Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 16.06.2021, Az.: 10 A 1676/18

Datenerhebung durch eine Vertrauensperson; nachrichtendienstliche Mittel; Vertrauensperson

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
16.06.2021
Aktenzeichen
10 A 1676/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 71025
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bedient sich die Niedersächsische Verfassungsschutzbehörde zur Datenerhebung einer Vertrauensperson, so ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme auch nach den §§ 14, 15 und 16 NVerfSchG zu beurteilen.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten durch den Beklagten rechtswidrig gewesen ist.

Die Klägerin war von November 2016 bis zum November 2018 an der D. Universität in E. eingeschrieben und Mitglied der Gruppierung „Basisdemokratische Linke“ (im Folgenden: BL). Ausweislich des Verfassungsschutzberichtes aus dem Jahr 2016 ordnet der Niedersächsische Verfassungsschutz die BL der antiimperialistisch ausgerichteten Gruppe „Interventionistische Linke“ (Im Folgenden: IL) und damit den autonomen und sonstigen gewaltbereiten Linksextremisten zu (S. 132).

Am 21.12.2016 übersandte das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen an den Beklagten eine Meldung, wonach bei der Klägerin im Rahmen einer Durchsuchung durch Beamte der Polizeidirektion F. am 08.10.2016 in C-Stadt an der Fernbushaltestelle zwischen 19.00 Uhr und 19.05 Uhr zwei Pfeffersprays gefunden worden seien (Vorgangsnr.: G.). Sie habe zuvor an der Demonstration „C-Stadt bleibt bunt“ teilgenommen. Es bestehe ein Zusammenhang mit demonstrativen Ereignissen.

Unter dem 17.02.2017 legte der Beklagte die Begründung zur Bestimmung der Bestrebung „Autonome“ zum Beobachtungsobjekt von erheblicher Bedeutung nach § 21 Abs. 5 Satz 2 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz (NVerfSchG) nieder. Am 06.03.2017 bestimmte der Minister für Inneres und Sport die Bestrebung „Autonome“ zum Beobachtungsobjekt von erheblicher Bedeutung. Die G10-Kommission stimmte in einer Sitzung vom 14.03.2017 dieser Bestimmung zu. Der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes wurde über diese Bestimmung im Anschluss unterrichtet.

Am 29.05.2017 stellte die Staatsanwaltschaft F. das unter anderem gegen die Klägerin eingeleitete Ermittlungsverfahren (Az.: H.) nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) ein, weil nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, ob die Beschuldigten die ihnen zugeordneten Gegenstände bei bzw. zu einer Versammlung mitgeführt oder diese in den Fahrzeugen zurückgelassen hatten.

Mit Schreiben vom 08.12.2017 beantragte die Klägerin beim Beklagten, für den Fall der Existenz personenbezogener Daten über ihre Person, die Sperrung der Daten in allen vom Beklagten geführten Akten und Systemen der elektronischen Datenerfassung und Datenbearbeitung sowie das Unterlassen einer Änderung oder Löschung ohne ihre Zustimmung, die Auskunft über die durch den Beklagten zu ihrer Person in allen vom Beklagten geführten Akten und Systemen der elektronischen Datenerfassung und Datenbearbeitung gespeicherten Daten und ggf. die Benennung der gespeicherten Datenbanken.

Mit Vermerk vom 17.01.2018 legte die Leiterin der Verfassungsschutzabteilung des Beklagten die Ermessenserwägungen nach § 30 Abs. 3 Satz 2 NVerfSchG nieder. Hieraus ergibt sich unter anderem, dass die Klägerin nach Einschätzung einer Vertrauensperson (Im Folgenden: VP) der linksextremistischen Gruppierung BL in E. zugeordnet wurde. Die Versagung der Auskunft wurde verschiedentlich mit dem Schutz der VP begründet. Aus der Mitteilung der gespeicherten Daten sei ein Rückschluss auf die Identität der VP möglich.

Mit Bescheid vom 25.01.2018 teilte der Beklagte unter Bezugnahme auf § 30 Abs. 1 NVerfSchG mit, dass zu der Klägerin neben allgemeinen biografischen Daten folgende Erkenntnisse gespeichert seien:

„Am 08. Oktober 2017 nahm Ihre Mandantin an einer Demonstration unter dem Motto „C-Stadt bleibt bunt“ teil. Im Rahmen einer durchgeführten Durchsuchung wurden bei ihr zwei Pfeffersprays gefunden. Sie war Tatverdächtige hinsichtlich eines Verstoßes gegen § 27 Abs. 1 VersammlG. Diese Erkenntnis stammt vom Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt, Abteilung 4.“

Der Beklagte teilte weiter mit, dass darüber hinaus Daten vorlägen, über die jedoch aus Gründen nach § 30 Abs. 2 Satz 1 NVerfSchG keine Auskunft gegeben werden könne. Es bestünden tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht, dass die Klägerin an Bestrebungen beteiligt sei, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet seien. Sie werde dem linksextremistischen Spektrum in E. zugerechnet.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragte daraufhin die Löschung der personenbezogenen Daten der Klägerin bei dem Beklagten.

Die Klägerin hat am 23.02.2018 vor dem Verwaltungsgericht Hannover Feststellungsklage erhoben. Die Erhebung und Speicherung ihrer personenbezogenen Daten sei offensichtlich rechtswidrig gewesen. Es läge ein Rehabilitations- und damit das notwendige Feststellungsinteresse vor. Die Feststellungsklage sei auch nicht gegenüber einer Klage auf Löschung der über sie gesammelten Daten subsidiär, da Voraussetzung eines solchen Anspruchs nicht zwingend die Rechtswidrigkeit der Datenerhebung sei. Die Rechtmäßigkeit der Erhebung und der Speicherung der Daten sei anhand der „offenen“ Unterlagen zu beurteilen. Die einzige übermittelte Eintragung sei schlicht falsch. Zu keinem Zeitpunkt – und schon gar nicht auf einer Versammlung – sei bei ihr Pfefferspray gefunden worden. Zutreffend sei lediglich, dass sie am 08.10.2016 an einer Versammlung unter dem Motto „C-Stadt bleibt bunt“ teilgenommen habe. Soweit das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen Gegenteiliges mitgeteilt habe, so sei diese Information falsch. Nichts deute darauf hin, dass sie verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstütze. Es werde bestritten, dass der Beklagte Erkenntnisse über sie habe und dass es Anhaltspunkte dafür gebe, die ihre Zuordnung zum Beobachtungsobjekt „Autonome“ rechtfertigten.

Die Klägerin legte zur weiteren Begründung ihrer Klage ein Urteil des Verwaltungsgerichts I. vom 13.03.2019 (Az.: J.) vor. Der Kläger des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht I. ist mit der Klägerin im hiesigen Verfahren nicht personengleich. Das Gericht stellte in diesem Verfahren fest, dass die von den Beamten der Polizeidirektion F. am 08.10.2016 in C-Stadt durchgeführte Verkehrskontrolle sowie die Personalienfeststellung des Klägers, die Durchsuchung des von ihm geführten Fahrzeuges, seine erkennungsdienstliche Behandlung, die Anfertigung von Videoaufnahmen von ihm während der Kontrolle und die Verweigerung der Namensnennung des die Maßnahmen videografierenden Beamten rechtswidrig waren.

Mit Bescheid vom 03.04.2018 lehnte der Beklagte den Antrag auf Löschung der personenbezogenen Daten der Klägerin ab. Im Zuge dessen informierte er die Klägerin darüber, dass die mit Bescheid vom 25.01.2018 mitgeteilte Erkenntnis insoweit falsch mitgeteilt worden sei, als es sich hinsichtlich des Datums um den 08.10.2016 und hinsichtlich der Erkenntnisquelle um das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen handele. Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht E. Klage erhoben (Az.: K.). Die Klägerin hat vor dem Verwaltungsgericht E. außerdem auf vollständige Auskunft über die bei dem Beklagten gespeicherten personenbezogenen Daten (Az.: L.) geklagt.

In dem beim Verwaltungsgericht E. geführten Verfahren - L. - hat der Beklagte nur einen Teil der bei ihm zur Person der Klägerin geführten Verwaltungsvorgänge vorgelegt und im Übrigen mit Sperrerklärung vom 30.04.2018 erklärt, dass die Vorlage der vollständigen bei ihm geführten Vorgänge nach § 99 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht erfolgen dürfe. Daraufhin hat die Klägerin beantragt, im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung des Beklagten vom 30.04.2018 festzustellen. Das Verwaltungsgericht E. hat das Verfahren durch Beschluss vom 24.05.2018 gemäß §§ 99 Abs. 2 Satz 4, 189 VwGO zur Durchführung eines Zwischenverfahrens an den zuständigen Fachsenat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts abgegeben. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat die Sperrerklärung des Beklagten mit Beschluss vom 17.12.2018 teilweise für rechtswidrig erklärt (Az.: M.). Im Anschluss haben die Beteiligten das vor dem Verwaltungsgericht E. auf weitere Auskunft gerichtete Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt. Das Verfahren ist mit Beschluss vom 06.02.2020 eingestellt worden. In dem beim Verwaltungsgericht E. geführten Verfahren - K. - hat der Beklagte unter dem 15.04.2021 mitgeteilt, dass er den Bescheid vom 03.04.2018 aufgehoben habe. Die bereits gesperrten Daten würden nach dem rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens gelöscht. Nach dem erheblichen Zeitablauf hätten sich die Sachlage und die Bewertung der Erforderlichkeit der Daten geändert. Die Beteiligten haben auch dieses Verfahren vor dem Verwaltungsgericht E. für erledigt erklärt. Das Verfahren ist mit Beschluss vom 20.04.2021 eingestellt worden.

Mit Schreiben vom 29.05.2018 teilte die Polizeidirektion F. mit, dass sie den PASS-Datensatz der Klägerin gelöscht habe.

Der Beklagte hat die Landesbeauftragte für Datenschutz (im Folgenden: LfD) um datenschutzrechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Datenspeicherung zu der Klägerin ersucht. Unter dem 11.09.2018 teilte die LfD mit, dass sämtliche Speicherungen über personenbezogene Daten zur Person der Klägerin durch den Beklagten gemäß §§ 8, 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NVerfSchutzG datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden und rechtmäßig erfolgt seien. Zum Zeitpunkt der Erstspeicherung hätten tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vorgelegen, dass die Klägerin Angehörige einer linksextremistischen Bestrebung sei.

Die Klägerin hat zur Ergänzung ihrer Klage daraufhin vorgetragen, dass der Stellungnahme der LfD für sich allein genommen keine ausschlaggebende Indizwirkung zukommen könne. Auch in der Gesamtschau liege eine für die Klägerin negative Indizienverdichtung nicht vor. So liege im Vergleich zu anderen Fällen zum Fall der Klägerin keine Einschätzung der sogenannten „Task Force“ - die der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport am 27.09.2013 mit der Aufgabe eingerichtet hatte, unabhängig von Weisungen die beim Niedersächsischen Verfassungsschutz über Personen gespeicherten Daten nach zweifelhaften Fällen zu durchsuchen und zu bewerten - vor.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass die von dem Beklagten durchgeführte Erhebung und Speicherung von personenbezogenen Daten über die Klägerin rechtswidrig gewesen ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er erwidert: Die Erhebung und Speicherung der Daten seien rechtmäßig gewesen. Aufgabe des Beklagten sei die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet seien. In der Gesamtschau aller Erkenntnisse sei die Klägerin dem linksextremistischen Spektrum – dem Beobachtungsobjekt „Autonome“ – in E. zuzurechnen. Diese Bestrebung richte sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und ziele auf die Abschaffung des Staates und seiner Institutionen sowie deren Ersetzung durch eine herrschaftsfreie Gesellschaft ab. Die Anwendung von Gewalt zur Erlangung dieses Ziels werde dabei ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Die Begriffe „Autonome“ und „Linksextreme“ würden synonym verwendet. Dem Beklagten sei bewusst, dass die offengelegten Informationen über die Klägerin wenige Anhaltspunkte für eine Speicherung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NVerfSchG enthielten. Es lägen jedoch noch weitere Erkenntnisse vor, die eindeutig belegten, dass die Klägerin als Unterstützerin der autonomen Szene zugeordnet werden könne. Aus Geheimhaltungsgründen könnten diese aber nicht offengelegt werden. Die rechtmäßige Sperrung dieser Inhalte könne dem Beklagten nicht zum Nachteil gereicht werden. Die LfD habe nach vollständiger Akteneinsicht bestätigt, dass die Speicherung der Daten zur Person der Klägerin rechtmäßig erfolgt sei. Im Hinblick auf die mit dem Bescheid vom 25.01.2018 mitgeteilte Information lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Erkenntnis, dass bei der Klägerin zwei Pfeffersprays im Zusammenhang mit der Demonstration gefunden worden seien, unrichtig sei. Die Polizeidirektion F. habe diesen Sachverhalt dem Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen mitgeteilt. Zwar habe die Polizeidirektion F. diesen Datenbestand auf Antrag der Klägerin gelöscht. Aus dem entsprechenden Bescheid vom 06.06.2021 ergebe sich aber gerade nicht, dass die Löschung wegen ihrer Unrichtigkeit erfolgt sei. Aus dem von der Klägerin vorgelegten Urteil des Verwaltungsgerichts I. ergebe sich ebenfalls nichts Gegenteiliges. Dieses beziehe sich nicht auf die Person der Klägerin.

Der Beklagte hat auch im hiesigen Verfahren nur einen Teil der bei ihm zur Person der Klägerin geführten Verwaltungsvorgänge vorgelegt und im Übrigen mit Sperrerklärung vom 03.12.2019 erklärt, dass die Vorlage der vollständigen bei ihm geführten Vorgänge nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht erfolgen dürfe. Anders als die Verwaltungsvorgänge, die dem Verwaltungsgericht E. vorgelegt wurden, enthält der im hiesigen Verfahren übermittelte Verwaltungsvorgang des Beklagten jedoch ungeschwärzte Passagen, die offensichtlich versehentlich offengelegt wurden. Sie betreffen insbesondere konkrete Auskünfte und Erkenntnisse, welche die VP dem Beklagten über die Klägerin mitgeteilt hat. Die Klägerin hat auch hier beantragt, im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung des Beklagten vom 03.12.2019 festzustellen. Die Kammer hat das Verfahren durch Beschluss vom 06.03.2020 gemäß §§ 99 Abs. 2 Satz 4, 189 VwGO zur Durchführung eines Zwischenverfahrens an den zuständigen Fachsenat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts abgegeben. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat die Sperrerklärung des Beklagten mit Beschluss vom 04.06.2020 teilweise für rechtswidrig erklärt (Az.: N.). Auf die Beschwerde der Klägerin hat das Bundesverwaltungsgericht den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts mit Beschluss vom 21.09.2020 geändert (Az.: O.) und die Sperrerklärung des Beklagten hinsichtlich zwei weiterer Seiten für rechtswidrig erklärt.

Aufgrund der im Verwaltungsvorgang des Beklagten versehentlich offengelegten Passagen gelang es der BL die Identität der vom Beklagten eingesetzten VP P. zu ermitteln.

In der mündlichen Verhandlung stellte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin folgenden Hilfsbeweisantrag:

Zum Beweis der Tatsache, dass weder die Klägerin noch die Basisdemokratische Linke verfassungsfeindlichen Bestrebungen nachgeht, konkret mit Gewalt einen Umsturz der bürgerlichen Demokratie anstrebt bzw. angestrebt hat, die zeugenschaftliche Vernehmung des Herrn P., zu laden über den Beklagten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akte im Verfahren - 10 A Q. -, der beigezogenen Akten des Verwaltungsgerichts E. zu den Verfahren - 1 R. - und - 1 S. -, der beigezogenen Akte des T. Oberverwaltungsgerichts zu dem Verfahren - U. - und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig (hierzu unter I.), aber nicht begründet (hierzu unter II.).

I. Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 Alt. 2 VwGO zulässig. Sie richtet sich mit der Frage, ob der Beklagte innerhalb seiner durch das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz eröffneten Befugnisse gehandelt hat, indem er personenbezogene Daten über die Klägerin gesammelt und gespeichert hat, auf ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis.

Es fehlt nicht am erforderlichen Feststellungsinteresse. Als solches Feststellungsinteresse im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO ist jedes anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art anzusehen. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Feststellung geeignet erscheint, die Rechtsposition des Beteiligten zu verbessern (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.12.2017 - 6 B 14.17 -, Rn. 13 - 14, juris). Ein berechtigtes Interesse ist dabei nicht nur in den anerkannten Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses sowie der Absicht zum Führen eines Amtshaftungsprozesses gegeben. Auch die Art des mit der Klage gerügten Eingriffs, insbesondere im grundrechtlich geschützten Bereich, verbunden mit dem durch Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, kann die Anerkennung eines Feststellungsinteresses rechtfertigen, wenn sich die unmittelbare Belastung durch den schwerwiegenden Hoheitsakt auf eine Zeitspanne beschränkt, in der die Entscheidung des Gerichts kaum zu erlangen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.04.1997 - 2 BvR 817.90 -, NJW 2005, 1637, 1639 [BVerfG 04.02.2005 - 2 BvR 308/04]; BVerwG, Beschl. v. 20.12.2017 - 6 B 14.17 -, juris Rn. 13 f.). Eine andauernde diskriminierende Wirkung der behördlichen Maßnahme ist keine Voraussetzung. Der mit der Verneinung eines berechtigten Feststellungsinteresses verbundene Ausschluss verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes muss sich somit in jedem Fall an dem verfassungsrechtlichen Gebot effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG messen lassen (BVerwG, Beschl. v. 20.12.2017 - 6 B 14.17 -, juris Rn. 13 f.).

In der vorliegenden Situation ist die Annahme eines Feststellungsinteresses hinsichtlich Art. 19 Abs. 4 GG und damit zur Verwirklichung des effektiven und lückenlosen Rechtsschutzes geboten.

Mit der anerkannten Fallgruppe des Feststellungsinteresses der tiefgreifenden Grundrechtseingriffe, deren Beschwer sich typischerweise vor der Möglichkeit der Erlangung verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes erledigt, ist die hier vorliegende Fallkonstellation wertungsmäßig vergleichbar. Die Aufnahme personenbezogener Daten ermöglicht eine automatische Verarbeitung und Weiterverwendung. Der mit den technischen Möglichkeiten der Datenverarbeitung einhergehenden gesteigerten Gefährdungslage entspricht der hierauf bezogene Grundrechtsschutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Die freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Es dient dabei auch dem Schutz vor einem Einschüchterungseffekt, der entstehen und zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung anderer Grundrechte führen kann, wenn für den Einzelnen nicht mehr erkennbar ist, welche Stelle was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Die Freiheit des Einzelnen, aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden, kann dadurch wesentlich gehemmt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.12.2017 - 6 B 14.17 -, juris Rn. 13 f.).

Vorliegend erhob und speicherte der Beklagte personenbezogene Daten der Klägerin über einen längeren Zeitraum. Das auf Löschung ihrer personenbezogenen Daten vor dem Verwaltungsgericht E. geführte Verfahren (Az.: K.) ist zwischenzeitlich eingestellt worden, weil der Beklagte unter dem 15.04.2021 mitteilte, dass er den Bescheid vom 03.04.2018 aufgehoben hat. Der Beklagte sperrte daraufhin die Daten der Klägerin und sicherte eine Löschung derselben nach dem rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens zu. Zur Begründung führte er aus, dass sich nach dem erheblichen Zeitablauf die Sachlage und die Bewertung der Erforderlichkeit der Datenspeicherung geändert habe. Würden das Sperren und Löschen der Daten im laufenden Klageverfahren dazu führen, dass das Feststellungsinteresse der Klägerin hinsichtlich der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der (ursprünglichen) Erhebung und Speicherung entfiele, so hätte es der Beklagte in der Hand, dieses Rechtsverhältnis gerichtlicher Prüfung zu entziehen. Der Klägerin bliebe entgegen des Gebots des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG keine Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Erhebung und Speicherung der Daten und damit den Eingriff in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG überprüfen zu lassen. Weil es der Klägerin jedoch - wie oben dargelegt - offenstehen muss, ebendiesen Rechtsschutz zu erlangen, bleibt die Sperrung und Löschung der Daten im laufenden Klageverfahren ohne Einfluss auf das Feststellungsinteresse der Klägerin.

II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung. Weder die Erhebung (hierzu unter 1.) noch die Speicherung (hierzu unter 2.) ihrer personenbezogenen Daten ist rechtswidrig gewesen.

1. Der Beklagte durfte vorliegend personenbezogene Daten erheben (hierzu unter a) und konnte sich zu diesem Zweck des nachrichtendienstlichen Mittels der Inanspruchnahme einer VP bedienen (hierzu unter b).

a) Rechtsgrundlage für die Erhebung der personenbezogenen Daten ist § 12 Abs. 1 Satz 1 NVerfSchG. Nach dieser Vorschrift darf die Verfassungsschutzbehörde die zu einer planmäßigen Beobachtung und Aufklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 NVerfSchG erforderlichen personenbezogenen Daten erheben, soweit in den Vorschriften des Kapitels nichts anderes geregelt ist. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 NVerfSchG ist ein Beobachtungsobjekt ein Personenzusammenschluss oder eine Einzelperson nach § 4 Abs. 1 NVerfSchG, der oder die zur Erfüllung der Aufgabe nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1, 3 und 4 planmäßig beobachtet und aufgeklärt wird. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG ist die Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben.

Diese Voraussetzungen liegen vor. Richtet sich die Beobachtung auf ein Beobachtungsobjekt i.S.d. § 6 NVerfSchG, setzt die Sammlung von Informationen nach § 6 Abs. 1 Satz 2 NVerfSchG das Vorliegen von Tatsachen voraus, die insgesamt betrachtet und unter Einbeziehung nachrichtendienstlicher Erfahrungen aus vergleichbaren Fällen das Vorliegen einer Bestrebung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 oder 4 NVerfSchG belegen. Die Voraussetzungen beziehen sich dabei darauf, dass überhaupt eine Bestrebung vorliegt und (noch) nicht auf die Zuordnung einzelner Personen zu dieser Bestrebung (vgl. VG Hannover, Urt. v. 07.07.2016 - 10 A 5548/11 -, juris Rn. 47 und Urt. v. 01.09.2020 – 10 A 4689/17 -, nicht veröffentlicht).

Die beobachtete Göttinger Gruppierung BL stellt als Teil der IL, welche wiederum den Autonomen zuzurechnen ist, ein zulässiges Beobachtungsobjekt dar. Es liegen hinreichend Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei den benannten Gruppierungen um Bestrebungen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG handelt, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten.

Dies gilt zunächst für die beobachtete Gruppe der Autonomen. Nach den Erkenntnissen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes (vgl. Nds. Verfassungsschutzbericht 2016, S. 128 ff.) handelt es sich bei dieser Gruppierung um einen Personenzusammenschluss, welcher sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass die ihm zuzurechnenden Personen die freiheitliche demokratische Grundordnung zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft überwinden wollen. Sie gelten als Form des subkulturellen Linksextremismus. Autonome verfügen zwar nicht über eine einheitliche Weltanschauung oder starre Organisationsformen mit klaren Hierarchieebenen. Gemeinsamer Nenner ist aber ein tiefsitzender Hass sowohl auf den Staat, seine Institutionen und Repräsentanten als auch die angeblich mit diesen verbündeten Rechtsextremisten. Sie teilen die Annahme, dass eine idealisierte Gesellschaftsform nur mir der Überwindung der bürgerlichen Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland möglich ist. Autonome Gruppen greifen gesamtgesellschaftlich relevante Themen auf, die die Menschen bis weit in die Mitte der Gesellschaft bewegen und zum zivilgesellschaftlichen Engagement herausfordern. Im Gegensatz zum demokratischen Protest, der frei von systemüberwindenden Forderungen ist, basiert der linksextremistische auf ideologischen Grundannahmen, für die eine prinzipielle Gegnerschaft zum politischen System der Bundesrepublik und seiner Wirtschaftsordnung kennzeichnend ist. Linksextremisten dienen ihre Themen wie „Antifaschismus“, „Antirassismus“ oder „Antirepression“ daher vor allem als Plattform für ihr eigentliches Ziel, den Kampf gegen den demokratischen Rechtsstaat. Erst wenn dieser überwunden ist, lassen sich ihrer Auffassung nach alle anderen gesellschaftlichen Probleme lösen (vgl. Nds. Verfassungsschutzbericht 2016, S. 129). Das erklärte Ziel dieser Gruppierungen ist es somit, den Staat und seine Institutionen gewaltsam abzuschaffen und durch eine „herrschaftsfreie Gesellschaft“ zu ersetzen (vgl. Nds. Verfassungsschutzbericht 2016, S. 131), wobei sich ihr Weltbild aus kommunistischen und anarchistischen Elementen zusammensetzt. Die Autonomen bilden vor dem Hintergrund ihrer ideologischen Gemeinsamkeiten ein kontinuierliches Netzwerk, welches auf die Überwindung der bestehenden Gesellschaftsformen hinarbeitet. Das Gericht teilt die Einschätzung, dass sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten und damit erkennbar verfassungsfeindlich sind.

Die IL ist eine postautonome Struktur, die den verfassungsfeindlichen Autonomen zuzurechnen ist.

Seit den gewaltsamen Ausschreitungen im Rahmen der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm im Jahre 2007 haben die Autonomen die Notwendigkeit gefestigter Strukturen anerkannt. Die autonome Szene hat(te) sich mit zunehmender interner Kritik zum Vorwurf ihrer Theorieferne, der Unorganisiertheit und Selbstbezogenheit auseinanderzusetzen (vgl. den Bericht des Nds. Verfassungsschutzes „Vom Autonomen zum Postautonomen?“, Mai 2018, S. 27). Aus dieser Kritik heraus haben einige von ihnen damit begonnen, sich zu organisieren und bis ins demokratische Spektrum zu vernetzen, um so die autonome Szene nachhaltig zu verändern. Diese Entwicklungen münden in den sogenannten postautonomen Strukturen. Sie stellen eine besondere Ausprägung und festen Bestandteil der autonomen Szene dar. Sie zeichnen sich durch eine starke Bündnispolitik und eine starke Vernetzung aus. Zu den führenden postautonomen Strukturen gehören bundesweit die IL und das Bündnis „…ums Ganze! Kommunistisches Bündnis“ (uG).

Die Kammer folgt der Einschätzung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, dass es sich bei der IL – als einer den Autonomen zuzurechnenden Gruppierung – um eine verfassungsfeindliche Gruppierung handelt und teilt dessen Bewertung, dass es sich bei dieser Gruppierung um eine der bedeutendsten postautonomen Bündnisse handelt, dessen Akteure sich zwar um ein gemäßigteres äußeres Erscheinungsbild aus taktischen Erwägungen bemühen (vgl. Bericht des Nds. Verfassungsschutzes „Vom Autonomen zum Postautonomen?“, Mai 2018, S. 30), sich hinter diesem Verhalten aber eine latent vorhandene Militanz verbirgt. Dies wird beispielsweise aus ihrem „Zwischenstandspapier“ vom 29.10.2018 deutlich, in dem es unter anderem heißt:

„Unsere Mittel und Aktionsformen, defensive wie offensive, bestimmen wir also strategisch und taktisch in den jeweiligen Situationen. Es geht uns darum, die kollektive Fähigkeit herzustellen, die Wahl der Mittel nach unseren Zielen selbst zu bestimmen.“

(abrufbar unter: Was uns eint | Interventionistische Linke (interventionistische-linke.org), zuletzt abgerufen am: 23.06.2021). Ihre gewaltbereite und sich gegen die demokratische Grundordnung richtende Haltung zeigt sich im besagten Zwischenstandspapier an verschiedenen Stellen. So wird beispielsweise das langfristige Ziel als eine „radikale Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse“ definiert. Aus Sicht der IL ist notwendiger Bestandteil „einer solchen radikalen Transformation […] der revolutionäre Bruch, dem wiederum viele kleine Brüche, die entlang von Kämpfen stattfinden, vorausgehen und folgen“, denn um „den Weg zu einer befreiten Gesellschaft freizumachen“, braucht es ihrer Ansicht nach „die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Kapitalverwertung, auf denen ökonomische Macht basiert, und die Überwindung des bürgerlichen Staatsapparates als Garant dieser Eigentumsordnung“. Ihre Handlungsweise ist demnach als „außerparlamentarisch und grundsätzlich antagonistisch zum Staat“ zu klassifizieren (die zitierten Stellen sind auf der Homepage der IL von der Veröffentlichung [nicht mehr] umfasst, können aber dem Bericht des Nds. Verfassungsschutzes „Vom Autonomen zum Postautonomen?“, Mai 2018, auf S. 31 entnommen werden).

Dass die IL zur Erreichung ihrer Ziele vor Gewaltanwendung nicht zurückschreckt, zeigte sich beispielsweise bei der Organisation der Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg im Jahr 2017, bei der die Gruppierung eine führende Rolle annahm und auch mit gewaltbereiten Gruppen zusammenarbeitete. Ihre Sprecherin Emily Laquer verweigerte im Vorfeld des Gipfels ausdrücklich eine Distanzierung von Gewalt:

„Und deshalb muss ich immer wieder auf die Gewaltfrage antworten: Nein, ich unterwerfe mich nicht. Nein, ich distanziere mich nicht. Ich weigere mich, harmlos zu sein. [...] Für den Augenblick ist der massenhafte Ungehorsam, für den die Interventionistische Linke bekannt ist, eine gute Antwort.“

(abrufbar unter: Gewaltorientierte Szene (bayern.de), zuletzt abgerufen am: 23.06.2021). Die deutlichen Aussagen ihrer Sprecherin muss sich die IL zurechnen lassen.

Schließlich stellt auch die BL ein zulässiges Beobachtungsobjekt dar. Denn bei diesem Personenzusammenschluss handelt es sich unstreitig um eine Ortsgruppe der IL. Auf der Website der IL wird die BL neben der Antifaschistischen Linke als Ortsgruppe für die Stadt B-Stadt benannt. Die BL hat sich zudem im August 2015 ausdrücklich zur IL bekannt. Dies ergibt sich aus einem Artikel, den die BL am 22.08.2015 unter der Überschrift „BL goes IL“ auf der Website der IL veröffentlicht hat (abrufbar unter: BL goes IL | Interventionistische Linke (interventionistische-linke.org), zuletzt abgerufen am 21.06.2021). In diesem heißt es:

„Seit Kurzem sind wir Teil der „Interventionistischen Linken“. Es ist uns wichtig emanzipatorische Politik über die lokale Ebene hinaus zu etablieren und über eine gemeinsame linksradikale Organisierung eine größere Wirkmächtigkeit zu erreichen. Nur wenn wir mehr werden, solidarisch sind, nur wenn wir überregional gemeinsame Strategien und Perspektiven entwerfen, ist die Umwälzung der herrschenden Verhältnisse möglich.“

Nach diesem ausdrücklichen Bekenntnis muss die BL sich die zuvor benannten Ziele, Aussagen, Verhaltens- und Vorgehensweisen der IL zurechnen lassen. Gegen die Beobachtung und die Erhebung personenbezogener Daten der Klägerin im Zusammenhang mit der Beobachtung der Gruppierung BL bestehen deshalb keine rechtlichen Bedenken.

Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag war bereits deswegen nicht stattzugeben, weil bei dieser Erkenntnislage kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Zudem ist die Vernehmung der benannten VP auch kein taugliches Beweismittel. Welche Erkenntnisse P. dem Beklagten mitgeteilt hat, sind durch die versehentlich offengelegten Passagen in den zu der Klägerin vom Beklagten geführten Verwaltungsvorgang mittlerweile bekannt. Die Klägerin hat die Richtigkeit dieser Auskünfte nicht bestritten. Die rechtliche Einordnung dieser Informationen obliegt der Kammer. Der benannte Zeuge könnte lediglich seine persönlichen Einschätzungen abgeben, auf die es vorliegend aber nicht ankommt.

b) Es ist auch nicht zu beanstanden, dass der Beklagte personenbezogene Daten durch das nachrichtendienstliche Mittel der Inanspruchnahme einer VP erhob.

aa) Rechtsgrundlage für den Einsatz einer VP ist § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 lit. a) i.V.m. §§ 15, 16 NVerfSchG.

In § 14 Abs. 1 NVerfSchG sind die nachrichtendienstlichen Mittel, derer sich die Niedersächsische Verfassungsschutzbehörde zur Erhebung personenbezogener Daten bedienen darf, abschließend aufgezählt. Zu diesen Mitteln gehört nach Nr. 6 lit. a) auch die Inanspruchnahme von Personen, deren planmäßig angelegte Zusammenarbeit mit der Verfassungsschutzbehörde Dritten nicht bekannt ist (Vertrauenspersonen). Während § 15 NVerfSchG die allgemeinen Voraussetzungen des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel normiert, enthält § 16 NVerfSchG die speziellen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer VP. Sowohl die allgemeinen als auch die speziellen Vorschriften zur Inanspruchnahme einer VP waren vorliegend erfüllt.

bb) Die formellen Verfahrensvorschriften zum Einsatz einer VP nach § 21 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 3, § 36 Abs. 1 Nr. 3 NVerfSchG wurden vorliegend gewahrt. So wurden die Gründe für die Bestimmung der „Autonomen“ zum Beobachtungsobjekt von erheblicher Bedeutung mit Vermerk vom 17.02.20217 niedergelegt und im Sinne von § 21 Abs. 5 Satz 2 NVerfSchG dokumentiert. Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport Boris Pistorius hat daraufhin am 06.03.2017 diese Gruppierung zum Beobachtungsobjekt von erheblicher Bedeutung nach § 21 Abs. 5 Satz 1 NVerfSchG bestimmt. Die G10-Kommission (vgl. § 3 Niedersächsisches Gesetz zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes (Nds. AG G 10)) hat in einer Sitzung am 14.03.2017 nach Prüfung der Zulässigkeit und Notwendigkeit des Einsatzes der VP im Sinne von § 21 Abs. 5 Satz 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 NVerfSchG gemäß § 21 Abs. 5 Satz 5 NVerfSchG die notwendige Zustimmung zum Einsatz der VP erteilt. Der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes wurde den Anforderungen des § 36 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 NVerfSchG entsprechend ebenfalls unterrichtet.

cc) Auch die materiellen Voraussetzungen zum Einsatz einer VP lagen vor.

Zunächst waren die allgemeinen Voraussetzungen zum Einsatz eines nachrichtendienstlichen Mittels nach § 15 NVerfSchG erfüllt. Nach dieser Vorschrift darf ein nachrichtendienstliches Mittel nur eingesetzt werden, wenn sich der Einsatz gegen ein Beobachtungs- oder Verdachtsobjekt oder gegen eine Person richtet, bei der tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie in diesem oder für dieses tätig ist.

Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Einsatz richtete sich vorliegend gegen die Gruppierung der BL als Ortsgruppe der IL, welche wiederum den Autonomen zuzurechnen ist. Aus den bereits dargelegten Gründen sind die Autonomen als Bestrebung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG zu klassifizieren und stellen ein zulässiges Beobachtungsobjekt i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 2 NVerfSchG dar.

Der Einsatz eines nachrichtendienstlichen Mittels ist auch nicht nach § 15 Abs. 1 NVerfSchG ausgeschlossen gewesen. Hiernach ist der Einsatz eines nachrichtendienstlichen Mittels unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, die Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; dies ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen erhoben oder durch ein Ersuchen nach § 23 NVerfSchG beschafft werden kann. Der Einsatz eines nachrichtendienstlichen Mittels darf auch nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen, insbesondere nicht außer Verhältnis zu der Gefahr, die von dem jeweiligen Beobachtungs- oder Verdachtsobjekt oder der Tätigkeit nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 NVerfSchG ausgeht oder ausgehen kann. Der Einsatz eines nachrichtendienstlichen Mittels ist unverzüglich zu beenden, wenn sein Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann.

Es ist zunächst nicht ersichtlich, dass dem Beklagten die Erforschung des Sachverhalts auf andere, die Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich gewesen wäre, da linksextremistische Gruppierungen typischerweise im geheimen und konspirativ agieren. Als exemplarisches Beispiel kann hierfür die Durchführung eines Aktionstrainings unter Beteiligung von Mitgliedern der BL am 26.03.2017 herangezogen werden. Dieses Training diente nach Auskunft der VP der Verbesserung der Handlungsfähigkeit im Fall von körperlichen Auseinandersetzungen mit Nazis oder dem plötzlichen Auftreten von Angehörigen des „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“ im Stadtgebiet von B-Stadt. Die Anreise zum Veranstaltungsort erfolgte nach Auskunft der VP über zwei Schleusungsstellen konspirativ. Vorab wusste lediglich ein kleiner Personenkreis über die genaue Örtlichkeit, die durch ein Flatterband abgesperrt gewesen ist, Bescheid. Es waren Schilder mit dem Hinweis auf einen Videodreh angebracht, um die Erkennbarkeit des Aktionstrainings und der Teilnehmer für Außenstehende zu verhindern. Soweit die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung einräumte, dass die Fläche durch ein Absperrband abgeriegelt war und es nur zwei Einlasspunkte gab, bestätigt dies den von der VP geschilderten Sachverhalt. Soweit die Klägerin diesbezüglich aber weiter behauptete, die zwei Einlasspunkte hätten der besseren Auffindbarkeit und die Absperrung der Abschirmung von eventuell die Veranstaltung störenden Hunden gedient, so bewertet die Kammer dies als Schutzbehauptung, weil sich bereits aufdrängt, dass Hunde die Bedeutung eines Flatterbandes als Abschirmmittel nicht verstehen dürften.

Im Hinblick auf die erkennbar steigende Gewaltbereitschaft der Autonomen (hierzu gleich) stand der Einsatz der VP auch nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts und insbesondere auch nicht außer Verhältnis zu der Gefahr, die von dieser Gruppierung und ihren Mitgliedern ausgehen kann. Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass der Einsatz der VP nach § 15 Abs. 1 Satz 3 NVerfSchG früher hätte beendet werden müssen. Anhaltspunkte dafür, dass der Zweck des Einsatzes der VP bereits zu einem früheren Zeitpunkt erreicht war, liegen nicht vor.

Auch die speziellen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme einer VP als nachrichtendienstliches Mittel lagen vor.

Zunächst erfüllt P. die persönlichen Anforderungen des § 16 Abs. 1 Satz 1 NVerfSchG. Er ist zum Zeitpunkt seiner Inanspruchnahme bereits volljährig gewesen (Nr. 1) und hat - soweit ersichtlich - keinen Straftatbestand von besonderer Bedeutung verwirklicht (Nr. 2, i.V.m. Abs. 6). Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die ihm wegen seiner Inanspruchnahme als VP gewährten Geld- oder Sachzuwendungen auf Dauer seine Lebensgrundlage waren (Nr. 3). Es ist auch nicht davon auszugehen, dass er ein Angebot zum Ausstieg angenommen hat (Nr. 4). Schließlich ist er auch kein Mandatsträger des Europäischen Parlaments, des Bundestages oder eines Landesparlaments oder Mitarbeiter einer solchen Mandatsträgerin oder eines solchen Mandatsträgers oder einer Fraktion oder Gruppe eines solchen Parlaments gewesen (Nr. 5).

Er durfte als VP gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 NVerfSchG auch dauerhaft in dem Beobachtungsobjekt Autonome und der ihr zuzuordnenden Gruppierung der BL eingesetzt werden. Zur dauerhaften Inanspruchnahme einer VP in einem Beobachtungsobjekt erfordert diese Vorschrift, dass die Gruppierung auf die Anwendung oder Vorbereitung von Gewalt gerichtet ist oder aus anderen Gründen erhebliche Bedeutung hat.

Die erhebliche Bedeutung einer Gruppierung kann sich nach dem Willen des Gesetzgebers aus dem Gewaltbezug aber auch aus anderen Kriterien wie der hohen Mitgliederzahl oder einer hohen Finanzkraft ergeben (LT-Drucks. 17/6464, S. 19).

Die Autonomen weisen einen solchen Gewaltbezug auf. Diesen muss sich die BL nach dem vorhergesagten zurechnen lassen. Ihre Bestimmung zum Beobachtungsobjekt von erheblicher Bedeutung ist nicht zu beanstanden. Vor dem Einsatz der VP lagen ausreichend Anhaltspunkte und Tatsachen dafür vor, dass die Autonomen in der Vergangenheit Gewalt angewendet haben und vor einer solchen in Zukunft auch nicht zurückschrecken werden.

Nach den Erkenntnissen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes (Nds. Verfassungsschutzbericht 2016, S. 136, vgl. auch Bl. 004 des im Verfahren V. beigezogenen VV) fand und findet die Gewalt der Autonomen Szene ihre Grenze aktuell nur noch in der gezielten Tötung von Personen. Schwere Körperverletzungsdelikte zum Nachteil des politischen Gegners oder an Polizeibeamten werden dauerhaft und kontinuierlich verzeichnet. In Niedersachsen haben Autonome an entscheidender Stelle dazu beigetragen, dass Veranstaltungen gewaltsam verliefen. Auch außerhalb Niedersachsens, wie zum Beispiel bei der Eröffnung des EZB-Neubaus in Frankfurt am Main im März 2015 oder dem Bundesparteitag der AfD im April 2016 in Stuttgart, beteiligten sich niedersächsische Autonome. Ausweislich einer tabellarischen Übersicht des Beklagten verliefen die folgenden gewalttätigen Ereignisse unter Beteiligung niedersächsischer Autonomer bzw. Postautonomer (vgl. Bl. 007 ff. des im Verfahren V. beigezogenen VV):

05/2015

Bei einer Demonstration gegen die Polizei in Hannover kommt es aus den Reihen der autonomen Teilnehmer zu Sachbeschädigungen und Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte. Bei einer darauf folgenden Demonstration gegen Gentrifizierung werden mit Lösungsmittel getränkte Schwämme auf Polizeibeamte geworfen.

09/2015

An den Protesten gegen den Tag der deutschen Patrioten beteiligen sich Autonome aus ganz Niedersachsen. Die Proteste werden von massiven Auseinandersetzungen mit Einsatzkräften der Polizei begleitet.

11/2015

In Wilhelmshaven kommt es zu Steinwürfen Oldenburger Autonomer auf von einer Versammlung abfahrender PKW von Rechtsextremisten.

12/2015

Bei einer AfD-Veranstaltung an der Universität Lüneburg kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Autonomen aus dem Raum Lüneburg und AfD-Angehörigen sowie zu Widerstandshandlungen der Autonomen gegenüber den Einsatzkräften der Polizei.

12/2015

Seit Ende 2015 kommt es zu einer Vielzahl einzelner Rechts-Links-Konfrontationen in B-Stadt unter Einsatz von Gewalt (Sachbeschädigungen/gefährliche Körperverletzungen). Z.B.: Im 08/2016 kam es in B-Stadt zu einem gewaltsamen Übergriff von 40-50 vermummten Personen auf eine Gruppe von sechs Personen des FKTN. Hierbei wurde einer am Boden liegenden Person des FKTN ein Tritt gegen den Kopf versetzt.

02/2016

Bei Protesten gegen eine BRAGIDA-Versammlung in Braunschweig kommt es zu Beleidigungen und Widerstandshandlungen Autonomer gegenüber den Einsatzkräften der Polizei.

03/2016

Bei einem angemeldeten Infostand der NPD in Stade greifen Autonome gezielt Angehörige der NPD an und werfen Flaschen auf Polizeibeamte.

04/2016

In B-Stadt kommt es zu einem Brandanschlag auf ein Verbindungshaus.

04/2016

Seit Frühjahr 2016 werden in B-Stadt und Umgebung mehrere Brandanschläge auf PKW Angehöriger rechtsextremistischer Organisationen begangen.

05/2016

In Lüchow und Dannenberg kommt es zu Brandanschlägen auf zwei Märkte des Textildiscounters KIK. Die Taten stehen im Zusammenhang mit der bundesweiten, linksextremistischen Kampagne „Kapitalismus ist Krieg“.

06-09/2016

Im Rahmen der von Autonomen initiierten Kampagne „Alles muss man selber machen“ kommt es im Nds. Kommunalwahlkampf zu flächendeckenden Zerstörungen von Wahlplakaten der AfD und NPD.

06/2016

Bei einer Spontandemonstration im Anschluss an das Festival contre le racism in Hannover werfen Autonome Flaschen auf Polizeibeamte.

08/2016

Bei Übergriffen Autonomer auf einen AfD-Infostand in Braunschweig kommt es zu Widerstandshandlungen gegenüber den Einsatzkräften und Körperverletzungsdelikten gegenüber den Besuchern des Infostandes.

08/2016

In Oldenburg wird ein NPD-Mitglied beim Aufhängen von Wahlplakaten von einer ca. vier Meter hohen Leiter gestoßen. Im weiteren Verlauf wird der PKW des NPD-Mitglieds beschädigt.

08/2016

Autonome aus dem Bereich Winsen/Luhe stören eine AfD-Veranstaltung in Hittfeld und bewerfen einen Bundessprecher der AfD mit einer gefrorenen Torte.

09/2016

Im Zusammenhang mit einer angemeldeten NPD-Kundgebung in Stade kommt es auf der Bahnstrecke zwischen Hamburg und Cuxhaven kurz vor dem S-Bahn-Haltepunkt Neu Wulmsttorf zur Inbrandsetzung eines Kabelschachts, wodurch der Zugverkehr in Richtung Stade zweitweise komplett ausfiel. Es ist davon auszugehen, dass auf diese Weise Teilnehmer der NPD-Kundgebung an einer Anreise gehindert werden sollten.

09/2016

In Oldenburg greifen Autonome bei Protesten gegen eine AfD-Versammlung die Teilnehmer an.

09/2016

Bei Protestaktionen gegen Rechtsextremisten in B-Stadt werfen Autonome Feuerwerkskörper auf Einsatzkräfte der Polizei.

11/2016

In Nienburg kommt es bei Protesten gegen Rechtsextremisten durch Autonome zu Sachbeschädigungen und Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte.

12/2016

Autonome werfen in Hannover Steine durch die Scheibe eines Veranstaltungsraumes, in dem AfD-Politiker tagten.

Der Gewaltbezug der Autonomen ist angesichts dieser vom Beklagten konkret erfassten Ereignisse für die Kammer nachgewiesen. Nach der Dichte der im Jahr 2015 und 2016 aufgetretenen gewaltsamen Ereignisse unter Beteiligung der Autonomen teilt die Kammer die Einschätzung des Beklagten, dass es sich bei dieser Gruppierung um eine solche von erheblicher Bedeutung handelt.

Schließlich liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die VP sich bei ihrem Einsatz außerhalb des gesetzlichen Rahmens bewegt – insbesondere einen Straftatbestand außerhalb des § 16 Abs. 4 NVerfSchG begangen, auf die Gründung einer strafbaren Vereinigung hingewirkt, eine steuernde Einflussnahme auf die Gruppierung ausgeübt oder Handlungen vorgenommen hätte, die unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall unumgänglich waren (vgl. hierzu auch die Ausführungen im Urteil - V. -).

2. Rechtsgrundlage für die Speicherung der personenbezogenen Daten der Klägerin ist § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NVerfSchG. Nach dieser Vorschrift darf die Verfassungsschutzbehörde die zur Erfüllung ihrer Aufgaben rechtmäßig erhobenen personenbezogenen Daten speichern, verändern und nutzen, wenn dies zu dem Zweck erforderlich ist, zu dem sie erhoben worden sind und tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die betroffene Person in dem oder für das Beobachtungs- oder Verdachtsobjekt tätig ist.

Die Kammer gelangt anhand der zur Verfügung stehenden Erkenntnisse zu der Auffassung, dass die Speicherung der personenbezogenen Daten der Klägerin rechtmäßig gewesen ist, weil bereits zum Zeitpunkt der Speicherung tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht vorlagen, dass die Klägerin der BL und damit der autonomen Szene in E. zuzurechnen und an linksextremistischen Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 Satz 1 NVerfSchG beteiligt war.

Dass die Klägerin für die BL und damit für die Bestrebung der Autonomen tätig war, wird durch die vom Beklagten im Laufe des Klageverfahrens versehentlich offen gelegten Erkenntnisse, welche im Wesentlichen auf Informationen einer VP zurückzuführen sind, deutlich. Die VP hat neben ihrer Einschätzung – die Klägerin sei innerhalb der Gruppierung eine der führenden Persönlichkeiten und widme ihrer politischen Arbeit innerhalb der BL viel Zeit und Engagement – auch Erkenntnisse über ihre Teilnahme an verschiedenen Aktivitäten der BL mitgeteilt. Diesen Auskünften lässt sich beispielsweise entnehmen, dass die Klägerin am 26.03.2017 in E. an einem sogenannten „Aktionstraining“ teilgenommen hat, welches der Verbesserung der Handlungsfähigkeit im Fall von körperlichen Auseinandersetzungen mit Nazis oder dem plötzlichen Auftreten von Angehörigen des „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“ (im Folgenden: FKTN) im Stadtgebiet von E. dienen sollte. Eine weitere Teilnahme an einem Aktionstraining soll am 08.04.2017 in Halle erfolgt sein. Am 25.07.2017 hat die Klägerin nach Aussage der VP an einem Plenum der BL in E. teilgenommen. Durch eine Observierungsmaßnahme erlangte der Beklagte die Erkenntnis, dass die Klägerin am 08.10.2017 in Hannover an einem internen, konspirativen und linksextremistischen Vorbereitungstreffen zur Planung der Proteste gegen den „Tag der deutschen Zukunft“ im Jahr 2018 in Hannover teilgenommen hat. Schließlich teilte die VP noch mit, dass die Klägerin am 05.12.2017 in E. als eine unter 40 Personen an einem Plenum der BL teilgenommen hat.

Nachdem die Klägerin im Laufe des Klageverfahrens nach versehentlicher Offenlegung der von der VP erlangten Erkenntnisse selbst eingeräumt hat, Mitglied der BL gewesen zu sein und an deren Treffen, Versammlungen und Aktionen teilgenommen zu haben, bedarf es schließlich keiner Beurteilung mehr, ob die vom Beklagten im Laufe des Klageverfahrens offengelegten Erkenntnisse für sich allein ausgereicht hätten, um seine Behauptung – die Klägerin sei dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen – zu stützen. Es bedarf ebenfalls keiner Bewertung mehr, ob und gegebenenfalls welches Gewicht der mit Schreiben vom 11.09.2021 abgegebenen Einschätzung der LfD zur Frage der Rechtmäßigkeit der Datenspeicherung beizumessen ist.

Soweit die Klägerin vorträgt, die einzige ihr mitgeteilte Erkenntnis – das Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt habe mitgeteilt, dass sie am 08.10.2017 an der Demonstration „C-Stadt bleibt bunt“ teilgenommen habe und im Rahmen einer durchgeführten Durchsuchung zwei Pfeffersprays bei ihr gefunden worden seien – sei evident falsch, verhilft das der Klage ebenfalls nicht zum Erfolg.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Beklagte im Laufe des Verfahrens eingeräumt hat, dass die mit Bescheid vom 25.01.2018 mitgeteilte Erkenntnis insoweit falsch mitgeteilt worden sei, als es sich hinsichtlich des Datums um den 08.10.2016 und hinsichtlich der Erkenntnisquelle um das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen gehandelt habe und das gespeicherte Datum insoweit korrigiert worden sei. Nachdem die Klägerin ihrerseits eingeräumt hat, an der besagten Versammlung teilgenommen zu haben und nur noch den Umstand bestreitet, dass zwei der sichergestellten Pfeffersprays ihr gehörten, ist dem zunächst entgegenzuhalten, dass die Kammer keinen Anlass sieht, die Richtigkeit dieser Information anzuzweifeln. Zunächst bestreitet die Klägerin diese Erkenntnis lediglich pauschal, ohne auch nur im Ansatz einen alternativen Geschehensablauf zu schildern, sodass die Kammer keinen Anlass sieht, diese auf die Meldung der Polizeidirektion F. zurückzuführende Information anzuzweifeln. Daran ändert auch das von ihr vorgelegte Urteil des Verwaltungsgerichts I. vom 13.03.2019 (Az.: J.) nichts. Soweit das Gericht die Rechtswidrigkeit verschiedener Maßnahmen mit diesem Urteil festgestellt hat, ergibt sich für die hiesige Kammer schon nicht die Relevanz des Urteils für das vorliegende Verfahren. Offensichtlich ist der Kläger vor dem Verwaltungsgericht I. mit der Klägerin des hiesigen Verfahrens nicht personengleich. Der in diesem Urteil dargestellte Sachverhalt belegt zudem nur, dass die geschilderten Maßnahmen durchgeführt wurden. Eine Aussage hinsichtlich zwei bei der Klägerin gefundenen Pfeffersprays vermag die Kammer diesem Urteil nicht zu entnehmen und zwar weder dahingehend, dass dem so gewesen ist, noch dahingehend, dass dem nicht so gewesen ist. Dem Tatbestand des Urteils kann diesbezüglich lediglich entnommen werden, dass die beklagte Polizeidirektion F. vorgetragen hatte, dass bei der Durchsuchung des Fahrzeuges neben Stockfahnen, Vermummungsgegenständen und Mundschützern u.a. auch sieben Tierabwehrsprays gefunden worden seien. Eine Zuordnung von Gegenständen und Handlungen zu den einzelnen Personen sei zunächst nicht möglich gewesen. Deswegen seien weitere Maßnahmen erfolgt. Aus der vom VG I. beigezogenen Ermittlungsakte zum Verfahren H. ergibt sich hingegen, dass zwei der sieben gefundenen Pfeffersprays in einem Jutebeutel, der vorne im Handschuhfach des durchsuchten Fahrzeugs untergebracht war, von den Polizeibeamten gefunden worden waren. Auf dem in der Ermittlungsakte befindlichen Bildmaterial ist diesbezüglich erkennbar, dass dieser Jutebeutel anfangend mit den Buchstaben „W.“ beschriftet war. Es drängt sich daher der Verdacht auf, dass der Nachname der Klägerin auf dem Beutel stand und deswegen die Zuordnung der Pfeffersprays zu ihrer Person erfolgte. Bei dieser Indizienverdichtung wäre es an der Klägerin gewesen, ihre Behauptung – die mitgeteilte Erkenntnis sei falsch – in irgendeiner Form zu stützen. So hätte sie beispielsweise darlegen können, dass der Jutebeutel ihr nicht gehörte bzw. wem dieser oder die sichergestellten Pfeffersprays gehörten oder ob und aus welchen Gründen ihr unter Umständen (gar nicht) bewusst war, dass sich solche Pfeffersprays im Fahrzeug befanden und warum. Dies hat sie bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung nicht getan. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass das Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin nach § 170 Abs. 2 StPO durch die Staatsanwaltschaft F. eingestellt worden ist. Dem entsprechenden Beschluss vom 29.05.2017 lässt sich entnehmen, dass die Einstellung nur erfolgte, weil nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, ob die gefundenen Pfeffersprays tatsächlich zur Versammlung mitgeführt wurden. Die Kammer geht insofern davon aus, dass die Einleitung des Ermittlungsverfahrens zumindest einen Anfangsverdacht gemäß §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO im Sinne hinreichender Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat indiziert hat und damit zugleich einen tatsächlichen Anhaltspunkt im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NVerfSchG darstellt. Schließlich lässt sich auch aus dem Umstand, dass die Polizeidirektion F. mit Schreiben vom 29.05.2018 mitgeteilt hat, dass sie den personenbezogenen Datensatz der Klägerin gelöscht hat, kein Rückschluss darauf ziehen, dass die mitgeteilte Information falsch ist. Denn das Schreiben enthält keinerlei Aussage dazu, dass eine Löschung aufgrund eines fehlenden Wahrheitsgehaltes erfolgte.

Selbst wenn es unrichtig wäre, dass bei der Klägerin im Zusammenhang mit der benannten Versammlung zwei Pfeffersprays gefunden wurden, so vermag auch dies die begehrte Feststellung nicht zu tragen. Der Fall des Bestreitens der Richtigkeit von Daten, die beim Verfassungsschutz gespeichert sind, ist in § 28 Abs. 1 NVerfSchG geregelt. Hiernach führt die - behauptete - Unrichtigkeit gespeicherter Daten nicht dazu, dass die Daten nicht weiter gespeichert werden dürfen oder zu löschen sind, sondern allenfalls zu einem Anspruch auf Berichtigung bzw. auf Eintragung eines Vermerks. Die Daten dürfen unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt nach dieser Regelung also grundsätzlich weiter gespeichert werden, sodass die Speicherung falscher Daten nicht automatisch zur Rechtswidrigkeit der Speicherung führt.

Zur Frage, wann eine Speicherung personenbezogener Daten als unrichtig gilt, kann nach § 23 Abs. 3 Satz 1 und 2 Niedersächsisches Datenschutzgesetz (NDSG) in Ermangelung einer entsprechenden Regelung im NVerfSchG die Regelung des § 52 Abs. 1 Satz 2 NDSG herangezogen werden. Auch nach dem NDSG kann im Falle der Unrichtigkeit von Daten die betroffene Person grundsätzlich die Berichtigung verlangen. § 52 Abs. 1 Satz 2 NDSG stellt aber klar, dass im Fall von Aussagen oder Beurteilungen die Frage der Richtigkeit der Daten nicht den Inhalt der Aussage oder der Beurteilung, sondern die Tatsache, dass die Aussage oder Beurteilung so erfolgt ist, betrifft. So ist der Fall hier. Bei der streitgegenständlichen gespeicherten Erkenntnis handelt es sich um eine Aussage der Abteilung 4 des Ministeriums für Inneres und Sport des Landes Sachsen. Dies ist der Klägerin so auch ausdrücklich mitgeteilt worden. So heißt es im streitgegenständlichen Bescheid, dass die Klägerin an der Demonstration „C-Stadt bleibt bunt“ teilgenommen haben, im Rahmen einer Durchsuchung zwei Pfeffersprays bei ihr gefunden worden, dass sie Tatverdächtige hinsichtlich eines Verstoßes gegen § 27 Abs. 1 VersammlG gewesen sein soll und sodann wörtlich: „Diese Erkenntnis stammt vom Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt, Abteilung 4“. Falsch im gesetzlichen Sinne würde im vorliegenden Fall also bedeuten, dass die Abteilung 4 des Ministeriums für Inneres und Sport des Landes Sachsen die entsprechende Information nicht oder nicht so übermittelt hat. Hierfür liegen aber keinerlei Anhaltspunkte vor. Dass die Verfassungsschutzabteilung des Landes Sachsen dem Beklagten die so lautenden Informationen tatsächlich zugeleitet hat, ergibt sich nämlich aus deren an den Beklagten adressierten Schreiben vom 21.12.2016.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO).