Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 16.01.2014, Az.: 10 UF 80/13

Voraussetzungen für die Beibehaltung der Alleinsorge seitens der mit dem Kindesvater nicht verheirateten Kindesmutter; Möglichkeit zur Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf den Kindesvater

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
16.01.2014
Aktenzeichen
10 UF 80/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 10746
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2014:0116.10UF80.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 06.03.2013

Fundstellen

  • JAmt 2014, 281-282
  • NJW 2014, 1309-1311
  • ZKJ 2014, 206-208

Amtlicher Leitsatz

1. Mit dem Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern vom 16. April 2013 (BGBl. I S. 795) hat der Gesetzgeber dem gesetzlichen Leitbild der gemeinsamen elterliche Sorge Geltung verschafft. Danach erfordert eine Beibehaltung der Alleinsorge der mit dem Kindesvater nicht verheirateten Kindesmutter über eine schwerwiegende und nachhaltige Störung der elterlichen Kommunikation hinaus die Feststellung, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind erheblich belastet würde, wenn seine Eltern gezwungen würden, die elterliche Sorge gemeinsam zu tragen. Insofern reichen weder die bloße Ablehnung der gemeinsamen elterlichen Sorge durch die Kindesmutter noch selbst manifest gewordene Kommunikationsschwierigkeiten der Kindeseltern als solche aus.

2. Diese Kriterien gelten auch im Rahmen der Prüfung, ob die elterliche Sorge oder Teile hiervon nach § 1671 Abs. 2 S. 1 und S. 2 Nr. 2 BGB n.F. auf den Kindesvater allein zu übertragen ist.

Tenor:

I. Auf die Beschwerde des Kindesvaters wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 6. März 2013 in Ziffer 1 geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Gesundheitssorge für E., geb. am .... 1996, wird auf den Kindesvater allein übertragen.

II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten zu 1 und 2 sind die nicht miteinander verheirateten Eltern der am ... 1996 geborenen Tochter E. und des am ..... geborenen Sohnes R. Sie führten von 1996 bis 2001 eine nichteheliche Partnerschaft, die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder hat bislang die Kindesmutter allein inne. Beide Elternteile bewohnen aneinander angrenzende Doppelhaushälften in H.

Mit dem vorliegenden, im April 2012 eingeleiteten Verfahren begehrte der Kindesvater die Miteinräumung der elterlichen Sorge für beide Kinder sowie die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für beide Kinder auf sich allein. Das Amtsgericht hat den Kindern einen Verfahrensbeistand bestellt, das Jugendamt beteiligt und sämtliche Beteiligten einschließlich der Kinder persönlich angehört. Im Rahmen der mündlichen Erörterung vom 26. Februar 2013 vereinbarten die Kindeseltern eine sechsmonatige Erprobung eines Wechselmodells mit nunmehr wöchentlich wechselndem Aufenthalt der Kinder, nachdem zuvor ein halbwöchentlicher Wechsel aufgrund einer Vereinbarung in einem vorangegangenen Umgangsverfahren (.....) gehandhabt wurde. Darüber hinaus einigten sich die Kindeseltern auf eine Vollmachtserteilung zu Gunsten des Kindesvaters für den Bereich der schulischen Angelegenheiten beider Kinder sowie auf verschiedene begleitende Regelungen betreffend den Kindesunterhalt. Keine Einigung konnten die Kindeseltern hinsichtlich der Wahrnehmung der Gesundheitssorge für die Tochter E., die an dem sogenannten Nephrotischen Syndrom leidet, erzielen.

Mit Beschluss vom 6. März 2013, auf den zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, traf das Amtsgericht daraufhin eine Teilentscheidung betreffend die Gesundheitssorge für E., in der es den Antrag des Kindesvaters, diese auf beide Elternteile gemeinsam, hilfsweise auf ihn allein zu übertragen, zurückwies. Zur Begründung führte es aus, die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 21. Juli 2010 (1 BvR 420/09) erforderliche Voraussetzung, dass zu erwarten sei, dass eine Übertragung der elterlichen Sorge auf beide Elternteile gemeinsam dem Kindeswohl entspreche, liege hier nicht vor. Nach dem Ergebnis der Anhörung stehe fest, dass beide Elternteile nicht in der Lage seien, sich über die medizinische Behandlung ihrer Tochter abzustimmen und zu gemeinsamen Entscheidungen zu gelangen. Während die Kindesmutter im Wesentlichen eine Behandlung nach den Vorgaben der Schulmedizin, insbesondere den Behandlungsschemata zur Cortisonbehandlung, befürworte, halte der Kindesvater eine geringere Dosierung der Cortisonpräparate in Verbindung mit homöopathischen Mitteln zur Stärkung des Immunsystems für ausreichend. Da es den Kindeseltern jedoch bislang nicht gelungen sei, zu einer gemeinsamen Sichtweise zu gelangen, sei nicht erkennbar, wie die elterliche Sorge in diesem Bereich künftig gemeinsam ausgeübt werden könne. Eine Übertragung gar auf den Kindesvater allein gemäß §§ 1680 Abs. 2 S. 2, Abs. 3, 1666 BGB komme ebenfalls nicht in Betracht, denn eine hierfür erforderliche konkrete Kindeswohlgefährdung bei Wahrnehmung der Gesundheitssorge weiterhin durch die Kindesmutter sei nicht erkennbar. Auch der Umstand, dass E. selbst sich eine Wahrnehmung der Gesundheitssorge durch ihren Vater wünsche, führe nicht zur Annahme einer Kindeswohlgefährdung durch die Mutter.

Gegen diese ihm am 12. März 2013 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 4. April 2013 beim Amtsgericht eingegangene Beschwerde des Kindesvaters, mit der dieser sein erstinstanzliches Rechtsschutzbegehren weiterverfolgt. Er rügt, dass E.'s Wille, der eindeutig geäußert worden sei, übergangen worden sei. Um sich über diesen hinwegsetzen zu können, habe das Amtsgericht den Sachverhalt durch Einholung eines Sachverständigengutachtens weiter aufklären müssen. Stattdessen habe das Amtsgericht die Angaben der Kindesmutter, ohne diese zu hinterfragen, zugrunde gelegt und sich mit den fachlichen Einschätzungen des Kindesvaters, der sich mittlerweile bezüglich der Behandlung des Nephrotischen Syndroms sachkundig gemacht habe, nicht auseinander gesetzt. Seiner Auffassung nach müsse hier auch deshalb eine so geringe Cortisongabe wie möglich erfolgen, um E. die Möglichkeit offenzuhalten, über ihre Medikation selbst zu entscheiden, wenn sie demnächst volljährig werde; dies sei aber nicht mehr möglich, wenn durch eine verfrühte Gabe höherer Cortisondosen, die zudem mit problematischeren Nebenwirkungen verbunden seien, infolge eines Gewöhnungseffekts vollendete Tatsachen geschaffen würden.

Die Kindesmutter verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Der Senat hat die Beteiligten einschließlich E. persönlich angehört. Auf das Protokoll der Anhörung vom 26. November 2013 wird Bezug genommen.

II.

1. Die zulässige, insbesondere statthafte und form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde hat in der Sache dahingehend Erfolg, dass auf den Hilfsantrag des Kindesvaters die Gesundheitssorge für E. gemäß § 1671 Abs. 2 S. 1 und S. 2 Nr. 2 BGB in der seit dem 19. Mai 2013 geltenden neuen Fassung nunmehr auf den Kindesvater allein zu übertragen ist. Denn eine gemeinsame Ausübung dieses Teilbereichs der elterlichen Sorge kommt zur Überzeugung des Senats nicht in Betracht, und es steht zu erwarten, dass die Übertragung der Gesundheitssorge für Elida auf den Kindesvater dem Kindeswohl am besten entspricht.

a) Durch das am 19. Mai 2013 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern vom 16. April 2013 (BGBl. I S. 795) hat nunmehr der Gesetzgeber die Bestimmungen, unter denen nicht miteinander verheiratete Eltern die elterliche Sorge vollständig oder teilweise gemeinsam ausüben können oder aber diese gar auf den Kindesvater allein zu übertragen ist (vgl. insbesondere die §§ 1626a, 1671 f., 1680 BGB a.F.), umfassend neu geregelt. Dabei wurde insbesondere auch die durch die genannte Entscheidung des BVerfG (Beschluss vom 21. Juli 2010 - 1 BvR 420/09 - BVerfGE 127, 132 ff., 160 ff. = FamRZ 2010, 1403 ff. = NJW 2010, 3008 ff. [BVerfG 21.07.2010 - 1 BvR 420/09]) geschaffene vorläufige Regelung abgelöst. Mangels entgegenstehender diesbezüglicher Überleitungsvorschrift sind die neuen gesetzlichen Regelungen auch in vor dem 19. Mai 2013 bereits anhängig gewordenen gerichtlichen Verfahren - wie hier der Fall - anzuwenden (vgl. die amtliche Begründung zu Art. 7 des genannten Gesetzes BT-Drucksache 17/11048, S. 25, sowie den neu eingefügten Art. 229 § 30 EGBGB).

b) Nach den für die hier zu treffende Beschwerdeentscheidung folglich nun-mehr maßgeblich gewordenen neuen gesetzlichen Regelungen ist die elterliche Sorge oder ein Teilbereich hiervon den nicht miteinander verheirateten Kindeseltern gemeinsam zu übertragen, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht (§ 1626a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB n.F.). Der gegenüber der einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 veränderte Wortlaut verleiht in Gestalt der nunmehr maßgeblichen negativen Kindeswohlprüfung einem neuen Leitbild gesetzlicher Sorgegemeinsamkeit (BT-Drucks. 17/11048, S. 17; Palandt73-Götz, BGB, § 1626a Rn. 2) Ausdruck. Danach geht die neue gesetzliche Konzeption nunmehr davon aus, dass die gemeinsame elterliche Sorge grundsätzlich den Bedürfnissen des Kindes nach Beziehungen zu beiden Elternteilen entspricht und ihm verdeutlicht, dass beide Eltern gleichermaßen bereit sind, für das Kind Verantwortung zu tragen (BT-Drucks. 17/11048, S. 17; BVerfG, Urteil vom 29. Januar 2003 - 1 BvL 20/99 und 1 BvR 933/01 - BVerfGE 107, 150 ff., 169 = FamRZ 2003, 285 ff. = NJW 2003, 955 ff.).

c) Gemäß § 1671 Abs. 2 S. 1 und S. 2 BGB n.F. kann bei dauerhaftem Getrenntleben der Eltern und bisher bestehender Alleinsorge der mit dem Vater nicht verheirateten Mutter die elterliche Sorge ganz oder teilweise diesem auf seinen Antrag hin allein übertragen werden, wenn entweder die Mutter zustimmt (S. 2 Nr. 1) oder die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass die Übertragung (dieses Teilbereichs) der elterlichen Sorge auf den Vater dem Kindeswohl am besten entspricht (S. 2 Nr. 2). Anders als nach der der erstinstanzlichen Entscheidung noch zugrundeliegenden Rechtslage setzt die Übertragung auf den Kindesvater allein also nicht mehr voraus, dass die elterliche Sorge insoweit der Kindesmutter gemäß § 1666 BGB entzogen wird mit der Folge, dass sie gemäß 1680 Abs. 2 S. 2 i.V. mit Abs. 3 BGB a.F. dem Kindesvater zusteht. Zur Eröffnung der Prüfung, ob eine Übertragung auf den Kindesvater vorzunehmen ist, bedarf es mithin einer Kindeswohlgefährdung bei Fortbestand der Alleinsorge der Mutter nicht mehr.

Entscheidend ist vielmehr, ob eine gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge (insoweit) im Hinblick auf das Kindeswohl ausscheidet (BT-Drucks. 17/11048, S. 20). Zwar setzt die gemeinsame Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung nach der Rechtsprechung des BVerfG eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus und erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen (BVerfG, Urteil vom 29. Januar 2003 - 1 BvL 20/99 und 1 BvR 933/01 - BVerfGE 107, 150 ff., 169). Angesichts des vom Gesetzgeber nunmehr zugrunde gelegten Leitbildes der gemeinsamen elterliche Sorge reichen daher weder deren bloße Ablehnung seitens der Kindesmutter noch selbst manifest gewordene Kommunikationsschwierigkeiten der Kindeseltern als solche aus, um es bei der Alleinsorge der Mutter zu belassen. Da Verständigungsprobleme im Zuge einer Trennung von Kindeseltern vielfach auftreten, erfordert eine Beibehaltung der Alleinsorge eine schwerwiegende und nachhaltige Störung der elterlichen Kommunikation, die befürchten lässt, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind folglich erheblich belastet würde, wenn seine Eltern gezwungen wären, die elterliche Sorge gemeinsam zu tragen (BT-Drucks. 17/11048, S. 20).

d) Diese Erwägungen gelten gleichermaßen bei der Entscheidung, ob die gemeinsame elterliche Sorge der nicht miteinander verheirateten Eltern herzustellen oder aber diese nunmehr auf den Kindesvater allein zu übertragen ist. Denn angesichts des jetzt gesetzlich zugrunde gelegten Leitbildes der gemeinsamen elterlichen Sorge sind an die Beurteilung, ob eine gemeinsame Ausübung der elterlichen Verantwortung ausscheidet, die gleichen hohen Anforderungen zu stellen. Dies gilt umso mehr, als durch einen Wechsel der elterlichen Sorge von der Mutter auf den Vater zudem das Bedürfnis des Kindes nach Stabilität und Kontinuität berührt wird (BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010 - 1 BvR 420/09 - BVerfGE 127, 132 ff., 160 ff.; BT-Drucks. 17/11048, aaO.).

e) Soweit es die dem Senat allein angefallene Entscheidung betreffend die Gesundheitssorge für die Tochter E. betrifft, ist eine hinreichende Aussicht, dass die Kindeseltern in diesem Teilbereich der elterlichen Sorge zu einer konstruktiven gemeinsamen Entscheidungsfindung - insbesondere hinsichtlich der medizinischen Behandlung der Nierenerkrankung der Tochter - in der Lage sind, bevor diese das 18. Lebensjahr vollendet, allerdings nicht mehr erkennbar. Nach dem Eindruck, den der Senat aus der persönlichen Anhörung der Kindeseltern gewonnen hat, stehen sich diese in dieser Frage mit gegensätzlichen Auffassungen gegenüber, ohne dass insoweit eine Einigung über das weitere Vorgehen abzusehen wäre.

f) Dagegen hat E. selbst in ihrer persönlichen Anhörung gegenüber dem gesamten Senat klar und in nachvollziehbarer Weise erklärt, dass und weshalb sie möchte, dass künftig ihr Vater die im vorgenannten Fragenkreis auftretenden Ent-scheidungen treffe. Diesem unzweideutig zum Ausdruck gebrachten Willen der Jugendlichen, der zur Überzeugung des Senats auch authentisch ist und keinen Widerspruch zum objektiven Kindeswohlinteresse erkennen lässt, kommt im vor-liegenden Fall umso größeres Gewicht zu, als E. bereits das siebzehnte Lebensjahr vollendet hat und mit dem Umgang mit ihrer Erkrankung nach dem Eindruck des Senats auch altersentsprechend vertraut ist. Da sie in wenigen Monaten infolge ihrer eintretenden Volljährigkeit ohnehin selbst vollumfänglich selbst entscheiden können wird, vermag auch der Grundsatz der Kontinuität hier keine ihrem Willen entgegenstehende Entscheidung über die elterliche Sorge zu rechtfertigen.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände entspricht es dem Wohl der Tochter E. am besten, die Gesundheitssorge für sie dem Kindesvater allein zu übertragen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 80, 81 Abs. 1 FamFG, die Festsetzung des Beschwerdewerts auf § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.