Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.10.2024, Az.: 1 ME 71/24

Anfechtung einer Baugenehmigung; Baugenehmigung für den Surfpark Stade

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
02.10.2024
Aktenzeichen
1 ME 71/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 25291
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:1002.1ME71.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 29.04.2024 - AZ: 2 B 175/24

Amtlicher Leitsatz

Ergänzungsentscheidung zu Senatsurt. v. 2.10.2024 - 1 KN 34/23 -, zur Veröffentlichung in juris vorgesehen.

Tenor:

Die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 2. Kammer - vom 29. April 2024 werden zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.

Der Wert des Streitgegenstandes auf 15.000,00 EUR festgesetzt. Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts wird dementsprechend geändert.

Gründe

I.

Der Antragsteller, ein anerkannter Umweltverband, wendet sich gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines 22.000 qm großen Wasserbeckens mit Wellenerzeuger und Technikgebäuden.

Die Beigeladene will auf einem knapp 6,5 ha großen Grundstück, das ca. 6 km südöstlich des Stadtzentrums der Antragsgegnerin liegt und östlich an die Kreisstraße K30 angrenzt, einen sog. Surfpark errichten. Nach dem am 11. Juli 2022 als Satzung beschlossenen Bebauungsplan sind im Teilgebiet 1 des Sondergebiets "Surfpark und freizeitbezogenes Gewerbe" u.a. Anlagen zum Wellenreiten in Form eines offenen Wasserbeckens mit Wellenerzeuger sowie Technikgebäude zulässig (TF Nr. 1.2 Spiegelstrich 1 und 2). Die Antragsgegnerin hat im Hinblick auf das im Planaufstellungsverfahren eingeholte Artenschutzgutachten, das die Vermeidung von "diffusem Rundumlicht" als wichtig erachtet, um die Auswirkungen der planbedingten Lichtemissionen auf Vögel und Fledermäuse zu minimieren, festgesetzt, dass im Sonder- und Gewerbegebiet die Lichtquellen nach oben und zur freien Landschaft abzuschirmen oder so auszurichten sind, dass direkte Lichteinwirkungen auf die freie Landschaft vermieden werden (TF Nr. 6.7).

Mitte 2022 beantragte die Beigeladene bei der Antragsgegnerin die hier streitgegenständliche Genehmigung für den Neubau einer Sportanlage für Oberflächenwassersport - Surfbecken mit Technikbereich (Bauantrag 2). Zugleich stellte sie die Errichtung weiterer Gebäude (Haupt- und Multifunktionsgebäude mit Nebengebäuden = Bauantrag 1) sowie die Herstellung der Außenanlagen und Freiflächen (Bauantrag 3) zur Genehmigung. Alle Bauanträge beziehen sich auf Flächen in dem Teilgebiet 1 des Sondergebiets "Surfpark und freizeitbezogenes Gewerbe". Im Baugenehmigungsverfahren ließ die Beigeladene von einem Gutachterbüro eine allgemeine Vorprüfung nach dem UVPG durchführen. Gegenstand der Untersuchung waren alle drei vorgenannten Bauanträge. Für die Beleuchtung des Surfbeckens wird von der Errichtung einer Flutlichtanlage mit 8 Mastleuchten mit bis zu 4 Leuchtkörpern (LED) und einer Höhe von 24 m ausgegangen. Aufgrund von Berechnungen, nach denen auch bei einer 100 %-igen Leuchtenleistung im Zeitraum zwischen 22 Uhr und 6 Uhr die Immissionsrichtwerte der Hinweise zur Messung, Beurteilung und Minderung von Lichtimmissionen nach Beschluss des Länderausschusses für Immissionsschutz vom 13. September 2012, Stand 3. November 2015 (im Folgenden LAI-Hinweise) nicht überschritten werden, kommt die Untersuchung vom 10. Juni 2022 zu dem Ergebnis, dass durch das Vorhaben insgesamt keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen im Sinne des UVPG zu erwarten sind. Im Nachgang entschied sich die Beigeladene, nur 12 m hohe Lichtmasten zu verwenden. Die 1. Ergänzung vom 27. Januar 2023 zu der vorgenannten Untersuchung berücksichtigt diesen Umstand, ohne dass sich das Ergebnis der Vorprüfung ändert. In der der Beigeladenen unter dem 10. Februar 2023 im Vorgriff auf den am 23. Februar 2023 in Kraft getretenen Bebauungsplan Nr. 500/3 erteilten Baugenehmigung werden beide Untersuchungen genannt; als ihr jeweiliges Ergebnis wird festgehalten, dass das Bauvorhaben umweltfachlichen Belangen nicht entgegenstehe (Hinweise Nr. 72 und 73).

Gegen diese Baugenehmigung legte der Antragsteller unter dem 10. März 2023 Widerspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Letzteres lehnte die Antragsgegnerin unter dem 14. Juli 2023 ab. Im Dezember 2023 begann die Beigeladene mit Erdbauarbeiten. Daraufhin stellte der Antragsgegner am 15. Januar 2024 einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs, den er u.a. mit dem Fehlen einer ordnungsgemäßen Umweltverträglichkeitsvorprüfung begründete. Die Antragsgegnerin ergänzte den Verwaltungsvorgang zu der streitgegenständlichen Baugenehmigung mit einem Vermerk vom 31. Januar 2024, in dem sie als "Ergebnis der eigenständigen überschlägigen Prüfung" feststellt, dass das Neubauvorhaben keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen haben kann.

Mit Beschluss vom 29. April 2024 hat das Verwaltungsgericht dem Antrag des Antragstellers stattgegeben. Der Bebauungsplan Nr. 500/3 "Gewerbe- und Surfpark Stade" sei unwirksam. Die Planung verstoße zumindest hinsichtlich der Feldlerche gegen artenschutzrechtliche Bestimmungen. Zudem habe die Antragsgegnerin die Belange des Klimaschutzes nicht ausreichend berücksichtigt, indem sie gegen die Pflicht zur Ermittlung der Klimaauswirkungen der Planung in Form einer konkreten Bilanz der Treibhausgas-Emissionen verstoßen habe. Abgesehen davon erweise sich auch die nachfolgende Abwägung der Belange des Klimaschutzes als unzureichend. Fehle es an einem wirksamen Bebauungsplan, sei die streitgegenständliche Baugenehmigung rechtswidrig, weil das Vorhaben im Außenbereich unzulässig sei. Hierauf könne sich der Antragsteller auch berufen. Auch die Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans unterstellt, erweise sich die Baugenehmigung bei summarischer Prüfung als rechtswidrig. Es fehle an einer ordnungsgemäß durchgeführten Umweltverträglichkeitsvorprüfung. Der Vermerk der Antragsgegnerin vom 31. Januar 2024 reiche nicht aus. Selbst wenn man eine Plausibilitätskontrolle der von der Beigeladenen zur Umweltverträglichkeitsprüfung eingeholten Gutachten ausreichen lassen wollte, ließe sich diesen nicht die Feststellung entnehmen, dass die Vorkehrungen offensichtlich geeignet seien, erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen auszuschließen. Im Hinblick auf die vom Vorhaben ausgehenden Lichtimmissionen bestehe zudem ein Widerspruch zwischen den durchgeführten lichttechnischen Untersuchungen und der gutachterlichen Einschätzung im Rahmen der Vorprüfung.

II.

Die zulässigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade vom 29. April 2024, auf deren fristgerecht dargelegte Gründe sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, haben im Ergebnis keinen Erfolg.

Zu Recht rügen Antragsgegnerin und Beigeladene allerdings, dass der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade sowohl hinsichtlich der Beurteilung des der Baugenehmigung zugrundeliegenden Bebauungsplans als auch der Baugenehmigung nicht überzeugt. Insbesondere liegen die vom Verwaltungsgericht angenommenen Fehler des Bebauungsplans nicht vor; der Senat nimmt insoweit Bezug auf sein Urteil vom heutigen Tag im parallelen Normenkontrollverfahren (Az.: 1 KN 34/23 -, zur Veröffentlichung in juris vorgesehen).

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erweist sich allerdings im Ergebnis als richtig. Die im Verfahren nach den §§ 80, 80a VwGO durchzuführende Interessenabwägung fällt zu Lasten von Antragsgegnerin und Beigeladener aus. Denn ungeachtet der zu Recht erhobenen Einwände gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts wird der Widerspruch des Antragstellers Erfolg haben, da sich die Baugenehmigung gegenwärtig als rechtswidrig erweist. Der ihr zugrundeliegenden Bebauungsplan Nr. 500/3 "Gewerbe- und Surfpark Stade" ist aus den Gründen des Senatsurteils vom heutigen Tag unwirksam und das nicht privilegierte Vorhaben im Außenbereich nicht genehmigungsfähig, weil es zumindest öffentliche Belange i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB beeinträchtigt. Hierauf kann sich der Antragsteller auch berufen, weil Belange des Naturschutzes zu den Zielen gehören, die die Vereinigung nach ihrer Satzung fördert.

Lediglich ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Ob eine Vor- oder eine Vollprüfung i.S.d. UVPG durchzuführen ist, richtet sich im Zulassungsverfahren für ein Neuvorhaben danach, was zur Genehmigung gestellt wurde. Bei anfänglich kumulierenden Vorhaben ist § 10 UVPG zu beachten. Hier spricht Überwiegendes dafür, dass die Annahme, die Schwelle der Nr. 18.7.2 der Anlage 1 sei überschritten und infolgedessen eine allgemeine Vorprüfung gemäß § 7 Abs. 1 UVPG durchzuführen, sich als zutreffend erweisen wird. Die Vorprüfung ist nach § 7 Abs. 7 UVPG durch die zuständige Behörde zu dokumentieren. Dies ist hinreichend erfolgt. Das Bewusstsein der Antragsgegnerin über die Erforderlichkeit der Durchführung einer allgemeinen Vorprüfung i.S.d. UVPG kommt in den Hinweisen Nr. 72 und 73 der streitgegenständlichen Baugenehmigung zum Ausdruck. Indem sie dort auf die von der Beigeladenen zu dieser Frage eingeholten Gutachten verweist und deren Ergebnis wiedergibt, bringt sie zum Ausdruck, dass sie sich der Vorprüfungspflicht bewusst war, und macht sich die Inhalte sowie die Ergebnisse der Gutachten vollständig, d.h. auch einschließlich etwaiger Fehleinschätzungen zu eigen. Dies reicht aus.

Inhaltlich wird die Vorprüfung zwar nicht durch § 50 Abs. 3 UVPG direkt auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen des Vorhabens beschränkt (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 26.2.2020 - 12 LB 157/18 -, BauR 2022, 968 = BRS 88 Nr. 145 = juris Rn. 59). Die im Bauleitplanverfahren bei Erstellung des Umweltberichts gewonnenen Erkenntnisse bezieht die Behörde aber in die Vorprüfung ein (vgl. § 7 Abs. 5 Satz 2 UVPG; dazu Tepperwien, in: Schink/Reidt/Mitschang, UVPG/UmwRG, 2. Aufl. 2023, § 7 UVPG Rn. 11). Einer eigenständigen (überschlägigen) Prüfung, die sich nicht in einem Verweis auf die Erkenntnisse aus der bereits durchgeführten Umweltprüfung erschöpfen kann, bedürfen in dieser Konstellation in der Regel nur die Umweltauswirkungen des Vorhabens, die auf Planebene bereits erkennbar, aber zulässigerweise auf die Zulassungsebene verschoben wurden, sowie diejenigen, die erst auf der Zulassungsebene erkennbar sind. Dies betrifft vorliegend die Lichtemissionen der zur Beleuchtung des Wasserbeckens vorgesehenen Flutlichtanlage. Die genaue Ausgestaltung der Beleuchtung des Surfbeckens war auf Planungsebene noch nicht absehbar. Ob die im Zulassungsverfahren eingeholte Lichttechnische Untersuchung zum "Surfgarten" in Stade vom 23. Mai 2022 in der Zusammenschau mit der Betriebsbeschreibung den Schluss rechtfertigt, dass das Vorhaben unter dem Aspekt der Lichtemissionen auch im Hinblick auf Vögel und Fledermäuse zu keinen erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen haben kann, lässt der Senat mangels abschließender Befassung offen. Für die Möglichkeit erheblicher nachteiliger Umweltauswirkungen könnte immerhin das von Antragstellerseite betonte Argument sprechen, dass klare Maßstäbe zur Beurteilung von Lichteinwirkungen auf faunistisch bedeutsame Flächen fehlen. Zuzugeben ist Antragsgegnerin und Beigeladener indes, dass die vom Verwaltungsgericht als potenziell problematisch erachteten Blendwirkungen an Richtwerte anknüpfen, die dem Schutz von Menschen dienen, und die Blendwirkung durch die zwischen dem Feerner Moor und dem Surfpark liegenden Gehölzstrukturen erheblich gemindert wird. Das mag ausreichen, um die Feststellung, erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen seien ausgeschlossen, als im Ergebnis nachvollziehbar i.S.v. § 5 Abs. 3 Satz 2 UVPG erscheinen zu lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung erfolgt gem. § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG in Orientierung an Nr. 7 g) i.V.m. Nr. 17 b) der Streitwertannahmen des Senats (NdsVBl. 2021, 247). Insoweit ist der erstinstanzliche Streitwertbeschluss zu ändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).