Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 21.07.2004, Az.: 5 A 96/03

Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches für die Dauer eines Jahres; Möglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ; Erhebliche Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften; Rechtfertigung der Anordnung eines Fahrtenbuches für die Dauer von sechs Monaten durch einen Rotlichtverstoß als sog. "Regelfall"

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
21.07.2004
Aktenzeichen
5 A 96/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 32072
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2004:0721.5A96.03.0A

Fundstellen

  • RdW 2005, III Heft 2 (Kurzinformation)
  • zfs 2004, 434-435 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Fahrtenbuchauflage

Das Verwaltungsgericht Lüneburg - 5. Kammer - hat
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts von Alten als Einzelrichter
ohne mündliche Verhandlung am 21. Juli 2004
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 11. Juni 2003 wird aufgehoben, soweit die Klägerin über sechs Monate hinaus zum Führen eines Fahrtenbuches verpflichtet worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin zu drei Vierteln und dem Beklagten zu einem Viertel auferlegt; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches für die Dauer eines Jahres.

2

Die Klägerin ist Halterin des Pkws mit dem Kennzeichen E.. Am 21. Januar 2003 gegen 15.01 Uhr missachtete der Fahrer des Pkws der Klägerin an der Kreuzung F./G. in H. das Rotlicht der Lichtzeichenanlage um 1.07 Sekunden. Diese Feststellung wurde mit einem Frontfoto mit Rotlichtkamera getroffen. Dabei wurde auf einem "Frontfoto" u.a. auch das Bild des Fahrers fest gehalten.

3

In dem gegen die Klägerin eingeleiteten Bußgeldverfahren hat sie schriftlich erklärt, dass sie nicht aussagen wolle. In den daraufhin durchgeführten polizeilichen Ermittlungen hat sie keine Aussage gemacht. Nach den polizeilichen Ermittlungen kommt sie als Fahrerin nicht in Frage. Ebenso komme der in der Wohnung angetroffene Sohn als Fahrer nicht in Betracht.

4

Mit Verfügung vom 1. April 2003 stellte die Landeshauptstadt H. das Bußgeldverfahren ein, weil die Person, die die Ordnungswidrigkeit begangen hat, nicht festgestellt werden konnte.

5

Der Beklagte ordnete mit Bescheid vom 2. Mai 2003 gegenüber der Klägerin die Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer eines Jahres an. Es habe nicht ermittelt werden können, wer zum Tatzeitpunkt das Fahrzeug geführt habe. Es handele sich um einen schwer wiegenden Verkehrsverstoß, der bei einer Eintragung im Verkehrszentralregister mit 3 Punkten bewertet werde. Um zu vermeiden, dass bei erneuten Verstößen ähnlicher Art das Ordnungswidrigkeitenverfahren wiederum vergeblich verlaufe, sei es erforderlich, das Führen eines Fahrtenbuches aufzuerlegen.

6

Die Klägerin hat gegen diesen Bescheid fristgemäß Widerspruch eingelegt und ausgeführt, es habe sich um einen nur geringfügigen Verkehrsverstoß gehandelt, der die Anordnung eines Fahrtenbuches nicht rechtfertige. Die Anhörung sei zu spät erfolgt. Es sei der ermittelnden Behörde auch ohne weiteres möglich gewesen, durch Vergleich des Frontfotos mit den Fotos bei den Meldebehörden unter den Familienmitgliedern der Klägerin den Fahrer festzustellen.

7

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2003 hat die Bezirksregierung Lüneburg den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Das Überfahren einer Rotlicht zeigenden Ampel stelle eine erhebliche Verkehrsübertretung dar. Wegen des schwer wiegenden Verkehrsverstoßes sei es ermessensgerecht, die Klägerin zur befristeten Führung eines Fahrtenbuches zu verpflichten. Die Klägerin habe bei der Aufklärung des Fahrzeugführers nicht sachdienlich mitgewirkt. Ihr Verhalten lasse vermuten, dass sie den verantwortlichen Fahrzeugführer kenne, jedoch aus persönlichen Gründen zur Ermittlung des Fahrzeugführers keinen Beitrag leisten wollte. Damit müsse die Klägerin als Fahrzeughalterin auch die Folgen ihrer Handlung tragen. Die verzögerten Ermittlungshandlungen seien für die unterbliebene Täterermittlung nicht ursächlich, weil die Klägerin es generell abgelehnt habe, zur Sache auszusagen. Deshalb sei die Anordnung zur Führung des Fahrtenbuches ermessensgerecht und rechtmäßig.

8

Mit der dagegen am 4. Juli 2003 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, sie sei nicht verpflichtet gewesen, zur Ermittlung des Fahrzeugführers beizutragen. Die Behörde hätte durch einen Passfoto-Vergleich ohne weiteres unter ihren Familienangehörigen den Fahrer ermitteln können. Außerdem liege keine erhebliche Verkehrsübertretung vor.

9

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 11. Juni 2003 aufzuheben.

10

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Er erwidert, die Ermittlungen nach dem verantwortlichen Fahrer seien erfolglos geblieben. Die Klägerin habe an der Feststellung des Fahrers nicht mitgewirkt. Es habe sich um einen schwer wiegenden Verstoß gegen die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften gehandelt.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13

Die Entscheidung kann gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergehen, nachdem die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichtet haben.

14

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 11. Juni 2003 ist rechtswidrig, soweit die Klägerin über sechs Monate hinaus zum Führen eines Fahrtenbuches verpflichtet worden ist. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.

15

Gemäß § 31 a StVZO kann die Verwaltungsbehörde gegen einen Fahrzeughalter die Führung eines Fahrtenbuches anordnen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.

16

Die nach § 31 a StVZO geforderte Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers liegt vor, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage gewesen ist, den Täter zu ermitteln. Der Verwaltungsbehörde ist es dabei nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Nachforschungen zu betreiben. Weiter rechtfertigt nur ein Verstoß von einigem Gewicht diese Anordnung. Denn mit der Anordnung des Führens eines Fahrtenbuches soll dafür gesorgt werden, dass zur Abwehr von nicht unerheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr künftig nach einem Verkehrsverstoß der Fahrzeugführer ermittelt werden kann.

17

Die genannten Voraussetzungen für die Anordnung des Fahrtenbuches sind hier gegeben. Die Feststellung des Fahrzeugführers war im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht möglich, weil die Klägerin als Fahrzeughalterin bei ihrer Anhörung keine Angaben zur Sache gemacht hat. Bei dieser Sachlage bedurfte es keiner weiteren umfangreichen Ermittlungen durch die Verwaltungsbehörden mehr. Wenn die Halterin des Kraftfahrzeuges im Bußgeldverfahren im Anhörungsbogen keine Angaben zur Person des Fahrers macht und auch auf erneutes Befragen ihre Mitwirkung an der Ermittlung des Fahrers ablehnt, sind weitere Ermittlungen der Verwaltungsbehörden grundsätzlich nicht erforderlich (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 15.04.2002, 12 ME 331/02; Beschl. v. 15.10.2003, 12 LA 416/03; Beschl. v. 04.12.2003, 12 LA442/Ö3; VG Lüneburg, Urt. v. 07.07.2003, 5 A 2/02). Denn die Klägerin war am besten in der Lage, die entsprechende Angaben zu machen. Die Klägerin kann sich auch nicht auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen, weil dieses der Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches nicht entgegensteht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 26.05.2004, 12 PA 197/04). Entgegen der Auffassung der Klägerin war der Beklagte auch nicht verpflichtet, über einen Passfotovergleich zu ermitteln, ob andere Familienangehörige als Fahrer in Frage kamen. Zum einen gab es für den Beklagten keinen Hinweis darauf, ob überhaupt Familienangehörige der Klägerin das Auto der Klägerin gefahren und den Verstoß begangen haben. Zum anderen hat die Klägerin keinen Hinweis darauf gegeben, dass der Fahrer ein Familienangehöriger gewesen ist, so dass für entsprechende Ermittlungen jeder Anhaltspunkt gefehlt hat.

18

Eine erhebliche Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften liegt vor, wenn die Ordnungswidrigkeit vom Verordnungsgeber mit mindestens einem Punkt bewertet wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.05.1995, BVerwGE 98,227; Nds. OVG, Beschl. v. 15.10.2003, 12 LA 416/03, NJW 2004,1124). Ein qualifizierter Rotlichtverstoß (passieren einer Verkehrsampel bei schon länger als 1 Sekunde andauernder Rotphase) ist ein schwer wiegender Verstoß gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften, der mit drei Punkten bewertet wird. Der Fahrer des Kraftfahrzeuges der Klägerin hat damit im Sinne des § 31 a StVZO erheblich gegen die Verkehrsvorschriften verstoßen. Deshalb ist die Maßnahme entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht unverhältnismäßig.

19

Die Überschreitung der Zwei-Wochen-Frist bei der Übersendung des Anhörungsbogens nach der Ordnungswidrigkeit an die Klägerin ist hier unerheblich, weil sie für die fehlgeschlagene Ermittlung des Fahrers nicht ursächlich gewesen ist. Die Klägerin hat ein hinreichend deutliches Frontfoto erhalten, so dass bei der Benennung der Person nicht auf das Erinnerungsvermögen, sondern auf das zeitlich nicht so eng begrenzte Erkenntnisvermögen der Klägerin abzustellen ist. Sie hat jedoch jede Mitwirkung an der Feststellung des verantwortlichen Fahrers abgelehnt, so dass es auch bei der Übersendung des Anhörungsbogens innerhalb der genannten Frist zu keinem andere Ermittlungsergebnis gekommen wäre (vgl. dazu Nds. OVG, Beschl. v. 26.05.2004, 12 PA 197/04).

20

Die angeordnete Dauer der Führung des Fahrtenbuches von einem Jahr ist jedoch ermessensfehlerhaft und deshalb rechtswidrig. Bei dem hier vorliegenden Rotlichtverstoß handelt es sich um einen sog. "Regelfall", der grundsätzlich die Anordnung des Fahrtenbuches für die Dauer von sechs Monaten rechtfertigt (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 03.04.1998, 12 M 1442/98). Wenn der Beklagte der Auffassung war, dass eine vom Regelfall abweichende Verlängerung der Dauer der Fahrtenbuchauflage hier erforderlich ist, hätten die Gründe dafür in den Ermessenserwägungen unter Würdigung der konkreten Tatumstände dargelegt werden müssen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 03.04.1998, 12 M 1442/98). Schon daran fehlt es hier. Der Beklagte hat in seinem Bescheid vom 2. Mai 2003 überhaupt keine Erwägungen zu dieser Frage angeführt. Aus der äußerst knappen Begründung zur Dauer der Fahrtenbuchanordnung im Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2003 ergibt sich nur, dass dies wegen des "erheblichen Verstoßes" angemessen sei. Da es sich um einen "normalen" Rotlichtverstoß ohne weitere Verkehrsgefährdung handelt, reichen diese Ausführungen zur Begründung eines Ausnahmefalles nicht aus. Hier kommt hinzu, dass der Beklagte selbst in vergleichbaren Fällen bisher nicht von einem besonderen Ausnahmefall ausgegangen ist. Wie sich aus den am heutigen Tage von der Kammer ebenfalls entschiedenen Verfahren 5 A 4/03, 5 A 14/03 und 5 A 37/03 ergibt, hat der Beklagte in diesen Fällen bei vergleichbarer Sachlage die Festsetzung eines Fahrtenbuches für die Dauer von sechs Monaten für angemessen und ausreichend angesehen. Der Beklagte ist in diesen Verfahren ohne Ermessensfehler davon ausgegangen, dass die bisher wohl in Anlehnung an die Rechtsprechung praktizierte Anordnung des Fahrtenbuches für sechs Monate zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs geeignet und ausreichend gewesen ist. Es sind der Kammer auch sonst keine sachlichen Gründe dafür erkennbar, dass auch unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes des Art. 3 GG die Verlängerung der Fahrtenbuchauflage im Regelfall auf ein Jahr noch im Rahmen einer sachgerechten Ermessensausübung liegt. Die Verlängerung der Zeitspanne auf das Doppelte der bisherigen Verwaltungspraxis des Beklagten ist zum Erreichen des vom Gesetzgeber mit § 31 a StVZO verfolgten Zieles in den Regelfällen nicht erforderlich. Allein die "Vermehrung von Rotlichtverstößen" und "weitere vergleichbare Gerichtsurteile" rechtfertigen auch unter Berücksichtigung der Interessen der Fahrzeughalter deshalb jedenfalls bei der ersten Anordnung nach § 31 a StVZO und einem nicht erheblichen und gravierenden Verstoß in der Regel noch nicht die Festsetzung eines Fahrtenbuches für ein ganzes Jahr. Deshalb sind in dem im Tenor genannten Umfang die angefochtenen Bescheide aufzuheben.

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

22

Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 VwGO liegen nicht vor.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

v. Alten