Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 06.07.2004, Az.: 4 A 201/03

Abschiebungshindernis; Fortsetzungsfeststellungsklage; Kosovo; Krankheit

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
06.07.2004
Aktenzeichen
4 A 201/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50452
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist nicht anwendbar, wenn nach der Erledigung einer auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gerichteten Klage infolge der Abschiebung des Betroffenen das Verfahren als Fortsetzungsfeststellungsklage weitergeführt wird.

Tatbestand:

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Die Kläger sind Staatsangehörige von Serbien und Montenegro mit albanischer Volkszugehörigkeit. Die Kläger zu 1. - 5. reisten im Jahr 1998 in das Bundesgebiet ein. Ihren Asylantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 25. Januar 1999 ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Gleichzeitig forderte es sie zur Ausreise auf und drohte ihnen die Abschiebung nach Jugoslawien an. Den Asylantrag der im Bundesgebiet geborenen Klägerin zu 6. lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 7. Januar 2002 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und drohte ihr die Abschiebung an. Die Klagen der Kläger waren erfolglos.

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Am 28. Mai 2003 beantragten die Kläger festzustellen, dass in ihrem Fall Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. Die Klägerin zu 6. leide an rezidivierenden Infekten der Atemwege. Der Kläger zu 1. sei psychisch krank. Sie legten hinsichtlich des Klägers zu 1. Atteste des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. H. vom 20. November 2002, und vom 27. November 2002, des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. I. vom 4. Februar 2003 und des Amtsarztes des Landkreises Soltau - Fallingbostel vom 9. Dezember 2002 und vom 10. Februar 2003 vor. Außerdem eine Bescheinigung des Sozialpsychiatrischen Dienstes vom 10. April 2003. Für die Klägerin zu 6. legten sie eine undatierte Bescheinigung vor, deren Aussteller nicht zu erkennen ist.

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Mit Bescheid vom 27. Juni 2003 lehnte es das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ab, die in den Bescheiden vom 25. Januar 1999 und vom 7. Januar 2002 zu § 53 AuslG getroffene Feststellung zu ändern, es seien nach wie vor keine Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG festzustellen. Zur Begründung führte es u.a. aus, die vorgelegten Bescheinigungen seien nicht geeignet, im Hinblick auf den Kläger zu 1. das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsreaktion mit depressiven und latent suizidalen Zügen glaubhaft zu machen. Prüfbare Hinweise zu Art und Umfang der Erhebung der Anamnese seien darin nicht enthalten.

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Die Kläger haben am 8. Juli 2003 Klage erhoben und gleichzeitig um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Diesen Antrag hat das Gericht mit Beschluss vom 11. August 2003 (4 B 124/03) abgewiesen. Die Kläger sind am 3. Juni 2004 abgeschoben worden.

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Zur Begründung ihrer Klage wiederholen sie zunächst ihr bisheriges Vorbringen. Ergänzend machen sie mit Schriftsatz vom 5. Juli 2004, der am gleichen Tag bei Gericht eingegangen ist, geltend:

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Der Kläger zu 1. leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung mit erheblichem Krankheitswert. Dies zeige die fachärztliche Bescheinigung des Dr. J. vom 14. Oktober 2003. Nach der Abschiebung sei der Kläger zu 1. erheblich psychisch erkrankt. Er habe einen Arzt ausfindig machen können, der eine depressive Psychose diagnostiziert habe. Der Arzt habe auch erklärt, dass in der Gemeinde keine Psychotherapie angeboten werden könne. Im Übrigen habe die Familie seit ihrer Ankunft im Kosovo keinerlei Hilfe erhalten.

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Die Kläger haben beantragt,

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den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. Juni 2003 aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.

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Die Kläger beantragen nunmehr,

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festzustellen, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 53 Abs. 6 AuslG bestehen und dass die erfolgte Abschiebung in den Kosovo vom 3. Juni 2004 rechtswidrig war.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage bleibt ohne Erfolg.

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Das Begehren der Kläger ist dabei derart auszulegen, dass sie nach ihrer Abschiebung noch im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage die Feststellung begehren, dass die in dem Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. Juni 2003 im Hinblick auf § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG getroffene Entscheidung rechtswidrig gewesen ist. Eine umfassende Überprüfung der Abschiebung könnte im Rahmen dieses Verfahrens nicht erfolgen, da für die Durchführung der Abschiebung der Landkreis Soltau - Fallingbostel zuständig war, der an dem vorliegenden Verfahren nicht beteiligt ist. Die Feststellung, dass Abschiebungshindernisse vorliegen, kann nach der Abschiebung der Kläger auch durch das Gericht nicht mehr getroffen werden. Ein derartiger Klageantrag wäre unzulässig.

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Offen kann bleiben, ob - nach der Erledigung des ursprünglich auf die Verpflichtung der Beklagten gerichteten Klageziels durch die Abschiebung der Kläger - das für eine Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse gegeben ist. Jedenfalls ist die von dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG getroffene Feststellung nicht rechtswidrig gewesen. Bei der gerichtlichen Entscheidung sind dabei die von den Klägern mit Schriftsatz vom 5. Juli 2004 vorgetragenen Umstände und Beweismittel nicht zu berücksichtigen. Denn bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage, die - wie hier - auf eine Verpflichtungsklage folgt, ist maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Gericht der Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses (BVerwG, Beschl. v. 7.5.1996, - 4 B 55/96 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 286), d.h. hier, der Zeitpunkt der Abschiebung der Kläger am 3. Juni 2004. Dies gilt ungeachtet des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, wonach das Gericht in Streitigkeiten nach diesem Gesetz auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellt. Diese Regelung ist nicht anwendbar, wenn nach der Erledigung einer auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gerichteten Klage infolge der Abschiebung des Betroffenen, das Verfahren als Fortsetzungsfeststellungsklage weitergeführt wird. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG soll dazu beitragen, den Streit über das Asyl- und Bleiberecht des Ausländers durch die Gerichtsentscheidung umfassend zu beenden und neue Verwaltungsverfahren möglichst zu vermeiden. Wird um das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gestritten, kann der Zweck des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nach einer Abschiebung der Betroffenen nicht mehr erreicht werden. Die Vorschrift läuft dann in’s Leere, weil mit der Abschiebung der Streit darüber, ob der Betroffene weiter im Bundesgebiet zu dulden ist (§§ 41 AsylVfG, 55 AuslG) erledigt ist. Umstände, die nach der Abschiebung bekannt geworden sind, können bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG getroffenen Feststellung im Rahmen der Fortsetzungsfeststellungsklage auch deswegen nicht berücksichtigt werden, weil hierdurch das Wesen der nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu treffenden Entscheidung verändert würde. Diese beruht nämlich auf einer Prognose, die vor einer Abschiebung zunächst durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und - soweit Klage erhoben wird - durch das Gericht (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) zu stellen ist. Eine Prognoseentscheidung ist aber bereits dann rechtmäßig, wenn sie nach den zum Zeitpunkt der Entscheidung ersichtlichen Tatsachen gerechtfertigt ist. Nachträgliche Entwicklungen lassen ihre Rechtmäßigkeit dagegen auch in dem Fall unberührt, dass sie sich hierdurch als unzutreffend erweist.

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Im Hinblick auf die Sachlage, wie sie sich bis zur Abschiebung der Kläger am 3. Juni 2004 dargestellt hat, kann die Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in seinem Bescheid vom 27. Juni 2003 nicht beanstandet werden. Die bis zu diesem Zeitpunkt vorgetragenen und erkennbaren Umstände haben die Annahme von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht gerechtfertigt. Nach dieser Vorschrift kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die genannten Rechtsgüter zu werden, reicht dabei nicht aus, um eine Gefahr in diesem Sinne zu begründen. Vielmehr ist erforderlich, dass eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit besteht (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324; BVerwG, Urt. v. 15.4.1997 - 9 C 38.96 - BVerwGE 104, 265). Eine konkrete, individuelle Gefahr in diesem Sinne war zum Zeitpunkt der Abschiebung für die Kläger nicht ersichtlich.

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Dies gilt auch mit Rücksicht auf die geltend gemachten Erkrankungen des Klägers zu 1. und der Klägerin zu 6. Allerdings kann die Gefahr, dass sich eine Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG darstellen Dies ist dann der Fall, wenn die befürchtete Verschlimmerung der gesundheitlichen Beeinträchtigung als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeit im Zielland der Abschiebung eintritt, die dem Ausländer drohende Gesundheitsgefahr erheblich ist, also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von erheblicher Intensität zu erwarten ist und wenn diese Gefahr konkret bevorsteht, d.h., wenn zu erwarten ist, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland wegen unzureichender Möglichkeit zur Behandlung der Leiden eintritt (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.9.1997 - 9 C 48.96 - InfAuslR 1998, 125; Urt. v. 25.11.1997 -9 C 58.96 - BVerwGE 105, 383; Urt. v. 21.9.1999 - 9 C 8.99 - NVwZ 2000, 206; NdsOVG, Urt. v. 19.10.2001- 8 L 2824/99 -). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht dabei auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (BVerwG, Urt. v. 29.10.2002 - 1 C 1.02 - DVBl. 2003, 463).

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Die bis zum 3. Juni 2004 vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen rechtfertigen die Annahme nicht, dass die Kläger zu 1. und zu 6. unter Erkrankungen gelitten haben, die im Falle fehlender Behandlung in ihrem Heimatland in absehbarer Zeit zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung von erheblicher Intensität führen werden. Im Hinblick auf den Kläger zu 1. hat die Einzelrichterin in dem Beschluss vom 11. August 2003 (4 B 124/03) ausgeführt:

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„Die Einzelrichterin teilt die Auffassung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in dem Bescheid vom 27. Juni 2003, dass die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen nicht geeignet sind, glaubhaft zu machen, dass der Antragsteller zu 1. tatsächlich an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung leidet. Die Einzelrichterin folgt insoweit der zutreffenden Begründung des Bescheides und sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 77 Abs. 2 AsylVfG). Das Vorbringen in dem vorliegenden Verfahren rechtfertigt keine andere Beurteilung. Allein der Umstand, dass der Antragsteller zu 1. in dem Gesundheitsamt des Landkreises Soltau - Fallingbostel seit dem Jahr 2001 bekannt ist, rechtfertigt nicht die Annahme, dort sei die Begutachtung in den vorangegangen Jahren ebenfalls wegen einer psychischen Erkrankung erfolgt. So ist z. B. aus den Ausländerakten zu ersehen, dass sich der Antragsteller zu 1. im Jahr 2002 in dem Gesundheitsamt zur Beurteilung der Behandlungsbedürftigkeit eines Abszesses vorgestellt hat. Im Übrigen stützt sich das Gesundheitsamt in seiner Stellungnahme vom 10. März 2003 auf den Befundbericht des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. I.. Ausweislich des Attestes hat sich der Antragsteller zu 1. dort jedoch erstmals am 16. Januar 2003 vorgestellt. Im Übrigen ist auch dieses Attest nicht geeignet, glaubhaft zu machen, dass der Antragsteller zu 1. - wie der Amtsarzt ausführt - an einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Eine solche wird durch Herrn Dr. I. nicht bescheinigt, die von ihm genannten Diagnose lautet "Konfliktreaktion, psychosomatische Störung".

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Daran wird festgehalten. Neue Umstände haben die Kläger in dem maßgeblichen Zeitraum nicht vorgetragen. Insbesondere haben Sie die Bescheinigung des Dr. J. vom 14. Oktober 2003 erst nach ihrer Abschiebung vorgelegt. Für die Klägerin zu 6. war bereits nicht ersichtlich, dass sie auch am 3. Juni 2004 noch an Atemwegsinfekten gelitten hat, denn es fehlte an einer hinreichend aktuellen Bescheinigung.

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Im Übrigen bliebe die Klage auch im Falle einer Berücksichtigung der mit Schriftsatz vom 5. Juli 2004 vorgetragenen Umstände und der hiermit vorgelegten Bescheinigungen ohne Erfolg. Insbesondere ist nicht glaubhaft belegt, dass eine Verschlimmerung der Erkrankung des Klägers zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr eingetreten ist. Die Bescheinigung des Dr. J. ist insoweit nicht aussagekräftig, denn sie stammt vom 14. Oktober 2003 und ist mithin durch die Abschiebung überholt. In dem Attest des Dr. K. vom 15. Juni 2004 wird lediglich eine depressive Psychose diagnostiziert. Es ist hieraus nicht zu ersehen, dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Vergleich zu der Situation des Klägers zu 1. im Bundesgebiet eingetreten oder in absehbarer Zeit zu erwarten ist.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.