Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 27.01.2004, Az.: 16 U 158/03

Möglichkeiten sowie Kostenverteilung bei der Rücknahme und Erhebung einer Berufung oder Anschlussberufung auch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
27.01.2004
Aktenzeichen
16 U 158/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 35942
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2004:0127.16U158.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 02.10.2003 - AZ: 1 O 119/03

Fundstelle

  • MDR 2004, 592 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreit
hat der 16. Zivilsenat
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters ... sowie
der Richter ... und ...
am 27. Januar 2004
einstimmig beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die Berufung der Beklagten gegen das am 2. Oktober 2003 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Das angefochtene Urteil wird jedoch dahin berichtigt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt werden, an die Kläger 10.807,10 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 18. April 2003 zu zahlen.

  3. 3.

    Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Beklagten zu 61 % und die Kläger zu 39 %, die des Berufungsverfahrens die Beklagten.

Gründe

1

Der Senat nimmt zunächst auf die Gründe des Beschlusses vom 15. Januar 2004 Bezug.

2

Der Schriftsatz vom 26. Januar 2004 rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

3

1.

Entgegen der Berufungsbegründung ist der Sachverständige ... nicht überraschend in der mündlichen Verhandlung von seinem Gutachten abgewichen, er hat vielmehr von Anfang an erklärt, die Frage der Imprägnierung sei abschließend nur durch eine Laboruntersuchung zu klären. Er hat die fehlende Imprägnierung dann auch deshalb zugrunde gelegt, weil laut Privatgutachten ... (Seite 2) Herr ... diesem gegenüber erklärt hatte, es sei nicht imprägniert worden und d i e s e Information von Herrn ... auch zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens ... noch nicht bestritten war.

4

2.

Unabhängig davon haben sowohl Herr ... als auch der Gerichtsgutachter übereinstimmend zwei weitere erhebliche Werkmängel festgestellt, nämlich zum einen, dass eine Dickschichtlasur verwendet worden ist, die die Verdunstung von Wasser behindert und damit Schäden verursacht und zum Zweiten die Tatsache, dass die verwendete Lasur Cetil Filter 7 C keinen Schutz vor Pilzbefall bietet. Diese beiden Aspekte sind weder in erster noch in zweiter Instanz mit Substanz (vgl. BGH Report 2003,1236) angegriffen worden und der Vortrag, diese Mängel lägen nicht vor, weil es sich bei den Bohlen um maßhaltiges Holz handele, hätte, wie bereits im Beschluss vom 26. Januar ausgeführt, in e r s t e r Instanz angebracht werden müssen und kann deshalb nicht mehr berücksichtigt werden (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO). Sowohl Herr ... (Seite 5) als auch Herr ... sind von nicht maßhaltigem Holz ausgegangen, sodass es nachlässig war, dazu bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung 1. Instanz nicht Stellung zu nehmen.

5

Schließlich war der Vortrag der Beklagten, die Schäden seien - zumindest überwiegend - auf unterlassene Wartung der Kläger zurückzuführen, ebenfalls ohne Substanz, weil die Kläger unwidersprochen vorgetragen hatten, die Beklagten hätten ihnen erklärt, das Holz bedürfe in den ersten sechs Jahren keiner Behandlung.

6

3.

Die Entscheidung des Landgerichts enthält - worauf hingewiesen worden ist - einen Rechenfehler, der gemäß § 319 ZPO zu berichtigen war. Zur vorläufigen Vollstreckbarkeit im angefochtenen Urteil wird auf NJW 2003, 73 verwiesen.

7

4.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten zu tragen.

8

Die Frage, ob bei einer Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO die Anschlussberufungskläger die Kosten des Berufungsverfahrens anteilig zu tragen haben (so OLG Celle, 2. Zivilsenat, Nds. Rpfl. 2003, 181; OLG Düsseldorf, MDR 2003,288 [OLG Düsseldorf 28.10.2002 - 15 O 448/01]) oder diese insgesamt dem Berufungskläger aufzuerlegen sind (so OLG Hamburg, MDR 2003, 1251 [OLG Hamburg 03.04.2003 - 1 U 144/02], ebenso Ludwig, MDR 2003, 670, jeweils mit Nachweisen) wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum unterschiedlich beantwortet.

9

Mit den erwähnten Entscheidungen ist dabei zunächst davon auszugehen, dass diese Frage im Gesetz nicht eindeutig geregelt ist. Der Vergleich des Oberlandesgerichts Celle (2. Zivilsenat) mit der Regelung der Anschlussrevision nach früherem Recht ist nicht sehr überzeugend, weil, worauf auch das OLG Hamburg und Ludwig hinweisen, § 522 Abs. 2 ZPO eben nicht der Revision nach altem Recht nachgebildet ist, die (von den Fällen der Zulassung durch das Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung abgesehen) der Annahme durch den Bundesgerichtshof bedurfte (§ 554 b a.F. ZPO).

10

Wenn jedoch der Gesetzgeber durch den Wortlaut einer Vorschrift nicht zwingend ein bestimmtes Ergebnis vorschreibt, sollte dasjenige zugrunde gelegt werden, welches der Gerechtigkeit wenigstens in der Mehrzahl der Fälle am nächsten kommt.

11

Im Interesse der Schonung der begrenzten Ressourcen der Justiz ist ein Berufungskläger besonders erwünscht, der kein Rechtsmittel einlegt, obwohl er nur 80 % seiner Forderung erhält und davon überzeugt ist, dass ihm auch die restlichen 20 % zustehen. Merkt er dann nach Ablauf der Berufungseinlegungsfrist durch Zustellung der Berufung der Gegenseite, dass der Beklagte noch nicht einmal die 80 % akzeptieren will, so soll er Anschlussberufung einlegen können. Er wird jedoch durch die in keiner Weise sachgemäße Frist des § 524 Abs. 1 ZPO (dazu ausführlich OLG Celle, NJW 2002, 2651 [OLG Celle 12.07.2002 - 16 U 98/02]) gezwungen, Anschlussberufung binnen eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung und damit bereits zu einem Zeitpunkt einzulegen, zu dem seine eigene Berufungserwiderungsfrist in der überwältigenden Zahl der Fälle noch nicht abgelaufen ist und das Berufungsgericht darüber hinaus in den allermeisten Fällen eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO zwar angekündigt hat, die Frist zur Stellungnahme des Berufungsführers aber noch nicht abgelaufen ist. Unter dem Aspekt der Gerechtigkeit erscheint es indessen nicht überzeugend, dem Berufungsbeklagten das (anteilige) Kostenrisiko des Berufungsverfahrens für den Fall aufzubürden, dass das Rechtsmittelgericht nach Fristablauf für die Anschlussberufung dann schließlich das Verfahren doch noch nach § 522 Abs. 2 ZPO abschließt, zumal er nicht voraussehen kann, ob sich das Berufungsgericht aufgrund der Einwände des Berufungsführers gegen ein Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO doch noch zur Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung entschließen wird. Nach einer Statistik des OLG Celle wird die Berufung auf einen Hinweis des Rechtsmittelgerichts nach § 522 Abs. 2 ZPO in ungefähr 50 % der Fälle zurückgenommen; dann aber muss der Berufungskläger nach einhelliger Ansicht ohnehin die gesamten Kosten des Rechtsmittelverfahrens übernehmen, und zwar sogar, wenn er - wie nach neuem Recht erstmals zulässig (§ 516 Abs. 1 ZPO) - die Berufung erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung zurücknimmt. Der "uneinsichtige" Rechtsmittelführer, der dem Hinweis des Berufungsgerichts zu § 522 Abs. 2 ZPO nicht Rechnung trägt, sollte dagegen in der Kostenentscheidung nicht privilegiert werden. Die Absicht des Gesetzgebers, die Justiz zu entlasten und ihr u.a. auch gerade die oft mühselige Arbeit zu ersparen, sich nach drei oder vier Wochen in eine Sache nochmals einzuarbeiten, sofern der Berufungsführer auf den Hinweis des Rechtsmittelgerichts umfangreich erwidert und bisweilen - auf den ersten Blick aber unerkennbar - unzulässigerweise neue Tatsachen vorträgt oder neue Beweisantritte bringt (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO), wird damit in sein Gegenteil verkehrt. Deshalb erscheint es gerechter, dem Berufungsführer die gesamten Kosten des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen, allerdings nur, wenn die Anschlussberufung ihrerseits zulässig und nicht - beispielsweise - verfristet war.

12

Obwohl die Frage der Kosten grundsätzliche Bedeutung hat, konnte durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO entschieden werden, denn im Fall einer mündlichen Verhandlung und eines Urteils entfiele die Problematik, weil sich die Kostenquote dann nach dem Ergebnis in der Sache richten würde.