Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.10.2024, Az.: 13 ME 201/24

Reichweite des Beschwerdeausschlusses nach § 80 Var. 2 AsylG

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.10.2024
Aktenzeichen
13 ME 201/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 25281
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:1029.13ME201.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 16.10.2024 - AZ: 13 B 4493/24

Amtlicher Leitsatz

Entscheidungen über Maßnahmen zum Vollzug der Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG oder der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG nach dem Aufenthaltsgesetz im Sinne des § 80 Var. 2 AsylG sind auch gerichtliche Entscheidungen über Anträge eines Ausländers auf (einstweilige) Verpflichtung einer Ausländerbehörde zur Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wenn die Ausländerbehörde die Abschiebung auf der Grundlage einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG oder einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG vollzieht.

Tenor:

  1. I.

    Die Beschwerde der Antragsteller gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 13. Kammer - vom 16. Oktober 2024 wird verworfen.

    Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je einem Drittel.

    Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 7.500 EUR festgesetzt.

  2. II.

    Die Beschwerde der Antragsteller gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 13. Kammer - vom 16. Oktober 2024 wird verworfen.

    Die Antragsteller tragen die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu je einem Drittel. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

I. 13 ME 201/24

1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 13. Kammer - vom 16. Oktober 2024 bleibt ohne Erfolg.

Die Beschwerde ist - entsprechend der richtigen Rechtsmittelbelehrung in der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung - nach § 80 AsylG ausgeschlossen und daher unstatthaft.

Nach § 80 AsylG in der zuletzt durch Art. 2 Nr. 14 des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 (BGBl. I Nr. 54) mit Wirkung vom 27. Februar 2024 geänderten Fassung können nicht nur Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz (Var. 1; vgl. hierzu im Einzelnen: Senatsbeschl. v. 27.2.2018 - 13 OA 40/18 -, AuAS 2018, 80 ff. - juris Rn. 5 ff. m.w.N.), sondern nunmehr auch Entscheidungen über Maßnahmen zum Vollzug der Abschiebungsandrohung (§ 34 AsylG) oder der Abschiebungsanordnung (§ 34a AsylG) nach dem Aufenthaltsgesetz (Var. 2) vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Ziel der Erweiterung des Beschwerdeausschlusses ist es, gesetzliche Regelungen, die Abschiebungsmaßnahmen verhindern oder zumindest erschweren, anzupassen und Rückführungen effektiver zu gestalten (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz), BT-Drs. 20/9463, S. 20).

Eine Maßnahme zum Vollzug der Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG oder der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG nach dem Aufenthaltsgesetz ist gemäß § 58 Abs. 1 AufenthG die Abschiebung. Entscheidungen über Maßnahmen zum Vollzug der Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG oder der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG nach dem Aufenthaltsgesetz im Sinne des § 80 Var. 2 AsylG sind daher auch gerichtliche Entscheidungen über Anträge eines Ausländers auf (einstweilige) Verpflichtung einer Ausländerbehörde zur Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wenn die Ausländerbehörde die Abschiebung auf der Grundlage einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG oder einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG vollzieht (vgl. Hessischer VGH, Beschl. v. 17.9.2024 - 3 B 1689/24 -, juris Rn. 4 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 27.8.2024 - 18 B 626/24 -, juris Rn. 9 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 26.8.2024 - 2 M 93/24 -, juris Rn. 4 f.; OVG Hamburg, Beschl. v. 23.7.2024 - 6 Bs 36/24 -, juris Rn. 9 f.; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 5.7.2024 - 12 S 821/24 -, juris Rn. 10 ff.; Bayerischer VGH, Beschl. v. 30.4.2024 - 19 CE 24.661-, juris Rn. 4 f.; a.A. Bayerischer VGH, Beschl. v. 19.3.2024 - 10 CE 24.374 -, juris Rn. 4 ff.). Hierfür ist es unerheblich, ob der Ausländer die Aussetzung der Abschiebung aus Gründen begehrt, die materiell-rechtlich im Aufenthaltsgesetz geregelt sind, die sich gegen die Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung richten oder die auf die Durchsetzung von Titelerteilungsansprüchen im Bundesgebiet gerichtet sind (vgl. Hessischer VGH, Beschl. v. 17.9.2024 - 3 B 1689/24 -, juris Rn. 4 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 27.8.2024 - 18 B 626/24 -, juris Rn. 63 ff.; OVG Hamburg, Beschl. v. 23.7.2024 - 6 Bs 36/24 -, juris Rn. 14; a.A. für die sog. Verfahrensduldung: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 5.7.2024 - 12 S 821/24 -, juris Rn. 16 ff.). Zwar liegt insoweit keine Rechtsstreitigkeit nach dem Asylgesetz im Sinne des § 80 Var. 1 AsylG vor. Der Beschwerdeausschluss nach § 80 Var. 2 AsylG verlangt das Vorliegen einer solchen Rechtsstreitigkeit nach dem Asylgesetz aber nicht. Zwar führen Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksachen 20/9463, 20/9642 - Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (BT-Drs. 20/10090, S. 22) aus, dass mit der Gesetzesänderung bewirkt wird, "dass bei Rechtsstreitigkeiten nach erfolglosem Asylverfahren, in denen die asylrechtliche Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnungen durch die zuständigen Behörden nach dem Aufenthaltsgesetz vollzogen werden und in denen der Streitgegenstand als asylrechtlich anzusehen ist, die Beschwerde vorbehaltlich der Anfechtung der Nichtzulassung der Revision ausgeschlossen ist" (Hervorhebung durch den Senat). Das Erfordernis eines asylrechtlichen Streitgegenstands hat im Wortlaut des § 80 Var. 2 AsylG aber keinerlei Niederschlag gefunden. Auch widerspräche es ersichtlich dem mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz verfolgten Ziel des Gesetzgebers. Letztlich würde ein solches Erfordernis den Sinn des Beschwerdeausschlusses nach § 80 Var. 2 AsylG entleeren, wäre bei Vorliegen eines asylrechtlichen Streitgegenstands und damit einer Rechtsstreitigkeit nach dem Asylgesetz doch bereits der seit jeher etablierte Beschwerdeausschluss nach § 80 Var. 1 AsylG einschlägig.

Nach diesem Maßstab ist die Beschwerde hier nach § 80 Var. 2 AsylG ausgeschlossen. Nach den Feststellungen in der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung vollzieht der Antragsgegner als Ausländerbehörde ausschließlich vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gegenüber den Antragstellern erlassene asylrechtliche Entscheidungen im Sinne des § 80 Var. 2 AsylG (vgl. Beschl. v. 16.10.2024, S. 2 f.). Die Antragsteller begehren die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit (vgl. Beschl. v. 16.10.2024, S. 3 f.).

Der danach gegebene Beschwerdeausschluss des § 80 AsylG wird hier auch nicht ausnahmsweise nach § 133 Abs. 1 VwGO überwunden. Denn die Antragsteller wenden sich nicht gegen eine Nichtzulassung der Revision im Sinne dieser Vorschrift.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO.

3. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG sowie Nrn. 8.3 und 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

II. 13 PA 202/24

1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 13. Kammer - vom 16. Oktober 2024 bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Auch diese Beschwerde ist - entsprechend der richtigen Rechtsmittelbelehrung in der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung - nach § 80 AsylG ausgeschlossen und daher unstatthaft. Denn der Beschwerdeausschluss nach § 80 AsylG erfasst auch alle gerichtlichen Entscheidungen in selbständigen und unselbständigen Nebenverfahren im Zusammenhang mit dem Asylgerichtsverfahren, wie etwa die Verfahrenseinstellung, Kostenentscheidung, Gegenstandswertfestsetzung, (Teil-)Versagung von Prozesskostenhilfe, Aussetzung und Ruhensanordnung, Richterablehnung, Zeugen- und Sachverständigenentschädigung, Zurückweisung der Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung, selbst wenn diese Entscheidungen - in Ergänzung des Asylgesetzes - ihre Rechtsgrundlage in anderen Gesetzen (z.B. VwGO, GKG, RVG, ZPO) haben (vgl. Senatsbeschl. v. 27.2.2018 - 13 OA 40/18 -, AuAS 2018, 80 ff. - juris Rn. 3).

2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO sowie § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO. Ein Streitwert ist nicht festzusetzen. Für die Höhe der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens gilt der streitwertunabhängige Kostentatbestand in Nr. 5502 der Anlage 1 (Kostenverzeichnis) zum Gerichtskostengesetz (vgl. zur Entstehung von Gerichtskosten bei Zurückweisung einer PKH-Beschwerde: Senatsbeschl. v. 28.3.2019 - 13 PA 65/19 -, juris Rn. 3).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).