Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 01.06.2021, Az.: 12 B 3849/21
Duldung; Notreiseausweis; Pass; Passersatz
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 01.06.2021
- Aktenzeichen
- 12 B 3849/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 70675
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 13 AufenthV
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Antragstellers,
ihm die Fahrt nach Brüssel zur dortigen liberianischen Botschaft am 8. Juni 2021 und zurück nach Deutschland durch Ausstellung eines Notreiseausweises nach § 13 AufenthV einschließlich der etwaig notwendigen deutschen aufenthaltsrechtlichen Erlaubnisse für Einreise und Ausreise aus Belgien zu erteilen, damit er dort seinen liberianischen Reisepass beantragen kann,
hat keinen Erfolg.
Er ist zulässig, aber unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Dazu muss der Antragsteller allerdings glaubhaft machen, dass die gerichtliche Entscheidung eilbedürftig ist (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch besteht (Anordnungsanspruch).
Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der geltend gemachte Anspruch auf Ausstellung eines Notreiseausweises steht ihm nicht zu.
Nach § 13 Abs. 1 AufenthV darf einem Ausländer zur Vermeidung einer unbilligen Härte, oder soweit ein besonderes öffentliches Interesse besteht, ein Notreiseausweis ausgestellt werden, wenn der Ausländer seine Identität glaubhaft gemacht hat und er Unionsbürger oder Staatsangehöriger eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, der Schweiz oder eines in Anhang II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 aufgeführten Staates ist (Nr. 1), oder er aus sonstigen Gründen zum Aufenthalt im Bundesgebiet, einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweiz oder zur Rückkehr dorthin berechtigt ist (Nr. 2). Zuständig für die Ausstellung eines Notreiseausweises ist nach § 13 Abs. 2 AufenthV grundsätzlich die polizeiliche Grenzbehörde. Die Ausländerbehörde kann nach § 13 Abs. 3 AufenthV einen Notreiseausweis nach Maßgabe des Absatzes 1 (nur) ausstellen, wenn die Beschaffung eines anderen Passes oder Passersatzes, insbesondere eines Reiseausweises für Ausländer, im Einzelfall nicht in Betracht kommt (vgl. auch Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 7. Aufl. 2020, § 2 Rn. 82).
Im Fall des Antragstellers scheidet die Ausstellung eines Notreiseausweises danach bereits deshalb aus, weil dieser nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet oder einem der in § 13 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV genannten weiteren Staaten (bzw. zur Rückkehr dorthin) berechtigt ist. Weder erfüllt er als liberianischer Staatsangehöriger die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 1 AufenthV noch steht ihm ein sonstiges Aufenthaltsrecht im Sinne von § 13 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV zur Seite. Vielmehr ist er seit dem 16. August 2020 vollziehbar zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet und besitzt hier lediglich eine Duldung. Geduldete Ausländer sind nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV grundsätzlich von der Erteilung eines Notreiseausweises ausgeschlossen (OVG Bremen, Beschl. v. 10.03.2010 - 1 B 60/10 -, juris Rn. 9). Zwar soll dies nach einer in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung nicht für Personen gelten, die im Bundesgebiet aufgewachsen sind und sich seit ihrer Geburt im Besitz von Duldungen befinden (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 24.06.2009 - 1 B 193/09 -, juris Rn. 4 f., und Beschl. v. 10.03.2010 - 1 B 60/10 -, juris Rn. 9 ff.). Auf den Antragsteller, der erst am 12. Mai 2017 in das Bundesgebiet eingereist ist, trifft dies jedoch nicht zu.
Daneben fehlt es hier auch an einer unbilligen Härte bzw. an einem besonderen öffentlichen Interesse. Eine solche Härte bzw. ein solches Interesse kommt im Hinblick auf den mit der Ausstellung eines Notreiseausweises regelmäßig verbundenen Eingriff in die Personalhoheit eines anderen Staates nur in besonderen Situationen in Betracht. Erforderlich sind Umstände, die es dringend erforderlich machen, dass der Ausländer ins Ausland verreisen muss, beispielsweise, wenn dort ein Familienangehöriger in Not geraten oder schwer erkrankt ist (VG München, Beschl. v. 23.01.2007 - M 4 E 06.3404 -, juris Rn. 18). Der Vortrag des Antragstellers, er wolle am 8. Juni 2021 einen Termin bei der liberianischen Botschaft in Brüssel wahrnehmen, um dort die Ausstellung eines Nationalpasses zu beantragen, begründet einen solchen Umstand nicht.
Zwar unterliegt der Antragsteller der Passpflicht des § 3 Abs. 1 AufenthG. Nach § 48 Abs. 3 AufenthG sind Ausländer, die - wie der Antragsteller - keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzen, zudem zur Mitwirkung bei der Beschaffung eines Identitätspapiers verpflichtet. Der Antragsgegner hat den Antragsteller auch mehrfach aufgefordert, seiner Mitwirkungspflicht nachzukommen. Schließlich ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass derzeit lediglich die liberianische Botschaft in Brüssel liberianische Pässe ausstellt. Ein öffentliches Interesse an der Ausstellung eines Notreiseausweises ist jedoch deshalb nicht gegeben, weil der Antragsteller nach den - von ihm nicht bestrittenen - Angaben des Antragsgegners bei der liberianischen Botschaft in Berlin die Ausstellung eines Passersatzpapiers beantragen kann (vgl. auch die entsprechenden Angaben auf der Internetseite der Botschaft, http://www.liberiaembassygermany.de/consulate/laissez-passer/, abgerufen am 28.05.2021). Ein solcher Passersatz reicht zur Erfüllung der Passpflicht aus (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Ist es für den Ausländer zumutbar, sich aus dem Bundesgebiet heraus um die Ausstellung eines Passes bzw. eines Passersatzes zu bemühen, fehlt es an einem durchgreifenden Gewicht derjenigen Umstände, aus denen sich andernfalls eine unbillige Härte oder ein besonderes öffentliches Interesse ergeben würde (vgl. VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 17.09.2018 - 8 L 1655/18 -, juris Rn. 43).
Soweit der Antragsteller rügt, er habe darauf vertrauen dürfen, dass der Antragsgegner ihm die Reise nach Brüssel zur Beantragung des Passes gestatte, folgt dem die Kammer - ohne dass es darauf hier ankäme - nicht. So hat der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 10. März 2021 unmissverständlich aufgefordert, Nachweise darüber zu erbringen, dass er sich „bei der Botschaft Liberia in Berlin um die Beantragung eines Passersatzpapieres (ausdrücklich nicht um die Beantragung eines liberianischen Heimatpasses)“ bemühe. Gleichwohl hat der Antragsteller, nachdem er einen ersten Termin bei der liberianischen Botschaft in Brüssel am 6. April 2021 nicht wahrnehmen konnte, erneut einen Termin in Brüssel vereinbaren lassen.
Kommt somit im Fall des Antragstellers die Beschaffung eines Passersatzes aus dem Bundesgebiet heraus in Betracht, ist auch die für die Ausstellung eines Notreiseausweises durch die Ausländerbehörde geltende weitere Voraussetzung des § 13 Abs. 3 AufenthV nicht erfüllt. Auch die Ausstellung eines Reiseausweises nach § 5 Abs. 1 AufenthV scheidet vor diesem Hintergrund aus.
Andere Anspruchsgrundlagen, auf die der Antragsteller sein Begehren stützen könnte, sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 1.5 und Nr. 8.4 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11). Anzusetzen ist ½ des Wertes eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens.