtene gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags entsprach dem Grunde nach § 10 d Abs. 3 Satz 1 EStG. Soweit der Beklagte den auf den 31.12.1990 festgestellten Verlust höher als danach vorgesehen feststellte, ist die Klägerin, worauf es für die Entscheidung über die Klage aber nicht ankommt, nicht beschwert.
2)
Das Verfahren war nicht gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Verfassungsgemäßheit der im Streit stehenden Vorschrift vorzulegen. Der erkennende Senat ist nicht der Überzeugung, dass § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG gegen höherrangiges Recht verstößt. Der Gesetzgeber hat sich im Rahmen des ihm innerhalb der durch Art. 1 ff., Art. 20 GG zu Gebote stehenden Gestaltungsspielraums in zulässiger Weise dafür entschieden, den Verlustvortrag durch Verrechnung des verbliebenen Verlusts mit dem Gesamtbetrag der Einkünfte vorzunehmen. Dies entspricht den Sachgesetzlichkeiten der Trennung von Einkommenserzielung und Einkommensverwendung und des Zusammenwirkens von steuerlicher Bemessungsgrundlage und Steuertarif. Im Streitfall werden deshalb Grundrechte der Klägerin nicht dadurch verletzt, dass Kinderfreibeträge sowie der tarifliche Grundfreibetrag der Jahre 1987 bis 1990 weder zu einer Minderung der von der Klägerin geschuldeten Einkommensteuer des jeweiligen Veranlagungszeitraums noch zu einer Erhöhung des der Klägerin verbleibenden Verlustvortrag führen.
a)
Die Anwendung des § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG führt im Streitfall nicht zu einer Verletzung der Rechte der Klägerin aus Art. 1, Art. 20 GG.
Für den Bereich des Einkommensteuerrechts ergibt sich aus der Unantastbarkeit der Menschenwürde und dem Sozialstaatsgebot nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 und Art. 20 Abs. 1 GG sowie aus dem besonderen Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG das Gebot, die zur Sicherung des Existenzminimums des Steuerpflichtigen und seiner Familie erforderlichen Aufwendungen vom Zugriff der Einkommensteuer freizuhalten. Der Gesetzgeber hat dem Rechnung getragen, indem er bei der Ausgestaltung des Einkommensteuertarifs nach § 32 a Abs. 1 Satz 2 EStG einen Grundfreibetrag von der Besteuerung ausnimmt. Soweit das Existenzminimum von Kindern zu berücksichtigen ist, trägt das Einkommensteuerrecht dem durch die Gewähr von Kinderfreibeträgen nach § 32 Abs. 6 EStG Rechnung.
Die Vorschriften über den Verlustabzug berühren die Freistellung des Existenzminimums von der Einkommensteuer nicht. Denn unabhängig vom Umfang eines Verlustvortrags ist durch die vorstehend genannten Vorschriften sichergestellt, dass in keinem Veranlagungszeitraum ein einkommensteuerlicher Zugriff auf Einkünfte unterhalb von Grund- und ggf. Kinderfreibetrag erfolgt. Eine Verletzung der Rechte der Klägerin aus Art. 1, Art. 20 GG durch die Anwendung des § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG ist bereits deshalb ausgeschlossen.
b)
Der Abzug des Verlustvortrags vom Gesamtbetrag der Einkünfte begründet auch keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Art. 3 Abs. 1 GG verlangt die Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Gesetz und verbietet jede Benachteiligung oder Bevorzugung wegen persönlichkeitsbedingter Eigenheiten. Gleiches muss gleich, Ungleiches muss ungleich behandelt werden. Der Gleichheitssatz ist umso strikter, je mehr er den Einzelnen als Person betrifft und umso mehr für gesetzgeberische Gestaltungen offen, als allgemeine, für rechtliche Gestaltungen zugängliche Lebensverhältnisse geregelt werden.
Für den Sachbereich des Steuerrechts gilt dabei die Gestaltungsgleichheit. Der Gesetzgeber hat bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weit reichenden Gestaltungsraum. Nach Regelung dieses Ausgangstatbestandes aber hat er die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umzusetzen (vgl. BVerfG, stRspr, zuletzt BVerfGE 99, 88). Dabei ist von den Gerichten nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste und gerechteste Lösung gefunden, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat.
Nach diesen Grundsätzen führt die Anwendung des § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG im Streitfall nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Dass sich Grund- und Kinderfreibetrag nicht mehr auswirken, wenn sich bereits aufgrund des Verlustabzugs ein zu versteuerndes Einkommen von 0,00 DM ergibt, ist eine folgerichtige Konsequenz des Ausgangstatbestandes der Einkommensteuer. Eine Erhöhung des verbleibenden Verlustabzugs um diese Beträge ist deshalb nicht geboten.
Die Einkommensteuer beschränkt ihren Zugriff auf die Erwerbssphäre der Steuerpflichtigen. Vorgänge, die nicht durch die Erzielung von Einkünften veranlasst sind, sondern der privaten Vermögenssphäre zuzurechnen sind, berühren ihren Tatbestand grundsätzlich nicht. Deswegen ist es folgerichtig, wenn der Gesetzgeber die Verrechnung von Verlusten, also von negativen Einkünften, mit positiven Einkünften anderer Veranlagungszeiträume anordnet, ohne dabei Umstände zu berücksichtigen, die nicht den Bereich der Einkünfteerzielung, sondern den der Einkünfteverwendung berühren.
Darüber hinaus ist es nach Auffassung des Senats ein Strukturelement der Einkommensteuer, dass sie die zeitnahe Teilhabe an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zum Ziel hat (so auch Kirchhof, EStG, § 2 Rn 17). Sie greift auf den Erwerb zu und hat folgerichtig das Entfalten einer auf die Erzielung von Einkünften gerichteten Tätigkeit zum Tatbestandselement. Deshalb ist das in § 2 Abs. 7 EStG wiedergegebene sog. Jahressteuerprinzip - anders als die Klägerin mit einigen Stimmen aus dem steuerlichen Schrifttum meint - nicht bloß eine Verwaltungsregelung bezüglich des Verfahrens zur Festsetzung und Erhebung der Einkommensteuer, sondern entspricht dem materiellen Anliegen dieser Steuerart, die Allgemeinheit zeitnah und laufend an der Leistungsfähigkeit der Steuerpflichten zu beteiligen. Bereits darin liegt ein sachlicher Grund für die im Gesamtergebnis abweichende einkommensteuerliche Behandlung von Einkünften je nach dem Zeitpunkt ihres Entstehens.
Entsprechend hat der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 31. Juli 2001 IX R 9/99 (BStBl II 2002, 75) entschieden, dass im Einzelfall der Gedanke der richtigen Ermittlung des Totalgewinns hinter das Prinzip der abschnittsweisen Erfassung des Wertverzehrs von der Abnutzung unterliegenden Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens zurücktreten müsse.
Schließlich besteht auch der von der Klägerin behauptete Mangel in der Umsetzung der Belastungsentscheidung des Einkommensteuergesetzes nicht. Die von der Klägerin genannten Belastungsentscheidungen (Freistellung des Existenzminimums und Verlustausgleich über den Veranlagungszeitraum hinaus) berühren sich nicht. Denn - wie oben bereits ausgeführt - berührt die Verlustberücksichtigung Umstände der Einkünfteerzielung, während die Freistellung des Existenzminimums die Einkünfteverwendung betrifft. Die Anforderungen, die hinsichtlich der Art. 1, Art. 20 GG an die Freistellung des Existenzminimums von der Einkommensteuer gestellt werden, berühren deshalb die Regelung des Verlustabzugs nicht. Soweit die Klägerin der Meinung ist, in Jahren, in denen sich eine negative Summe der Einkünfte ergebe, müsse der Verlustrück- bzw. Vortrag um das Existenzminimum erhöht werden, verkennt sie zudem, dass es sich bei der Freistellugn des Existenzminimums nicht um eine staatliche Leistung, sondern lediglich um die Verschonung vor einem Eingriff handelt.
c)
Auch aus der klägerseits in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nicht, dass § 10 d Abs. 2 EStG mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht in Einklang stünde. Der vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angeführte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur zeitlichen Begrenzung der Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung vom 4. Dezember 2002 (Az. 2 BvR 400/98, DStR 2003, 364) äußert sich lediglich zum obektiven Nettoprinzip, berührt aber den Streitfall nicht. Auch die schriftsätzlich angeführte Verfassungsrechtsprechung begründet nach der Überzeugung des Senats keinen Verstoß der Regelung des § 10 d Abs. 2 EStG gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Die von der Klägerin in Bezug genomene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Beschlüsse vom 6. März 2003 XI B 76/02 und XI B 7/02) stellt lediglich klar, dass dem Steuerpflichtigen in jedem Veranlagungszeitraum von dem Erworbenen dasjenige verbleiben muss, was er zur Absicherung seines existenziellen Bedarfs benötigt. Das ist aber durch die im Streitjahr geltende Fassung des § 10 d Abs. 2 EStG bereits sichergestellt, weil nicht, wie nach neuerem Recht, auch bei negativer Summe der Einkünfte aus allen Einkunftsquellen ein Mindest-Gesamtbetrag der Einkünfte verbleiben konnte.
Die Klage war daher abzuweisen.
3)
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht ersichtlich. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie nicht klärungsbedürftig ist. Denn die zutreffende Anwendung der einfachgesetzlichen Vorschrift des § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG durch den Beklagten steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit.
4)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.