Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.10.2024, Az.: 1 KN 128/22

Stellen eines Normenkontrollantrags innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Veränderungssperre

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
02.10.2024
Aktenzeichen
1 KN 128/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 24299
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:1002.1KN128.22.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Bekanntmachung einer Veränderungssperre ist auch dann wirksam und löst die Normenkontrollantragsfrist aus, wenn der zur Bezeichnung des Satzungsgebiets beigefügte Kartenausschnitt zwar keine (lesbaren) Straßennamen enthält, das abgebildete Straßenmuster aber auf einem Stadtplan oder in der Örtlichkeit leicht zu erkennen ist.

  2. 2.

    Zu den Sorgfaltsobliegenheiten vor Stellung eines Normenkontrollantrags gehört es, rechtzeitig die zur Kontrolle zu stellende Norm im maßgeblichen Bekanntgabeorgan selbst aufzusuchen.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Antragsteller kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Antragsteller wendet sich gegen eine Veränderungssperre der Antragsgegnerin zur Sicherung der 3. Änderung ihres Bebauungsplans Nr. 7, da diese einem von ihm geplanten Bauvorhaben entgegensteht.

Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks F. straße G. im Ortsgebiet der Antragsgegnerin (Flurstück H., Gemarkung I.), auf dem er ein Mehrfamilienhaus mit 4 Wohneinheiten, Abstellräumen und Einstellplätzen errichten möchte. Am 29. April 2021 stellte er eine entsprechende Bauvoranfrage. Das Baugrundstück liegt bisher im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 7 der Antragsgegnerin in der Fassung der am 28. April 1978 bekannt gemachten 1. Änderung (die 2. Änderung betrifft nur eine kleine Fläche weiter südöstlich), die dort ein allgemeines Wohngebiet mit offener Bauweise, maximal zweigeschossiger Bebauung, einer Grundflächenzahl von 0,4 und einer Geschossflächenzahl von 0,7 vorsieht. Nach dem Luftbild ist das Baugebiet tatsächlich ganz überwiegend mit Einfamilienhäusern bebaut.

Am 29. September 2021 beschloss der Verwaltungsausschuss der Antragsgegnerin die Aufstellung der 3. Änderung des genannten Bebauungsplans mit dem Ziel einer Steuerung der Wohndichte und machte den Aufstellungsbeschluss mit einem Kartenausschnitt des Plangebiets und einer Kurzdarstellung der Planungsziele in der Münsterländischen Tageszeitung vom 2. Oktober 2021 bekannt. Die streitgegenständliche Veränderungssperre zur Sicherung dieser Planung beschloss der Rat der Antragsgegnerin am 11. Oktober 2021. Am 19. Oktober 2021 fertigte der Allgemeine Vertreter des Bürgermeisters die Satzung aus; am 20. Oktober 2021 machte die Gemeinde in der Münsterländischen Tageszeitung bekannt, dass sie den Satzungsbeschluss über die Veränderungssperre gefasst habe und dass diese im Rathaus eingesehen werden könne. In der Münsterländischen Tageszeitung vom 29. Oktober 2021 machte die Antragsgegnerin die Veränderungssperre erneut bekannt - diesmal unter Wiedergabe des vollen Satzungstextes sowie einer Karte des räumlichen Geltungsbereichs. Auf dem veröffentlichten Kartenausschnitt lässt sich zwar der Ortsname Cappeln lesen. Straßen- oder Flurstücksbezeichnungen sind jedoch maßstabsbedingt nicht entzifferbar.

Am 7. September 2022 lehnte der Landkreis die Bauvoranfrage des Antragstellers unter Berufung auf die Veränderungssperre ab. Im Ablehnungsbescheid heißt es wörtlich:

"Allerdings befindet sich das Bauvorhaben im Bereich einer Veränderungssperre. Diese wurde am 11.10.2021 vom Rat der Gemeinde Cappeln beschlossen, und am 19.11.2021 in einer Satzung der Gemeinde Cappeln über die Veränderungssperre für den Geltungsbereich der 3. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 7 festgehalten.

Am 20. November 2021 erfolgte die ortsübliche Bekanntmachung in der Münsterländischen Tageszeitung".

Gegen die Veränderungssperre wendet sich der Antragsteller mit seinem am 9. November 2022 bei Gericht eingegangenen, nach Betreibensaufforderung am 1. August 2023 begründeten Normenkontrollantrag. Er rügt verschiedene formelle und materielle Mängel der Satzung; unter anderem meint er, der den Bekanntmachungen des Aufstellungsbeschlusses sowie der Veränderungssperre beigefügte Kartenausschnitt sei mangels lesbarer Straßennamen und mangels ergänzender Angaben im Satzungstext nicht aussagekräftig; das begründe einen Bekanntmachungsfehler.

Der Antragsteller beantragt,

die Veränderungssperre der Antragsgegnerin bezüglich der 3. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 7 der Antragsgegnerin für unwirksam zu erklären.

Die im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht durch einen Volljuristen vertretene Antragsgegnerin hat schriftsätzlich beantragt,

den Antrag auf Normenkontrolle vom 9. November 2022 als unzulässig zurückzuweisen.

Sie hält den Antrag für verfristet.

Nach Übersendung der Antragserwiderung am 10. August 2023 und dem Hinweis des Berichterstatters, dass die Auffassung der Antragsgegnerin zutreffen dürfte, hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 30. August 2023 ausgeführt, der Landkreis Cloppenburg habe im Bescheid vom 7. September 2022 als Bekanntgabedatum den 20. November 2021 angegeben. Der (zunächst) eingereichte Auszug aus der Münsterländischen Tageszeitung enthalte kein Erscheinungsdatum, dieses habe nur die Gemeinde handschriftlich vermerkt. Der 29. Oktober 2021 sei nicht, wie auf diesem Vermerk angegeben, ein Freitag, sondern ein Donnerstag gewesen. Veröffentlichungen von Rechtsnormen erfolgten zudem üblicherweise an Samstagen. Vieles spreche daher dafür, dass die Veröffentlichung tatsächlich am 20. November 2021 erfolgt sei. Rein hilfsweise werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Auch auf der Internetseite der Antragsgegnerin sei kein Hinweis auf die Veröffentlichung zu finden.

Der Rat der Antragsgegnerin hat am 28. Juni 2023 eine erste und am 17. Juni 2024 eine zweite Verlängerung der Veränderungssperre, jeweils um ein Jahr, beschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Der Normenkontrollantrag ist unzulässig.

Er wurde nicht, wie § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO verlangt, innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Veränderungssperre gestellt. Der Normenkontrollantrag ist am 9. November 2022 bei Gericht eingegangen, die Veränderungssperre wurde jedoch bereits am 29. Oktober 2021 in der Münsterländischen Tageszeitung bekannt gemacht. Ob bereits die erste Bekanntmachung am 20. Oktober 2021 wirksam gewesen wäre, kann angesichts dessen dahinstehen. Die Einlassung des Antragstellers, eine Bekanntmachung am 29. Oktober 2021 sei unwahrscheinlich, ist zur Überzeugung des Senats spätestens durch Übersendung einer Kopie des Zeitungsausschnitts, der das Erscheinungsdatum erkennen lässt, durch die Antragsgegnerin entkräftet. Sie war aber auch unabhängig davon nicht überzeugend; der 29. Oktober 2021 war entgegen der Behauptung des Antragstellers ein Freitag, kein Donnerstag. Einen Erfahrungssatz, dass Rechtsnormen üblicherweise an Samstagen bekannt gegeben werden, gibt es nicht. Die Angabe des Landkreises Cloppenburg im Bescheid vom 7. September 2022, die Veränderungssperre sei am 19.11.2021 "in einer Satzung festgehalten" und am 20.11.2021 bekannt gemacht worden, war offenkundig ein Schreibfehler, möglicherweise bedingt dadurch, dass zuvor von einem Beschluss am 11.10. die Rede war. Insofern mag es beim Verfasser Verwirrung bezüglich der Zahlen 10 und 11 gegeben haben.

Die Bekanntmachung am 29. Oktober 2021 löste die Normenkontrollantragsfrist aus. Das ist lediglich dann nicht der Fall, wenn die Form der Bekanntmachung nicht nur rechtswidrig ist, sondern die Möglichkeit des Adressaten, sich vom Erlass und Inhalt der Norm verlässlich Kenntnis zu verschaffen, gleichzeitig in unzumutbarer Weise erschwert (BVerwG, Urt. v. 10.10.2019 - 4 CN 6.18 -, NVwZ 2020, 1123 = BauR 2020, 631 = juris Rn. 13 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt nicht vor. Die - hier genutzte - Möglichkeit der Bekanntgabe in einer oder mehreren örtlichen Tageszeitungen eröffnet nach der gesetzgeberischen Wertung des § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NKomVG ungeachtet des vom Antragsteller in der mündlichen Verhandlung betonten Umstandes, dass nicht jeder Normadressat diese Zeitung beziehen wird und sie, anders als ein Amtsblatt, auch nicht nachträglich frei recherchierbar ist, eine zumutbare Kenntnisnahmemöglichkeit. Eine unzumutbare Erschwerung der Kenntnisnahme wird auch nicht durch den Umstand bewirkt, dass auf dem der Bekanntgabe beigefügten Kartenausschnitt keine Straßennamen lesbar waren. Die Ortslage von Cappeln ist mit ca. 1,6 km2 sehr überschaubar. Die Lage des Satzungsgebiets zwischen zwei nach Westnordwest leicht auseinandergehenden größeren Straßen mit Freiflächen im Norden und der markant S-förmig verspringenden nord-südlichen Ortsdurchfahrt "Große Straße" im Osten ist in diesem Bereich einzigartig. Die Identifikation des Satzungsgebiets erfordert angesichts dessen nur einen flüchtigen Abgleich des Kartenauszugs mit einem Ortsplan oder einem Online-Kartenservice wie google maps; bei Ortskenntnis ist selbst das angesichts des hohen Wiedererkennungswertes der Straßenführungen entbehrlich. Der Ortsteil Cappeln ist im Plan angegeben; zudem findet sich im einzigen weiteren Siedlungsschwerpunkt der Antragsgegnerin von einigem Gewicht (Sevelten im Westen) kein annähernd ähnliches Straßen- und Bebauungsmuster.

Die vom Antragsteller hilfsweise beantragte Wiedereinsetzung in die Normenkontrollantragsfrist kann nicht gewährt werden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass der Antragsteller ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert war (§ 60 Abs. 1 VwGO). Der Senat hat mit der wohl h.M. (BayVGH, Urt. v. 17.11.2009 - 1 N 08.2796 -, BauR 2010, 439 = BayVBl. 2010, 439 = juris Rn. 43 m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, 30. Aufl. 2024, § 47 Rn. 83 m. umf. Nachw.; § 60 Rn. 4; offen gelassen in BVerwG, Beschl. v. 1.11.2001 - 4 BN 53.01 -, juris Rn. 2 sowie - mit Nachweisen für beide Auffassungen VGH BW, Beschl. v. 6.8.1999 - 8 S 1715/99 -, juris Rn. 11; für eine Wiedereinsetzungsmöglichkeit bei Mittellosigkeit und rechtzeitig gestelltem PKH-Antrag BVerwG, Beschl. v. 18.2.2013 - 6 BN 1.12 -, juris Rn. 8) erhebliche Zweifel, ob eine Wiedereinsetzung in die Normenkontrollantragsfrist überhaupt möglich ist, hat jedoch keinen Anlass, dem weiter nachzugehen. Denn jedenfalls hat der Antragsteller die Normenkontrollantragsfrist schuldhaft versäumt. Zu den Sorgfaltsobliegenheiten vor Stellung eines Normenkontrollantrags gehört es, rechtzeitig die zur Kontrolle zu stellende Norm im maßgeblichen Bekanntgabeorgan selbst aufzusuchen. Unzumutbar ist dies entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung des Antragstellers auch im Falle einer Bekanntgabe in einer Tageszeitung nicht. Zeitungsverlage geben üblicherweise auf entsprechende Nachfrage Auskunft über den Inhalt vergangener Zeitungsausgaben; dass das im Falle der Münsterländischen Tageszeitung anders sein könnte, hat der Antragsteller nicht geltend gemacht. Hinzu kommt die Möglichkeit einer Erkundigung bei der normerlassenden Gemeinde. Auf beiläufige Angaben Dritter über den Bekanntmachungszeitpunkt darf sich der Antragsteller nicht ohne weiteres verlassen, auch wenn es sich dabei - wie hier beim Landkreis Cloppenburg - um eine Behörde handelt. Dies gilt besonders im vorliegenden Fall, in dem die Ausführungen des Landkreises im Bescheid vom 7. September 2022 eher verworren waren (Veränderungssperre "am 11.10. beschlossen und am 19.11. in einer Satzung festgehalten") und keine vertiefte Kenntnis des Satzungsgebungsprozesses erkennen ließen.

Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand kann dem Antragsteller aus einem weiteren Grund nicht gewährt werden: Nach § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist der Wiedereinsetzungsantrag binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen, das der Wahrung der versäumten Frist entgegenstand. Unterstellte man zugunsten des Antragstellers, dass die Angabe des Landkreises Cloppenburg im Bescheid vom 7. September 2022 bewirkte, dass sich der Antragsteller bzw. sein Prozessbevollmächtigter in Sicherheit wiegen durfte, die Veränderungssperre sei nicht vor dem 20. November 2021 bekannt gemacht worden, so ist diese Sicherheit spätestens mit dem Empfang der Antragserwiderung, in der die Antragsgegnerin auf das richtige Bekanntmachungsdatum hingewiesen hat, am 10. August 2023 erschüttert worden. Den Wiedereinsetzungsantrag hat der Antragsteller aber erst mit Schriftsatz vom 30. August gestellt. Zwar ist der Antrag entbehrlich, wenn die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt wurde - was vorliegend sogar schon vor dem 10. August 2023 geschehen ist. Allerdings muss nach § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist auch der Wiedereinsetzungsgrund geltend zu machen (BVerwG, Urt. v. 21.10.1975 - VI C 170.73 -, BVerwGE 49, 252 = juris Rn. 13 ff). Dies hätte hier den Hinweis erfordert, dass der Antragsteller sich auf die Falschangabe des Landkreises verlassen hatte. Dieser Vortrag wäre ihm ohne weiteres binnen zwei Wochen nach Erhalt der Antragserwiderung möglich gewesen; einer längeren Prüffrist, insbesondere zur Recherche des tatsächlichen Bekanntgabedatums, bedurfte er hierfür nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10 (analog), 709 Satz 2, 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.