Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 22.06.2021, Az.: 12 B 358/21
aufschiebende Wirkung; Baugenehmigung; Bebauungsplan; Einzelhandelsbetrieb; erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen; Grenzwerte; Lärmimmissionen; Nachbarwiderspruch; Sondergebiet; TA Lärm; Teilbarkeit einer Baugenehmigung; Umweltverträglichkeitsprüfung; UVP-Pflicht; Vorprüfung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 22.06.2021
- Aktenzeichen
- 12 B 358/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 70689
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 4 UmwRG
- § 5 UVPG
- § 7 UVPG
- § 80 Abs 5 VwGO
- § 80a Abs 3 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Erheblich im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 3 UVPG sind Umweltauswirkungen bereits dann, wenn sie an die Zumutbarkeitsschwelle heranreichen und deshalb in der Abwägung so gewichtig sind, dass im Zeitpunkt der Vorprüfung ein Einfluss auf das Ergebnis des Bebauungsplanbeschlusses nicht ausgeschlossen werden kann.
2. § 4 Abs. 1 UmwRG erfasst seinem Wortlaut nach jede Entscheidung über die Zulassung eines Vorhabens, für das eine erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit weder durchgeführt noch nachgeholt worden oder für das lediglich eine nicht dem Maßstab des § 5 Abs. 3 Satz 2 UVPG entsprechende Vorprüfung durchgeführt worden ist, ohne eine „Fortwirkung“ eines Verfahrensfehlers in einem vorgelagerten Verfahren für nachfolgende Zulassungsentscheidungen auszuschließen. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen im Interesse einer Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes jedenfalls dann gegen eine Differenzierung zwischen dem Verfahren der vorgelagerten und dem Verfahren der nachfolgenden Zulassungsentscheidung, wenn die vorgelagerte Entscheidung noch mit Rechtsbehelfen angreifbar und die Fehlerhaftigkeit der Vorprüfung auch im Hinblick auf die vorgelagerte Entscheidung beachtlich ist.
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 29. Juli 2020 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 6. Juli 2020 wird angeordnet.
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers tragen der Antragsgegner und die Beigeladene jeweils zur Hälfte. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Lebensmittelmarktes und eines Geschäftshauses, die der Antragsgegner der Beigeladenen erteilt hat.
Der Antragsteller ist Testamentsvollstrecker über den Nachlass des im April 2020 verstorbenen F. G., der Eigentümer der Grundstücke H. und I. in J. (Gemarkung J., Flur 5, Flurstücke 87/34, 87/35 und 87/36) war. Diese Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der als Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet festsetzt. Der streitgegenständliche Bescheid genehmigt ein Bauvorhaben der Beigeladenen auf den Grundstücken K. und L. in J. (Gemarkung J., Flur 6, Flurstück 168/2, und Flur 5, Flurstücke 353/87, 87/40, 87/38, 87/39, 87/45 und 87/46; im Folgenden: Vorhabengrundstücke), die südlich an die von dem Antragsteller verwalteten Grundstücke angrenzen und für die durch Bebauungsplan ursprünglich als Art der baulichen Nutzung ein Mischgebiet nach § 6 BauNVO festgesetzt war.
Der Rat der Gemeinde J. beschloss am 11. September 2019 den Bebauungsplan Nr. 21 M. – 2. Änderung, der für die Vorhabengrundstücke ein Sondergebiet SO-1 für großflächige Betriebe des Lebensmitteleinzelhandels mit nicht mehr als 1 m² Verkaufsfläche auf 4,6 m² Grundstücksfläche (dies ergibt rund 1.700 m² Verkaufsfläche) und ein Sondergebiet SO-2 für Geschäfts- und Bürogebäude für Dienstleistungsbetriebe festsetzt. Der Bebauungsplan wurde im beschleunigten Verfahren gemäß § 13a BauGB ohne Durchführung einer Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 BauGB aufgestellt und am 21. September 2019 bekanntgemacht. Nach § 1 Nr. 4 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans sind UVP-pflichtige Vorhaben in den Sondergebieten nicht zulässig. Nach § 8 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans sind nur Vorhaben zulässig, die die in der Planzeichnung festgesetzten Emissionskontingente von 57 dB(A) am Tage und 42 dB(A) nachts nicht überschreiten. Für die festgesetzten Emissionskontingente wurde ein Zusatzkontingent von 5 dB(A) in der Tages- und Nachtzeit für den Richtungssektor 90° bis 360° allgemein festgesetzt, wobei 0° bzw. 360° der Nordrichtung entsprechen. In der Begründung des Bebauungsplans wird hierzu ausgeführt, die Gemeinde halte zur vorbeugenden Lösung möglicher Lärmkonflikte eine Begrenzung der zulässigen Geräuschemissionen durch den Einzelhandelsbetrieb für sachgerecht. Dazu sei von der N. mbH (O.) aus Hannover eine schalltechnische Untersuchung durchgeführt worden, mit der die zulässigen Geräuschemissionen und die einzuhaltenden Emissionskontingente ermittelt worden seien. Sie betrügen 57 dB(A) am Tage (6.00 – 22.00 Uhr) und 42 dB(A) nachts (22.00 – 6.00 Uhr); ihre Einhaltung werde festgesetzt. In südlicher und westlicher Richtung des geplanten Sondergebiets seien aufgrund der größeren Abstände bzw. geringerer gebietsbezogener Schutzansprüche höhere Emissionen möglich als in Richtung Norden; deshalb könne dort ein Zusatzkontingent von 5 dB(A) zugelassen werden. Unter der Überschrift „Auswirkungen auf das Schutzgut ‘Mensch‘“ heißt es, die geplante Bebauung des Plangebiets mit einem großflächigen Betrieb des Lebensmitteleinzelhandels verursache Schallimmissionen durch den Zu- und Abgangsverkehr und durch den Betrieb von Heizungen und Kühlungen. Die für die geplante Nutzung des Plangebiets durchgeführte schalltechnische Untersuchung habe ermittelt, dass die zulässigen Geräuschemissionen und die einzuhaltenden Emissionskontingente 57 dB(A) am Tage und 42 dB(A) nachts betrügen. Ihre Einhaltung werde festgesetzt. Weitere Maßnahmen wie die Abschirmung von Stellplätzen durch eine Schallschutzwand und Nutzungsbeschränkungen für Stellplätze seien von der Gestaltung des Vorhabens abhängig und würden im Baugenehmigungsverfahren geregelt. Bei der frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit sei auch auf zusätzliche Verkehrsimmissionen (Lärm, Staub) hingewiesen worden, die durch den zusätzlichen Kunden- und Lieferverkehr, in erster Linie Pkw-Verkehr, verursacht würden. Nach Einschätzung der Gemeinde werde sich keine wesentliche Änderung, d.h. Zunahme des Verkehrslärms um mehr als 3 dB(A), ergeben.
In der in Bezug genommenen schalltechnischen Untersuchung der O. vom 7. Mai 2019 wird ausgeführt, aufgrund der Nachbarschaftssituation, insbesondere der allgemeinen Wohngebiete im Norden des Plangebiets, könne nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass es zu Immissionskonflikten komme. Auf der Ebene der Bauleitplanung biete die Festsetzung von Emissionskontingenten eine zielführende Möglichkeit zur vorbeugenden Lösung von Lärmkonflikten. Konkrete organisatorische oder schalltechnische Maßnahmen seien gegebenenfalls bei einem im Einzelgenehmigungsverfahren zu erbringenden Nachweis zu ermitteln und zu berücksichtigen. Das Gutachten untersuche nur die prinzipielle Machbarkeit der Errichtung eines Lebensmittelmarktes mit benachbartem Büro- und Geschäftsgebäude, wie sie der Auftraggeber plane. Zur Überprüfung der prinzipiellen Machbarkeit würden erforderliche schalltechnische und organisatorische Maßnahmen bereits berücksichtigt; dazu zählten die Errichtung einer bis zu zwei Meter hohen Lärmschutzwand auf der Nordseite des Parkplatzes sowie die Sperrung von Teilflächen des Parkplatzes ab 20:00 Uhr. In die Untersuchung sind die von dem Antragsteller verwalteten Grundstücke mit drei Immissionsorten (IP 03, IP 04, IP 05) einbezogen. Die schalltechnische Untersuchung errechnet auch unter Berücksichtigung der vorbenannten schalltechnischen Maßnahmen an den Immissionsorten IP 04 (Freifläche) und IP 05 (Wohnhaus) auf dem Grundstück „H.“ Beurteilungspegel von 54,8 dB(A) tags.
In der Anlage zur Begründung des Bebauungsplans befindet sich zudem das Dokument „Allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls entsprechend Anlage 3 UVPG“. Darin heißt es zu Lärmimmissionen, Beeinträchtigungen gebe es durch den Anlieferverkehr mit Lkw und das An- und Abfahren der Stellplatzanlage; sie verursachten Betriebs- und Verkehrslärm und Staub. Der zulässige Betriebslärm werde durch die Festsetzung von Geräuschkontingenten so begrenzt, dass der Schutzanspruch der benachbarten Wohngrundstückstücke erfüllt werde.
Die Beigeladene beantragte am 23. September 2019 die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines P. -Marktes und eines Geschäftshauses mit 123 Einstellplätzen und stellte am 25. November 2019 eine Bauvoranfrage zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines P. -Lebensmittelmarktes, eines Geschäftshauses für Dienstleistungsbetriebe und einer gepflasterten Stellplatzanlage auf den vorbenannten Vorhabengrundstücken.
Der zwischenzeitlich verstorbene Herr G. stellte im November 2019 beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht einen Normenkontrolleilantrag in Bezug auf den Bebauungsplan Nr. 21 M. – 2. Änderung (Az.: 1 MN 148/19). Mit Bauvorbescheid vom 10. Dezember 2019 bescheinigte der Antragsgegner der Beigeladenen die grundsätzliche planungsrechtliche Zulässigkeit ihres Vorhabens, woraufhin die Beteiligten des Normenkontrolleilverfahrens dieses übereinstimmend für erledigt erklärten. Gegen den Bauvorbescheid erhob Herr G. mit Schreiben vom 20. Januar 2020 Widerspruch, den der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2020 als unbegründet zurückwies. Über die daraufhin am 29. Juli 2020 von dem Antragsteller gegen den Bauvorbescheid und den Widerspruchsbescheid erhobene Klage (Az.: 12 A 4105/20) hat das Gericht noch nicht entschieden.
Mit Bescheid vom 6. Juli 2020 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung für die Errichtung eines P. -Lebensmittelmarktes und eines Geschäftshauses. Nach der Nummer 52 der Bedingungen, Auflagen und Hinweise zur Baugenehmigung ist ein von der Beigeladenen vorgelegtes schalltechnisches Gutachten vom 15. Mai 2020, 3. Fortschreibung, Bestandteil der Baugenehmigung. Nach der Nummer 54 der Bedingungen, Auflagen und Hinweise ist entsprechend der zeichnerischen Darstellungen im Lageplan eine zwei Meter hohe Schallschutzwand mit Anschluss an das Erdreich und einer flächenbezogenen Masse von mindestens 15 kg/m² zu errichten. Der grüngestempelte Lageplan sieht eine Lärmschutzwand mit einer Höhe von zwei Metern und einer Länge von 53 Metern als Grenzbebauung an der Grenze zu den von dem Antragsteller verwalteten Grundstücken vor. Das schalltechnische Gutachten vom 15. Mai 2020 in der Fassung der 3. Fortschreibung errechnet u.a. an dem Immissionsort IP 05 am Wohnhaus auf dem Grundstück „H.“ einen Beurteilungspegel von 54,0 dB(A) tags und in der Nachtzeit eine Unterschreitung der jeweiligen Immissionsrichtwerte an allen Immissionsorten um mehr als 5 dB(A).
Der Antragsteller erhob am 29. Juli 2020 Widerspruch gegen die Baugenehmigung, über den der Antragsgegner noch nicht entschieden hat. Am 21. September 2020 stellte der Antragsteller einen Normenkontrollantrag zur Überprüfung der Gültigkeit des Bebauungsplans Nr. 21 M. – 2. Änderung (Az.: 1 KN 136/20), der beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht noch anhängig ist. Der Antragsgegner lehnte einen Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung mit Schreiben vom 15. Dezember 2020 ab.
Daraufhin hat der Antragsteller am 20. Januar 2021 bei Gericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er trägt unter Vorlage eines Beschlusses des Amtsgerichts J. vom 30. April 2020 über seine Ernennung zum Testamentsvollstrecker und eines am 1. Juni 2021 ausgestellten Testamentsvollstreckerzeugnisses vor, er sei in der Nachlassangelegenheit G. als Testamentsvollstrecker tätig und habe die Aufgabe, die Verletzung von Nachbarrechten zulasten der Grundstücke des Erblassers abzuwenden. Erben hätten bislang nicht gefunden werden können. Er habe den Wunsch des Erblassers, eine Stiftung zu gründen, umzusetzen. Erst wenn die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Stiftung vorliege, ende die Testamentsvollstreckung und die Zuständigkeit für die Geltendmachung von nachbarlichen Abwehrrechten gehe auf die Stiftung über, zu deren Vermögen das Grundstück dann gehöre. Er stehe in Verbindung mit dem Amt für regionale Landesentwicklung in Hildesheim als zuständiger Stiftungsaufsicht; in Zusammenarbeit mit der Stiftungsaufsicht werde geklärt, wie der Stifterwille des Verstorbenen erfüllt werden könne. Er sei als Testamentsvollstrecker in seinem Recht zur Prozessführung nicht gemäß § 2208 BGB eingeschränkt. Das Bauvorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig, da der Bebauungsplan Nr. 21 M. – 2. Änderung rechtswidrig und daher unwirksam sei. Im Rahmen des Verfahrens 1 MN 148/19 habe das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht bereits Zweifel an der Wirksamkeit des Bebauungsplans zu erkennen gegeben. Es liege ein Bekanntmachungsfehler vor, weil nicht angegeben worden sei, wo die im Bebauungsplan genannte DIN 45691 eingesehen werden könne. Außerdem sei die Emissionskontingentierung materiell rechtswidrig; für die in den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans getroffene Festlegung von Emissionskontingenten nach der DIN 45691 fehle es an einer Rechtsgrundlage. Der Bebauungsplan habe nicht im beschleunigten Verfahren aufgestellt werden dürfen. Die für das Vorhaben zwingend erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung sei bislang nicht durchgeführt worden. Die Grundstücke des Erblassers seien unzumutbaren Lärmbelästigungen durch den Einzelhandelsbetrieb und insbesondere den damit verbundenen Fahrzeugverkehr ausgesetzt. Zudem solle ausweislich der Baugenehmigung an der Grenze zu den Grundstücken des Erblassers auf einer Länge von 53 Metern eine zwei Meter hohe Lärmschutzwand errichtet werden. Diese unterliege jedoch dem Abstandserfordernis nach § 5 Abs. 1 und 2 NBauO, da sie gebäudegleiche Wirkung habe und weder als Stützmauer noch als Einfriedung (§ 5 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 NBauO) angesehen werden könne.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 29. Juli 2020 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 6. Juli 2020 für den Neubau eines P. -Marktes und eines Geschäftshauses anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er trägt vor, er sei zur Anwendung des Bebauungsplans verpflichtet, solange dieser nicht aufgehoben, abgeändert oder durch ein Gericht mit allgemeiner Verbindlichkeit für unwirksam erklärt worden sei. Im Hinblick auf Beeinträchtigungen durch Lärm sei das eingeholte schalltechnische Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass an allen Immissionsorten die Richtwerte eingehalten würden. Es liege auch kein Verstoß gegen § 5 NBauO vor, denn die vorgesehene Lärmschutzwand entspreche hinsichtlich der Anordnung und der Höhe auch unter Beachtung des Schutzzweckes des Gesetzes einer Einfriedung. Im Baugenehmigungsverfahren habe keine allgemeine Vorprüfung durchgeführt werden müssen; die Vorprüfungspflicht des P. -Marktes nach der Anlage 1 Nummern 18.6.2 und
18.8 UVPG richte sich lediglich an die planende Gemeinde.
Der Beigeladene beantragt ebenfalls,
den Antrag abzulehnen.
Er hält den Antrag für unzulässig: Es sei nicht erkennbar, wann die Annahmeerklärung des Testamentsvollstreckers gemäß § 2202 BGB erfolgt sei und wann sein Amt begonnen habe. Liege der Beginn des Amtes erst nach der Erhebung der Rechtsbehelfe, würden die von ihm zuvor vorgenommenen Verfahrenshandlungen und zuvor abgegebenen Willenserklärungen nicht ohne Weiteres wirksam, sondern bedürften einer Genehmigung. Nach dem Vortrag des Antragstellers sei die Testamentsvollstreckung zudem auf die Gründung einer Stiftung beschränkt; das Führen von gerichtlichen Verfahren sei von dieser Befugnis nicht umfasst. Zudem sei davon auszugehen, dass die Stiftung mittlerweile gegründet worden sei. Es fehle dem Testamentsvollstrecker außerdem an einer Antragsbefugnis; diese müsse sich aus der Eigentümerstellung des oder der Erben herleiten lassen. Solange der oder die Erben nicht bekannt seien und solange nicht feststehe, ob es überhaupt rechtmäßige Erben gebe, fehle es mithin an einem grundbuchrechtlichen Grundstückseigentümer und somit an einem dinglichen Recht eines Erben, dessen Verletzung der Antragsteller rügen könnte. Soweit der Antragsteller einen unzureichenden Lärmschutz rüge, mache er personenbezogene und nicht grundstücksbezogene Abwehrrechte geltend; dies stehe ihm, da er das Grundstück nicht bewohne, nicht zu. Der Antrag sei darüber hinaus unbegründet. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens der Beigeladenen sei nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 21 „Q.“ – 2. Änderung zu beurteilen, da dieser nicht offensichtlich unwirksam sei. Im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung sei regelmäßig von der Wirksamkeit des zugrundeliegenden Bebauungsplanes auszugehen. Es sei nicht Aufgabe des Eilverfahrens, offene Fragen zur Gültigkeit eines Bebauungsplanes zu klären. Die richtige Verfahrensart hierfür sei die Normenkontrolle, die von dem Antragsteller bereits eingeleitet worden sei. Die Unwirksamkeit des Bebauungsplans sei keinesfalls offensichtlich und eindeutig. Bei der Drittanfechtung einer Baugenehmigung komme es auf die Wirksamkeit eines Bebauungsplanes im Übrigen lediglich dann an, wenn sich aus dessen Festsetzungen für den Antragsteller Abwehransprüche ergeben könnten. Dies sei hier nicht der Fall. Es habe im Rahmen der Bauleitplanung keiner Umweltverträglichkeitsprüfung bedurft. Eine Umweltauswirkung sei nicht immer bereits dann erheblich im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 UVPG, wenn sie an die Zumutbarkeitsschwelle heranreiche. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht habe in seinem Hinweis im Normenkontrolleilverfahren die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unberücksichtigt gelassen, wonach es keiner Umweltverträglichkeitsprüfung bedürfe, wenn bereits im Zeitpunkt der Vorprüfung feststehe, dass ein abwägungserheblicher Belang keinen Einfluss auf das Ergebnis der Planfeststellung haben könne. Dies sei vorliegend der Fall gewesen. Im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens habe gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 UVPG nicht erneut eine Vorprüfung stattfinden müssen; der Begriff der Umweltprüfung in § 50 Abs. 1 Satz 2 UVPG sei so zu verstehen, dass auch eine bloße Vorprüfung im Aufstellungsverfahren eine Vorprüfung im Baugenehmigungsverfahren entbehrlich mache. Selbst wenn man einen – tatsächlich nicht bestehenden – Verfahrensfehler annehmen würde, hätte dieser Fehler in Ermangelung einer nachbarschützenden Wirkung keine Auswirkungen auf das hier gegenständliche einstweilige Rechtsschutzverfahren. Ferner sei zu beachten, dass ein Fehler nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 UmwRG selbst bei einer Betroffenheit des Nachbarn in eigenen Rechten nur dann zur Aufhebung der Genehmigung führe, wenn dieser Fehler dem Nachbarn die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen habe. Herr G. habe sich dagegen aktiv am Entscheidungsprozess beteiligt. Entgegen der Auffassung des Antragstellers handele es sich bei der Lärmschutzwand um eine Einfriedung im Sinne des § 5 Abs. 8 Nr. 1 NBauO, welche keinen Abstand zum Nachbargrundstück einhalten müsse. Die Lärmschutzwand habe den Zweck, sowohl Immissionseinflüsse als auch den Zutritt zum und vom Nachbargrundstück zu unterbinden. Auch solle eine unerwünschte Einsichtnahme durch die Wand verhindert werden. Soweit sich der Antragsteller auf einen Bekanntmachungsfehler berufe, da die im Plan verwendete DIN 45691 nicht eingesehen werden könne, sei ein neuer Satzungsbeschluss vom 19. Dezember 2020 bekanntgemacht worden, wonach die DIN 45691 bei der Samtgemeinde Mittelweser zur allgemeinen Einsichtnahme ausliege. Ferner entfalte ein Bekanntmachungsfehler ohnehin keine drittschützende Wirkung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners und der Gemeinde J. Bezug genommen.
II.
Der Antrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Der Antragsteller ist prozessführungsbefugt, obwohl er sich als Testamentsvollstrecker nicht auf ein ihm selbst zustehendes Recht beruft. Infolge der Testamentsvollstreckung sind die Erben von Herrn G. nicht zur Verfügung über die zum Nachlass gehörenden Grundstücke berechtigt (§ 2211 Abs. 1 BGB). Die Verwaltung des Nachlasses steht vielmehr dem Antragsteller als Testamentsvollstrecker zu (§ 2205 Satz 1 BGB), und nur er kann gemäß § 2212 BGB die seiner Verwaltung unterliegenden Rechte gerichtlich geltend machen. Der Antragsteller ist als Testamentsvollstrecker gesetzlicher Prozessstandschafter der Erbengemeinschaft und zur Geltendmachung der dieser zustehenden Rechte im eigenen Namen befugt (vgl. VGH BW, Urteil vom 03.06.2019 – 3 S 2458/18, BeckRS 2019, 46221 Rn. 19). Dabei kann dahinstehen, zu welchem Zeitpunkt der Antragsteller sein Amt als Testamentsvollstrecker im Sinne von § 2202 Abs. 1 BGB angenommen hat. Denn selbst wenn man davon ausginge, dass die Annahme des Amtes erst mit der Beantragung des Testamentsvollstreckerzeugnisses erfolgt wäre (vgl. dazu BeckOGK/Leitzen, 15.5.2021, BGB § 2202 Rn. 8, und MüKoBGB/Zimmermann, 8. Aufl. 2020, BGB § 2202 Rn. 6, jeweils unter Hinweis auf BGH, WM 1961, 479), wäre hier nicht von der Unzulässigkeit des Antrages auszugehen. Zwar ist das Testamentsvollstreckerzeugnis erst nach der Erhebung des Widerspruchs gegen die erteilte Baugenehmigung und nach der Stellung des behördlichen und gerichtlichen Aussetzungsantrags beantragt worden. Mit Vorlage des am 1. Juni 2021 erteilten Testamentsvollstreckerzeugnisses im hiesigen Eilverfahren hätte der Antragsteller gegenüber dem Gericht und den Beteiligten jedoch unmissverständlich zu erkennen gegeben, die eingeleiteten Verfahren fortsetzen zu wollen, und hätte diese Handlungen somit genehmigt. Ebenso wäre in der am 8. Juni 2021 von dem Antragsteller unterzeichneten und zu der Gerichtsakte eingereichten Vollmacht für seinen Prozessbevollmächtigten eine konkludente Genehmigung sämtlicher Prozesshandlungen zu sehen. Ein möglicherweise zuvor bestehender Mangel der Vollmacht seines Prozessbevollmächtigten wäre im Übrigen durch Nachreichung der Vollmacht nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 89 Abs. 2 ZPO mit rückwirkender Kraft geheilt worden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 02.01.2017 – 5 B 8/16 –, juris Rn. 5; Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschl. v. 17.04.1984 – GmS-OGB 2/83 –, juris Rn. 13). Der Zulässigkeit des Antrags steht entgegen der Auffassung der Beigeladen auch nicht entgegen, dass bislang keine Erben in Bezug auf den Nachlass von Herrn G. feststehen. Der Testamentsvollstrecker ist als Prozesspartei nicht Vertreter der Erben, sondern Partei kraft Amtes, klagt also im eigenen Namen als Testamentsvollstrecker (MüKoBGB/Zimmermann, 8. Aufl. 2020, BGB § 2212 Rn. 12). Im Übrigen kann in Anbetracht der Vorschrift des § 1936 BGB nicht zweifelhaft sein, dass es Erben geben wird.
b) Die Antragsbefugnis des Antragstellers als Testamentsvollstrecker folgt schließlich daraus, dass er die Verletzung von nachbarschützenden baurechtlichen Vorschriften zulasten der seiner Verwaltung unterliegenden Grundstücke geltend macht, insbesondere in Bezug auf die Unterschreitung des Grenzabstands durch die vorgesehene Lärmschutzwand und die Beeinträchtigung durch Lärmimmissionen.
2. Der Antrag ist auch begründet.
In Verfahren nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO ist „ausgewogener“ Rechtsschutz zu gewähren. Nicht nur auf Seiten des Nachbarn drohen vollendete, weil unumkehrbare Tatsachen einzutreten, wenn das Vorhaben verwirklicht wird. Auch auf Seiten des Bauherrn können solche nicht oder nur schwer wiedergutzumachenden Folgen eintreten. Diese bestehen im Falle einer Antragsstattgabe in jedem Fall darin, die durch den Aufschub verlorene Zeit nicht nachholen und damit die in dieser Zeit erzielbaren Gewinne nicht mehr realisieren zu können. Da der Antragsteller von den Folgen des § 945 ZPO im verwaltungsgerichtlichen Nachbarstreit verschont bleibt, kommt in Verfahren des vorläufigen Nachbarrechtsschutzes den Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs ausschlaggebende Bedeutung zu. Der Sachverhalt ist dabei in aller Regel nur summarisch zu überprüfen. Das Ergebnis dieser Prüfung gibt dem Vollzugsinteresse des Bauherrn nicht erst dann Vorrang, wenn die Baugenehmigung danach mehr oder minder zweifelsfrei Nachbarrechte dieses Antragstellers nicht verletzt. Ein derartiger Rechtsschutz wäre nicht ausgewogen, weil er das Risiko, die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung bei nur summarischer Prüfung nicht vollständig und zweifelsfrei ermitteln zu können, einseitig dem Bauherrn auferlegte, obwohl dessen Bauabsicht nach der gesetzlichen Wertung (§ 212a BauGB) grundsätzlich Vorrang genießen soll. Eine Stattgabe des vorläufigen Rechtsschutzantrags kommt deshalb erst dann in Betracht, wenn Überwiegendes für die Annahme spricht, der Rechtsbehelf des Nachbarn in der Hauptsache sei jedenfalls derzeit begründet (Nds. OVG, Beschl. v. 25.01.2007 – 1 ME 177/06 –, juris Rn. 11, und Beschl. v. 14.06.2017 – 1 ME 64/17 –, juris Rn. 13; VG Hannover, Beschl. v. 27.05.2021 – 12 B 3640/21 –, juris Rn. 76).
Die nach diesen Grundsätzen vorzunehmende Prüfung der Erfolgsaussichten ergibt, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 6. Juli 2020 anzuordnen ist. Die Baugenehmigung ist jedenfalls derzeit voraussichtlich bereits deshalb rechtswidrig, weil die für das Vorhaben der Beigeladenen erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit nicht dem Maßstab des § 5 Abs. 3 Satz 2 UVPG entspricht und der Antragsteller sich hierauf unabhängig von einer Verletzung in eigenen Rechten berufen kann (nachfolgend unter a) und b)).
a) Das Vorhaben der Beigeladenen zur Errichtung eines P. -Marktes unterliegt einer Vorprüfungspflicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 UVPG in Verbindung mit der Anlage 1 zum UVPG. Der Bau eines Einkaufszentrums, eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes oder eines sonstigen großflächigen Handelsbetriebes im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO mit einer zulässigen Geschossfläche jenseits der 1.200 m² ist nach den Nummern 18.6.2, 18.8 der Anlage 1 zum UVPG vorprüfungspflichtig, wenn für das Vorhaben ein Bebauungsplan aufgestellt, geändert oder ergänzt wird.
Diese Voraussetzungen liegen vor. Das Vorhaben der Beigeladenen betrifft in Bezug auf die Errichtung des P. -Marktes den Bau eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes mit einer Geschossfläche von rund 1.700 m². Für dieses Vorhaben wurde auch ein Bebauungsplan aufgestellt bzw. geändert, weil die Gemeinde J. für das Vorhaben der Beigeladenen den Bebauungsplan Nr. 21 „Q.“ – 2. Änderung aufgestellt hat.
Die in diesem Rahmen durchgeführte Vorprüfung entspricht nicht dem Maßstab des § 5 Abs. 3 Satz 2 UVPG. Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 UVPG ist die im Rahmen einer Vorprüfung getroffene Einschätzung der zuständigen Behörde, ob für ein Vorhaben eine UVP-Pflicht besteht oder nicht, in einem gerichtlichen Verfahren betreffend die Zulassungsentscheidung nur daraufhin zu überprüfen, ob die Vorprüfung entsprechend den Vorgaben des § 7 UVPG durchgeführt worden ist und ob das Ergebnis nachvollziehbar ist. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 UVPG wird die allgemeine Vorprüfung als überschlägige Prüfung unter Berücksichtigung der in Anlage 3 UVPG aufgeführten Kriterien durchgeführt. Die UVP-Pflicht besteht nach § 7 Abs. 1 Satz 3 UVPG, wenn das Neuvorhaben nach Einschätzung der zuständigen Behörde erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann, die nach § 25 Abs. 2 UVPG bei der Zulassungsentscheidung zu berücksichtigen wären.
Hiervon ausgehend erweist sich die Beurteilung der planaufstellenden Gemeinde J., das Vorhaben der Beigeladenen sei nicht UVP-pflichtig, als rechtlich fehlerhaft, weil die durchgeführte allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls nicht den Anforderungen des § 7 UVPG entspricht und ihr Ergebnis nicht nachvollziehbar ist. Die allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls hätte zu der Annahme führen müssen, dass das Vorhaben der Beigeladenen erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann, so dass es einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedurft hätte. Dies folgt aus der bei der Vorprüfung absehbaren Belastung der Wohnbevölkerung durch Lärmimmissionen.
Maßstab für die Erheblichkeit von Umweltauswirkungen ist grundsätzlich das materielle Zulassungsrecht. Erheblich sind danach jedenfalls solche Umweltauswirkungen, die zu einer Versagung der Genehmigung führen müssten. Damit ist die Untergrenze der Erheblichkeit aber nicht abschließend bestimmt. Vielmehr sind bei der Erteilung einer der Abwägung unterliegenden Zulassung Umweltauswirkungen (jedenfalls) bereits dann erheblich, wenn sie an die Zumutbarkeitsschwelle heranreichen und deshalb in der Abwägung so gewichtig sind, dass im Zeitpunkt der Vorprüfung ein Einfluss auf das Ergebnis des – der Abwägung unterliegenden – Bebauungsplanbeschlusses nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.12.2013 – 4 A 1/13 –, juris Rn. 37 ff., und Urt. v. 25.06.2014 – 9 A 1/13 –, juris Rn. 21-23; Nds. OVG, Beschl. v. 28.09.2015 – 1 MN 144/15 –, juris Rn. 22, und Urt. v. 26.08.2016 – 7 KS 41/13 –, juris Rn. 65; OVG NRW, Urt. v. 11.11.2020 – 2 D 54/18.NE –, juris Rn. 47). Denn die Umweltverträglichkeitsprüfung soll die Umweltbelange so herausarbeiten, dass sie in die Abwägung in gebündelter Form eingehen. Sie ist ein formalisierter Zwischenschritt mit dem Ziel einer zunächst auf die Umweltbelange beschränkten Bewertung der Auswirkungen des Vorhabens im Rahmen der Abwägung aller Belange und dient als wirkungsvolle Methode, die Umweltbelange in den Abwägungsprozess einzuführen. Hiervon ausgehend muss die Umweltverträglichkeitsprüfung daher grundsätzlich auch die Abwägungsentscheidung vorbereiten, wenn Umweltauswirkungen in die Abwägung eingehen und damit bei der Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens zu berücksichtigen sind (BVerwG, Urt. v. 17.12.2013 – 4 A 1/13 –, juris Rn. 37). Die Abwägung des Schutzes vor Immissionen ist ausgehend von den Grenzwerten zu gewichten. Dieser Belang ist umso gewichtiger, je mehr die Belastung an die Grenzwerte heranreicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.12.2013 – 4 A 1/13 –, juris Rn. 39). Eine fehlende Ergebnisrelevanz ist daher bei nur geringfügiger Unterschreitung von Grenzwerten nicht naheliegend, zumal es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes unionsrechtlich nicht zulässig ist, die Aufhebung von Entscheidungen aufgrund des Fehlens einer Umweltverträglichkeitsprüfung auf Fälle zu beschränken, in denen der Rechtsbehelfsführer nachweist, dass der Verfahrensfehler für das Ergebnis der Entscheidung kausal war (vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 –, juris Rn. 62; Nds. OVG, Urt. v. 26.08.2016 – 7 KS 41/13 –, juris Rn. 69).
Ausgehend davon liegen hier erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen in Form von Lärmimmissionen vor, die nach § 7 Abs. 1 Satz 3 UVPG die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung erfordert hätten und das Ergebnis der Vorprüfung als nicht nachvollziehbar erscheinen lassen. Nach der schalltechnischen Untersuchung der O. vom 7. Mai 2019 wird der für allgemeine Wohngebiete geltende Immissionsrichtwert von 55 dB(A) tags auch unter Berücksichtigung von schalltechnischen Maßnahmen wie der Errichtung einer Lärmschutzwand und der Sperrung von Teilflächen des Parkplatzes ab 20:00 Uhr an den Immissionsorten IP 04 und IP 05 nur knapp, jeweils um 0,2 dB(A), unterschritten. Folglich reichten die Umweltauswirkungen zum Kenntnisstand im Zeitpunkt der Vorprüfung bereits an die Zumutbarkeitsschwelle heran und waren deshalb in der Abwägung so gewichtig, dass ein Einfluss auf das Ergebnis des – der Abwägung unterliegenden – Bebauungsplanbeschlusses nicht ausgeschlossen werden konnte. Soweit die Gemeinde J. in ihrer allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen mit dem Hinweis verneint, dass „der Schutzanspruch der benachbarten Wohngrundstückstücke“ „durch die Festsetzung von Geräuschkontingenten“ erfüllt werde, entspricht dies nicht dem dargelegten rechtlichen Prüfungsmaßstab.
Der Auffassung der Beigeladenen, dass bereits im Zeitpunkt der Vorprüfung festgestanden habe, dass der abwägungserhebliche Umweltbelang der Lärmbelastung der an die Vorhabengrundstücke angrenzenden Wohngrundstücke keinen Einfluss auf das Ergebnis des Bebauungsplanbeschlusses haben kann, folgt das Gericht ebenfalls nicht. Eine Ergebnisrelevanz kann jedenfalls nicht allein unter Hinweis darauf, dass durch die Emissionskontingentierung eine Einhaltung der Immissionsrichtwerte prinzipiell möglich ist, verneint werden. Insbesondere folgt eine solche nicht aus dem Umstand, dass die TA Lärm die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang ihres Regelungsbereichs grundsätzlich bindend festlegt (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.11.2012 – 4 C 8/11 –, juris Rn. 18-19, Urt. v. 29.08.2007 – 4 C 2/07 –, juris Rn. 12, und Beschl. v. 06.11.2008 – 4 B 58/08 –, juris Rn. 3), weil im Rahmen einer Planungs- und Abwägungsentscheidung nach § 1 Abs. 7 BauGB die Zulässigkeit eines Vorhabens allein nicht auch tatsächlich zu dessen Zulassung führen muss. Insoweit ist in der Rechtsprechung geklärt, dass Lärmimmissionen nicht erst dann abwägungsbeachtlich sind, wenn sie als schädliche Umwelteinwirkungen zu qualifizieren sind oder gar die Schwelle zur Gesundheitsgefährdung überschreiten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.02.2010 – 4 BN 59/09 –, juris Rn. 4, und Beschl. v. 08.06.2004 – 4 BN 19/04 –, juris Rn. 6; Nds. OVG, Beschl. v. 28.09.2015 – 1 MN 144/15 –, juris Rn. 23, und Urt. v. 25.01.2017 – 1 KN 151/15 –, juris Rn. 91).
b) Auf die dargelegte Fehlerhaftigkeit der Vorprüfung kann der Antragsteller sich im Widerspruchsverfahren auch berufen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UmwRG kann eine natürliche Person im Sinne von § 61 Nr. 1 VwGO die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2b verlangen, wenn eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG steht eine durchgeführte Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit, die – wie hier – nicht dem Maßstab des § 5 Abs. 3 Satz 2 UVPG genügt, einer nicht durchgeführten Vorprüfung gleich. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgt aus § 4 Abs. 1 und 3 UmwRG, dass sich ein klage- bzw. widerspruchsbefugter Rechtsbehelfsführer im Rahmen der Begründetheitsprüfung seines Rechtsbehelfs – hier des Widerspruchs – auf das fehlerhafte Unterbleiben einer Umweltverträglichkeitsprüfung berufen kann, ohne dass es darauf ankommt, ob die verletzten Verfahrensvorschriften der Gewährleistung eines materiellen subjektiven Rechts dienen, worauf § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO abhebt, oder die Fehler die Sachentscheidung beeinflusst haben können, wie es § 46 VwVfG sonst voraussetzt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.11.2018 – 4 B 12/18 –, juris Rn. 4, und Urt. v. 20.12.2011 – 9 A 30/10 –, juris Rn. 20 ff.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 4 Abs. 1b UmwRG, wonach eine Verletzung von Verfahrensvorschriften nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2b oder Nr. 5 UmwRG führt, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Denn auch wenn ein Aufhebungsanspruch im Hauptsacheverfahren ausscheiden würde, bestünde bis zur Fehlerbehebung ein Anspruch des Rechtsbehelfsführers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit der Baugenehmigung, dem im Eilverfahren durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs Rechnung zu tragen wäre (OVG NRW, Beschl. v. 01.02.2019 – 7 B 1360/18 –, juris Rn. 20; Seibert, NVwZ 2018, 97, 103).
Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass die fehlerhafte Vorprüfung nicht im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens, sondern im Rahmen der Bauleitplanung durchgeführt worden ist (vgl. im Ergebnis auch Hess. VGH, Beschl. v. 17.03.2021 – 3 B 2000/20 –, juris Rn. 20; Bay. VGH, Beschl. v. 10.12.2020 – 9 CS 20.892 –, juris Rn. 47; OVG Hamburg, Beschl. v. 08.01.2020 – 2 Bs 183/19 – juris Rn. 42-43; OVG NRW, Beschl. v. 01.02.2019 – 7 B 1360/18 –, juris Rn. 7 ff.; VG Aachen, Beschluss vom 28. November 2014 – 3 L 224/13 –, juris Rn. 43; VG Oldenburg, Beschl. v. 26.04.2018 – 5 B 1006/18 – V.n.b.). § 4 Abs. 1 UmwRG erfasst seinem Wortlaut nach jede Entscheidung über die Zulassung eines Vorhabens, für das eine erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit weder durchgeführt noch nachgeholt worden oder für das lediglich eine nicht dem Maßstab des § 5 Abs. 3 Satz 2 UVPG entsprechende Vorprüfung durchgeführt worden ist, ohne eine „Fortwirkung“ eines Verfahrensfehlers für nachfolgende Zulassungsentscheidungen auszuschließen. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen im Interesse einer Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gegen eine Differenzierung zwischen dem Verfahren der vorgelagerten Entscheidung und dem Verfahren der nachfolgenden Zulassungsentscheidung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – die vorgelagerte Entscheidung noch mit Rechtsbehelfen angreifbar und die Fehlerhaftigkeit der Vorprüfung auch im Hinblick auf die vorgelagerte Entscheidung – wie hier nach § 4 Abs. 2 UmwRG i.V.m. § 214 Abs. 2a Nr. 3 und Nr. 4 BauGB und § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 Abs. 8, § 2a BauGB – beachtlich ist.
c) Auch wenn die fehlerhafte Vorprüfung nur einen Teil des Bauvorhabens der Beigeladenen, nämlich die Errichtung des P. -Marktes, betrifft, ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs insgesamt anzuordnen. Eine zwischen dem vorprüfungspflichtigen und dem nicht vorprüfungspflichtigen Teil des Vorhabens differenzierende Tenorierung ist nicht angezeigt, weil es insoweit an einer Teilbarkeit der Baugenehmigung fehlt. Eine Teilbarkeit einer Baugenehmigung kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn das genehmigte Bauvorhaben teilbar ist, sich ein abtrennbarer rechtmäßiger Teil feststellen lässt und auch ohne den abzutrennenden Teil ein sinnvolles oder dem Willen des Bauherrn entsprechendes Vorhaben übrigbleibt (Nds. OVG, Beschl. v. 06.11.1992 – 1 M 4717/92 –, juris Rn. 12; OVG BB, Beschl. v. 25.08.2020 – OVG 10 N 15/20 –, juris Rn. 12, und Urt. v. 24.10.2019 – OVG 10 B 2.15 –, juris Rn. 96; OVG RP, Beschl. v. 22.11.2019 – 8 A 11277/19 –, juris Rn. 17; Bay. VGH, Beschl. v. 13.03.2019 – 1 ZB 17.1763 –, juris Rn. 3; OVG SA, Beschl. v. 10.10.2018 – 2 M 53/18 –, juris Rn. 56; VGH BW, Urt. v. 20.09.2016 – 11 S 2070/14 –, juris Rn. 53; OVG Hamburg, Beschl. v. 18.06.2015 – 2 Bs 99/15 –, juris Rn. 25; Sächs. OVG, Beschl. v. 13.08.2012 – 1 B 242/12 –, juris Rn. 6 ff.). Vorliegend kann nicht festgestellt werden, dass eine Teilverwirklichung des Vorhabens dem Willen der Beigeladenen entspricht. Die Beigeladene hat sich hierzu auf Nachfrage des Gerichts nicht geäußert, und das Gericht geht auch in Anbetracht der konkreten Grundstückssituation nicht davon aus, dass die Baugenehmigung in der vorliegenden Form – ohne weitere Umplanungen – auch ohne die Errichtung des P. -Marktes umgesetzt werden soll.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung von Nr. 8 a) und Nr. 18 b) der Streitwertannahmen der Bausenate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts nach dem 1. Januar 2002 (NdsVBl. 2002, S. 192).