Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 06.07.2004, Az.: 3 A 28/02

Abwehr; Anforderung; Aufenthaltsverbot; Besuch; Besucherverkehr; Blockade; Blockadeaktion; Castortransport; Duldung; Eingriffscharakter; Flugblatt; Fortsetzungsfeststellungsinteresse; Fortsetzungsfeststellungsklage; Gefahr; Gefahrensituation; Gefährdungsintensität; konkrete Gefahr; Kontrollstelle; Platzverweis; Polizei; privater Besuch; Prognose; Prognoseentscheidung; Prognosegenauigkeit; Realakt; Rechtsanwalt; Straßenblockade; Straßensperrung; Störer; Teilnahme; Transparent; Unterlassung; Verbot; Verwaltungsakt; Wiederholungsgefahr; öffentliche Sicherheit

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
06.07.2004
Aktenzeichen
3 A 28/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 51023
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ob ein Verbot der Polizei an einer Kontrollstelle, eine Straße zu benutzen ("Sie kommen hier nicht durch"), ein Realakt ist oder ein Verwaltungsakt, ist offen. Beide Maßnahmen setzen voraus, dass die Polizei zur Abwehr einer Gefahr tätig wird. Eine Gefahr liegt vor, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich die konkrete Person zu einer Straßenblockade begibt. Anhaltspunkte hierfür liegen etwa vor, wenn die Person die Begehung der Tat angekündigt oder dazu aufgefordert hat oder Transparente, Flugblätter oder anderes Hinweismaterial mit sich führt, oder die Person bereits in der Vergangenheit bei der Begehung von Blockadeaktionen oder anderen Aktionen gegen die öffentliche Sicherheit als Störerin oder Störer betroffen worden ist und nach den Umständen eine Wiederholung dieser Verhaltensweise zu erwarten ist. Darüber hinaus ist die Gesamtsituation, wenn z.B. andere Personen in dem örtlichen Bereich bereits Blockadeaktionen begehen oder dies unmittelbar bevorsteht, bei der Prognose zu berücksichtigen, da in solchen Fällen die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass auch die einzelne, hinzutretende Person sich beteiligen wird. Bei unüberschaubaren Personengruppen ist eine individuelle Prognose naturgemäß nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt möglich. Es gilt der Grundsatz, dass mit zunehmender Gefährdungsintensität und zunächst ungeklärter Gefahrensituation an die Prognosegenauigkeit geringere Anforderungen zu stellen sind. Stets ist die Gesamtsituation entscheidend. Durch Polizeiaktionen kann jedenfalls nicht der gesamte private Besucherverkehr in der Region verhindert werden.

Tatbestand:

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Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen.

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Am 13. November 2001, anlässlich eines Castor-Transportes zum Lager G., fand in C. eine bestätigte Mahnwache statt. Nachdem diese um 15.12 Uhr beendet war, besetzten um 15.30 Uhr trotz eines dort bestehenden Versammlungsverbots ca. 200 Personen die L H. hinter C. in Richtung G.. Diese Blockade wurde in verschiedenen Camps und bei zu gleicher Zeit durchgeführten Veranstaltungen bekannt gegeben. So wurde sie den Bewohnern des Camps I. um 15.32 Uhr und 16.10 Uhr durch Lautsprecherdurchsagen bekannt gegeben, in denen man dazu aufforderte, sich nach C. zu begeben und an der Blockade teilzunehmen. Ab 17.00 Uhr setzte eine verstärkte Bewegung von größeren Personengruppen, zum Teil mit Fahrzeugen, aus Richtung J. in Richtung C. ein. Ab 17.00 Uhr versuchten größere Personengruppen zu dieser Blockade zu gelangen, um sie zu unterstützen. Um diesen Zulauf zu unterbinden, wurden aufgrund einer bereits am 10. November 2001 durch den Einsatzleiter ergangenen Anordnung von Kontrollstellen mehrere stationäre und mobile Kontrollstellen entlang der L H., K     und K    eingerichtet. Da auf der L H. mehrere Kontrollstellen eingerichtet worden waren, verlagerte sich der Zulauf von Personengruppen - zu Fuß und mit Fahrzeugen - ab ca. 18.00 Uhr in südliche/südwestliche Richtung (über K., L., M. pp.) und verstärkte sich zunehmend.

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Der Kläger, der Rechtsanwalt ist, hat am 14. Februar 2002 Klage erhoben. Er trägt vor: Er sei am 13. November 2001 in der Zeit zwischen 19.00 Uhr und 21.30 Uhr mehrfach von Polizeikräften daran gehindert worden, nach E. zu gelangen, um dort eine Besprechung mit einem Anwaltskollegen zu führen. Der Kollege habe eine Strafverteidigung eines ehem. DDR-Bürgers übernommen,  und in dem Prozess hätten Verjährungsfragen eine große Rolle gespielt. Zur Besprechung dieses Themenkomplexes habe er - der Kläger - sich mit dem Kollegen aus E. verabredet. Zusammen mit einem anderen Kollegen habe er gegen 19.00 Uhr zunächst versucht, mit dem PKW dorthin zu gelangen. Es sei ihm bekannt gewesen, dass zu diesem Zeitpunkt die B 191 von N. nach O. gesperrt gewesen sei, deshalb hätten sie den Umweg über K., L. und D. gewählt. In D. hätten sie nach E. abbiegen wollen, dies sei ihnen von einer Polizistin in einem Streifenwagen ohne weitere Begründung verboten worden. Andere Möglichkeiten, nach E. zu gelangen, seien trotz Nachfrage nicht genannt worden, Diskussionen ergebnislos geblieben. Sie beide hätten die Rechtswidrigkeit der Durchfahrtsverbote gerügt. Sie hätten dann einen Mandantenanruf mit der Bitte um anwaltlichen Beistand in F. erhalten, so dass sie zunächst dorthin gefahren seien. Von F. aus hätten sie erneut versucht, nach E. zu gelangen. Sie seien auf der Straße von F. in Richtung P. gefahren und hätten von dort nach E. abzweigen wollen. Auch hier sei die Weiterfahrt gegen 20.30 Uhr verweigert worden. Obwohl sie ihren Besuchswunsch dargelegt und erneut gegen das Verbot protestiert hätten, seien sie nicht durchgelassen worden. Anschließend seien sie weiter in Richtung P. gefahren und hätten rechts nach D. abbiegen wollen, um wenigstens in die Nähe von E. zu kommen. Erneut sei die Weiterfahrt verhindert worden, stattdessen seien sie angewiesen worden, Richtung Lüchow weiter zu fahren. Sie seien dann jedoch nach F. zurückgefahren, hätten ihre Fahrräder aus dem Auto geholt und nunmehr versucht, mit dem Fahrrad nach E. zu gelangen. Abermals seien ihnen an allen möglichen Stellen die Benutzung sämtlicher öffentlicher Wege, auch von Feldwegen, durch Polizisten verweigert worden. Proteste seien überall ergebnislos geblieben. Schließlich hätten sie ihre Fahrräder über eine Weide schieben müssen und seien sie auf einem Waldweg sodann nach C. gelangt. Dort seien sie erneut auf Polizeibeamte getroffen, die ihnen die Weiterfahrt untersagt hätten. In der Dorfmitte von C. hätten sie erneut ihr Anliegen vorgetragen. Die Polizeibeamten hätten zwar Verständnis geäußert, jedoch erklärt, sie hätten die Anweisung, niemanden an der Straßensperre vorbei zu lassen. Daraufhin habe er, der Kläger, um Polizeibegleitung für die kurze Strecke nach E. gebeten, um endlich an sein Ziel zu gelangen. An mehreren weiteren Stellen in C. hätten sie dasselbe erlebt.  An der fünften Sperre habe ein Polizeibeamter Rücksprache mit seinem Vorgesetzten über Funk genommen, er sei jedoch angewiesen worden, ihn und seinen Begleiter nicht durchzulassen und ihnen auch keinen Polizeibegleiter für die wenigen 100 Meter bis nach E. zur Verfügung zu stellen. Erklärungen, dass sie nicht beabsichtigten zu demonstrieren, sondern lediglich einen Anwaltskollegen besuchen wollten, seien überall ungehört geblieben, ebenso mündliche Proteste und Rügen der Rechtswidrigkeit. Schließlich habe der Polizeibeamte an der letzten Sperre erklärt, wenn sie den Weg durch die Vorgärten nehmen würden, werde das übersehen, und es werde nicht eingeschritten. Auf diesem Wege seien sie dann gegen 22.30 Uhr zu ihrem Kollegen in E. gelangt. Ein ausdrücklicher Platzverweis sei ihnen gegenüber nicht ausgesprochen worden, man habe nur gesagt: „Sie kommen hier nicht durch“.

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Der Kläger rügt die Verletzung seines Rechts auf Freizügigkeit (Art. 11 GG), seiner Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und seiner Bewegungsfreiheit (Art. 2 GG). Des Weiteren - so der Kläger - sei das Recht auf Anliegergebrauch aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzt. Die Verhinderung jeglichen Zugangs zu privaten Anwesen sei nicht vom Polizeirecht gedeckt und verstoße gegen das Übermaßverbot. Die polizeilichen Anordnungen seien ohne Rechtsgrundlage erfolgt und im Übrigen auch ermessensfehlerhaft und unverhältnismäßig. Es bestehe darüber hinaus die Wiederholungsgefahr, weil die Beklagte bei weiteren Castor-Transporten erneut weiträumig die Transportstrecke absperre und so jeglicher Besuchsverkehr in die Dörfer zwischen Q. und G. verhindert werde. Dadurch werde auch er betroffen, da er häufig in diesem Gebiet, insbesondere während der Castor-Transporttage, sowohl geschäftlich zu Mandanten als auch privat unterwegs sei. Beim Castortransport im November 2003 sei es zu einer vergleichbaren Situation gekommen. Er sei von Pastoren angerufen worden, die im Gemeindehaus von R. gesessen hätten. Sie hätten von ihm anwaltliche Hilfe erbeten, weil Demonstranten im Gemeindehaus Schutz gesucht hätten und die Polizei das Gebäude hätte stürmen wollen. Auf dem Weg nach R. sei er - der Kläger - von Polizeibeamten an Sperren aufgehalten worden, die ihn nicht nach R. durchgelassen hätten, obwohl er sich als Anwalt ausgewiesen und sein Anliegen, anwaltliche Hilfe zu leisten, dargelegt habe.

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Der Kläger beantragt,

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festzustellen, dass die Verbote der Beamten der Beklagten zur Benutzung jeglicher öffentlicher Straßen und Wege von C. und D. nach E. sowie von F. nach E. und D. mit dem Pkw, per Fahrrad und zu Fuß am 13. November 2001 zwischen 19.00 Uhr und 22.30 Uhr rechtswidrig waren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Ein Zusammentreffen des Klägers mit der Polizei sei nicht bekannt. Maßnahmen seien gegen ihn nicht ergriffen worden. In den eingerichteten Kontrollstellen seien Personen und Fahrzeuge gemäß der Kontrollstellen-Anordnungen überprüft worden. Gegen offensichtliche Störer und Störergruppen sowie Personen, die sich in Richtung der Sitzblockade hätten bewegen wollen, seien Platzverweise erlassen worden. Personen, die angegeben hätten, nicht an der Sitzblockade teilnehmen zu wollen, sondern andere Ziele in C. bzw. E. genannt hätten, seien im abgesperrten Raum durch Polizeikräfte zu ihren angegebenen Zielorten begleitet worden. Ermittelt habe werden können, dass der Kläger mit seinem Fahrzeug um 13.05 Uhr desselben Tages in einer Kontrollstelle zwischen P. und C. angetroffen worden sei, Maßnahmen gegen ihn seien nicht getroffen worden. Jedenfalls seien die vom Kläger behaupteten Maßnahmen rechtmäßig gewesen. Die Straßenblockade durch die Castor-Gegner sei aufgrund des bestehenden Versammlungsverbotes rechtswidrig gewesen. Es habe die Gefahr bestanden, dass sie sich vergrößern und damit die öffentliche Sicherheit noch stärker gefährden werde. Es sei kein allgemeines Betretungsverbot ergangen, sondern es habe am Abend des 13. November 2001 eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestanden. Den Polizisten vor Ort sei es nicht möglich gewesen, die Angaben des Klägers zu überprüfen, dass er als Rechtsanwalt einen Kollegen besuchen und nicht an der Blockade habe teilnehmen wollen. Dass der Kläger Rechtsanwalt sei und sich ausweisen könne, lasse nicht automatisch für einen Polizisten vor Ort den Schluss zu, dass sich der Betroffene deshalb nicht an der Blockade beteiligen werde. Sie gehe davon aus, dass, da der Kläger nicht einzeln zu seinem Kollegen begleitet worden sei, dies nicht möglich gewesen sei, weil zu diesem Zeitpunkt keine Beamten abkömmlich gewesen seien.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat Erfolg. Es ist festzustellen, dass die Verbote der Beamten der Beklagten gegenüber dem Kläger zur Benutzung der öffentlichen Straßen und Wege von C. und D. nach E. sowie von F. nach E. und D. mit dem Pkw, per Fahrrad und zu Fuß am 13. November 2001 zwischen 19.00 Uhr und 22.30 Uhr rechtswidrig waren.

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1. Die Klage ist zulässig.

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a) Sollte es sich bei den Verboten zur Benutzung der öffentlichen Straßen und Wege  („Sie kommen hier nicht durch“) um Realakte handeln, ist hier die Feststellungsklage nach § 43 VwGO die statthafte Klageart, sind die Verbote hingegen Verwaltungsakte, ist die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Komm., 12. Aufl. 2000, § 43 Rdnr. 18 und § 113 Rdnr. 116).

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b) Das sowohl für die Feststellungsklage als auch für die Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse (vgl. § 43 Abs. 1 VwGO und § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahmen kann sich aus der Wiederholungsgefahr ergeben.  Diese liegt nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung dann vor, wenn zu befürchten ist, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiges Verwaltungshandeln zu erwarten ist (BVerwG Urt. v. 16.10.1989 – 7 ER 620/89 -; Nds. OVG, Urt. v. 19.02.1997 – 13 L 4115/95 -, Nds.VBl. 1997, 285 m.w.N.).

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Im vorliegenden Fall besteht diese Wiederholungsgefahr. Dies zeigt sich schon daran, dass der Kläger im November 2001 nicht nur einmal, sondern wiederholt von der Polizei zurückgewiesen worden ist. Der Kläger hat ferner  in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, auch bei späteren Castortransporten sei es zu vergleichbaren Vorfällen gekommen. Er hat dabei konkret einen Vorfall beim letzten Castortransport im November 2003 geschildert, bei dem er von Pastoren im Gemeindehaus R. um anwaltliche Hilfe gebeten,  jedoch auf dem Wege dorthin von Polizeisperren aufgehalten worden ist, obwohl er angegeben hatte, Rechtsanwalt zu sein und beruflich in R. zu tun zu haben. Da der Kläger Rechtsanwalt ist, erhält der Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr eine zusätzliche individuelle Komponente. Ein Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, er ist  nicht an feste Arbeitszeiten und Besprechungsorte gebunden. Er muss die nötige Sicherheit haben, trotz der Errichtung von Kontrollstellen zu Zeiten der Castortransporte Kollegen und Mandanten aufsuchen zu können, ohne dass die Gefahr besteht, erneut wie im November 2001 und November 2003 von der Polizei abgewiesen zu werden. Die Freiheit seiner Berufsausübung (Art. 12 GG) und die Rechtsschutzgewährung (Art. 19 Abs. 4 GG) durch anwaltlichen Rat, den Castor-Kritiker und -Betroffene gerade zu Zeiten des Transportes suchen und benötigen, unterstreichen und verstärken das Rechtsschutzinteresse des Klägers an der mit der Klage begehrten Feststellung.

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Da das berechtigte Interesse schon aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr zu bejahen ist, kann offen bleiben, ob sich dieses auch aus einer schwerwiegenden Verletzung der Grundrechte des Klägers aus Art. 11, 12, 14, 2 Abs. 1 GG ergibt (Freizügigkeit, Berufsfreiheit, der vom Kläger angeführte Gemeingebrauch an Straßen und die allgemeine Handlungsfreiheit).

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2. Die Klage ist begründet.

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Die im Tenor des Urteils genannten Verbote von Beamten der Beklagten, bestimmte öffentliche Straßen am 13. November 2001 zwischen 19.00 Uhr und 22.30 Uhr zu benutzen, sind rechtswidrig gewesen, und der Kläger ist dadurch in seinen Rechten verletzt.

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a) Es kann unentschieden bleiben, ob die angegriffenen polizeilichen Maßnahmen Realakte oder Verwaltungsakte gewesen sind, die sich auf § 17 Abs. 1 bzw. § 17 Abs. 2 NGefAG oder § 11 NGefAG  stützen.  

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Realakte sind diejenigen Verhaltensweisen der Polizei, die im Gegensatz zu Verwaltungsakten nicht auf den Eintritt von Rechtsfolgen, sondern unmittelbar auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtet sind, es sind in erster Linie tatsächliches Handeln und tatsächliche Vollzugsmaßnahmen. Unterschieden wird zwischen Realakten ohne Eingriffscharakter und solchen, die in individuelle Rechte des Bürgers eingreifen (Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl. 2001, Kap. E Rdnr. 147; Kap. F Rdnr. 35 ff).

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Im vorliegenden Fall spricht für die Annahme von Realakten mit Eingriffscharakter der Umstand, dass Kontrollstellen aufgrund § 14 NGefAG errichtet worden sind, die für den Kläger den Charakter  einer Straßensperrung  hatten („Sie kommen hier nicht durch“).  Die Errichtung einer Straßensperrung wird aber als Realakt angesehen (Lisken/Denninger, a.a.O., Kap. K Rdnr. 64).

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Für die Annahme von Verwaltungsakten spricht, dass die Maßnahmen der Polizei Duldungs- und Unterlassungsgebote beinhalten („Sie kommen hier nicht durch“), die  in ihrer Wirkung Platzverweisen oder gar großräumigen Aufenthaltsverboten nach § 17 Abs. 1 und 2 NGefAG  und damit Verwaltungsakten nach diesen Vorschriften gleichkommen. Dem Kläger ist - die einzelnen Ge- und Verbote zusammengenommen - letztlich das Betreten eines großräumigen Gebietes (einschließlich des Wohnortes des Kollegen) verwehrt worden.

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b) Jedenfalls erweisen sich die Polizeimaßnahmen als rechtswidrig, weil sie nicht der Abwehr einer Gefahr dienten. Sowohl Realakte mit Eingriffscharakter als auch Verwaltungsakte von Polizeibeamten nach § 17 NGefAG und § 11 NGefAG erfordern gleichermaßen, dass die Polizei „ zur Abwehr einer Gefahr“ tätig wird. Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben, so dass ferner dahin gestellt bleiben kann, welche dieser Vorschriften - § 17 Abs. 1, § 17 Abs. 2 oder § 11 NGefAG - hier einschlägig ist (zur Konkurrenz der polizeirechtlichen Befugnisnormen vgl. etwa Butzer in VerwArch 2002 Seite 506; Lisken/Denninger, a.a.O., Kap. F Rdnr. 700 ff).

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Gefahr ist nach der gesetzlichen Definition des § 2 Nr. 1 Buchst. a) NGefAG eine konkrete Gefahr, das heißt eine Sachlage, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit  ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird.  

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Eine Blockade der Straße zwischen C. und G. am 13. November 2001 wäre eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, weil aufgrund der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 27. Oktober 2001 alle öffentlichen Versammlungen ab dem 12. November 2001 auf den Castor-Transportstrecken verboten worden sind, und dauerhafte Straßenblockaden ohnehin nicht vom Versammlungsrecht gedeckt sind.

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Für die Annahme einer Gefahr durch Teilnahme an der Blockade bedarf es einer Prognoseentscheidung im Zeitpunkt des polizeilichen Einschreitens. Es muss durch Tatsachen die Annahme gerechtfertigt sein, dass sich die konkrete Person zur Blockade begibt, um die Blockade zu unterstützen. Anhaltspunkte hierfür liegen etwa vor, wenn die Person die Begehung der Tat angekündigt oder dazu aufgefordert hat oder Transparente, Flugblätter oder anderes Hinweismaterial mit sich führt, oder die Person bereits in der Vergangenheit bei der Begehung von Blockadeaktionen oder anderen Aktionen gegen die öffentliche Sicherheit als Störerin oder Störer betroffen worden ist und nach den Umständen eine Wiederholung dieser Verhaltensweise zu erwarten ist. Darüber hinaus ist die Gesamtsituation, wenn z.B. andere Personen in dem örtlichen Bereich bereits Blockadeaktionen begehen oder dies unmittelbar bevorsteht, bei der Prognose zu berücksichtigen, da in solchen Fällen die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass auch die einzelne, hinzutretende Person sich beteiligen wird. Bei unüberschaubaren Personengruppen ist eine individuelle Prognose naturgemäß nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt möglich. Es gilt der Grundsatz, dass mit zunehmender Gefährdungsintensität und zunächst ungeklärter Gefahrensituation an die Prognosegenauigkeit geringere Anforderungen zu stellen sind. Stets ist die Gesamtsituation entscheidend. Durch Polizeiaktionen kann jedenfalls nicht der gesamte private Besucherverkehr in der Region verhindert werden.

27

Hiervon ausgehend kann im vorliegenden Fall nicht angenommen werden, dass sich der Kläger an der angekündigten Blockadeaktion beteiligen wollte. Es ergeben sich auch keine Anhaltspunkte oder Hinweise darauf, dass vom Kläger aus anderen Gründen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausging. Der Kläger hatte sich den Polizeibeamten als Rechtsanwalt ausgewiesen und dargelegt, dass er mit einem Kollegen in E. zu einer dienstlichen Besprechung verabredet sei. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Kläger seinem äußeren Erscheinungsbild nach verdächtig war, die Blockade der Demonstranten aktiv zu unterstützen. Der Kläger hatte weder zur Blockade noch zu sonstigen rechtswidrigen Taten aufgerufen und war auch nicht vormals als Störer bei vergleichbaren Anlässen aufgetreten. Er befand sich auch nicht in einer größeren Personengruppe, die auf dem Weg zur Blockade war. Der Kläger hatte mit der Blockade nichts zu tun, was durch seine folgende Aussage in der mündlichen Verhandlung zur Situation an den Vorgärten in C. klar erkennbar wird: „Es standen ungefähr acht bis zehn Beamte an der Sperre. Ich sagte zu ihnen, ich müsse nach links, die Blockade sei doch rechts in 1 km Entfernung; dort wolle ich gar nicht hin, ich wolle doch zu meinem Kollegen nach E..“ Damit war der Kläger eine Person, der entsprechend einer Stellungnahme der Landesbereitschaftspolizei Sachsen-Anhalt vom 5. März 2002 „freies Geleit“ zustand: „Personen, die angaben, nicht an der Sitzblockade teilnehmen zu wollen, sondern andere Ziele in C. bzw. E. nannten, wurden im abgesperrten Raum durch Polizeikräfte zu ihren angegebenen Zielorten  begleitet“.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.