Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.10.2015, Az.: 4 PA 310/15
Amtsermittlung; Beweis; Darlegung; Feststellung; Mitwirkung; Möglichkeit; Vaterschaft; Zumutbarkeit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 26.10.2015
- Aktenzeichen
- 4 PA 310/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 45121
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 25.09.2015 - AZ: 3 A 136/15
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs 3 UVG
- § 86 Abs 1 S 1 Halbs 1 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Für den Fall, dass sich eine Kindesmutter darauf beruft, dass ihr die Mitwirkung an der Feststellung der Vaterschaft nicht möglich oder nicht zumutbar ist, trifft § 1 Abs. 3 UVG keine prozessuale Sonderregelung zu § 86 Abs. 1 Halbs. 1 VwGO, die die Rechtsfindung des Verwaltungsgerichts in tatsächlicher Hinsicht auf die Würdigung der von der Kindesmutter beigebrachten Beweismittel beschränkt.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 3. Kammer - vom 25. September 2015 geändert.
Der Klägerin wird für das Verfahren im ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt C., D., beigeordnet.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens, in dem keine Gerichtskosten anfallen, werden nicht erstattet.
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Denn die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind gegeben, und entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts hat die Rechtsverfolgung der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs auch hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Letzteres setzt voraus, dass der von der unbemittelten Partei eingenommene Rechtsstandpunkt bei summarischer Prüfung zumindest vertretbar erscheint und sich die Erfolgsaussichten daher als offen darstellen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 8.3.1999 - 6 B 121.98 -, NVwZ-RR 1999, 587; Senatsbeschl. v. 5.10.2015 - 4 PA 277/15 -; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 166 Rdnr. 8 m.w.N.). Das ist hier der Fall.
Die Erfolgsaussichten der Klage, mit der die Klägerin Unterhaltsvorschussleistungen für ihr Kind E. F. begehrt, sind offen, weil über die streitentscheidende Frage, ob dem geltend gemachten Anspruch § 1 Abs. 3 UVG entgegensteht, nicht ohne Einholung eines nervenärztlichen Sachverständigengutachtens abschließend entschieden werden kann. Nach der genannten Vorschrift besteht der Anspruch auf Unterhaltsleistung u.a. dann nicht, wenn der Elternteil, bei dem das Kind lebt, sich weigert, bei der Feststellung der Vaterschaft mitzuwirken. Diese gesetzliche Mitwirkungsobliegenheit der Mutter besteht allerdings nur im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren, wobei sich die Frage, was der Mutter möglich und zumutbar ist, nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.11.1991 - 5 C 13.87 -; BVerwGE 89, 192; Urt. v. 16.5.2013 - 5 C 82.12 -, NJW 2013, 111; siehe auch BT-Drs. 8/1952, S. 7). Im vorliegenden Fall bestehen aufgrund des Umstandes, dass für die Klägerin bereits seit Jahren eine Betreuung mit einem sehr umfangreichen Aufgabenkreis eingerichtet ist und ihr in den einzelnen vom Betreuungsgericht in Auftrag gegebenen nervenfachärztlichen Gutachten bereits mehrfach mit ähnlichen Formulierungen eine intellektuelle Grenzbegabung, deutliche Auffälligkeiten im Bereich ihrer Persönlichkeit mit verminderter Kritik- und Urteilsfähigkeit, beschönigenden Tendenzen, verminderter Selbstreflexion, Unreife, verminderter Frustrationstoleranz und Absprachefähigkeit sowie einem gestörten Recht- und Unrechtempfinden attestiert worden sind, erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin aufgrund ihrer psychischen Dispositionen eine Mitwirkung bei der Feststellung des Vaters ihres Kindes nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Diesen Anhaltspunkten wird das Verwaltungsgericht, das gemäß der Begründung des angefochtenen Beschlusses bei dieser Sachlage selbst ausdrücklich nicht ausschließen will, dass die Klägerin tatsächlich nicht in der Lage ist, sinnvoll an der Vaterschaftsfeststellung mitzuwirken, im Rahmen der Amtsermittlung durch Einholung eines Fachgutachtens nachzugehen haben. Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin eine umfassende Darlegungs- und Beweisführungspflicht für die Umstände hat, aus denen sich für sie die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Mitwirkung an der Vaterschaftsfeststellung ergibt, teilt der Senat nicht. Im Hinblick darauf, dass etwaige Zweifel an der individuellen Fähigkeit der Kindesmutter zur Mitwirkung an der Vaterschaftsfeststellung in aller Regel - und auch hier - auf Umständen aus ihrer Lebenssphäre beruhen, mag es zwar angehen, der Mutter eine Mitwirkungsobliegenheit bei der Aufklärung des Sachverhalts zuzuweisen. Abgesehen davon, dass auch diese Mitwirkungsobliegenheit nur im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren bestehen dürfte, geben Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 1 Abs. 3 UVG (vgl. die amtliche Begründung des zugrunde liegenden Gesetzentwurfs in BT-Drs. 8/1952, S. 7) aber keine Hinweise darauf, dass die Vorschrift eine prozessuale Sonderregelung zu § 86 Abs. 1 Satz 1 Halb. 1 VwGO darstellen soll, mit der die Rechtsfindung des Verwaltungsgerichts in tatsächlicher Hinsicht auf die Würdigung der von der Kindesmutter beigebrachten Beweismittel beschränkt wird.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet. Gerichtskosten fallen für die erfolgreiche Beschwerde nicht an (vgl. Ziffer 5502 des Kostenverzeichnisses in Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).