Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 23.06.2021, Az.: 5 B 2743/21

Ausweisungsinteresse; einstweiliger Rechtsschutz; vorläufiger Rechtsschutz

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
23.06.2021
Aktenzeichen
5 B 2743/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71000
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Soweit die Antragstellerin erkennbar den Verbleib im Bundesgebiet als Rechtsschutzziel verfolgt, ist der Antrag als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung gem. § 123 VwGO auszulegen.
Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht ein Ausweisungsinteresse entgegen, denn die Antragstellerin hat gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde schriftlich falsche Angaben gemacht, um einen Aufenthaltstitel zu erlangen.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis.

Die 1966 geborene Antragstellerin ist serbische Staatsangehörige. Nach eigenen Angaben reiste sie erstmals 1974 in das Bundesgebiet ein. Am 7. Juni 1983 erwarb sie den Sekundarabschluss I („Realschulabschluss“) und reiste im Anschluss nach Serbien aus, wo sie heiratete. In den Folgejahren reiste sie jeweils zu Kurzaufenthalten in das Bundesgebiet ein.

Zuletzt reiste sie am 31. Januar 2013 in das Bundesgebiet ein und heiratete am 15. April 2013 einen deutschen Staatsangehörigen. Das Ehepaar lebte zunächst gemeinsam in E.. Daraufhin wurde ihr am 30. September 2013 eine bis zum 29. September 2016 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erteilt.

Am 23. August 2016 ging bei dem Amtsgericht F. der Scheidungsantrag des Ehemannes der Antragstellerin ein. Es handele sich um eine einvernehmliche Scheidung. Die Parteien lebten sei September 2015 getrennt. Der letzte gemeinsame Wohnsitz sei in G. gewesen.

Am H. 2016 beantragte die Antragstellerin bei der nunmehr zuständigen I. die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Die gemeinsam erschienenen Eheleute erklärten am J. 2016 gegenüber der Ausländerbehörde schriftlich, dass die eheliche Lebensgemeinschaft weiterbestehe und ein Scheidungsverfahren weder anhängig noch beabsichtigt sei. Die Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin wurde daraufhin bis zum 4. Oktober 2019 verlängert.

Zum 21. November 2016 meldete die Antragstellerin ihren Wohnsitz ohne ihren Ehegatten in F. an. Bei einer Vorsprache am 16. Dezember 2016 erklärte sie schriftlich, dass die Eheleute sich am 21. November 2016 getrennt und bis dahin drei Jahre in ehelicher Gemeinschaft gelebt hätten.

Die Ehe wurde am 10. Januar 2017 vor dem Amtsgericht F. geschieden. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung im Scheidungsverfahren erklärten die Eheleute am 10. Januar 2017 übereinstimmend zu Protokoll des Gerichts, dass sie bereits seit dem 11. September 2015 getrennt lebten.

Am 12. Dezember 2019 beantragte die Antragstellerin die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Ihr wurde zunächst eine bis 11. Juni 2020 befristete Fiktionsbescheinigung ausgestellt.

Mit Schreiben vom 4. Juni 2020 wurde die Antragstellerin zu der beabsichtigten Ablehnung ihres Antrages angehört und die Fiktionsbescheinigung wurde verlängert. Im Rahmen der Anhörung ließ sie vortragen, sie und ihr Ehemann hätten sich tatsächlich am 21. November 2016 getrennt. An diesem Tag habe sie sich auch umgemeldet. Mitte August 2016 habe es einen heftigen Ehestreit gegeben. Die Eheleute hätten sich für ein paar Tage getrennt und der Ehemann habe die Scheidung beantragt. Das Trennungsjahr sei wahrheitswidrig behauptet worden. Nach ca. einer Woche hätten sich die Eheleute versöhnt und der Scheidungsantrag sei in Vergessenheit geraten. Nachdem sich die Eheleute am 21. November 2016 tatsächlich getrennt hätten, seien sie bei dem falschen Vortrag des Ehemannes zum Trennungsjahr geblieben, um eine schnelle Scheidung zu erwirken. Auch im Anhörungstermin hätten sie wahrheitswidrig erklärt, dass die Trennung am 11. September 2015 erfolgt sei.

Während der COVID 19-Pandemie wurde die Fiktionsbescheinigung der Antragstellerin mehrfach, zuletzt bis zum 18. Mai 2021, verlängert.

Mit Bescheid vom K. 2021 nahm die Antragsgegnerin die Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin vom H. 2016 mit Wirkung für die Vergangenheit zurück, lehnte den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab und stellte der Antragstellerin eine Grenzübertrittsbescheinigung aus. Die Antragstellerin sei ausreisepflichtig. Für den Fall, dass sie das Bundesgebiet nicht innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung der Verfügung verlassen haben sollte, werde ihre Abschiebung in die Republik Serbien oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfe und der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht. Sie nimmt Bezug auf § 48 Abs. 1 VwVfG. Die Aufenthaltserlaubnis leide unter einem besonders schwerwiegenden materiellen Rechtsfehler, weil sie ohne Rechtsgrundlage ergangen sei. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG werde gemäß § 28 Abs. 2 Satz 3 AufenthG verlängert, solange die familiäre Lebensgemeinschaft fortbestehe. Bereits im Zeitpunkt der Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis am H. 2016 habe die eheliche Lebensgemeinschaft nach den übereinstimmenden Erklärungen der Ehegatten zu Protokoll des Amtsgerichts A-Stadt jedoch nicht mehr bestanden. Die am H. 2016 erfolgte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei damit rechtswidrig gewesen. Die Antragstellerin habe auch weder Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis noch könne ihr im Ermessenswege eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG komme nicht in Betracht, weil die eheliche Lebensgemeinschaft nur zwei Jahre und fünf Monate angedauert habe (15.4.2013 bis 11.9.2015). Eine besondere Härte nach § 32 Abs. 2 AufenthG sei weder vorgetragen noch erkennbar. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19c Abs. 1 AufenthG scheide aus, weil die Beschäftigungsverordnung keinen Tatbestand erkennen lasse, der eine Zulassung zur Ausübung ihrer Beschäftigung bei der Firma L. ermögliche. Auch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 35 Abs. 5 AufenthG sei nicht zu erteilen, weil sowohl die Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise nicht unmöglich seien. Auch aus Art. 8 EMRK könne sie keine Rechte herleiten. Insbesondere sei ihre Aufenthaltserlaubnis im Oktober 2016 nur aufgrund ihrer vorsätzlich falschen Angaben verlängert worden. Dieses Verhalten sei unter Integrationsgesichtspunkten als besonders negativ anzusehen. Zudem sei eine Reintegration in Serbien zumutbar und möglich, weil sie sich fast dreißig Jahre dort aufgehalten habe. In der Gesamtschau erweise sich der Eingriff in ihr nach Art. 8 EMRK geschütztes Privatleben nach umfangreicher Abwägung des Einzelfalles als verhältnismäßig. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe auch § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen, weil ihre Falschangaben zur Erlangung eines Aufenthaltstitels ein Ausweisungsinteresse i. S. d. § 54 Abs. 2 Nr. 8 a) AufenthG begründeten. Bereits am 23. August 2016 habe ihr Ehegatte den Scheidungsantrag gestellt. Trotzdem hätten die Eheleute am H. 2016 gegenüber der Ausländerbehörde das Gegenteil erklärt. Am 16. Dezember 2016 habe sie sodann schriftlich erklärt, dass sie sich erst am 21. November 2016 getrennt hätten und somit ein zweites Mal falsche Angaben gemacht, nachdem im Scheidungsprozess übereinstimmend erklärt worden war, dass die Trennung bereits am 11. September 2015 erfolgt sei. Gründe, die ein Absehen von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG rechtfertigen würden, lägen nicht vor. Die Antragsgegnerin habe zugunsten der Antragstellerin von einer Ausweisung abgesehen und als milderes Mittel lediglich die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis verfügt. Die Antragstellerin habe die Aufenthaltserlaubnis durch arglistige Täuschung erwirkt (§ 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG), weshalb die Rücknahme gemäß § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG für die Vergangenheit erfolge. Aufgrund der arglistigen Täuschung sei auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG nicht einschlägig.

Mit Schreiben vom 20. Mai 2021 lehnte die Antragsgegnerin die weitere Verlängerung der Fiktionsbescheinigung unter Bezugnahme auf die Verfügung vom K. 2021 ab und stellte erneut eine Grenzübertrittsbescheinigung aus.

Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin am 23. März 2021 Klage erhoben und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Sie sei nach dem Schulabschluss nach Serbien ausgereist und habe dort geheiratet. Ihre Eltern hätten die ganze Zeit über in einer Eigentumswohnung in der M. gelebt, die sie erben werde. Seit 2013 lebe sie wieder ununterbrochen in Deutschland. Seit 2015 sei sie ununterbrochen erwerbstätig. Derzeit arbeite sie für einen N. Einrichtungsmarkt. Sie spreche deutsch, habe einen deutschen Schulabschluss, beziehe keine öffentlichen Leistungen und die Wohnung ihrer Eltern, in der sie lebe, sei abbezahlt. Die Eltern überlegten, sie ihr bereits zu Lebzeiten zu übertragen. Sie sei in die hiesigen Lebensverhältnisse voll integriert. Die Rückkehr nach Serbien sei eine besondere Härte, weil sie ihre Lebensprognose ausschließlich auf ein Leben in Deutschland ausgerichtet habe. Leider habe die Ehe nicht die Entwicklung genommen, die sich die Antragstellerin vorgenommen hatte. Sie legt verschiedene Arbeitsverträge seit 2015, einen Mitgliedsvertrag im Fitnessstudio, eine Unterschriftenliste, ein Referenzschreiben und einen Grundbuchauszug hinsichtlich der Eigentumswohnung ihrer Eltern vor. Sie habe einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG, sowie nach § 37 Abs. 1 und 2 AufenthG.

Die Antragstellerin beantragt wörtlich,

die aufschiebende Wirkung ihrer am 23. März 2021 erhobenen Klage – 5 A 2742/21 – anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Antragsgegnerin vertieft die Begründung des angegriffenen Bescheides. Nach ihrem Schulabschluss sei die Antragstellerin nach Serbien ausgereist und habe sich dort fast dreißig Jahre lang aufgehalten. Insofern sei ihr eine Reintegration zumutbar und möglich. Zu Art. 8 EMRK ergänzt sie, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet im Vergleich zu ihrem Aufenthalt in Serbien deutlich nachrangige Bedeutung habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Der Antrag bleibt ohne Erfolg.

1. Soweit die Antragstellerin erkennbar den Verbleib im Bundesgebiet als Rechtsschutzziel verfolgt, ist der Antrag als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung gem. § 123 VwGO auszulegen.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in der Fassung der Antragsschrift ist (zwischenzeitlich) unstatthaft. Die Antragstellerin begehrt in der Hauptsache die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Verlängerung oder erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Es handelt sich damit in der Hauptsache um eine Verpflichtungssituation, bei der vorläufiger Rechtsschutz gemäß § 123 Abs. 5 VwGO nicht auf der Grundlage des § 80 Abs. 5 VwGO i. V. m. §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, sondern auf Grundlage des § 123 Abs. 1 VwGO zu gewähren ist. Anderes gilt allenfalls dann, wenn der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Titels eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG begründet und diese Wirkung durch die Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag wieder erloschen ist (VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 16.2.2021 – 11 S 3852/20 –, juris Rn. 6 und vom 7.7.2020 – 11 S 2426/19 –, juris Rn. 13). Dies ist unter den hier gegebenen Umständen nicht der Fall. Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis hat keine Fiktionswirkung von Gesetzes wegen ausgelöst, weil die Antragstellerin ihn nicht rechtzeitig vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellt hat (§ 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG). Ihre Aufenthaltserlaubnis war zuletzt bis zum 29. September 2016 befristet, sie beantragte aber erst am J. 2016 deren Verlängerung.

Die Antragsgegnerin hat zwar unter Ausübung ihres Ermessens zur Vermeidung einer unbilligen Härte eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ausgestellt und zuletzt bis zum 18. Mai 2021 verlängert; die mit diesen Bescheinigungen begründete Fiktionswirkung hat ihre Wirkung auch mit der Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verloren. Die Fiktion wäre jedoch auch ohne die Entscheidung mit dem Ablauf der in der Bescheinigung bestimmten Frist am 18. Mai 2021 erloschen. Mit der begehrten Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wäre zwar das Ende der Fiktionswirkung durch die ablehnende Entscheidung suspendiert, nicht aber das Ende infolge der abgelaufenen Befristung. Über diesen Zeitpunkt hinaus kann die Antragstellerin ihren Aufenthalt nur mehr mit einem Antrag auf Erlass einer Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorläufig sichern.

2. In diesem Sinne verstanden ist der Antrag statthaft und auch sonst zulässig, aber unbegründet.

Nach § 123 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Sowohl die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch das Vorliegen eines entsprechenden Anordnungsanspruchs sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). In diesem Zusammenhang hat das Gericht eine Abwägung der für und gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gesichtspunkte zu treffen und dabei auch die Erfolgsaussichten in einem anhängigen Klageverfahren zu berücksichtigen. Eine (auch nur teilweise) Vorwegnahme der Hauptsache ist darüber hinaus nur ausnahmsweise und nur in solchen Fällen gerechtfertigt, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Rechtsschutzsuchenden andernfalls schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die nachträglich durch die Hauptsachenentscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.06.1984 – 1 ER 310.84 – juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10.12.2008 – 12 S 138.08 – juris). Auch bei Eilbedürftigkeit liegt ein Anordnungsgrund regelmäßig nicht vor, wenn die Eilbedürftigkeit selbst verschuldet ist (vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 22.9.2008 – 13 ME 90/08 –, juris Rn. 11).

Nach diesen Maßstäben fehlt dem Antrag unter allen denkbaren Aspekten bereits ein Anordnungsanspruch auf die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis oder deren erstmalige Erteilung.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder – wie hier – der Entscheidung des Tatsachengerichts (BVerwG, Urteil vom 9.5.2019 – 1 C 21.18 –, juris Rn. 11; BVerwG, Urteil vom 22.2.2017 – 1 C 3.16 –, juris Rn. 18; Urteil vom 10.7.2012 – 1 C 19.11 –, juris Rn. 12).

a. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht bereits § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen. Danach setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsinteresse besteht.

Vorliegend besteht aber ein schwer wiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 a) AufenthG. Das Ausweisungsinteresse wiegt gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 8 a) AufenthG schwer, wenn die Ausländerin in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat.

Die Antragstellerin hat am H. 2016 gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde u. a. schriftlich erklärt, dass ein Scheidungsverfahren weder anhängig noch beabsichtigt war, um die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels zu erreichen, obwohl die Scheidung bereits am 23. August 2016 beantragt worden war. Ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren, dass der im Streit eingereichte Scheidungsantrag (bei Abgabe der Erklärung) in Vergessenheit geraten sei, widerspricht angesichts der ausdrücklichen Abfrage in dem Antragsformular jeder Lebenserfahrung. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Ehe auf eben diesen Scheidungsantrag hin wenig später, im Januar 2017 geschieden worden ist. Im Termin zur mündlichen Verhandlung über den Scheidungsantrag am 10. Januar 2017 haben die Eheleute zu Protokoll des Gerichts erklärt, dass sie sich bereits am 11. September 2015 getrennt hätten. Vor diesem Hintergrund ist es unglaubhaft, wenn die Antragstellerin sinngemäß vortragen lässt, die Eheleute hätten bei der Unterschrift am H. 2016 schlicht vergessen, dass der Scheidungsantrag bereits Monate zuvor eingereicht gewesen sei. Die Kammer ist in der Gesamtschau der Umstände vielmehr davon überzeugt, dass die Antragstellerin am H. 2016 gemeinsam mit ihrem damaligen Ehegatten absichtlich falsche Angaben gemacht hat, um die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels zu erreichen, so wie sie nunmehr behauptet, sie habe das Trennungsjahr absichtlich falsch angegeben, um eine schnellere Scheidung zu erreichen.

Für das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses als Regelversagungsgrund für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis i. S. d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG kommt es nicht darauf an, ob der Ausländer oder die Ausländerin tatsächlich rechtmäßig ausgewiesen werden könnte. Vielmehr reicht es aus, dass ein Ausweisungsinteresse gleichsam abstrakt – d. h. nach seinen tatbestandlichen Voraussetzungen – vorliegt (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.2.2021 – 12 S 3852/20 –, juris Rn. 18). Das Ausweisungsinteresse muss aktuell und verwertbar sein; zudem darf keine Abweichung vom Regelfall gegeben sein. Dies ist hier der Fall, weil die Antragstellerin sich mit ihrer Falschangabe die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels bis zum 4. Oktober 2019 verschafft hat, womit die dem Ausweisungsinteresse zugrundeliegende Handlung zeitlich fortwirkte und nicht an Aktualität und Verwertbarkeit verloren hat.

Ist ein Ausweisungsinteresse vorhanden, so führt dies nach § 5 Abs. 1 AufenthG in der Regel dazu, dass ein Aufenthaltstitel zu versagen ist. Allerdings ist eine Ausnahme hiervon anzunehmen, wenn besondere, atypische Umstände gegeben sind, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, aber auch dann, wenn entweder aus Gründen höherrangigen Rechts wie Art. 6 oder Art. 2 Abs. 1 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK bzw. Art. 7 GRCh eine Titelerteilung geboten ist. Zur Herleitung eines Aufenthaltsrechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ist ein durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiertes Privatleben erforderlich, das nur noch im Bundesgebiet geführt werden kann. Hierfür kommt es einerseits auf die Integration des Ausländers oder der Ausländerin in Deutschland, andererseits die Möglichkeit zur (Re-)Integration im Staat der Staatsangehörigkeit an. Insoweit sind die individuellen Lebensverhältnisse des betroffenen Ausländers oder der betroffenen Ausländerin zu prüfen (BVerfG, Beschluss vom 29.1.2020 – 2 BvR 690/19 –, juris Rn. 20). Die Antragstellerin hat von 1974 bis 1983 im Bundesgebiet gelebt und ist danach nach Serbien ausgereist. Erst 2013 ist sie zu einem längerfristigen Aufenthalt wieder in das Bundesgebiet eingereist und hat im April 2013 einen deutschen Staatsangehörigen geheiratet. Seither lebt sie in Deutschland. Zwar führt sie ein schützenswertes Privatleben im Sinne von Art. 8 EMRK. So hat sie einen deutschen Schulabschluss, ist Inhaberin einer unbefristeten Arbeitsstelle, hat Freunde und Bekannte und einen Vertrag mit einem Fitnessstudio. Auch ihre Eltern leben in F.. Gleichzeitig hat die 1966 geborene Antragstellerin einen Großteil ihres Lebens in Serbien verbracht. Sie reiste nach eigenem Vortrag im Alter von neun Jahren erstmals in das Bundesgebiet ein und blieb zunächst ca. neun Jahre. Nach ihrem Schulabschluss reiste sie wieder aus, heiratete und lebte dreißig Jahre lang in Serbien. Demgegenüber lebt sie nun erst seit acht Jahren wieder im Bundesgebiet. Es kann also keine Rede davon sein, dass sie ihr Privatleben nur noch im Inland führen kann.

Soweit bei einem humanitären Titel nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Anwendung u. a. des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden kann, sind keine Umstände ersichtlich, aufgrund derer das Ergehen einer Ermessensentscheidung zugunsten der Antragstellerin zumindest offen oder sogar überwiegend wahrscheinlich sein könnte.

b. Auch die Erteilung eines humanitären Titels nach § 25b AufenthG kommt von vornherein nicht in Betracht. Insoweit verkennt die Antragstellerin, dass eine solche Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG nur einer geduldeten Ausländerin (unter weiteren Voraussetzungen) erteilt werden soll. Die Rechtsstellung als geduldete Ausländerin im Sinne dieser Norm setzt voraus, dass die Antragstellerin entweder im Besitz einer Duldung ist oder aber Duldungsgründe i. S. v. § 60a Abs. 2 AufenthG vorliegen, also ein Anspruch auf Duldung gegeben ist. Weder das eine noch das andere ist hier ersichtlich oder substantiiert geltend gemacht.

c. Die Antragstellerin kann auch mit ihrer Argumentation zu § 37 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht durchdringen. Abgesehen davon, dass auch insofern schon § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegensteht, erfüllt die Antragstellerin auch nicht die Altersvoraussetzungen des § 37 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, wonach der Antrag auf Erteilung dieser Aufenthaltserlaubnis nach Vollendung des 15. und vor Vollendung des 21. Lebensjahres sowie vor Ablauf von fünf Jahren seit der Ausreise gestellt werden muss. So hat sich die 1966 geborene Antragstellerin dreißig Jahre lang in Serbien aufgehalten und den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in dieser Zeit nicht gestellt, womit die Fünfjahresfrist verstrichen ist.

Auch eine Abweichung von der Altersgrenze kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann zur Vermeidung einer besonderen Härte von den in § 37 Absatz 1 Nr. 1 und 3 bezeichneten Voraussetzungen abgewichen werden. Diese Ausnahmeregelung trägt dem Umstand Rechnung, dass klare zeitliche Grenzen, wie die in § 37 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG bestimmten, den Nachteil haben, in der Lebenswirklichkeit nicht immer zu angemessenen Ergebnissen zu führen. Zweck der Härteklausel ist es, auch in von dem Gesetz wegen seiner generell-abstrakten Regelung nicht erfassten, der gesetzlichen Wertung aber entsprechenden Fällen eine Wiederkehrmöglichkeit zu eröffnen. Die Feststellung einer besonderen Härte im Sinne dieser Norm erfordert somit den Vergleich des konkreten Einzelfalls mit dem gesetzlichen Typus des Wiederkehrers, wie er durch § 37 Abs. 1 Nr. 1 und 3 AufenthG umrissen wird. Dieser Typus ist zum einen durch eine während des Voraufenthalts in Deutschland erreichte Aufenthaltsverfestigung und zum anderen durch die Integration und Integrationsfähigkeit gekennzeichnet. Entspricht der Ausländer oder die Ausländerin nach einer Gesamtbetrachtung aller hierfür erheblichen Umstände des Einzelfalls dem gesetzlichen Leitbild in diesen beiden Beziehungen, wäre es unter Beachtung des Gesetzeszwecks in besonderer Weise unbillig, ihm das Wiederkehrrecht vorzuenthalten. Im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung sind die Defizite bei der Erfüllung der Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 Nr. 1 und 3 AufenthG jeweils konkret zu bestimmen und unter Berücksichtigung des spezifischen Regelungszwecks der jeweils nicht erfüllten Voraussetzung ins Verhältnis zu anderen Umständen aus der Biographie des Ausländers oder der Ausländerin zu setzen, die sonst in besonderer Weise für eine Aufenthaltsverfestigung, die erfolgte Integration oder die Integrationsfähigkeit sprechen. Generell genügt somit für die in § 37 Abs. 2 Satz 1 AufenthG verlangte besondere Härte nicht bereits die dem Gesetz immanente Härte, die daraus resultiert, dass die Wiederkehrmöglichkeit grundsätzlich nur einem eng begrenzten Personenkreis offensteht. Vielmehr müssen noch Besonderheiten hinzukommen, welche die Bewertung rechtfertigen, dass der jeweilige Einzelfall vom gesetzlichen Regelungsziel her betrachtet den ausdrücklich erfassten Fällen annähernd gleicht. Eine solche besondere Härte kann beispielsweise daraus folgen, dass ein Ausländer, der die Anforderungen eines Tatbestandsmerkmals nur ganz knapp verfehlt oder die Defizite bei der Erfüllung einzelner Tatbestandsmerkmale durch eine anderweitige Form der Aufenthaltsverfestigung, Integration oder Integrationsfähigkeit bei der gebotenen Gesamtbetrachtung ausgleichen oder gar übererfüllen kann, trotz der sich hieraus ergebenden „Gleichwertigkeit“ mit dem Typus des Wiederkehrers dennoch von dem Anspruch auf Erteilung einer Wiederkehrerlaubnis ausgeschlossen wäre (VG Berlin Urteil vom 2.12.2011 – 16 K 186/11 –, BeckRS 2011, 56862, beck-online m. w. N.).

Dem gesetzlichen Typus des Wiederkehrers entspricht die Antragstellerin jedoch auch in der danach vorzunehmenden Gesamtschau nicht.

Ausweislich der in § 37 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG getroffenen Regelung geht der Gesetzgeber davon aus, dass der „typische“ Wiederkehrer als Jugendlicher oder Heranwachsender und damit in einem Alter in das Bundesgebiet zurückkehrt, in dem seine Entwicklung in der Regel noch nicht abgeschlossen, häufig aber bereits so weit fortgeschritten ist, dass er faktisch zu einem Inländer geworden ist und ihm daher ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug mehr hat, häufig nicht mehr zugemutet werden kann und ihm ferner die hiesigen Verhältnisse auch noch nicht durch einen besonders langen Auslandsaufenthalt wieder fremd geworden sind.

Die 1966 geborene Antragstellerin befand sich bei Antragstellung jedoch in einem Alter, mit dem sie das in § 37 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG normierte Höchstalter weit überschritten hat und in dem sowohl die allgemeine Persönlichkeitsentwicklung als auch die schulische und berufliche Ausbildung in aller Regel bereits seit längerem abgeschlossen sind. Darüber hinaus hielt sie sich zwischenzeitlich dreißig Jahre lang und damit in zeitlicher Hinsicht den überwiegenden Teil ihres Lebens in Serbien auf.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht Nr. 8.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11). Wegen jedenfalls teilweiser Vorwegnahme der Hauptsache kommt eine Reduzierung nach Nr. 1.5 des Streitwertkataloges im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hier nicht in Betracht.