Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.10.2024, Az.: 7 ME 49/24

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
04.10.2024
Aktenzeichen
7 ME 49/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 23763
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:1004.7ME49.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 29.07.2024 - AZ: 2 B 229/24

Amtlicher Leitsatz

Begehrt der Rechtsschutzsuchende in der Hauptsache die dauerhafte oder jedenfalls einen längeren Zeitraum umfassende, ihn begünstigende Änderung eines Sachverhalts und zielt er vor diesem Hintergrund im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes darauf ab, die mit der Hauptsache verfolgte Begünstigung für einen Teilzeitraum, nämlich bis zur Entscheidung über die Hauptsache, zugesprochen zu bekommen, besteht hierin im Grundsatz keine Vorwegnahme der Hauptsache, sondern liegt vielmehr der im Gesetz ausdrücklich vorgesehene Fall der Rechtsschutzgewährung vor. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist erst dann gegeben, wenn die begehrte vorläufige Entscheidung faktisch mit der Hauptsacheentscheidung identisch wäre.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 2. Kammer - vom 29. Juli 2024 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird unter Änderung der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Streitwertfestsetzung für beide Rechtszüge auf je 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 29. Juli 2024, mit dem dieses dessen Antrag auf einstweilige weitere Zulassung als Aeromedical Examiner (AME) abgelehnt hat, nachdem zuvor das Luftfahrt-Bundesamt mit Bescheid vom 11. Juni 2024 einen Antrag des Antragstellers auf Verlängerung der zuvor bestehenden und im Januar 2024 ausgelaufenen Anerkennung als AME abschlägig beschieden hatte, hat keinen Erfolg.

Der Antragsteller war langjährig als AME anerkannt, zuletzt im Hinblick auf Tauglichkeitszeugnisse der Klassen 1 und 2 sowie Light Aircraft Pilot Licenses (LAPL). Seine Anerkennung war bis zum 31. Januar 2024 befristet. Unter dem 4. November 2023 stellte der Antragsteller beim Luftfahrt-Bundesamt einen Antrag auf (erstmalige) Anerkennung als AME für die vorgenannten Tauglichkeitsklassen. Nachdem er vom Luftfahrt-Bundesamt darauf aufmerksam gemacht worden war, dass er den offenbar beabsichtigten Verlängerungsantrag auf dem hierfür vorgesehenen Vordruck stellen müsse, nahm der Antragsteller seinen ursprünglichen Antrag zurück und stellte am 21. November 2023 einen Antrag auf Verlängerung der Anerkennung (datiert auf den 4. November 2023). Auf den noch am gleichen Tag ergangenen Hinweis des Eufach0000000007es auf den fehlenden Nachweis von 4,5 Fortbildungsstunden übersandte der Antragsteller einen solchen am 4. Januar 2024. Im Weiteren informierte das Luftfahrt-Bundesamt den Antragsteller darüber, dass im Zuge einer Überprüfung des Zeitraums vom 31. Januar 2022 bis zum 21. Januar 2024 eine Vielzahl an Auffälligkeiten bei den Untersuchungstätigkeiten des Antragstellers aufgetreten sei. Eine Auflistung dieser Auffälligkeiten ließ das Luftfahrt-Bundesamt dem Antragsteller mit Schreiben vom 6. Februar 2024 zukommen. Der Antragsteller nahm zu dieser Auflistung mit Schreiben seines nunmehrigen Prozessbevollmächtigten vom 21. Februar und 1. März 2024 Stellung. Am 15. März 2024 hat er vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig (Untätigkeits-) Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Unter dem 27. Mai 2024 hat er den hier streitgegenständlichen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Mit Bescheid vom 11. Juni 2024 hat die Beklagte den Antrag auf Verlängerung der Anerkennung als AME abgelehnt und ihre Entscheidung auf die mit dem Schreiben vom 6. Februar 2024 übermittelten Auffälligkeiten gestützt. Hiergegen hat der Antragsteller unter dem 3. Juli 2024 Widerspruch erhoben.

Die Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg, weil es jedenfalls an dem für den Erlass einer einstweiligen (Regelungs-) Anordnung erforderlichen Anordnungsgrund fehlt.

Anders als das Verwaltungsgericht sieht der Senat zwar nicht, dass der Antragsteller eine Vorwegnahme der Hauptsache anstrebte und vor diesem Hintergrund qualifizierte Anforderungen zu stellen wären. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Begehrt der Rechtsschutzsuchende in der Hauptsache die dauerhafte oder jedenfalls einen längeren Zeitraum umfassende, ihn begünstigende Änderung eines Sachverhalts und zielt er vor diesem Hintergrund im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes darauf ab, die mit der Hauptsache verfolgte Begünstigung - einstweilen - für einen Teilzeitraum, nämlich bis zur Entscheidung über die Hauptsache, zugesprochen zu bekommen, besteht hierin im Grundsatz keine Vorwegnahme der Hauptsache, sondern liegt vielmehr der im Gesetz ausdrücklich vorgesehene Fall der Rechtsschutzgewährung vor (vgl. jeweils für ein Aussetzungsbegehren: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31.03.2003 - 2 BvR 1779/02 -, juris; Kammerbeschluss vom 17.06.1999 - 2 BvR 1454/98 -, juris; Hessischer VGH, Beschluss vom 20.12.2022 - 9 B 1253/22.T -, juris). Eine qualitative oder zeitliche teilweise Überschneidung des Begehrens im einstweiligen Rechtsschutz mit demjenigen in der Hauptsache ist jedenfalls der Regelungsanordnung gerade wesenseigen (vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: Januar 2024, § 123 VwGO, Rn. 88; Adelheid/Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 123, Rn. 104; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, 29. Aufl. 2023, § 123, Rn. 14). Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist erst dann gegeben, wenn die begehrte vorläufige Entscheidung faktisch mit der Hauptsacheentscheidung identisch wäre (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31.03.2003 - 2 BvR 1779/02 -, juris).

Vorliegend ist der Antrag des Antragstellers darauf gerichtet, dass ihm "bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache gestattet [wird], die Tätigkeit als flugmedizinischer Sachverständiger (AME) für die Klassen 1, 2 und LAPL mit einer Untersuchungsstelle in A-Stadt, A-Straße, auszuüben." Da der Antrag nicht auf die einstweilige Gewährung der Anerkennung gerichtet ist, liegt schon nahe, dass zwischen dem Begehren in der Hauptsache und demjenigen im einstweiligen Rechtsschutz ein qualitativer Unterschied besteht. Dies kann indes dahinstehen: Selbst wenn man den Antrag dahingehend verstehen wollte, dass eine einstweilige Gewährung der Anerkennung gewünscht ist, zielte er lediglich auf eine "temporäre Vorwegnahme der Hauptsache" und damit gerade auf den ausdrücklich in § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorgesehen Fall der Rechtsschutzgewährung.

Gleichwohl fehlt es an einem Anordnungsgrund. Auch wenn man den vom Verwaltungsgericht angelegten qualifizierten Maßstab außer Betracht lässt, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass ihm wesentliche Nachteile drohten oder der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung aus anderen - ebenso gewichtigen - Gründen erforderlich wäre. Der Antragsteller führt an, er nehme mit der Durchführung flugmedizinischer Untersuchungen jährlich etwa 5.000,00 EUR ein. Dass der (vorläufige) Verlust dieser Einnahmen nicht existenzbedrohend wirkt, liegt nahe, wird von ihm aber auch ausdrücklich eingeräumt. Nicht außer Betracht bleiben kann in diesem Zusammenhang zudem, dass der Antragsteller, sollte er sich in der Hauptsache gegen die Antragsgegnerin durchsetzen, die Möglichkeit hätte, einen entgangenen Gewinn im Wege eines Amtshaftungsanspruches gegen die Antragsgegnerin geltend zu machen. Nicht von der Hand zu weisen ist zwar die Befürchtung des Antragstellers, dass einige der Personen, die sich bisher für die Durchführung der flugmedizinischen Untersuchung an ihn gewandt haben, dauerhaft umorientieren und die Dienste eines anderen AME in Anspruch nehmen könnten. Mit dem Antragsteller geht der Senat davon aus, dass sich insoweit Darlegungs- und ggf. Beweisschwierigkeiten im Zuge der Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruches ergeben könnten. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Antragsteller bisher ganz überwiegend flugmedizinische Untersuchungen für die Tauglichkeit der Klasse 2 vorgenommen hat (in der vom Luftfahrt-Bundesamt mit Schreiben vom 6. Februar 2024 übersandten Liste für den Zeitraum vom 31. Januar 2022 bis zum 21. Januar 2024: 152 Tauglichkeitsuntersuchungen, davon 3 mal Klasse 1, 111 mal Klasse 2, 38 mal LAPL) und die zeitlichen Abstände der regelmäßig erforderlichen flugmedizinischen Untersuchungen für die Tauglichkeitsklasse 2 bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres 60 Monate, zwischen dem 40. und dem 50. Lebensjahr 24 Monate und erst nach Vollendung des 50. Lebensjahres zwölf Monate betragen (LAPL: 60 Monate bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres, danach 24 Monate; MED.A.045 a) (3) und (4) Anhang IV der VO (EU) 1178/2011), stuft der Senat das Risiko eines dauerhaften "Abwanderns" einer substantiellen Anzahl von Kunden jedoch als moderat ein. Hinzu kommt, dass im Rahmen der Prüfung des Anordnungsgrundes nicht allein die den Antragsteller treffenden Nachteile betrachtet werden müssen, sondern auch die im Falle des Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung drohenden Risiken in den Blick zu nehmen sind (vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: Januar 2024, § 123 VwGO, Rn. 82). Mit der unter dem 6. Februar 2024 übersandten Beanstandungsliste hält das Luftfahrt-Bundesamt dem Antragsteller teils gravierende Mängel der flugmedizinischen Untersuchungen vor. Sollten diese tatsächlich bestehen, sich in der Tätigkeit des Antragstellers künftig fortsetzen oder wiederholen und sollte den betroffenen Kunden im Ergebnis - und sei es nur im Einzelfall - unzutreffend die flugmedizinische Tauglichkeit bestätigt werden, hätte dies entgegen der Behauptung des Antragstellers unmittelbare Auswirkungen auf die Flugsicherheit. Im Verhältnis zu diesem potentiellen Risiko ist dem Antragsteller die Hinnahme der von ihm dargelegten Nachteile zumutbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG und Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11). Da eine Vorwegnahme der Hauptsache aus den aufgezeigten Gründen nicht vorliegt oder zu erwarten ist, wird von einer Erhöhung des Streitwertes nach Maßgabe des Satzes 2 der Nr. 1.5 des Streitwertkataloges abgesehen und ist die erstinstanzliche Entscheidung entsprechend zu ändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).