Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 28.01.2004, Az.: 3 U 185/03
5 Tage; Akteneinsichtsgewährung; Anspruchsbegründungsschrift; Darlehensnehmer; Darlehensvertrag; Klageschrift; krasse finanzielle Überforderung; krasse Überforderung; Kreditvertrag; mithaftender Angehöriger; mithaftender Ehegatte; Mithaftung; mündliche Verhandlung; rechtliches Gehör; Rechtsanwalt; Sittenwidrigkeit; Verfahrensbevollmächtigter; Verhandlungstermin; Zeitraum
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 28.01.2004
- Aktenzeichen
- 3 U 185/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50893
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG - 28.05.2003 - AZ: 8 O 94/03
Rechtsgrundlagen
- § 138 Abs 1 BGB
- § 488 BGB
- Art 103 Abs 1 GG
- § 299 Abs 1 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Bei dem gegebenen Sachverhalt wird das Grundrecht auf rechtliches Gehör nicht dadurch verletzt, dass dem Anwalt des Beklagten erst fünf Tage vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung die Akten übersandt werden, wenn die Anspruchsbegründung dem Beklagten wirksam durch Niederlegung zugestellt worden ist.
2. Ein Darlehensvertrag kann nicht wegen krasser finanzieller Überforderung des Darlehensnehmers sittenwidrig sein; die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit mithaftender naher Angehöriger ist auf den Darlehensnehmer nicht übertragbar.
Tenor:
1. Die Berufung des Beklagten gegen das am 28. Mai 2003 verkündete Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
Zwischen den Parteien kam es am 16. Oktober 2000 zum Abschluss eines Kreditvertrages. Der Beklagte hatte danach bis Oktober 2003 monatliche Raten zu zahlen. Die letzte Rate leistete er im Dezember 2001.
Das Landgericht hat im schriftlichen Vorverfahren am 24. April 2003 Versäumnisurteil gegen den Beklagten erlassen. Dagegen hat der Beklagte am 2. Mai 2003 Einspruch eingelegt.
Das Landgericht hat den Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil zurückgewiesen. Das Versäumnisurteil sei zu Recht ergangen, weil die Klägerin ihren Anspruch auf Rückzahlung schlüssig dargelegt habe. Das Vorbringen des Beklagten in Gestalt des Bestreitens der Mahnung und der Kündigung mit Nichtwissen sei verspätet. Der Einspruch sei innerhalb der Einspruchsfrist zu begründen gewesen, was nicht geschehen sei.
Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten.
Die Berufung rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs. Mangels Kenntnis der Anspruchsbegründung habe der Beklagte bis zum Erhalt der Akten keine substantiierten Einwendungen gegen den Vortrag der Klägerin erheben können.
Weiter wird vorgetragen, eine Kündigung sei dem Beklagten nicht zugegangen.
In Anbetracht des Umstandes, dass der Beklagte neun Kinder habe und nur ca. 1.700 € monatlich verdiene, hätte die Klägerin keinen derart hohen Kredit über 25.000 DM einräumen dürfen. Insoweit liege ein Beratungsverschulden der Klägerin vor, das das Verhalten der Klägerin sittenwidrig und den Ratenkreditvertrag als nichtig erscheinen lasse.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des am 28. Mai 2003 verkündeten Urteils des Landgerichts Lüneburg, Az: 8 O 94/03, das Versäumnisurteil des Landgerichts Lüneburg vom 24. April 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die am 10. Juli 2003 eingelegte Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
B.
Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Verfahrensrechte des Beklagten, namentlich dasjenige auf rechtliches Gehör, sind durch das Landgericht nicht in unzulässiger Weise beschränkt worden.
Den Terminsverlegungsantrag des Beklagten hat das Landgericht negativ beschieden. Gemäß § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann aus erheblichen Gründen ein Termin aufgehoben oder verlegt werden. Erhebliche Gründe sind nach § 227 Abs. 1 Satz 2 ZPO insbesondere aber nicht die mangelnde Vorbereitung einer Partei, wenn die Partei dies nicht genügend entschuldigt. Eine genügende Entschuldigung in diesem Sinne liegt nicht vor. Der Rechtsstreit an sich kam für den Beklagten nicht überraschend. Seit Dezember 2001 zahlt er die geschuldeten Raten nicht mehr. Den Mahnbescheid hatte er erhalten und im Juli 2002 dagegen Widerspruch eingelegt. Die Anspruchsbegründung war ihm am 4. April 2003 durch Niederlegung zugestellt worden.
Problematisch ist insoweit auch nicht der Umstand, dass die Akten erst am 16. Mai 2003 und damit fünf Tage vor dem Termin bei seinem Prozessbevollmächtigten vorlagen. Es ist schon nicht ersichtlich, inwieweit der Beklagte bzw. sein Prozessbevollmächtigter in diesem sehr übersichtlichen Rechtsstreit auf die Akteneinsicht angewiesen gewesen sein sollen, dies gerade in Anbetracht des Umstandes, dass die Anspruchsbegründung dem Beklagten zugestellt worden war. Warum letztlich eine Rücksprache zwischen dem Beklagten und seinem Prozessbevollmächtigten rechtzeitig vor dem Termin nicht möglich gewesen sein soll, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Auf die Vorbereitung von Vortrag zu Beratungsverschulden und Sittenwidrigkeit des Darlehensvertrages kann es nicht ankommen, da diese Argumentation dem Beklagten von vornherein nicht weiterhilft (dazu u. 3.). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG besteht nicht. Hinter dem in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör steht der Gedanke, dass der Einzelne nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein soll. Er soll vielmehr vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, damit er Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen kann (BVerfG, NJW-RR 1996, 253 [BVerfG 01.09.1995 - 1 BvR 632/94], st. Rspr.). Voraussetzung dafür ist, dass Kenntnis des dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Sach- und Streitstandes besteht. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert daher ein Recht auf Information über den Verfahrensstoff. Dieses Recht des Beklagten ist vorliegend aber nicht verletzt worden, denn namentlich ist von einer Kenntnis der Anspruchsbegründung auf Seiten des Beklagten auszugehen. Die Ersatzzustellung mag besondere Risiken in sich bergen. Bedenken gegen diese Form der Zustellung bestehen aber nicht, weil die Zustellungsvorschriften nicht allein dem Schutz einer Partei, sondern gleichzeitig der Verfahrensbeschleunigung dienen. Im konkreten Fall ist daher die Überlassung der Akten fünf Tage vor dem Termin noch als ausreichend anzusehen.
2. Die Voraussetzungen der Kündigung durch die Klägerin hat der Beklagte, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, nicht rechtzeitig bestritten. Zutreffend hat das Landgericht erkannt, dass die nicht rechtzeitige Begründung des Einspruchs diesen nicht unzulässig macht, sondern nur zur Anwendung von § 296 Abs. 1, 3, 4 ZPO führt (§ 340 Abs. 3 Satz 3 ZPO). Mit zu Recht zurückgewiesenem Vortrag ist der Beklagte auch im Berufungsverfahren ausgeschlossen, § 531 Abs. 1 ZPO.
Unabhängig davon ist davon auszugehen, dass der Klägerin ein Recht zur fristlosen Kündigung des Darlehensvertrages zustand. Der Beklagte zahlte zuletzt im Dezember 2001 eine Rate. Es kommt hinzu, dass der Beklagte in seiner Berufungsbegründung selbst einräumt, die finanzielle Belastung durch den Kredit über 25.000 DM sei von ihm nicht zu tragen gewesen.
3. Der Vortrag zum Beratungsverschulden und zur Sittenwidrigkeit des Ratenkreditvertrages ist erstmals in der Berufungsbegründung erfolgt, sodass dieser Vortrag nicht mehr zuzulassen ist. Dass er ausnahmsweise nach § 531 Abs. 2 ZPO noch zuzulassen wäre, lässt sich weder dem Vortrag des Beklagten noch dem sonstigen Akteninhalt entnehmen.
Es kommt auf die Frage, ob der Vortrag verspätet ist, letztlich nicht an. Der Beklagte behauptet eine krasse finanzielle Überforderung durch das Darlehen. Die Sittenwidrigkeit eines Darlehensvertrages aus diesem Grund kommt aber nicht in Betracht. Nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit als Teil der Privatautonomie bleibt es jedem voll Geschäftsfähigen unbenommen, auch risikoreiche Geschäfte abzuschließen und sich zu Leistungen zu verpflichten, die ihn überfordern (vgl. BGH, NJW 1998, 597). Der Bundesgerichtshof hat auch nie die Sittenwidrigkeit eines Darlehensvertrages allein wegen krasser finanzieller Überforderung des Darlehensnehmers bejaht. Die Rechtsprechung zur Mithaftung Dritter, namentlich naher Angehöriger, wegen krasser finanzieller Überforderung hat damit nichts zu tun.
4. Aus den oben genannten Gründen war die Berufung des Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Dass die Revision nicht zuzulassen war, ergibt sich aus § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO.