Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 06.07.2004, Az.: 4 A 167/03

Albaner; Kosovo; Widerruf

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
06.07.2004
Aktenzeichen
4 A 167/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50451
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Kläger sind Staatsangehörige von Serbien und Montenegro und stammen aus D., Provinz Kosovo. Sie beantragten im Jahr 1992 die Anerkennung als Asylberechtigte. Mit Bescheid vom 10. März 1994 erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sie als Asylberechtigte an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bei dem Kläger zu 1. vorliegen. Im Falle des Klägers zu 1. seien die Voraussetzungen des Art. 16a Abs. 1 GG erfüllt, denn auf Grund des von ihm geschilderten Sachverhaltes sei davon auszugehen, dass er im Falle seiner Rückkehr mit asylrechtliche relevanten Verfolgungsmaßnahmen werde rechnen müssen. Die Kläger zu 2. und zu 3. seien nach § 26 AsylVfG als Familienangehörige asylberechtigt.

2

Mit Schreiben vom 7. Februar 2000 hörte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Kläger zu dem beabsichtigten Widerruf der Anerkennung an. Die Kläger trugen daraufhin vor, ein Widerruf dürfe nicht erfolgen, weil das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lediglich die damalige Sachlage anders beurteile, nicht aber von einer geänderten Sach- oder Rechtslage ausgehe.

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Mit Bescheid vom 23. Mai 2003 widerrief das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte und die hinsichtlich des Klägers zu 1. zu § 51 Abs. 1 AuslG getroffene Feststellung. Wegen der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen.

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Die Kläger haben am 10. Juni 2003 Klage erhoben.

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Der Widerruf sei nicht unverzüglich erfolgt. Weiter könnten sie sich auf Gründe berufen, um eine Rückkehr abzulehnen, die auf der früheren Verfolgung beruhten. Die Klägerin zu 2. leide unter psychischen Störungen, die ihren Ausdruck in heftigem Spannungskopfschmerz fänden. Diese würden mit Neuroleptika und symptomatisch mit Schmerzmitteln behandelt. Ursache der Erkrankung sei die tief in die Psyche eingegrabene Trauer und Verzweiflung über den Verlust der Existenz, den die Familie damals im Kosovo gehabt habe. So hätten die serbischen Verfolger das Haus der Familie in Schutt und Asche gelegt. Zwingende Gründe, die einer Rückkehr entgegenstünden, sei auch die materielle, kulturelle und soziale Zerstörung eines ganzen Landstriches, die auf asylerheblichen Gründen beruhe. Die jetzt im Kosovo nachwirkenden katastrophalen ökonomischen und sozialen Bedingungen beruhten auf den asylerheblichen Maßnahmen des früheren serbischen Staates.

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Die Kläger beantragen,

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den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 23. Mai 2003 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie bezieht sich auf die Gründe des angegriffenen Bescheides.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Bezug genommen. Es haben auch die Ausländerakten des Landkreises Harburg vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

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Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat die in dem Bescheid vom 10. März 1994 erfolgte Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte und die für den Kläger zu 1. zu § 51 Abs. 1 AuslG getroffene Feststellung zu Recht widerrufen. Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Gefahr politischer Verfolgung im Herkunftsstaat nicht mehr besteht. Ein Widerruf ist auf der Grundlage des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nur dann möglich, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich entscheidungserheblich geändert haben (BVerwG, Urt. v. 18.9.2000 - 9 C 12.00 - BVerwGE 112, 80). Weil es sich bei dem Widerruf um eine gebundene Entscheidung handelt, ist das Gericht dabei unabhängig von der Begründung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zur Prüfung verpflichtet, ob der angefochtene Widerrufsbescheid mit objektivem Recht in Einklang steht (BVerwG, Urt. v. 24.11.1998 - 9 C 53.97 - BVerwGE 108, 30). Dabei kann auch ein ursprünglich rechtswidriger anerkennender Bescheid nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG widerrufen werden, wenn sich die Verhältnisse nachträglich geändert haben, auf denen die Entscheidung beruhte (BVerwG, Urt. v. 19.9.2000 - 9 C 12.00 - BVerwGE 112, 80). In den Fällen des § 26 AsylVfG ist die Anerkennung als Asylberechtigter ferner u.a. dann zu widerrufen, wenn die Anerkennung des Asylberechtigten, von dem die Anerkennung abgeleitet ist, widerrufen wird und der Ausländer aus anderen Gründen nicht als Asylberechtigter anerkannt werden könnte (§ 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG).

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Die Voraussetzungen für den Widerruf liegen hier vor. Der Kläger 1. kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt, der nach § 77 Abs. 1 AsylVfG für die Beurteilung maßgebend ist, die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a GG und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, nicht mehr beanspruchen, weil sich die tatsächlichen Verhältnisse seit der Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 10. März 1994 durch den vollständigen Abzug aller serbischen bzw. jugoslawischen Armeetruppen, sonderpolizeilichen Einheiten und paramilitärischen Gruppen aus dem Kosovo und das Einrücken der UN-Friedenstruppe Kosovo Force (KFOR) im Sommer 1999 maßgeblich verändert haben. Der Kläger zu 1. ist im Falle seiner Rückkehr vor einer erneuten Verfolgung durch serbische Polizisten hinreichend sicher. Mit dem Widerruf der Anerkennung des Klägers zu 1. als Asylberechtigter hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nach § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG zu Recht auch die auf der Grundlage des § 26 AsylVfG erfolgten Anerkennungen der übrigen Kläger widerrufen.

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§ 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG steht einem Widerruf nicht entgegen. Danach ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Solche Gründe sind hier nicht ersichtlich. Die allgemeine soziale und ökonomische Situation in der Provinz Kosovo, auf die sich die Kläger berufen, stellt keinen Grund im Sinne dieser Vorschrift dar. Zwingende, auf früherer Verfolgung beruhende Gründe sind solche, die ihre Ursache in einer früheren politischen Verfolgung haben und eine Rückkehr in den Heimatstaat objektiv unzumutbar erscheinen lassen. Damit trägt § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG der psychischen Sondersituation Rechnung, in der sich ein Ausländer befindet, der ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten hat und dem es deshalb selbst Jahre danach ungeachtet der veränderten Verhältnisse in seinem Heimatland nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren (NdsOVG, Urt. v. 28.6.2002 - 8 LB 10/02 -). Die Vorschrift entspricht Art. 1 C Nr. 5 Satz 2 und Nr. 6 Satz 2 GK. Sie bezieht sich auf Fälle, in denen Flüchtlinge oder ihre Familienangehörigen einer außergewöhnlich menschenverachtenden Verfolgung ausgesetzt waren und deshalb von ihnen eine Rückkehr in ihr Herkunftsland nicht erwartet werden kann. Darunter fallen z.B. Personen, die interniert oder inhaftiert waren, Opfer von Gewalt einschließlich sexuellen Missbrauchs waren, oder Gewaltanwendung gegen Familienmitglieder ansehen mussten und schwer traumatisierte Personen. Es wird davon ausgegangen, dass die Betreffenden schwerwiegende Verfolgung erlitten haben und von ihnen vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, zurückzukehren (vgl. zum Vorst.: UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz, „Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Artikels 1 C [5] und [6] des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung von Flüchtlingen“, vom 10.2.2003). Konkrete individuelle Nachwirkungen in diesem Sinne sind hier für keinen der Kläger zu erkennen. Insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin zu 2. unter verfolgungsbedingten psychischen Beeinträchtigungen leidet. In den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen werden Spannungskopfschmerzen, HWS - Blockierungen und Cervicobrachialgie attestiert. Den Bescheinigungen lässt sich aber nicht entnehmen, dass diese körperlichen Beschwerden psychisch bedingt sind und auf eine im Heimatland erlittene Verfolgung zurückgehen. Der Vortrag der Kläger, die Klägerin zu 2. leide unter dem Verlust der Existenz, da die serbische Polizei ihr Haus abgebrannt habe, ist dies unglaubhaft, denn von derartigen Maßnahmen haben die Kläger in ihrem Asylantrag aus dem Jahr 1992 nichts berichtet.

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Die Kläger können weiter nicht mit Erfolg geltend machen, der Widerruf sei nicht unverzüglich erfolgt. Die Pflicht zum unverzüglichen Widerruf ist dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nicht im Interesse des einzelnen Ausländers als Adressaten des Widerrufsbescheides, sondern ausschließlich im öffentlichen Interesse an der alsbaldigen Beseitigung der ihm nicht (mehr) zustehenden Rechtsposition des anerkannten Asylberechtigten auferlegt. Subjektive Rechte für den Betroffenen ergeben sich hieraus nicht (BVerwG, Beschl. v. 12.2.1998 - 9 B 654.97-).

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.