Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 18.06.2021, Az.: 12 A 11387/17

Abfall; Fluchtalternative; Islam; Konversion; Konvertit; Kurdistan

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
18.06.2021
Aktenzeichen
12 A 11387/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70692
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Beklagte verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17.10.2017 wird mit Ausnahme der Nr. 2 aufgehoben.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Nach einer Teilrücknahme begehrt der Kläger noch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Gewährung subsidiären Schutzes und weiter hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).

Der Kläger ist am D. 1984 in E. in der Provinz F. (Irak) geboren. Er ist irakischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und zunächst sunnitischer Glaubenszugehörigkeit. Im Oktober 2015 reiste er über den Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, erhielt eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender und stellte am 01.04.2016 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 01.08.2017 führte er aus, er habe in E. als Taxifahrer gearbeitet. Ungefähr 2012/2013 habe ein ihm bekannter Mann aus seiner Gegend, G., ihm gesagt, er dürfe keine Soldaten und Polizisten transportieren. Er habe erwidert, er könne sie in Zivilkleidung nicht erkennen. Das habe G. nicht überzeugt und er habe ihm gedroht, wenn er das wiederhole, würde er ihn umbringen. G. habe damals mit dem IS sympathisiert und sich dem IS nach der Eroberung H. angeschlossen. Auf einem Bild auf Facebook sehe man ihn mit dem konfiszierten Taxi des Klägers. Im September 2014 sei er zusammen mit seiner Mutter und seinem Sohn aus erster Ehe in ein Flüchtlingslager in Kurdistan gegangen. Ungefähr zwei Monate später habe er Arbeit in einer Bäckerei in Erbil gefunden und sei dorthin gezogen. Seine Frau habe ein Frauenfriseursalon in E. gehabt und sei dort geblieben, obgleich sie wegen ihres Ladens vom IS bedroht worden sei. Eines Tages habe er einen Anruf von jemandem vom IS erhalten, der ihn aufgefordert habe, nach E. zurückzukehren, ansonsten würde er seine Frau umbringen. Er habe jedoch nicht nach E. gewollt, weil es ihm zu gefährlich gewesen sei. Danach habe er seine Frau telefonisch nicht mehr erreichen können. Er habe seinen Schwiegervater und den Bruder seiner Frau angerufen. Dessen Frau habe ihm berichtet, am Vortag hätten IS-Milizen seine Frau, deren ältere Schwester und deren Sohn abgeholt. Sie habe gemeint, er solle nach E. kommen, sonst würden sie seine Frau und die anderen umbringen. Er habe aber nicht gewollt. Dann habe sein Schwiegervater ihn angerufen und ebenfalls verlangt, dass er nach E. komme. Als der Kläger ihm von dem Anruf des IS bei ihm erzählt habe, habe der Schwiegervater ihm versprochen, ihn zu beschützen. Danach habe er mit seiner Schwiegermutter telefoniert, die meinte, nur er könne das Problem lösen. Er sei dann nach E. gefahren und habe den IS-Mann angerufen und gefragt, was er tun solle. Dieser habe ihm gesagt, er solle zum Krankenhaus zum Kühlraum gehen und dort seine Frau abholen. Tatsächlich habe sich dort die Leiche seiner Frau befunden. Er habe sie mitnehmen dürfen und zu seinen Schwiegereltern gebracht. Nachdem sie seine Frau beerdigt hätten, sei er nach Erbil zurückgekehrt. In E. fühle er sich nicht sicher, da er zum einen von den IS-Milizen und zum anderen durch die Armee des Regimes bedroht werde. Nach der Befreiung H. seien viele IS-Anhänger jetzt bei der Armee oder Polizei. Sie würden mitbekommen, dass er in Deutschland zum Christentum konvertiert sei. Deshalb würde er entweder von ehemaligen IS-Kämpfern oder von Familienmitgliedern oder vielleicht auch von Angehörigen der Polizei oder der Armee umgebracht werden. Auch ohne die Konversion würden ihn diejenigen, die ihn seinerzeit bedroht hätte, liquidieren. Sie würden ihm vorhalten, er habe Polizei und Militärangehörige in Zivilkleidung mitgenommen. In Erbil würde er zwar nicht bedroht, könne aber keine Bürgschaft besorgen. Auf Nachfrage teilte der Kläger mit, seine Frau sei am 2. Tage des Monats Ramadan 2015 ermordet worden. Er wisse das genau, weil der am 1. Tag des Ramadan mit ihr telefoniert und sie gefragt habe, ob sie zum ihm nach Erbil komme. Es sei geplant gewesen, dass sie am Tag darauf nachkomme. Auf dem Hinweg zum Krankenhaus sei er bei seinen Schwiegereltern vorbeigefahren und habe zur Sicherheit eine Waffe seines Schwiegervaters mitgenommen. Auf dem Rückweg vom Krankenhaus habe er gemerkt, dass er von einem Auto verfolgt werde. In dem Auto hätten drei Personen gesessen und es sei auf ihn geschossen worden. Er habe mit seinen Schwiegereltern telefoniert und verabredet, dass die Familie das Feuer auf die Verfolger eröffnet, wenn sie sich dem Haus nähern. So hätten sie die Verfolger vertreiben können. In Deutschland habe er mehrere Familien kennengelernt, die in die Kirche gegangen seien und ihm mitgenommen hätten. Er sei dort angenehm überrascht gewesen von der Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit. Irgendwann und auch nach dem, was die Muslime ihnen angetan hätten, hätte er selbst Christ sein wollen. Dann habe er sich am I. 2016 taufen lassen. Im Irak wisse keiner von seinem neuen Glauben. Dort habe er vor lauter Angst an Gott geglaubt, sei aber nicht so richtig gläubig gewesen. Er habe auch nie im Koran gelesen, da er weder lesen noch schreiben könne. Als er nach Deutschland gekommen sei, sei er psychisch sehr angeschlagen gewesen und seit seiner Taufe gehe es ihm viel besser. Jesus sei ihm mittlerweile schon dreimal erschienen. Muslime würden sich gegenseitig nicht verzeihen, sondern im Namen der Religion töten, bestrafen und foltern. Vor 10 Monaten habe er gegen Mitternacht mit geschlossenen Augen wach im Bett gelegen. Da habe er gespürt, wie jemand in das Zimmer gekommen sei und ihm die Hände auf den Kopf gelegt habe. Die Person habe ihn angesprochen und ihm gesagt, sie sei Jesus, und mit ihm über seine Sorgen gesprochen. Danach habe er seine Augen geöffnet und Jesus mit seinem langen goldenen Bart und den goldenen Haaren, aber mit einer weißen Fläche statt Gesicht gesehen. Jesus habe seine Hand wieder auf seinen Kopf gelegt und etwas Unverständliches gesagt. Dann habe der Kläger erneut mit ihm gesprochen und ihn gebeten, seine Seele zu nehmen und ihm ein neues Leben zu geben. Seitdem habe sich sein Leben wirklich verändert. Seine bekannten Familien hätten ihm dann gesagt, er sei jetzt Christ, müsse aber nicht konvertieren. Er sei aber vom Christentum überzeugt gewesen und sei Christ geworden. Seitdem lasse er sich zuhause die deutsche Bibel ins Arabische übersetzen, bete und gehe jeden Sonntag in die Kirche, außerdem schaue er sich auf YouTube Filme über Jesus an. Im Irak könnte er das nicht tun. Früher habe es dort Religionsfreiheit gegeben, aber heute seien die Religionen gegeneinander. Christliche Feiertage habe er schon mitgefeiert, wisse aber nicht genau, wann sie seien und wie sie hießen. Er sei ja noch Anfänger. Beispielsweise wisse er, dass immer Anfang des Monats eine kleine Zeremonie stattfinde, bei der man ein Stück Brot und einen Schluck Wein bekomme. Besonders beeindruckt habe ihn die Geschichte, wie Jesus gekreuzigt werde und wie er versucht habe, mit seinen Taten die Menschen gleichzustellen. Es würde ihn sehr stören, wenn er sonntags nicht mehr in die Kirche gehen und die netten Menschen treffen und dort beten könnte.

Mit Bescheid vom 17.10.2017 lehnte das Bundesamt es ab, den Kläger als asylberechtigt anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuzuerkennen (Nrn. 1 bis 3). Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Nach Ablauf einer Ausreisefrist 30 Tagen drohte es dem Kläger die Abschiebung in den Irak oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nrn. 5 und 6). Zur Begründung führte das Bundesamt aus, eine Verfolgung durch den irakischen Staat habe der Kläger nicht geltend gemacht. Sofern der Kläger vorgetragen habe, IS-Anhänger hätten seine Frau getötet, weil es ihnen missfallen habe, dass er als Taxifahrer Polizei- und Militärangehörige transportiert habe, knüpfe dies nicht an ein flüchtlingsspezifisches Merkmal an. Es handele sich um Straftaten, deren Verfolgung den irakischen Strafverfolgungsbehörden obliege. Hinsichtlich der behaupteten Konversion zum Christentum hätte der Kläger bei einer Rückkehr in den Irak keine Verfolgung zu fürchten. Die irakische Verfassung garantiere zumindest für Christen die freie Religionsausübung. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seien die Christen zunehmend in die sicher scheinenden Städte, auch nach Bagdad, gezogen, wo mehrere christliche Kirchen ein Erzbistum hätten. Zudem bestünden Zweifel an der Glaubhaftigkeit der vorgetragenen Konversion. Obgleich seine Taufe bei der Anhörung bereits 10 Monate zurückgelegen habe, habe er weder zum Weihnachts- noch zum Osterfest Aussagen treffen können. Er habe den Weg zu seinem neuen Glauben nicht darstellen können, da er nicht habe erklären können, weshalb ihm aus heiterem Himmel Jesus erschienen sei. Der vorgelegte Taufschein könne als solcher einen ernsthaften Glaubenswechsel nicht belegen. Die Fluchtgeschichte im Zusammenhang mit der Ermordung der Ehefrau des Klägers begegne ebenfalls erheblichen Bedenken. Er habe erst nachträglich von der angeblichen Verfolgung auf dem Weg vom Krankenhaus zu den Schwiegereltern berichtet und erst auf weitere Nachfrage die angeblichen Schüsse auf ihn erwähnt. Daneben mute es irreal an, dass er bei einer Verfolgungsjagd mit Zick-Zack-Fahren unter Beschuss gleichzeitig ein Telefongespräch geführt habe. Ohnedies könne der Kläger sich einer Verfolgung durch einen Umzug nach Bagdad entziehen, wo eine Schwester von ihm lebe. Zwar sei er nach eigenen Angaben Analphabet, habe aber gleichwohl in verschiedenen Berufen gearbeitet und auch die Summe für die Ausreise größtenteils aus eigenen Ersparnissen aufbringen können. Zudem lebten noch zwei Schwestern, seine Mutter und sein Sohn im Irak, die ihn unterstützen könnten. Gleiches gelte für die Gewährung subsidiären Schutzes. In Bagdad erreiche die willkürliche Gewalt im innerstaatlichen Konflikt nicht generell das für eine Schutzgewährung erforderliche Niveau und individuelle gefahrerhöhende Merkmale lägen bei dem Kläger nicht vor. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bestehe aufgrund der derzeitigen humanitären Bedingungen im Irak auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers nicht. Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG bestünden ebenfalls nicht.

Am 30.10.2017 hat der Kläger Klage erhoben. Er macht geltend, wegen seiner Konversion zum Christentum und der damit verbundenen Glaubensbetätigung könne er sich auf einen Nachfluchtgrund gemäß § 28 AsylG berufen. Er praktiziere seine neu gewählte Religion seit 2016, gehe regelmäßig zum Gottesdienst, nehme am Abendmahl teil und sei auch sonst ein aktives Mitglied seiner Glaubensgemeinschaft. Während der pandemiebedingten Einschränkungen habe er regelmäßig an den Online-Gottesdiensten teilgenommen. Nach seinem Abfall vom muslimischen Glauben müsse er im Irak schwerwiegende Übergriffe vonseiten nichtstaatlicher Akteure befürchten. Daneben sei ihm subsidiärer Schutz zu gewähren, weil der Konflikt zwischen Kurden und irakischer Armee, jeweils unterstützt von ausländischen Alliierten, auch auf die kurdischen Gebiete überzugreifen drohe, wo der Kläger zuletzt gelebt habe.

In Bezug auf die zunächst begehrte Anerkennung als Asylberechtigter hat der Kläger die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

Der Kläger beantragt nunmehr noch,

die Beklagte unter Teilaufhebung des Bescheides vom 17.10.2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise, ihm subsidiären Schutz zu gewähren,

weiter hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Irak vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf den angefochtenen Bescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 18.06.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Trotz des Ausbleibens der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung kann ein Urteil ergehen, da sie gemäß § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) mit der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann.

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

Im Übrigen ist die Klage zulässig und hat in der Sache Erfolg.

Die Beklagte ist zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu verpflichten, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. In Bezug auf die Ziffern 1, 3 bis 6 ist der Bescheid vom 17.10.2017 daher aufzuheben, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Hinsichtlich der Ablehnung, den Kläger als asylberechtigt anzuerkennen (Nr. 2), ist der Bescheid mit der Klagrücknahme bestandskräftig geworden.

Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die (1.) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder (2.) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist. Als derartige Verfolgung kann nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt gelten. Die Verfolgung kann gemäß § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, wirksamen und dauerhaften Schutz vor Verfolgung zu bieten. Der Begriff der Religion umfasst nach § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer - bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr - die genannten Gefahren mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Hierfür ist erforderlich, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine individuelle Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Vorverfolgte werden nach den unionsrechtlichen Vorgaben nicht über einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, sondern über die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU privilegiert. Danach besteht bei ihnen eine tatsächliche Vermutung, dass ihre Furcht vor Verfolgung begründet ist. Diese Vermutung kann widerlegt werden. Hierfür ist es erforderlich, dass stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass ihnen erneut eine derartige Verfolgung droht (vgl. ausführlich u. m. w. N. zum Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, Urt. v. 04.07.2019 - 1 C 31/18 - juris Rn. 16 ff.).

Nach diesen Maßgaben kann der Kläger sich nicht auf eine Vorverfolgung durch den IS im Irak berufen (nachfolgend unter 1.). Er befindet sich aber aus begründeter Furcht vor Verfolgung aus religiösen Gründen außerhalb des Irak (nachfolgend unter 2.).

1. Die Einzelrichterin konnte in der mündlichen Verhandlung nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Kläger in Bezug auf die Bedrohung durch den IS von einem tatsächlich erlebten Geschehen berichtete. Seine Schilderungen wichen in mehreren wesentlichen Punkten erheblich von seinen Angaben vor dem Bundesamt ab, ohne dass er diese Diskrepanzen einleuchtend erklären konnte. Vor dem Bundesamt hatte er angegeben, er habe in Erbil einen Drohanruf des IS erhalten, danach sei seine Frau vom IS entführt worden und er sei von seiner Schwiegerfamilie überredet worden, nach E. zu kommen. Dort sei er mit einem Abstecher bei seinem Schwiegervater direkt ins Krankenhaus gefahren, wo er die Leiche seiner Ehefrau abgeholt habe. Auf dem Weg vom Krankenhaus zu seinem Schwiegervater sei er verfolgt und beschossen worden. In der mündlichen Verhandlung berichtete er hingegen, er sei nach der Entführung seiner Frau nach E. gefahren, um herauszufinden, was los sei. Nachdem er drei Tage dort gewesen sei, habe er einen Anruf von einem IS-Mann erhalten, der ihn zum Krankenhaus geschickt habe. Beim Krankenhaus habe er sich mit diesem Mann getroffen, dieser habe ihm vorgeworfen, als Taxifahrer Soldaten mitzunehmen, habe ihn bedroht und zur Leiche seiner Frau geschickt. Nach der dreitägigen Trauerfeier habe der Mann ihn erneut angerufen und mit dem Tode bedroht. Daraufhin sei er sofort mit einem befreundeten Taxifahrer nach Erbil gefahren und auf dem Weg bis dorthin von dem Anrufer in einem Auto verfolgt worden. Die unterschiedlichen Darstellungen lassen sich nicht mit einer fehlerhaften Übersetzung vor dem Bundesamt erklären. Denn in dem Protokoll finden sich nicht nur andere zeitliche Angaben, sondern die - in der mündlichen Verhandlung gänzlich anders geschilderten - Abläufe wurden auch genauer beschrieben, beispielsweise die Überredungsversuche durch die Schwiegerfamilie, die direkte Fahrt zum Krankenhaus und die angebliche Verfolgungsjagd auf dem Weg zur Schwiegerfamilie. Die angeblichen Übersetzungsfehler hinsichtlich der Arbeitsstätte des Klägers in Erbil und des Beisetzungsortes seiner Ehefrau finden sich auch nicht in dem Protokoll. Schließlich können auch mögliche traumatisierungsbedingte Konzentrationsprobleme des Klägers bei der Anhörung vor dem Bundesamt die Einzelrichterin nicht davon überzeugen, dass die stark abweichende Schilderung in der mündlichen Verhandlung den Tatsachen entspricht.

2. Der Kläger hätte jedoch aufgrund seiner Konversion zum Christentum bei einer Rückkehr in den Irak gravierende Verletzungen seiner Religionsfreiheit und seines Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu befürchten.

Die Prüfung eines derartigen Eingriffs erfolgt zweistufig. In einem ersten Schritt ist in objektiver Hinsicht festzustellen, welche Maßnahmen und Sanktionen gegenüber dem Betroffenen im Herkunftsstaat voraussichtlich ergriffen werden, wenn er eine bestimmte Glaubenspraxis dort ausübt, und wie gravierend diese sind. Die erforderliche Schwere kann insbesondere erreicht sein, wenn ihm durch die Betätigung seines Glaubens - im privaten oder öffentlichen Bereich - die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, (tatsächlich) strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Sodann ist - in einem zweiten Schritt - in subjektiver Hinsicht festzustellen, ob die Befolgung einer solchermaßen als verfolgungsträchtig bestimmten Glaubenspraxis ein zentrales Element für die religiöse Identität des Schutzsuchenden und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist. Maßgeblich ist dabei, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Beide Prüfungsschritte unterliegen der eigenständigen tatrichterlichen Würdigung der Verwaltungsgerichte. Die innere Tatsache, dass die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung hat, muss zur Überzeugung der Gerichte feststehen (BVerfG, Beschl. v. 03.04.2020 - 2 BvR 1838/15 -, juris Rn. 27 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerwG insbesondere im Urt. v. 20.03.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67, juris Rn. 25 ff.).

Der Kläger erfüllt mit seiner Hinwendung zum Christentum sowohl die objektiven als auch die subjektiven Voraussetzungen (nachfolgend unter a) und b)) und eine interne Fluchtalternative steht ihm nicht zur Verfügung (nachfolgend unter c)).

a) Zwar ist der Beklagten zuzustimmen, dass im Irak nicht generell eine Gruppenverfolgung von Christen droht (vgl. auch VG Hannover, Urt. v. 10.05.2021 – 12 A 11427/17 -, V.n.b.). Die Lage von Muslimen, die zum Christentum konvertieren, ist allerdings abweichend von der Lage ursprünglicher Christen zu bewerten. Sie unterliegen aufgrund ihres Abfalls vom Islam nicht nur familien- und personenstandsrechtlichen Nachteilen, sondern halten ihren Glaubensübertritt häufig geheim, da sie Ausgrenzungen und Gewalt insbesondere vonseiten der Familie, des Stammes und bewaffneter islamistischer Gruppierungen fürchten (vgl. ausführlich zu den Hintergründen u. m. w. N. VG Hannover, Urt. v. 11.11.2019 – 6 A 612/17 – juris Rn. 32 ff., aktuell EASO, Country Guidance: Iraq, Januar 2021, 83 f.). Es sind mehrere Fälle von Tötungen beziehungsweise Tötungsversuchen nach Konversionen vom Islam zum Christentum bekannt geworden (EASO, Irak, Gezielte Gewalt gegen Individuen, März 2019, S. 149: mehrere Fälle, u.a. ein Priester Abdullah, der nach drei versuchten Mordanschlägen in Europa Asyl beantragt habe; ACCORD, Anfragebeantwortung vom 12.02.2016 zum Irak: Bestrafung bei Abfall vom Islam und Konversion zum Christentum, S. 4: Tötung eines konvertierten Dolmetschers am 14.06.2010 durch seinen Sohn; UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, Mai 2019, S. 94, Fußnote 486: Tötung eines Konvertiten durch seinen Schwiegervater im September 2018). Der UNHCR geht davon aus, dass Personen, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind – abhängig von den spezifischen Umständen des jeweiligen Falls – aufgrund ihrer Religion wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz benötigen. Falls die Konvertierung erst stattgefunden hat, nachdem die Person den Irak verlassen hat, sollten mögliche Risiken im Falle einer Rückkehr nicht ausgeschlossen werden, da eine weitverbreitete Feindseligkeit gegenüber Konvertiten vom Islam innerhalb der irakischen Gesellschaft herrsche und innerhalb der Familien und Stämme eine kollektive Vorstellung von „Ehre“ bestehe (UNHCR, ebenda, S. 94 f.).

b) Nach der Anhörung des Klägers und des Pastors seiner Gemeinde in der mündlichen Verhandlung hat die Einzelrichterin die Überzeugung gewonnen, dass die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung zentrale Bedeutung für die religiöse Identität des Klägers hat und dass er wegen seiner Konversion bereits von Familienangehörigen ernsthaft bedroht wurde.

Bei der Prüfung der subjektiven Voraussetzungen ist bei Konvertiten maßgeblich auf die Glaubhaftigkeit des Vortrags des Betroffenen zu den Gründen seiner Abwendung vom bisherigen Glauben abzustellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für die Annahme einer Verfolgungsgefahr erforderlich ist, dass der Abfall vom Islam – insbesondere, wenn er erst nach der Ausreise aus dem Herkunftsland stattgefunden hat – nicht rein aus asyltaktischen Gründen vorgetragen wird, sondern auf einem ernsthaften, dauerhaften religiösen Einstellungswandel beruht und nunmehr die religiöse Identität des Betroffenen prägt (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Beschl. v. 25.8.2015 - 1 B 40/15 zu Nachflucht? -, juris Rn. 14; Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 -, juris Rn. 29; BayVGH, Beschl. v. 20.4.2015 - 14 ZB 13.30257 -, juris Rn. 4). Die Form der Glaubensausübung muss für den Asylsuchenden zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig und die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar sein (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 -, juris Rn. 11; Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, juris Rn. 26 ff.; EuGH, Urt. v. 5.9.2012 - C-71/11, C-99/11 - (Y und Z / BRD). Erforderlich ist, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruht und der neue Glaube nunmehr die religiöse Identität prägt. Der Schutzsuchende muss sich aus voller innerer Überzeugung von seinem bisherigen Bekenntnis gelöst und dem anderen Glauben zugewandt haben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 -, juris Rn. 9). Von einem Erwachsenen, der sich zum Bekenntniswechsel entschlossen hat, kann in der Regel erwartet werden, dass er schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann (BVerwG, Beschl. v. 25.08.2015 - 1 B 40/15 -, juris Rn. 14). Da es sich um eine innere Tatsache handelt, lässt sich die religiöse Identität nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen (BVerwG, Beschl. v. 25.08.2015 - 1 B 40/15 -, juris Rn. 14; Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23/12 -, juris Rn. 31; Bay. VGH Beschl. v. 01.12.2015 - 13a ZB 15.30224 -, juris Rn. 7; Nds. OVG, Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 34; jeweils m.w.N.). Im Rahmen der Beweiswürdigung bedarf es in aller Regel der Gesamtschau einer Vielzahl von Gesichtspunkten, die Aufschluss über die religiöse Identität des Schutzsuchenden geben können, wie etwa die religiöse Vorprägung des Betroffenen und seiner Familie, eine Glaubensbetätigung bereits im Herkunftsland, der äußere Anstoß für den Konversionsprozess sowie dessen Dauer oder Intensität, die inneren Beweggründe für die Abwendung vom bisherigen Glauben, die Vorbereitung auf die Konversion und deren Vollzug, die Information und Reaktion des familiären und sozialen Umfeldes, das Wissen über die neue Religion und die Konversionskirche, die Bedeutung und Auswirkungen des neuen Glaubens für beziehungsweise auf das eigene Leben sowie Art und Umfang der Betätigung des neuen Glaubens wie zum Beispiel die Teilnahme an Gottesdiensten, an Gebeten und am kirchlichen Leben. Der Umfang des Wissens über die neue Religion wird maßgeblich von der individuellen Geschichte des Antragstellers, seiner Persönlichkeit, seinem Bildungsniveau und seiner intellektuellen Disposition abhängen, die bei der Beweiswürdigung daher angemessen Berücksichtigung finden müssen. Eine inhaltliche "Glaubensprüfung" - etwa eine eigene Auslegung oder Priorisierung einzelner Glaubensinhalte gegenüber anderen Aspekten der jeweils betroffenen Religion - ist den Gerichten verschlossen, weil dies die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit, das eigene Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und innerer Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln, entleeren würde. Zudem gilt, dass die Vertrautheit des Schutzsuchenden mit den Lehraussagen einer Religionsgemeinschaft zwar ein Indiz für die identitätsprägende Bedeutung eines Übertritts zu dieser Religion darstellen kann - wenn auch nicht zwingend muss -, dass indes der Umkehrschluss nicht in jedem Fall zulässig ist (BVerfG, Beschl. v. 03.04.2020 - 2 BvR 1838/15 -, juris Rn. 35 ff. m.w.N.).

Der Kläger hat seinen religiösen Werdegang in der mündlichen Verhandlung eingängig und glaubhaft dargestellt. Im Gegensatz zu den Angaben zu der angeblichen Verfolgung durch den IS bestand insoweit auch Übereinstimmung mit seinen Schilderungen vor dem Bundesamt. Es wurde deutlich, dass er zunächst eher zufällig und in schlechter psychischer Verfassung mit seiner Gemeinde in Kontakt gekommen war und sich dort gut aufgenommen gefühlt hatte. Beweggrund für seine Taufe war allerdings ein persönliches Erweckungserlebnis, als ihm eines Nachts Jesus erschien. Eine derartige Erfahrung ist ihrer Natur nach nicht logisch erklärbar, so dass die darauf zielende Kritik des Bundesamtes ins Leere geht. Der Kläger konnte sie im zeitlichen Verlauf im Wesentlichen konstant, detailreich, unter Darstellung für ihn unverständlicher Elemente und mit emotionaler Beteiligung schildern. Zentrum des Glaubens des Klägers ist offenbar seine persönliche Beziehung zu Jesus, der er durch häufige Gebete und im gemeinsamen Beten und Singen im Gottesdienst nachgeht. Von der christlichen Lehre einschließlich der Feiertage hat er nur verschwommene Vorstellungen. Wesentlich sind für ihn der Geist der Versöhnung, die Liebe Jesu und seine Zwiegespräche mit ihm. Dieser Befund spricht nicht gegen eine ernsthafte Glaubensüberzeugung. Vielmehr passt er zum einen zu der Persönlichkeit des Klägers, der trotz sechsjährigen Schulbesuchs weitegehender Analphabet ist. In der mündlichen Verhandlung wurde ebenfalls deutlich, dass es ihm schwerfällt, den Sinn von Fragen zu verstehen und Zusammenhänge zu erfassen. Zu der kognitiven Schwäche tritt eine massive Sprachbarriere hinzu, die nur zu Beginn seiner Zeit in der Gemeinde durch andere arabischsprechende Personen aufgefangen wurde. Zum anderen hat die Befragung seines Pastors ergeben, dass der christliche Glauben in der dortigen freikirchlichen Gemeinde sehr unorthodox vermittelt und gelebt wird. Der Schwerpunkt liegt offenbar in der Seelsorge, im Miteinander und in Gottesdiensten, in denen viel gesungen und gebetet wird. Als der Pastor - der von Beruf Fachkrankenpfleger ist - berichtete, dass die christlichen Feste kaum besonders begangen werden, wurde verständlich, warum der Kläger darüber nur spärlich Auskunft geben konnte. Der Eindruck, dass der Kläger sich seinem neuen Glauben mit großer Ernsthaftigkeit und Verbindlichkeit zugewandt hat und dieser maßgeblich für sein Selbstverständnis geworden ist, wurde die Vernehmung seines Pastors bestätigt. Dieser hat ausführlich berichtet, wie die Gemeinde im Rahmen der sogenannten „Flüchtlingswelle“ auf Schutzsuchende in der Gemeinschaftsunterkunft des Klägers zugegangen ist, wie er den Kläger in desolater psychischer Verfassung kennengelernt und ihn zunächst seelsorgerisch begleitet hat und wie der Kläger sich nach seiner Begegnung mit Jesus und ernsthafter Gewissensprüfung durch ihn für die Taufe entschieden hat. Er hat den folgenden gemeinsamen Werdegang über die letzten Jahre beschrieben und eindrucksvoll geschildert, wie er den Kläger in der Seelsorge, im Miteinander der Gemeinde und in den Gottesdiensten erlebt hat. Nach seiner Beobachtung ist der Kläger ein tiefgläubiger Mensch, der mit sichtlich starker emotionaler Beteiligung – auf die Knie fallend, weinend und jubelnd – an den gemeinsamen Gottesdiensten teilnimmt, der in seiner psychischen Not „durch die Heilung in Christus wiederauf(ge)lebt“ ist, der durch seinen Glaubenswechsel als ganze Person auf einem neuen Fundament steht und daher mit Sicherheit auch unter widrigen Umständen im Irak an seiner Glaubensausübung festhalten würde. An der Glaubhaftigkeit der vielschichtigen Einlassungen des Pastors hat die Einzelrichterin keinen Zweifel, zumal er den Werdegang des Klägers eingebettet in seine Sicht auf die ganze Gemeinde, einschließlich schwieriger Aspekte wie einem noch nachwirkenden Zerwürfnis vor ungefähr zwei Jahren und mit erkennbarer innerer Distanz dargestellt hat. Obgleich die Aussagen offensichtlich nicht abgesprochen waren, hat er aus seiner ganz anderen Perspektive die Bekundungen des Klägers bestätigt.

Nach alledem ist davon auszugehen, dass der Kläger einen ernsthaften und identitätsprägenden Einstellungswandel vollzogen hat und dass er das offene Bekenntnis und die Teilnahme an Gottesdiensten für sich als verpflichtend ansieht. Er hat eine Verfolgung allerdings nicht nur aufgrund einer künftigen Glaubensbetätigung im Irak zu fürchten, sondern bereits deshalb, weil seine Konversion Teilen seiner Verwandtschaft bekannt geworden ist und einer seiner Onkel und dessen Sohn ihn daraufhin mit dem Tod bedroht haben. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geschilderte Todesdrohung durch seinen ehemaligen Schwiegervater und Schwager – die zugleich ein Onkel und Cousin väterlicherseits sind – passt in das von den Erkenntnismitteln gezeichnete Bild. Als Motiv für ihre heftige Reaktion auf seinen Glaubenswechsel hat er erläutert, dass es für sie nicht akzeptabel sei, dass ein Stammesangehöriger vom sunnitischen Glauben abfalle. Die Einzelrichterin hält die Angaben des Klägers auch insoweit für glaubhaft. Zwar hat er bei der Anhörung vor dem Bundesamt im August 2017 davon nichts berichtet, obgleich er in der mündlichen Verhandlung meinte, er habe diesen Verwandten ungefähr 3 Monate nach seiner Taufe (die im Oktober 2016 stattfand) davon erzählt. Schon vorher war bei der Befragung des Klägers allerdings deutlich geworden, dass dieser nicht nur kognitive Probleme beim Verständnis von Fragen hatte, sondern auch mit der zeitlichen Einordnung von (unzweifelhaft zutreffenden und erlebten) Ereignissen Schwierigkeiten hatte. Wesentlicher für die Überzeugungsbildung war daher, dass der Kläger die entsprechenden Telefonate genau schildern konnte und dass bereits zu Beginn der Befragung deutlich wurde, dass er emotional sehr belastet ist, weil er keinen stärkeren Wunsch hat, als seine Mutter und seinen Sohn wiederzusehen, eine Rückkehr in den Irak aber aus Verfolgungsangst für ausgeschlossen hält. Ausschlaggebende Bedeutung hatte schließlich auch insoweit die Auskunft des informatorisch angehörten Pastors. Er teilte auf Nachfrage nach der Reaktion der Familie mit, dass die Schwiegereltern des Klägers ihn wohl komplett abgeblockt hätten und das der Kläger ihm gegenüber geäußert habe, dass er eine Rückkehr in den Irak wohl nicht überleben werde.

c) Der Kläger kann nicht auf eine inländische Schutzalternative nach § 3e AsylG verwiesen werden. Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des UNHCR oder des EASO, einzuholen.

Auch wenn der Kläger in Erbil Verwandte hat und ihm eine Niederlassung dort möglicherweise zumutbar wäre, hat er dort doch ebenfalls begründete Furcht vor Verfolgung. Ob Konvertiten in der Region Kurdistan-Irak grundsätzlich keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgung droht (so VG Leipzig, Urt. v. 03.09.2019 – 6 K 2413/17.A -, juris Rn. 18; Urt. v. 03.12.2018 – 6 K 2171/16.A -, juris Rn. 49 f.), kann dahinstehen. Denn der Kläger ist für den Fall seiner Rückkehr bereits von seinen in E. lebenden Verwandten mit dem Tode bedroht worden. Da der Kläger für eine Existenzgründung auf Unterstützung durch seine Verwandtschaft in Erbil angewiesen wäre, könnte er auf Dauer nicht verhindern, dass seine Anwesenheit auch dem in E. lebenden Teil der Verwandtschaft bekannt würde. Vor deren Angriffen könnten staatliche Organe ihn nicht effektiv schützen. Das EASO berichtet, obwohl die Regionalregierung christliche Konvertiten, die in Kurdistan-Irak leben, unterstütze, könnten die staatlichen Behörden den Konvertiten nicht dauerhaften Schutz gegen die mögliche Bedrohung durch ihren eigenen Stamm bieten (EASO, Country Guidance: Iraq, Januar 2021, S. 83 f.). Dies gilt erst recht für Bagdad oder Kirkuk, wo jeweils eine Schwester des Klägers lebt.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2 VwGO, soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat. Im Übrigen hat die Beklagte gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten zu tragen. Die Aufteilung orientiert sich an den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts im Beschluss vom 29.06.2009 - 10 B 60/08 u.a. - (juris Rn. 9).

Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO).