Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 21.06.2021, Az.: 6 B 3723/21

Corona-Virus; Corona-Virus SARS-Cov-2; Maskenpflicht; Mund-Nasen-Bedeckung; Schule; Selbsttest; Testpflicht Corona

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
21.06.2021
Aktenzeichen
6 B 3723/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71197
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eilantrag eines Schülers gegen Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasenbedeckung und zur Vornahme von Selbsttest auf das Corona-Virus SARS-Cov-2 bleibt ohne Erfolg.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EURO festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf „Zurückverweisung“ des Verfahrens an das Amtsgericht A-Stadt – Familiengericht - ist gemäß § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG unstatthaft, so dass das aufgrund der Verweisung zuständige Gericht in der Sache zu entscheiden hatte.

Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm den Schulbesuch unabhängig von der Verpflichtung zur Vorlage des Nachweises eines negativen Tests auf das Vorliegen des Corona-Virus SARS-CoV-2, zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und zum Einhalten des Abstandsgebotes von mindestens 1,5 Metern zu ermöglichen,

den er im Wesentlichen mit dem Hinweis auf Konzentrationsschwierigkeiten, welche durch eine Lernbehinderung bedingt seien und durch das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung verstärkt würden, sein Recht auf Selbstbestimmung sowie sein Recht aus Art. 7 GG begründet, bleibt ohne Erfolg. Der Antrag ist unbegründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Im Rahmen der Entscheidung über eine einstweilige Anordnung ist zwischen dem Anordnungsgrund, der insbesondere die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet, und dem Anordnungsanspruch, d. h. dem materiell-rechtlichen Anspruch, für den der Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz nachsucht, zu unterscheiden. Der Anordnungsanspruch ist mit dem auch in einem möglichen Hauptsacheverfahren geltend zu machenden materiellen Anspruch identisch (Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 6). Die tatsächlichen Voraussetzungen sowohl für den Anordnungsgrund als auch für den Anordnungsanspruch sind nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen. Daran fehlt es hier.

Gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 vom 30.10.2020 (Nds. GvBL. 2020, 368), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung vom 8. Mai 2021 (Nds. GVBl. S. 253) – Nds. Corona-VO – ist einer Person, ausgenommen Personen in Notfalleinsätzen der Polizei, der Feuerwehr, eines Rettungsdienstes und der technischen Notdienste, der Zutritt zu einem Schulgelände während des Schulbetriebs verboten, wenn sie nicht durch eine ärztliche Bescheinigung oder durch einen Test im Sinne des § 5a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 erste Alternative ausschließt, dass bei ihr eine Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 vorliegt.

Die auf Grundlage dieser Regelung (auch) gegenüber dem Antragsteller ausgesprochene Verpflichtung unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Das Nds. Oberverwaltungsgericht hat in einem gegen diese Regelung gerichteten Normenkontrolleilverfahren (Beschluss v. 19.4.2021 – 13 MN 192/21 –, abrufbar unter https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de) ausgeführt, nach der aktuellen Risikobewertung des Robert Koch-Instituts beträfen COVID-19-bedingte Ausbrüche zunehmend auch Schulen, so dass für den Schulbetrieb ein hinreichend konkreter Bezug zu einer Infektionsgefahr bestehe. Die in der grundsätzlich nicht zu beanstandenden Verordnung getroffenen Schutzmaßnahmen seien auch in ihrem konkreten Umfang als notwendige Infektionsschutzmaßnahmen anzusehen. Die Eignung werde nicht dadurch infrage gestellt, dass jeder in Eigenverantwortung durchgeführte Corona-Schnelltest immer nur eine Momentaufnahme sei und nicht die Qualität einer PCR-Testung habe. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die überwiegende Mehrheit die Testdurchführung unzureichend handhabe. Die getroffenen Schutzmaßnahmen erwiesen sich schließlich auch als angemessen, da – soweit ein Grundrechtseingriff zu bejahen sei – dieser nur von geringem Gewicht sei. Der Zutritt zu einem Schulgelände während des Schulbetriebs und damit auch die Teilnahme am Präsenzunterricht werde zwar von dem Nachweis abhängig gemacht, nicht mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 infiziert zu sein. Dieser Nachweis könne aber ohne Weiteres durch einen Selbsttest geführt werden, der die Betroffenen lediglich gering belaste. Etwaige Belastungen durch falsch-positive Testergebnisse seien bis zu einer Klärung durch eine PCR-Testung nur von kurzer Dauer und führten nicht zur Unangemessenheit des testabhängigen Zutrittsverbots. Die minderjährigen Schülerinnen und Schüler in der richtigen Anwendung der Selbsttests zu unterweisen, sie über die Bedeutung der Selbsttests und auch sonst des eigenverantwortlichen Handelns in der Pandemiebekämpfung aufzuklären und sie im Umgang selbst mit positiven Testergebnissen vertrauensvoll zu begleiten, sei zuvörderst Aufgabe und zugleich Pflicht der Eltern. Im Übrigen könne der Selbsttestung letztlich regelmäßig durch eine Befreiung von der Verpflichtung zur Teilnahme am Präsenzunterricht ausgewichen werden. Die verbleibende Belastung für die vom testabhängigen Zutrittsverbot betroffenen Schülerinnen und Schüler sowie das Schulpersonal sei angemessen und daher von ihnen hinzunehmen, da das testabhängige Zutrittsverbot der staatlichen Verpflichtung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Vorschub leiste, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und der Verwirklichung des Rechts auf Bildung nach Art. 4 Abs. 1 NV diene, indem Präsenzunterricht bei deutlicher Reduktion des Infektionsrisikos in der Schule ermöglicht werde.

Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an. Die von der Antragsgegnerin geforderte Nachweisführung, hier in Form von negativen Selbsttests, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden und fällt in das ihr zustehende Organisationsermessen.

Auch die Anordnung der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Sie findet ihre rechtliche Grundlage in § 13 Abs. 1 Satz 4 und 5 Corona-VO. Danach hat jede Person eine Mund-Nasen-Bedeckung in von der Schule besonders gekennzeichneten Bereichen zu tragen, in denen aufgrund der örtlichen Gegebenheiten die Erhaltung des Abstandsgebots nach § 2 Abs. 2 Satz 1 nicht gewährleistet werden kann. Die Vereinbarkeit dieser Regelungen mit höherrangigem, insbesondere Verfassungsrecht, ist nach der Entscheidung des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 23.04.2021 (13 MN 212/21, abrufbar unter https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de) geklärt. Das Nds. Oberverwaltungsgericht geht in seiner mittlerweile gefestigten Rechtsprechung davon aus, dass Zusammenkünfte in geschlossenen Räumen mit einer Vielzahl von Personen und längerer Verweildauer ein signifikant erhöhtes Risiko der Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 in sich tragen (vgl. etwa Beschl. v. 25.11.2020 - 13 MN 487/20 -, juris Rn. 83 m. w. N.), und dass dieses Risiko der Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 durch das Tragen einer medizinischen Mund-Nasen-Bedeckung i. S. des § 3 Abs. 3 Nds. Corona-VO, insbesondere durch das Tragen einer medizinischen Maske i. S. des § 3 Abs. 3 Satz 3 Nds. Corona-VO, signifikant zu reduzieren ist (vgl. etwa Beschl. v. 21.1.2021 – 13 MN 14/21 -, juris Rn. 29; u. v. 28.4.2021 – 13 ME 111/21 -, juris, Rn. 20). Dass dem Antragsteller das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus medizinischen Gründen (Lernbehinderung) nicht möglich sei, ist nicht glaubhaft gemacht.

Vor diesem Hintergrund begegnet auch die Anordnung zur Einhaltung des auf § 2 Abs. 2 Satz 1 i. V. mit § 13 Abs. 1 Nds. Corona-VO, wonach jede Person in der Schule soweit möglich einen Abstand von mindestens 1,5 Metern zu jeder anderen Person einzuhalten (Abstandsgebot) hat, gestützten Abstandsgebots keinen rechtlichen Bedenken. Denn auch diese Schutzmaßnahme stellt lediglich einen Grundrechtseingriff von geringem Gewicht da, der als verhältnismäßig mildes Mittel geeignet ist, Infektionsrisiken in Schulen wirksam zu begrenzen (vgl. hierzu nur die Angaben des RKI zu den Übertragungswegen auf seiner Homepage [Startseite - Infektionskrankheiten A-Z - Coronavirus SARS-CoV-2 - Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19], abgerufen am 27.5.2021).

Der derzeit sinkende Inzidenzwert rechtfertigt aktuell keine andere Entscheidung. Nach wie vor ist dafür Sorge zu tragen, dass einem erneuten Anstieg der Infektionszahlen, insbesondere unter Schülerinnen und Schülern, entgegengewirkt wird, um die Funktionsfähigkeit der Schulen sicherzustellen und den Bildungsanspruch der Schülerinnen und Schüler zu gewährleisten. Ein erneuter Anstieg der Infektionszahlen steht im Hinblick auf die sich derzeit ausbreitende, besonders infektiöse Delta-Variante des Corona-Virus SARS-CoV-2 zu befürchten. Das Risiko, Angehörige des eigenen Haushalts mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 zu infizieren, ist bei einer Infektion mit der Delta-Variante laut einer Datenanalyse der britischen Gesundheitsbehörde „Public Health England (PHE)“ schätzungsweise 60 Prozent höher, als bei der Alpha-Variante (https://www.tagesschau.de/inland/faq-delta-variante-mutante-101.html, abgerufen am: 18.06.2021). Die Auswirkungen der gesteigerten Infektiösität auf die Zahl der Neuinfektionen werden mit Blick auf die Entwicklungen in Großbritannien deutlich. Dort steigt die Zahl der Neuinfektionen wegen der Ausbreitung der Delta-Variante wieder stark an. So lag die 7-Tage-Inzidenz in Großbritannien am 14.05.2021 noch bei 23,8. Einen Monat später, am 14.06.2021, stieg sie auf 72,1 an (https://www.swp.de/panorama/Grossbritannien-Corona-Inzidenz-Mutation-Variante-indische-Virusvariante-Impfung-England-Zahlen-Urlaub-57202499.html, abgerufen am: 18.06.2021). Auch in Deutschland verbreitet sich die Delta-Variante rasant: In der 22. Kalenderwoche (ab dem 31.05.2021) lag der Anteil der Delta-Variante bei den Infektionen in Deutschland bei 6,2 Prozent, in der Vorwoche waren es lediglich 3,7 %. Die Delta-Variante ist zudem bereits in allen Bundesländern nachgewiesen (Corona-News am Donnerstag: Curevac-Vakzine konnte womöglich nicht hoch genug dosiert werden - DER SPIEGEL; abgerufen am: 18.06.2021). In der Region B-Stadt gab es seit Mai 19 Ansteckungen mit der Delta-Variante. Am Gymnasium Himmelsthür in Hildesheim hatte sich in der vergangenen Woche eine Gruppe von Schülern mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 infiziert - auch hier wurde die Delta-Variante nachgewiesen. 90 Menschen seien daraufhin in Quarantäne geschickt geworden, bestätigte das niedersächsische Kultusministerium in der vergangenen Woche (https://www.braunschweiger-zeitung.de/niedersachsen/article232565661/Corona-Virus-Variante-Delta-nimmt-in-Niedersachsen-zu.html, abgerufen am: 18.06.2021). Gerade weil die Impfquote bei den unter 18-jährigen in Niedersachsen derzeit lediglich 1,4 % beträgt (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Impfquoten-Tab.html, abgerufen am: 18.06.2021) und in Schulen somit eine große Anzahl ungeimpfter Menschen aus verschiedenen Haushalte aufeinander trifft, ist das Risiko einer Weiterverbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 dort besonders hoch.

Da der Antragsteller den von ihm verfolgten Anspruch schon dem Grunde nach nicht mit Erfolg im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchsetzen kann, kommt es auf die Frage der Eilbedürftigkeit nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG, wobei hier eine Reduzierung des Streitwertes in der Hauptsache von 5.000,00 EUR auf die Hälfte unterbleiben musste, weil der Erlass der begehrten Anordnung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die (mögliche) Hauptsache vorweggenommen hätte, vgl. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11).

Die vorläufige Streitwertfestsetzung ist der sofortigen Beschwerde nicht zugänglich, § 63 Abs. 1 Satz 2 GKG.