Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.05.2014, Az.: 10 UF 91/14

Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht verheirateter Eltern wegen schwerer Straftaten des Kindesvaters zum Nachteil der Kindesmutter

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.05.2014
Aktenzeichen
10 UF 91/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 18612
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2014:0519.10UF91.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 07.03.2014

Fundstellen

  • FF 2014, 422
  • FamRB 2014, 328
  • FamRZ 2014, 1856
  • FuR 2014, 728-729
  • FuR 2015, 114
  • MDR 2014, 903
  • ZAP EN-Nr. 516/2014
  • ZKJ 2015, 74-75

Amtlicher Leitsatz

Auch nach Erlaß des Gesetzes zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern vom 16. April 2013 und unter Geltung des gesetzgeberischen Leitbildes der gemeinsamen elterlichen Sorge kommt deren Aufhebung etwa dann in Betracht, wenn ein Elternteil wegen schwerer Straftaten zum Nachteil des anderen (hier: mehrfache Körperverletzung und Vergewaltigung) rechtskräftig verurteilt ist und die entsprechenden Taten nach wie vor in Abrede nimmt.

Tenor:

1. Dem Kindesvater wird die für das Beschwerdeverfahren nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe (VKH) versagt.

2. Die Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 7. März 2014 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren: 3.000 €.

Gründe

I.

Die beteiligten Eltern der 2007 bzw. 2008 geborenen betroffenen Kinder sind und waren nicht verheiratet; sie übten bislang die elterliche Sorge gemeinsam aus. Letzteres beruhte für den 2007 geborenen C. auf der Maßgeblichkeit des französischen Rechts und für die 2008 geborene N. auf entsprechenden Sorgeerklärungen beider Elternteile.

Im vorliegenden, im Mai 2012 eingeleiteten Verfahren hat die Kindesmutter die Übertragung der elterlichen Sorge allein auf sich begehrt. Der Kindesvater erstrebt die Beibehaltung der gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge und will nach seiner für August 2014 anstehenden Haftentlassung auch in die Betreuung der Kinder eingebunden werden.

Hintergrund der Auseinandersetzung ist im wesentlichen die am 1. August 2011 erfolgte Vergewaltigung der Kindesmutter durch den Vater, der deswegen am 3. August 2011 vorläufig festgenommen wurde und sich seitdem in Untersuchungs- bzw. Strafhaft befindet. Seine am 9. März 2012 erfolgte (erste) Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 2 Monaten wurde durch Beschluß des Bundesgerichtshofes vom 13. November 2012 im Schuldspruch teilweise geändert und im Ausspruch über die Einzelstrafe in einem der drei Tatkomplexe sowie über die Gesamtstrafe aufgehoben und insofern zur Neuverhandlung zurückverwiesen. Mit Urteil vom 14. Februar 2013 wurde er sodann letztlich wegen Vergewaltigung und Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die dagegen erneut eingelegte Revision ist durch Beschluß vom 20. August 2013 verworfen worden. Nachdem die zuständige Strafvollstreckungskammer mit Beschluß vom 15. Oktober 2013 eine vorzeitige Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt hat, steht die Haftentlassung des Kindesvaters am 2. August 2014 an. Der Kindesvater nimmt die der Verurteilung zugrundeliegenden Taten nach wie vor in Abrede, so etwa im Rahmen seiner Anhörung zur vorzeitigen Bewährungsaussetzung wie auch im vorliegenden Verfahren.

Zwischen den Kindeseltern besteht seit der Inhaftierung des Kindesvaters keinerlei Kontakt; hinsichtlich des Aufenthalts der Kindesmutter und der Kinder besteht eine Auskunftssperre. Hinsichtlich des vom Kindesvater erstrebten Umgangs mit beiden Kindern, der seit der Inhaftierung nicht stattgefunden hat, wird beim Amtsgericht ein gesondertes Verfahren geführt.

Das Amtsgericht hat für die Kinder einen Verfahrensbeistand bestellt, das zuständige Jugendamt beteiligt und die Beteiligten persönlich angehört. Im Rahmen des Verfahrens sind insbesondere auch die strafrechtlichen Entscheidungen sowie zahlreiche Stellungnahmen von mit den Kindern in Kontakt stehenden Einrichtungen einbezogen worden. Mit Beschluß vom 7. März 2014, auf den auch zur weiteren Sachdarstellung ergänzend Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht schließlich entsprechend der Empfehlung auch des Verfahrensbeistandes und des Jugendamtes die elterliche Sorge für die beiden Kinder allein der Kindesmutter übertragen. Dabei ist es davon ausgegangen, daß nach den Vorfällen insbesondere am 1. August 2011 ein Zusammenwirken der Eltern im Rahmen einer gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge ausgeschlossen sei.

Gegen diesen, ihm am 18. März 2013 zugestellten Beschluß hat der Antragsgegner am 17. April 2014 beim Amtsgericht Beschwerde eingelegt und diese sogleich abschließend begründet. Er erstrebt die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge für die beiden Kinder und sucht für das Beschwerdeverfahren um Verfahrenskostenhilfe (VKH) nach. Er ist der Auffassung, das Amtsgericht habe die verfassungsrechtliche Bedeutung seines Elternrechts verkannt. Zudem stehe das gegen ihn gerichtete Strafverfahren der gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge nicht entgegen, zumal er - was er durch Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweisantritt stellt - "das Strafverfahren innerlich vollständig aufgearbeitet" habe.

II.

Dem Kindesvater kann die für das Beschwerdeverfahren nachgesuchte VKH nicht bewilligt werden, weil seiner Rechtsverfolgung - wie sogleich nachfolgend im einzelnen darzustellen - die hinreichende Erfolgsaussicht fehlt.

III.

Der zulässigen Beschwerde des Kindesvaters muß der Erfolg versagt bleiben. Zu Recht hat das Amtsgericht im Streitfall die elterliche Sorge für die beiden betroffenen Kinder der Kindesmutter allein zugewiesen.

1. Dabei kann der Senat unmittelbar in der Sache entscheiden, da das Amtsgericht verfahrensfehlerfrei und umfassend die gebotenen Ermittlungen durchgeführt hat und von einer Wiederholung der erstinstanzlich erfolgten Verfahrenshandlungen, namentlich einer erneuten persönlichen Anhörung der Beteiligten, kein entscheidungserheblicher zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten ist (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG). Auch im Lichte des Beschwerdevorbringens ergibt sich keine Veranlassung zu weiterer Aufklärung durch den Senat.

2. Mit zutreffenden und auch durch die Beschwerdebegründung inhaltlich nicht berührten Erwägungen ist das Amtsgericht davon ausgegangen, daß unter den Umständen des Streitfalles eine gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge durch beide Kindeseltern im Kindeswohl nicht in Betracht kommt.

a. Mit dem Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern vom 16. April 2013 (BGBl. I S. 795) hat der Gesetzgeber zwar dem gesetzlichen Leitbild der gemeinsamen elterliche Sorge Geltung verschafft. Danach erfordert eine Alleinsorge eines Elternteils über eine schwerwiegende und nachhaltige Störung der elterlichen Kommunikation hinaus die Feststellung, daß den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind erheblich belastet würde, wenn seine Eltern gezwungen würden, die elterliche Sorge gemeinsam zu tragen. Insofern reichen weder die bloße Ablehnung der gemeinsamen elterlichen Sorge durch die Kindesmutter noch selbst manifest gewordene Kommunikationsschwierigkeiten der Kindeseltern als solche aus (vgl. insgesamt Senatsbeschluß vom 16. Januar 2014 - 10 UF 80/13 - FamRZ 2014, 857 f. = NJW 2014, 1309 ff. = NdsRPfl 2014, 123 ff. = NZFam 2014, 376 ff. = juris = BeckRS 2014, 02760).

Die Umstände des konkreten Streitfalles rechtfertigen allerdings offenkundig in diesem Sinne die Feststellung, daß das erforderliche Zusammenwirken der Eltern im Rahmen einer gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge im Kindesinteresse ausgeschlossen ist. Zugleich ist hinreichend sicher, daß eine Verpflichtung der Kindesmutter zur gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge mit dem Kindesvater für die Kinder erheblich belastend wäre. So ist es angesichts der rechtskräftigen Verurteilung des Kindesvaters wegen mehrerer schwerer und höchstpersönlicher Delikte zum Nachteil der Kindesmutter dieser schlicht nicht zumutbar, mit dem Kindesvater in der für eine gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge erforderlichen Weise zu kommunizieren, ihn also über zumindest wesentliche Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten und mit ihm gemeinsam wesentliche Entscheidungen zu erörtern. Dies gilt umso mehr, als der Kindesvater seine Taten nach wie vor ausdrücklich in Abrede nimmt, eine abschließende Verarbeitung mithin nicht möglich sein wird. Bereits ein Zwang der Kindesmutter zu entsprechender Kommunikation wäre mit der konkreten Möglichkeit ihrer ständigen Retraumatisierung verbunden, durch die wiederum das aktuelle verläßliche Umfeld der Kinder unmittelbar gefährdet würde. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, daß die Vergewaltigung durch den Kindesvater teilweise in Anwesenheit des gemeinsamen Sohnes erfolgt ist, insbesondere dieser also besonders schutzbedürftig vor jedem Wiederaufleben des seinerzeitigen Geschehens im Bewußtsein der Kindesmutter ist.

Auf die im Rahmen der Beschwerde demgegenüber allein angesprochene Frage, inwieweit der Kindesvater "das Strafverfahren ... innerlich vollständig aufgearbeitet" hat (was angesichts seiner durchgehenden Leugnung der Taten allerdings bemerkenswert wäre), sowie auf eine behauptete "uneingeschränkte Kooperationsbereitschaft" seitens des Kindesvaters kommt es insofern dagegen für sich nicht entscheidend an.

3. Ebenso zutreffend hat das Amtsgericht angesichts der notwendigen Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge die Alleinsorge der Kindesmutter übertragen.

Für eine Ausübung der elterlichen Sorge allein durch den Kindesvater fehlt es bereits an den äußeren Mindestvoraussetzungen, schon zumal dieser sich zunächst noch einige Zeit in Strafhaft befindet und seine Situation im Anschluß daran völlig ungewiß ist; zugleich hat er seit nahezu drei Jahren keinerlei Kontakt zu den Kindern.

Demgegenüber ist es der Kindesmutter nach den verschiedenen eingeholten Berichten gelungen, die am Ende des Zusammenlebens der Kindeseltern äußerst mißliche Situation für die Kinder unter sachgerechter Inanspruchnahme vielfältiger äußerer Hilfestellungen wesentlich zu stabilisieren und diesen mittlerweile ein adäquates Umfeld sicherzustellen. Dieser Zustand wird von allen neutralen Verfahrensbeteiligten uneingeschränkt für erhaltenswert erachtet. Nicht zuletzt verbietet auch der im Interesse der Kinder zu achtende Grundsatz der Kontinuität einen etwaigen Wechsel in die Obhut des Kindesvaters.