Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 28.07.2004, Az.: 5 B 34/04

Hauptwohnsitz; Hauptwohnung; Sozialstaatsprinzip; Steuerpflicht; Studenten; Zweitwohnung; Zweitwohnungssteuer

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
28.07.2004
Aktenzeichen
5 B 34/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50646
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Erhebung einer Zweitwohnungssteuer von einem Studenten setzt voraus, dass der Steuerpflichtige neben der Zweitwohnung eine Hauptwohnung im steuerrechtlichen Sinne innehat.

Bei der Festsetzung der Zweitwohnungssteuer am Universitätsort gegenüber Studenten ist regelmäßig zu prüfen, ob die Steuerfestsetzung gem. § 11 NKAG i.V. m. § 163 AO nach Lage des einzelnen Falles unbillig ist.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Zweitwohnungssteuerbescheide der Antragsgegnerin vom 22. Mai 2003 und 2. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2004 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 91,50 EUR festgesetzt.

Gründe

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Der gemäß § 80 Abs. 5 i.V.m. Abs. 6 VwGO zulässige Antrag hat Erfolg.

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Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zweitwohnungssteuerbescheide ernstliche Zweifel im Sinne des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO, so dass die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die genannten Bescheide anzuordnen ist.

3

Die Antragstellerin studiert seit 2000 an der Universität Lüneburg und erhält Leistungen nach dem BAföG. In Lüneburg wohnt sie als „Mitmieterin“ in einer Mietwohnung. Während der Semesterferien und an den vorlesungsfreien Wochenenden hält sie sich nach ihren Angaben im „angemieteten Haus“ ihrer Mutter in Celle auf. Sie ist mit Hauptwohnsitz in Celle und mit Nebenwohnsitz in Lüneburg gemeldet.

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Unter Zugrundelegung dieses, im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht weiter nachzuprüfenden Sachverhaltes, begegnet die Erhebung einer Zweitwohnungssteuer für die von der Antragstellerin in Lüneburg genutzte Wohnung ernstlichen rechtlichen Zweifeln.

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Voraussetzung für die Erhebung der Zweitwohnungssteuer nach Maßgabe der Satzung der Antragsgegnerin über die Erhebung einer Zweitwohnungssteuer vom 22. März 2002 -ZwStS -ist, dass der Steuerpflichtige zwei Wohnungen unterhält und gem. § 1 Abs. 2 a ZwStS die „Zweitwohnung“ in Lüneburg dem Steuerpflichtigen als Nebenwohnung im Sinne des Niedersächsischen Meldegesetzes dient. Rechtliche Voraussetzung für die Erhebung der Zweitwohnungssteuer ist zunächst, dass der Steuerpflichtige überhaupt zwei Wohnungen zur eigenen Nutzung unterhält. Aus dem Wesen der Zweitwohnungssteuer als Aufwandsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2 a GG folgt, dass nur der besondere Aufwand für das Innehaben einer zweiten Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf neben der Hauptwohnung besteuert werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 12. 4. 2000, 11 C 12/99, BVerwGE 111, 122 (125)). Deshalb kann nur der Aufwand besteuert werden, den der Steuerpflichtige für die Unterhaltung einer Wohnung neben der Hauptwohnung hat. Die Steuerpflicht setzt somit voraus, dass der Steuerpflichtige überhaupt eine Hauptwohnung im Sinne des steuerrechtlichen Wohnungsbegriffs hat.

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Für die Begründung der Steuerpflicht ist es zunächst rechtlich unerheblich, wenn der Steuerpflichtige unter Zugrundelegung des Wohnungsbegriffs des § 7 des Niedersächsischen Meldegesetzes idF. vom 20. November 2001 (Nds.GVBl. S. 701) - NMG -an zwei verschiedenen Orten gem. § 8 NMG mit Haupt- und Nebenwohnung gemeldet ist. Denn als Wohnung im Sinne des Melderechts gilt gem. § 7 S. 1 NMG bereits „jeder umschlossene Raum, der zum Wohnen oder Schlafen benutzt wird“. Grundlegende Voraussetzung für die Erhebung einer Zweitwohnungssteuer ist jedoch, dass die Erst- oder Hauptwohnung und die Zweit- oder Nebenwohnung jeweils eine Wohnung im Sinne des in § 1 Abs. 3 ZwStS geregelten steuerrechtlichen Wohnungsbegriffs ist. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der genannten Satzungsbestimmung, der bestimmt, was „Wohnung im Sinne dieser Satzung“ ist. Die Satzung erwähnt an verschiedenen Stellen die Haupt- und Zweitwohnung, so dass schon deshalb für beide Wohnungen von einem einheitlichen steuerrechtlichen Wohnungsbegriff ausgegangen werden muss. Hinzu kommt, dass auch nach Sinn und Zweck der Steuer die Hauptwohnung mindestens die Anforderungen der Nebenwohnung erfüllen muss, weil nur dann überhaupt von einer steuerrechtlich relevanten „Zweitwohnung“ gesprochen werden kann.

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Gemäß § 1 Abs. 3 ZwStS ist Wohnung im Sinne der Satzung

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„jede baulich abgeschlossene Gesamtheit von Räumen, die zum Wohnen oder Schlafen bestimmt ist, zu der eine Küche oder Kochgelegenheit sowie eine Toilette und ein Bad oder eine Dusche gehören.“

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Hier ist bereits zweifelhaft, ob die Antragstellerin über eine „Haupt oder Erstwohnung“ nach Maßgabe des § 1 Abs. 3 ZwStS verfügt. Die Antragstellerin hat im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Antragsverfahren ausgeführt, dass sie im angemieteten Haus ihrer Mutter in Celle wohnt und sich in Celle keine eigene Wohnung leisten könne. Dieser Vortrag lässt darauf schließen, dass die Antragstellerin im Hause ihrer Mutter zwar ein Zimmer, nicht aber über eine eigene abgeschlossene Wohnung mit Küche oder Kochgelegenheit und eigener Toilette oder Bad verfügt. Die Antragsgegnerin hat im Verwaltungsverfahren keine Feststellungen zu dieser für die Steuererhebung grundlegenden Frage getroffen. Die Kammer geht deshalb im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, in dem eine weitere Sachaufklärung grundsätzlich nicht erfolgt, davon aus, dass die Antragstellerin in Celle über keine eigene abgeschlossene Wohnung im Sinne des § 1 Abs. 3 ZwStS verfügt, sodass schon deshalb die Voraussetzungen für die Erhebung einer Zweitwohnungssteuer im Falle der Antragstellerin voraussichtlich nicht vorliegen. Diese Frage wird evtl. im Hauptverfahren noch weiter aufzuklären sein. Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht in der zitierten Entscheidung vom 12. April 2000 (BVerwGE 111, 122 (129)) festgestellt, dass im Bereich der in diesem Verfahren beklagten Landeshauptstadt Hannover Studenten und Auszubildenden nicht zur Zweitwohnungssteuer herangezogen werden, weil die Beklagte davon ausgehe, dass diese in der Wohnung ihrer Eltern, für die sie mit Hauptwohnsitz gemeldet sind, keine abgeschlossene Erstwohnung zur Verfügung haben.

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Auch im Übrigen hat die Kammer erhebliche Bedenken, ob die Antragstellerin von der Antragsgegnerin zur Zweitwohnungssteuer veranlagt werden kann. Mit der Antragsgegnerin ist davon auszugehen, dass grundsätzlich auch Studenten, die zwei eigene Wohnungen im Sinne des § 1 Abs. 3 ZwStS innehaben, mit der melderechtlichen Nebenwohnung zur Zweitwohnungssteuer herangezogen werden können. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 6. Dezember 1983 ausdrücklich festgestellt, dass die Zweitwohnungssteuer als Aufwandsteuer nach Art. 105 Abs. 2 a GG auf die in der Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abstellt. Das Innehaben einer weiteren Wohnung neben der Hauptwohnung erfordere in aller Regel die Aufwendung finanzieller Mittel und sei damit Ausdruck einer besonderen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Ausschlaggebendes Merkmal für die Steuerpflicht sei „der Konsum in Form eines äußerlich erkennbaren Zustandes, für den finanzielle Mittel verwendet werden“ (vgl. BVerfGE 65, 325 (347)). Für die Abgrenzung des Kreises der Steuerpflichtigen spiele es keine Rolle, aus welchen Gründen der Aufwand in Form der Haltung einer Zweitwohnung betrieben werde (vgl. BVerfGE 65, 325 [BVerfG 06.12.1983 - 2 BvR 1275/79] (357)). Das bedeutet, dass entsprechend der Auffassung der Antragsgegnerin grundsätzlich unabhängig von dem Zweck der Nutzung der Zweitwohnung jeder Zweitwohnungsinhaber und damit grundsätzlich auch jeder Student in den Kreis der steuerpflichtigen Personen einbezogen werden kann.

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Eine andere, von der Antragsgegnerin bisher offenbar nicht weiter beachtete Frage betrifft das Problem, ob nicht rechtlich zwingend für einzelne Personenkreise wie beispielsweise Studenten bei der Erhebung der Zweitwohnungssteuer Ermäßigungs- oder Befreiungstatbestände greifen müssen. In ihrer Zweitwohnungssteuersatzung vom 22. März 2002 hat die Antragsgegnerin in § 1 Abs. 4 ZwStS lediglich für zwei Fälle, die hier offenkundig nicht vorliegen, Befreiungstatbestände in ihre Satzung aufgenommen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 6. Dezember 1983 jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es dem Satzungsgeber unbenommen bleibt, unter Beachtung des Gleichheitssatzes weitere Ermäßigungstatbestände oder Befreiungstatbestände vorzusehen (vgl. BVerfGE 65, 325 [BVerfG 06.12.1983 - 2 BvR 1275/79] (357)).

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Für Studenten, die eine Zweitwohnung im Sinne der Zweitwohnungssteuersatzung in der Stadt Lüneburg unterhalten, ist damit weder generell noch im Einzelfall ein Ermäßigungs- oder Befreiungstatbestand vorgesehen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Antragsgegnerin bei der Erhebung der Zweitwohnungssteuer von Studenten in besonderem Maße im Einzelfall prüfen muss, ob eine Ermäßigung oder Befreiung von der Steuerpflicht gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 b NKAG i.V.m. § 163 Abs. 1. Satz 1 AO in Betracht kommt. Im Rahmen des von der Antragsgegnerin auszuübenden Ermessens ist dies möglich, wenn die Erhebung der Steuer „nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre“. Es liegt auf der Hand und ist offenkundig, dass bei der Mehrzahl der Studenten das Vorhalten einer zweiten Wohnung am Standort der Universität nicht Ausdruck einer besonderen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist, was die Erhebung der Zweitwohnungssteuer als Aufwandsteuer rechtfertigt. Anders als in dem vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 12. April 2000 zu beurteilenden Sachverhalt (vgl. BVerwGE 111, 122 ff) ist der von einem Studenten am Universitätsort getätigte Aufwand zum Unterhalt einer Nebenwohnung am Studienort nicht typischerweise Ausdruck und Indikator der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sondern lediglich eine durch die örtlichen Gegebenheiten bedingte und unabwendbare Notwendigkeit, um ein Studium außerhalb des Hauptwohnsitzes am Sitz der Universität durchführen zu können. Mit dem Innehaben der Wohnung wird deshalb in diesen Fällen keine die Steuererhebung rechtfertigende besondere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Ausdruck gebracht, zumal diese in der Regel auch nicht vorliegt. Bezieht beispielsweise ein Student, der eine Zweitwohnung am Universitätsstandort Lüneburg unterhält, Leistungen nach dem BAföG und finanziert damit sein Studium und die Miete seiner weiteren Wohnung, so ist offensichtlich, dass von einer besonderen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit keine Rede sein kann. In diesen Fällen drängt sich die Prüfung, ob die Festsetzung der Zweitwohnungssteuern nach Lage des Falles unbillig ist, auch ohne ausdrücklichen Antrag auf. Dass dies auch aus Rechtsgründen zu einer Befreiung von der Steuerpflicht führen kann, hat des Finanzgericht Bremen in seinem Urteil vom 1. Februar 2000 (AZ: 299283 K 2, KStZ 2000, 171(173)) damit begründet, dass „aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG zwingend abzuleiten (sei), dass Studenten, die Leistungen nach dem BAföG erhalten, von der Zahlung der Zweitwohnungssteuer generell befreit sein“ müssten. Dies alles deutet darauf hin, dass auch im Übrigen erhebliche Zweifel an der Erhebung der Zweitwohnungssteuer von Studenten ohne jede Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalles bestehen.

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Dem steht auch nicht entgegen, dass der einzelne Student durch die melderechtliche Bestimmung seiner Wohnung in Lüneburg zur „Hauptwohnung“ der Steuerpflicht entgehen und die Antragsgegnerin zur Erhöhung der Finanzzuweisungen durch das Land Niedersachsen an der Begründung von „Hauptwohnungen“ durch Studenten in Lüneburg interessiert ist. Einmal verbietet es sich wegen der unterschiedlichen Regelungszwecke des Meldegesetzes und der Steuerhebung von selbst, die melderechtlichen Verhältnisse in einen unmittelbaren Bezug zur grundsätzlichen Steuerpflicht zu stellen. Es ist deshalb unangebracht, die erforderliche Billigkeitsprüfung durch den Hinweis auf die Möglichkeit der Begründung des Hauptwohnsitzes, selbst wenn dies melderechtlich überhaupt möglich sein sollte, zu unterlassen. Dass sich auch sonst jeder rechtlich beachtliche Zusammenhang zwischen der persönlichen Zweitwohnungssteuerpflicht und den finanziellen Auswirkungen der jeweiligen Wohnungsanmeldung für die Antragsgegnerin im Rahmen der Finanzzuweisung verbietet, versteht sich von selbst.

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Bestehen damit an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide die genannten ernstlichen Zweifel, ist gem. § 80 Abs. 5 VwGO bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin anzuordnen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 2 GKG a. F. Die Höhe des Streitwertes bemisst sich nach einem Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwertes.