Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.10.2024, Az.: 13 ME 137/24
Androhung der Abschiebungeines minderjährigen Ausländers in die Türkei oder einen anderen rücknahmebereiten oder -verpflichteten Staat
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.10.2024
- Aktenzeichen
- 13 ME 137/24
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 23942
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2024:1007.13ME137.24.00
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 51 Abs. 1 AufenthG
- § 1631 BGB
Fundstelle
- AUAS 2024, 251
Amtlicher Leitsatz
Bei der Beurteilung, ob ein minderjähriger Ausländer im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund aus dem Bundesgebiet ausreist, sind dem tatsächlichen Handeln des minderjährigen, im Bundesgebiet aufhältigen Ausländers bei der Gestaltung seines Aufenthalts durch das Aufenthaltsbestimmungsrecht seiner Eltern oder seines allein sorgeberechtigten Elternteils nach § 1631 BGB gesetzte rechtliche Grenzen zu berücksichtigen.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 9. Kammer - vom 15. Juli 2024 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 10. August 2023 (VG Hannover, 9 A 4247/23) gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. Juli 2023 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens vorläufigen Rechtsschutzes in beiden Instanzen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.250 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 9. Kammer - vom 15. Juli 2024, mit dem dieses deren Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am 10. August 2023 erhobenen Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. Juli 2023 über die Androhung der Abschiebung in die Türkei oder einen anderen rücknahmebereiten oder -verpflichteten Staat abgelehnt hat, ist begründet und führt zur Änderung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung.
Die gerichtliche Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO setzt eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus. Diese Abwägung fällt in der Regel zu Lasten der Antragstellerin aus, wenn bereits im Aussetzungsverfahren bei summarischer Prüfung zu erkennen ist, dass ihr Rechtsbehelf offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.5.2004 - 2 BvR 821/04 -, NJW 2004, 2297, 2298 - juris Rn. 20; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 970 ff. m.w.N.). Dagegen überwiegt das Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs in aller Regel, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich begründet erweist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.10.1995 - BVerwG 1 VR 1.95 -, juris Rn. 3). Bleibt der Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache bei der in dem Aussetzungsverfahren nur möglichen summarischen Prüfung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 11.9.1998 - BVerwG 11 VR 6.98 -, juris Rn. 4) jedoch offen, kommt es auf eine reine Abwägung der widerstreitenden Interessen an (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.6.2019 - BVerwG 1 VR 1.19 -, NVwZ-RR 2019, 971 - juris Rn. 6; Senatsbeschl. v. 10.3.2020 - 13 ME 30/20 -, juris Rn. 7).
Unter Anwendung dieses Maßstabs fällt die Abwägung zugunsten der Antragstellerin aus. Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erweist sich die streitgegenständliche Abschiebungsandrohung als voraussichtlich rechtswidrig.
Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen, wenn keine Abschiebungsverbote vorliegen und der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen. Der Erlass einer Abschiebungsandrohung setzt die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nicht voraus. Die Abschiebungsandrohung nach § 59 AufenthG kann rechtmäßig bereits dann erlassen werden, wenn der Ausländer im Sinne des § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig ist (vgl. mit eingehender Begründung und weiteren Nachweisen: Senatsbeschl. v. 28.1.2021 - 13 ME 355/20 -, juris Rn. 15 ff.).
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts fehlt es hier voraussichtlich an der danach erforderlichen Ausreisepflicht. Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.
Die Antragstellerin war zuletzt im Besitz einer vom 24. August 2020 bis zum 23. August 2021 gültigen Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG, die am 6. Juli 2021 bis zum 5. Juli 2023 verlängert wurde. Aufgrund des rechtzeitig mit E-Mail vom 30. Juni 2023, jedenfalls aber in der Vorsprache vom 4. Juli 2023 durch die Antragstellerin gestellten Verlängerungsantrags, über den die Antragsgegnerin bisher nicht entschieden hat, gilt diese Aufenthaltserlaubnis gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG als fortbestehend. Dem Eintritt dieser Fiktionswirkung steht entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und dem folgend des Verwaltungsgerichts auch der Erlöschenstatbestand nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG nicht entgegen.
Die am ... 2005 geborene Antragstellerin trägt mit ihrer Beschwerde insoweit vor, sie sei zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus dem Bundesgebiet minderjährig gewesen. Ihre allein sorgeberechtigte Mutter habe der Abmeldung und dem Fortzug in die Türkei nicht zugestimmt. Deshalb habe ihre Mutter die Abmeldung vom 24. April 2023, welche sie - die Antragstellerin - alleine vorgenommen habe, am 26. April 2023 "rückgängig gemacht" und erklärt, dass sie die Abmeldung nicht erlaube. Eine Woche später, am 3. Mai 2023, habe sie - die Antragstellerin - sich erneut abgemeldet und sei am selben Tag in die Türkei ausgereist.
In seinem Beschluss vom 20. Januar 2020 - 13 ME 348/19 -, juris Rn. 10 - 12, hat der Senat zu den Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG ausgeführt:
"Nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel bereits dann - und zwar schon mit der Ausreise, vgl. BVerwG, Urt. v. 17.1.2012, a.a.O., Rn. 9, so dass jedenfalls der auf einen Rückkehrzeitpunkt bezogene Ansatz des Verwaltungsgerichts verfehlt ist -, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist. Unschädlich im Hinblick auf diese Vorschrift sind Auslandsaufenthalte, die nach ihrem Zweck typischerweise zeitlich begrenzt sind und die keine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände in Deutschland, insbesondere keine Aufgabe des Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet, mit sich bringen. Fehlt es an einem dieser Erfordernisse, liegt ein seiner Natur nach nicht nur vorübergehender Grund vor. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass bei der Beurteilung, ob der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist, neben der Dauer und dem Zweck des Aufenthalts alle objektiven Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, während es auf den inneren (subjektiven) Willen des Ausländers - insbesondere auf seine Planung der späteren Rückkehr nach Deutschland - nicht allein ankommen kann; gänzlich unerheblich ist er aber nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.12.2012 - BVerwG 1 C 15.11 -, juris Rn. 16; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 9.11.2015 - 11 S 714/15 -, juris Rn. 43).
Als ihrer Natur nach vorübergehende Gründe für Auslandsaufenthalte können danach etwa Urlaubsreisen oder beruflich veranlasste Aufenthalte von ähnlicher Dauer anzusehen sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.12.2012, a.a.O.), ebenso Aufenthalte zur vorübergehenden Pflege von Angehörigen (nicht jedoch in Dauerpflegefällen, vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.12.1988, a.a.O., Rn. 8; Sächsisches OVG, Urt. v. 18.9.2014 - 3 A 554/13 -, juris Rn. 30), zur Ableistung der Wehrpflicht oder Aufenthalte während der Schul-, Hochschul- oder Berufsausbildung, die nur zeitlich begrenzte Ausbildungsabschnitte ins Ausland verlagern (nicht jedoch die Ausbildung insgesamt, vgl. BVerwG, Urt. v. 11.12.2012, a.a.O., Rn. 16 f., und VG Hamburg, Urt. v. 20.11.2012, a.a.O., Rn. 19 (vollständiges Studium im Heimatstaat); OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 10.12.2012 - 2 M 175/12 -, juris Rn. 2, 5 (vollständiger Schulbesuch bis zum Abitur im Ausland)). Eine Ausreise aus einem vorübergehenden Grund liegt auch bei sonstigen besonderen Anlässen vor, die regelmäßig zeitlich begrenzt sind; hierzu zählen etwa ein Hausbau, eine umfangreiche Nachlassregulierung, die Erledigung von Geschäften sowie die Durchführung einer Heilbehandlung (vgl. Bayerischer VGH, Urt. v. 25.07.2011 - 19 B 10.2547 -, juris Rn. 33 a.E. m.w.N.). Eine feste Zeitspanne, bei deren Überschreitung (ungeachtet der Abwesenheitshöchstfrist des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, vgl. oben 1.) stets von einem nicht mehr vorübergehenden Grund auszugehen wäre, lässt sich nicht abstrakt benennen. Je weiter sich die Aufenthaltsdauer im Ausland über die Zeiten hinaus ausdehnt, die mit den o.g. begrenzten Aufenthaltszwecken typischerweise verbunden sind, desto eher liegt die Annahme eines nicht nur vorübergehenden Grundes im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG nahe (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.12.2012, a.a.O., Rn. 16). Der seiner Natur nach nicht vorübergehende Grund muss nicht bereits im Zeitpunkt der Ausreise vorliegen; es genügt vielmehr, wenn er erst später während des Aufenthalts des Ausländers im Ausland eintritt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.4.1982 - BVerwG 1 B 148.81 -, juris Rn. 3), wenngleich dieser Ansatz im Hinblick auf den möglicherweise vom Grundsatz abweichenden Erlöschenszeitpunkt (ex nunc statt ex tunc?) sowie bei der Abgrenzung zu dem 1991 hinzugetretenen eigenständigen Erlöschenstatbestand kraft Überschreitung bestimmter Anwesenheitshöchstfristen (vgl. dazu oben 1.) Probleme aufwirft.
Schließlich ist zu beachten, dass sich § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG nicht auf die Fälle beschränkt, in denen sich der Ausländer endgültig aus dem Bundesgebiet "verabschiedet"; vielmehr kann auch bei einem "an sich" begrenzten Zweck eine Abwesenheitsdauer mit unabsehbarem Ende ausreichen. Deshalb erlischt der Aufenthaltstitel nach dieser Norm auch dann, wenn der Ausländer zwar irgendwann in das Bundesgebiet zurückzukehren wünscht, sich der Zweck der Ausreise aus dem Bundesgebiet jedoch nicht auf einen überschaubaren Zeitraum bezieht, sondern langfristig und zeitlich völlig unbestimmt ist, der Auslandsaufenthalt also letztlich auf unabsehbare Zeit angelegt ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.12.1988, a.a.O., Rn. 8) und das in Deutschland erworbene Aufenthaltsrecht damit gewissermaßen nur "in Reserve" gehalten wird (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.4.2007, a.a.O., Rn. 14)."
Dies zugrunde gelegt spricht hier zwar Einiges dafür, dass die Antragstellerin am 3. Mai 2023 aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund ausreisen wollte. Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung auch für den Senat nachvollziehbar darauf abgestellt, dass sich die Antragstellerin innerhalb weniger Tage zwei Mal in die Türkei abgemeldet hat, ohne mitzuteilen, ob und wann sie beabsichtigt, in die Bundesrepublik zurückzukommen. Vielmehr hat sie selbst im gerichtlichen Verfahren noch vorgetragen, seinerzeit in die Türkei gereist zu sein, "um dort bei ihrem Vater zu leben", was ersichtlich gegen einen nur vorübergehenden Besuchsaufenthalt spricht.
Es darf allerdings nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Antragstellerin zum Zeitpunkt der beiden Abmeldungen und auch der tatsächlichen Ausreise am 3. Mai 2023 noch minderjährig war und das Aufenthaltsbestimmungsrecht gemäß § 1631 Abs. 1 BGB - ohne dass es insoweit auf die Möglichkeit einer Ummeldung nach § 17 Abs. 3 Satz 1 BMG ankommt - zu diesem Zeitpunkt bei ihrer allein sorgeberechtigten Mutter lag. Auch § 80 AufenthG bestimmt insoweit keine abweichende aufenthaltsrechtliche Handlungsfähigkeit (mehr). Das den Eltern oder dem allein sorgeberechtigten Elternteil als Teil des Personensorgerechts zustehende Aufenthaltsbestimmungsrecht beinhaltet die Festlegung des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes, des Wohnsitzes und anderer zeitweiliger Aufenthaltsorte. Der Aufenthalt kann auch negativ bestimmt werden (vgl. Kerscher, in: beck-OGK BGB (Stand: 1.8.2024), § 1631 Rn. 64 m.w.N.). Die allein sorgeberechtigte Mutter der Antragstellerin hatte ihr danach notwendiges Einverständnis mit der Abmeldung und auch der Ausreise aus dem Bundesgebiet nicht nur nicht erklärt, sondern sich der Abmeldung und auch der Ausreise der Antragstellerin aktiv widersetzt, auch wenn sie diese letztlich nicht zu verhindern vermochte.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Ausreise in das Ausland keine rechtsgeschäftliche, sondern eine tatsächliche Handlung ist. Auch berücksichtigt der Senat, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sogar eine (ohne staatliches Zutun) erzwungene Ausreise gegen den Willen des Ausländers (etwa durch Nötigung oder Erpressung) den Verlust des Aufenthaltstitels nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG zur Folge haben kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.1.2012 - BVerwG 1 C 1.11 -, juris Rn. 12). Dies ändert aber nichts daran, dass dem tatsächlichen Handeln des minderjährigen, im Bundesgebiet aufhältigen Ausländers bei der Gestaltung seines Aufenthalts durch das Aufenthaltsbestimmungsrecht seiner Eltern oder seines allein sorgeberechtigten Elternteils rechtliche Grenzen gesetzt sind. Diese rechtlichen Grenzen für die Gestaltung des Aufenthalts sind bei der Beurteilung, ob der minderjährige Ausländer im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund aus dem Bundesgebiet ausreist, zu berücksichtigen (vgl. zur Berücksichtigung rechtlicher Grenzen bei der Bestimmung des tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalts bspw. auch BVerwG, Urt. v. 26.4.2016 - BVerwG 1 C 9.15 -, BVerwGE 155, 47, 51 - juris Rn. 14; Senatsbeschl. v. 29.5.2020 - 13 ME 170/20 -, V.n.b. Umdruck S. 2 f. m.w.N.).
Bei der Minderjährigkeit eines Ausländers und der daraus folgenden gesetzlichen Vertretung durch Sorgeberechtigte, die allein über das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entscheiden haben, handelt es sich zudem um einen Umstand, der für die Ausländerbehörde ohne weiteres erkennbar ist. Insoweit besteht in einem Fall wie dem hiesigen, in dem sich eine minderjährige Ausländerin ohne Zustimmung ihrer Sorgeberechtigten ins Ausland abmeldet und ausreist, für die Ausländerbehörde vor Annahme des Erlöschenstatbestands nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG die Pflicht zur Nachprüfung, ob der Sorgeberechtigte mit der Abmeldung und auch der Ausreise aus dem Bundesgebiet einverstanden ist. Dieses Einverständnis oder auch eine nachträglich erteilte Genehmigung muss nicht ausdrücklich erklärt werden, sondern kann sich auch anhand der äußeren objektiven Umstände ergeben, etwa, weil der Sorgeberechtigte das Flugticket bezahlt oder selbst mit ausreist. Eine andere Auslegung und Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG würde dazu führen, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht des gesetzlichen Vertreters durch den minderjährigen Ausländer vereitelt werden kann. Denn wenn der Minderjährige ohne Einverständnis des Sorgeberechtigten das Bundesgebiet verlassen und den Erlöschenstatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG zur Entstehung bringen kann, besteht für den Sorgeberechtigten, der sich legal im Bundesgebiet aufhält, nicht ohne Weiteres die Möglichkeit, sein minderjähriges Kind wieder bei sich aufzunehmen bzw. dessen Aufenthaltsort im Bundesgebiet festzulegen und durchzusetzen.
Es kann vorliegend auch nicht etwa angenommen werden, dass die Antragstellerin ihren Fortzug aus dem Bundesgebiet nach Erreichen der Volljährigkeit am ... 2023 "genehmigt" hat (vgl. den Rechtsgedanken aus § 108 Abs. 3 BGB). Für eine dahingehende Willensbildung und -betätigung der Antragstellerin gibt es keine belastbaren Anhaltspunkte. Die Antragstellerin ist zudem bereits am 28. Juni 2023 erneut ins Bundesgebiet eingereist.
Auf den Gesundheitszustand der Antragstellerin und damit einhergehende mögliche Abschiebungshindernisse kommt es damit nicht weiter an.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
III. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG sowie Nrn. 8.3 und 1.5 Satz 1 Halbsatz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).