Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 02.06.2021, Az.: 12 B 3771/21

Aussetzungsantrag

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
02.06.2021
Aktenzeichen
12 B 3771/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70685
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,- € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Baugenehmigung, die der Antragsgegner dem Beigeladenen für die Errichtung einer landwirtschaftlichen Halle erteilt hat.

Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks E., Flurstück F. der Flur G. der Gemarkung H.. Das Grundstück ist mit einem Wohnhaus bebaut. Westlich des Grundstücks - auf der gegenüber liegenden Seite der westlich an das Grundstück des Antragstellers anschließenden I. - befindet sich das im Eigentum des Beigeladenen stehende Grundstück mit der Flurstücksnummer J. (ehemals Flurstücke K., L. und M.) der Flur G. der Gemarkung H.. Der Beigeladene ist Landwirt und betreibt in H. im Haupterwerb einen landwirtschaftlichen Betrieb mit einer Ackerfläche von 552 ha. Außerdem ist er Inhaber eines vorrangig auf Getreidetransporte ausgerichteten landwirtschaftlichen Lohnunternehmens.

Unter dem 16. Oktober 2020 beantragte der Beigeladene bei dem Antragsgegner die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer landwirtschaftlichen Halle auf dem vorbezeichneten Grundstück. Die Halle soll neben der Unterbringung landwirtschaftlicher Geräte und Maschinen auch der Lagerung von Getreide dienen.

Im Genehmigungsverfahren rügte der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner die mit dem Vorhaben des Beigeladenen seiner Einschätzung nach verbundene starke Lärm- und Staubbelästigung durch Fahrzeuge, Anlagen und Maschinen. Zudem wies er darauf hin, dass der Beigeladene nach dem Inhalt der Bauakte im Bereich des Friedhofsgeländes über ein Alternativgrundstück verfüge.

Mit Bescheid vom 11. Mai 2021 erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen die beantragte - allerdings mit zahlreichen Nebenbestimmungen versehene - Baugenehmigung. Mit E-Mail vom 12. Mai 2021 setzte der Antragsgegner den Antragsteller von der Genehmigung in Kenntnis.

Unter dem 14. Mai 2021 legte der Antragsteller gegen die Baugenehmigung Widerspruch ein.

Am 17. Mai 2021 hat der Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Am 18. Mai 2021 hat er zudem Klage erhoben (Az. N.).

Mit Schreiben vom 19. Mai 2021 hat der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller die Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung verteidigt. Das Vorhaben sei mit dem öffentlichen Baurecht vereinbar. Hinsichtlich des vorgeschlagenen Alternativstandorts besitze die Bauaufsichtsbehörde keine rechtliche Handhabe, eine Änderung des Standorts zu verlangen.

Zur Begründung seines Antrages trägt der Antragsteller vor, die Bedenken der Nachbarn gegen die mit dem Vorhaben des Beigeladenen verbundenen Lärm- und Staubbelastungen würden von dem Antragsgegner bagatellisiert und schöngerechnet. Da dem Antragsgegner alle maßgeblichen Tatsachen bekannt seien, sei damit zu rechnen, dass dieser einen Widerspruchsbescheid erlassen werde. Zu berücksichtigen sei zudem, dass der Beigeladene großen politischen und gesellschaftlichen Einfluss auf die Sachbearbeiter des Antragsgegners habe. Ohne eine gerichtliche Entscheidung werde der Antragsgegner daher nicht bereit dazu sein, eine für den Beigeladenen nachteilige Sachentscheidung zu treffen. In seinem Schreiben vom 19. Mai 2021 habe der Antragsgegner schließlich deutlich erkennen lassen, dass er die Baugenehmigung für rechtmäßig halte und aufrechterhalten werde. Da der Antragsgegner die Vorschriften der §§ 80, 80a VwGO missachte, sei der vorliegende Antrag die einzige Möglichkeit, die am 14. Mai 2021 begonnenen Baumaßnahmen zu unterbinden.

Der Antragsteller beantragt,

1. dem Antragsgegner bei Meidung eines für den Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 500.000,- € aufzugeben, die am 11. Mai 2021 erlassene Baugenehmigung zugunsten des Beigeladenen zu widerrufen und sie bis zur rechtskräftigen Entscheidung des beantragten Klageverfahrens im Hauptsacheverfahren außer Kraft zu setzen,

2. dem Antragsgegner aufzugeben, einen sofortigen Baustopp des Bauvorhabens des Beigeladenen zu verfügen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er hält den Antrag des Antragstellers für unzulässig.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg. Er ist bereits unzulässig.

Soweit der mit „Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung“ überschriebene Antrag dahingehend zu verstehen sein sollte, dass der - anwaltlich vertretene - Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO begehrt, ist der Antrag nach § 123 Abs. 5 VwGO unstatthaft. Nach dieser Vorschrift gelten die Regelungen des § 123 Abs. 1 bis 3 VwGO nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a VwGO. Da die Klage gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung nach § 212a BauGB keine aufschiebende Wirkung hat, kann der Dritte bei dem Verwaltungsgericht einen Antrag nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs stellen. Für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daneben kein Raum (vgl. z.B. VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 25.04.2018 - 9 L 3648/17 -, juris Rn. 4).

Soweit der Antragsteller vor diesem Hintergrund die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des von ihm unter dem 14. Mai 2021 erhobenen Widerspruchs gegen die dem Beigeladenen mit Bescheid vom 11. Mai 2021 erteilte Baugenehmigung sowie die Anordnung einstweiliger Sicherungsmaßnahmen nach § 80a Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 VwGO begehren sollte (vgl. § 122 Abs. 1, § 88 VwGO), ist der Antrag ebenfalls unzulässig, weil der Antragsteller nicht nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 6 VwGO vor Eilantragstellung bei der Bauaufsichtsbehörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt hat (vgl. zu diesem Erfordernis Nds. OVG, Beschl. v. 03.01.2011 - 1 ME 146/10 -, juris Rn. 7 m.w.N.).

Der Ausnahmetatbestand des § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO ist nicht erfüllt. Danach gilt das Erfordernis der vorherigen Befassung der Bauaufsichtsbehörde mit einem Aussetzungsantrag dann nicht, wenn „eine Vollstreckung droht“. Dies ist nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts grundsätzlich dann anzunehmen, wenn der Bauherr mit der Ausnutzung des Bauscheins beginnt. Sofern sich der Nachbar - wie hier - ausschließlich gegen die mit der Nutzung des Vorhabens verbundenen Einwirkungen bzw. Folgen (hier in Gestalt von Lärm- und Staubimmissionen) wendet, droht „Vollstreckung“ im Sinne des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO allerdings erst dann, wenn die Aufnahme dieser Nutzung bevorsteht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 03.01.2011 - 1 ME 146/10 -, juris Rn. 9, und Beschl. v. 15.04.2010 - 1 ME 22/10 -, juris Rn. 18 ff.). Diese Voraussetzung war zum Zeitpunkt der Eilantragstellung nicht erfüllt. Denn zur Aufnahme der Nutzung der genehmigten Halle muss das Gebäude erst einmal errichtet werden (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 03.01.2011 - 1 ME 146/10 -, juris Rn. 9). Angesichts des Umfangs des Vorhabens des Beigeladenen war - und ist nach wie vor - auch nicht damit zu rechnen, dass dieses vor Ablauf des Zeitraums, den ein behördliches sowie ein nachfolgendes gerichtliches Aussetzungsverfahren in Anspruch nehmen wird, bereits fertig gestellt und in Gebrauch genommen worden sein wird (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 15.04.2010 - 1 ME 22/10 -, juris Rn. 21). Gegenteiliges wird von dem Antragsteller auch nicht behauptet.

Soweit der Antragsteller stattdessen geltend gemacht, der Antragsgegner habe in seinem Schreiben vom 19. Mai 2021 bereits deutlich erkennen lassen, dass er die Baugenehmigung für rechtmäßig halte und aufrechterhalten werde, rechtfertigt dies die Eilantragstellung ohne vorherige Befassung des Antragsgegners mit einem Aussetzungsantrag nicht. Abgesehen davon, dass sich der Antragsgegner in seinem Schreiben zu einem etwaigen Antrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO nicht geäußert hat, ist nach obergerichtlicher Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, ein vorheriger Aussetzungsantrag selbst dann nicht überflüssig, wenn die Behörde bereits hat erkennen lassen, dass sie einen solchen Antrag ablehnen werde. Von der Aufnahme einer derartigen Regelung in § 80 Abs. 6 VwGO hat der Gesetzgeber nämlich bewusst abgesehen (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 29.04.2021 - 9 B 567/21 -, juris Rn. 5 f., und OVG Saarland, Beschl. v. 22.06.1992 - 1 W 29/92 -, juris Rn. 5, jeweils unter Verweis auf BT-Drs. 11/7030, S. 25). Der Einwand des Antragstellers, ohne eine gerichtliche Entscheidung werde der Antragsgegner nicht bereit dazu sein, eine für den Beigeladenen nachteilige Sachentscheidung zu treffen, geht daher ebenfalls fehl.

Hinzu kommt, dass bisher weder der Antragsteller die von ihm geltend gemachten Lärm- und Staubbelästigungen konkretisiert, noch sich der Antragsgegner in seinem Schreiben vom 19. Mai 2021 mit diesem Einwand befasst hat. Auch im Genehmigungsverfahren ist eine nähere Untersuchung von Staub- und Geräuschimmissionen auf der Grundlage der nach Art und Umfang konkret beabsichtigten Nutzung offenbar nicht erfolgt. Neben dem von dem Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 80 Abs. 6 VwGO verfolgten Ziel der Entlastung der Verwaltungsgerichte (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 15.01.1997 - 6 M 6987/96 -, juris Rn. 1, und Beschl. v. 03.01.2011 - 1 ME 146/10 -, juris Rn. 10) entspricht es bei dieser Sachlage den Interessen aller Beteiligten, in dem vorgeschalteten behördlichen Aussetzungsverfahren gegebenenfalls „nachzulegen“ und so die Chancen in einem sich später möglicherweise anschließenden gerichtlichen Aussetzungsverfahren zu erhöhen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 15.04.2010 - 1 ME 22/10 -, juris Rn. 20 unter Verweis auf Nds. OVG, Beschl. v. 31.03.2010 - 1 ME 47/10 -, V.n.b.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht nach § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeitsgründen für erstattungsfähig zu erklären, weil der Beigeladene keinen Sachantrag gestellt und sich nach § 154 Abs. 3 VwGO damit keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 29.04.2020 - 1 ME 99/19 -, juris Rn. 23).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 8 Buchst. a der Streitwertannahmen der Bausenate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts nach dem 1. Januar 2002 (NdsVBl. 2002, 192). Der danach in der Hauptsache anzunehmende Wert von 15.000,- € ist im Hinblick auf das vorliegende vorläufige Rechtsschutzverfahren zu halbieren.