Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.06.2009, Az.: 2 OA 124/09
Streitwertbestimmung in einem Eilverfahren gegen einen Ausschluss vom Schulunterricht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 03.06.2009
- Aktenzeichen
- 2 OA 124/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 14813
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2009:0603.2OA124.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 04.04.2009 - AZ: 6 B 1311/09
Rechtsgrundlagen
- § 52 Abs. 2 GKG
- § 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG
Fundstelle
- NVwZ-RR 2009, 744
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Über die Streitwertbeschwerde entscheidet der Senat als Kollegium und nicht der Berichterstatter des Senats als Einzelrichter, wenn im erstinstanzlichen Verfahren die Streitwertfestsetzung durch den Berichterstatter der Kammer des Verwaltungsgerichts gemäß § 87 a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO und nicht den Einzelrichter gemäß § 6 VwGO erfolgt ist.
- 2.
Vorwegnahme der Hauptsache in einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen einen schulordnungsrechtlichen Ausschluss vom Unterricht gemäß § 61 Abs. 3 Nr. 4 NSchG mit der Folge, dass der volle Auffangstreitwert in Höhe von 5.000 EUR in Ansatz zu bringen ist.
Streitwert in Eilverfahren gegen Ausschluss vom Schulunterricht
Gründe
Die Entscheidung über die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gegen die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts in dem Beschluss vom 4. April 2009 ergeht durch den Senat als Kollegium, weil die angefochtene Streitwertfestsetzung nicht - wie in §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 GKG und § 6 VwGO aber vorausgesetzt - durch den Einzelrichter i. S. d. § 6 VwGO, sondern durch den Berichterstatter gemäß § 87 a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO vorgenommen worden ist und in Ermangelung einer Regelungslücke und des eindeutigen Gesetzeswortlautes kein Raum für eine Analogie zu § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 GKG besteht (vgl. hierzu Nds. OVG, Beschl. v. 9.1.2009 - 5 OA 477/08 -, [...] Langtext Rdnr. 1 m. w. N.; VGH Kassel, Beschl. v. 19.1.2005 - 11 TE 3706/04 -, NVwZ-RR 2005, 583; a. A. etwa : OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 6.5.2009 - 18 E 480/09 -, [...] Langtext Rdnr. 1 ff. m. w. N.; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 2.6.2006 - 9 S 1148/06 -, NVwZ-RR 2006, 648).
Die von den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers nach § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG statthafterweise im eigenen Namen erhobene Beschwerde ist zulässig und begründet, da das Verwaltungsgericht den Streitwert mit dem Betrag von 2.500 EUR zu niedrig bemessen hat.
Nach § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist gemäß § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000 EUR anzunehmen. Auch in den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 53 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GKG bestimmt sich der Wert nach § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Aus dieser Verweisung lässt sich zwar nicht ableiten, dass das Interesse des Antragstellers am Ausgang eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes mit demjenigen des Hauptsacheverfahrens gleichzusetzen wäre. Vielmehr ist die jeweilige Bedeutung der Sache auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes maßgebend, wobei grundsätzlich die Annahme gerechtfertigt ist, dass die Bedeutung der Sache in einem Eilverfahren regelmäßig hinter der der Hauptsache zurückbleibt, weil die Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz nach ihrer Funktion und Rechtsnatur im Allgemeinen nur vorläufigen Charakter hat. Daher folgt der Senat in seiner ständigen Praxis der Streitwertfestsetzung den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit - Fassung 2004 - (NVwZ 2004, 1327). Nach Ziffer II.1.5 des Streitwertkatalogs beläuft sich der Streitwert in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel auf die Hälfte des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts. Nach Satz 2 dieser Ziffer des Streitwertkatalogs kann der Streitwert aber bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts angehoben werden, wenn die Entscheidung des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes die des Hauptsacheverfahrens ganz oder zum Teil vorwegnimmt.
Nach diesen Maßstäben erachtet es das Beschwerdegericht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts in dem konkreten Fall des Antragstellers für angemessen, für das Begehren des Antragstellers im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes den vollen Auffangstreitwert in Höhe von 5.000 EUR in Ansatz zu bringen. Dieser Wert entspricht der Bedeutung einer schulrechtlichen Ordnungsmaßnahme wie hier dem mit der angefochtenen Verfügung der Antragsgegnerin vom 19. März 2009 angeordneten Ausschluss vom Unterricht. Dieser für das Klageverfahren anzunehmende volle Auffangstreitwert ist auch in Anbetracht des vorliegend angestrengten Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nach der in Satz 2 der Ziffer II.1.5 des Streitwertkataloges genannten Ausnahme zur Regelempfehlung von Ziffer II.1.5 Satz 1 nicht zu halbieren, da davon auszugehen ist, dass mit der begehrten Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches des Antragstellers die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen worden wäre. Diese Sichtweise liegt sowohl der neueren Rechtsprechung des Senats zu schulrechtlichen Ordnungsmaßnahmen (vgl. etwa Beschlüsse v. 25.4.2007 - 2 ME 382/07 -, NVwZ-RR 2007, 529 = NordÖR 2007, 320 und - 2 OA 381/07 -: Überweisung an andere Schule) als auch der dem Senat bekannten Rechtsprechung der niedersächsischen Verwaltungsgerichte (vgl. etwa VG Hannover, Beschl. v. 18.3.2004 - 6 B 1104/04 -: Unterrichtsausschluss; VG Göttingen, Beschl. v. 4.11.2004 - 4 B 154/04 -: Unterrichtsausschluss; VG Osnabrück, Beschl. v. 9.5.2005 - 1 B 26/05 -: Überweisung an andere Schule) zugrunde.
Hiergegen kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, die von dem Antragsteller begehrte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches sei bereits von Gesetzes wegen nach § 80 b Abs. 1 VwGO befristet gewesen. Nach dieser Vorschrift endet die aufschiebende Wirkung grundsätzlich erst mit der Unanfechtbarkeit und für den Fall der Klageabweisung drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des gegen die abweisende gerichtliche Entscheidung gegebenen Rechtsmittels. Im Fall des Antragstellers wäre das Schuljahr 2008/2009, für das der angefochtene Ausschluss vom Unterricht von der Antragsgegnerin ausgesprochen worden ist und das bis zum 24. Juni 2009 andauert, nach Ablauf dieser Frist aber bereits beendet, sodass die Hauptsache vorweggenommen worden wäre. Hinzu kommt, dass nach § 61 Abs. 3 Nr. 4 NSchG ein Ausschluss vom Unterricht ohnehin nur für die Dauer von bis zu drei Monaten ausgesprochen werden kann.
Die Festsetzungspraxis des Senats in Fällen der Überweisung an eine Förderschule, wonach in Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes der Auffangstreitwert regelmäßig halbiert wird (vgl. zuletzt etwa Senat , Beschl. v. 14.11.2008 - 2 ME 576/08 -), ist demgegenüber auf die hier gegebene Konstellation nicht übertragbar. Die Überweisung an eine Förderschule betrifft - anders als ein Ausschluss vom Unterricht für die Dauer von höchstens drei Monaten - regelmäßig nicht nur ein Schuljahr, sondern gilt grundsätzlich für die gesamte Schullaufbahn des betroffenen Schülers, sodass in diesen Fällen eine Vorwegnahme der Hauptsache in der Regel nicht gegeben ist.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. etwa 3. Kammer des 2. Senats , Beschl. v. 24.3.2009 - 2 BvR 2347/08 -, [...]), wonach die nur vorläufige Aussetzung einer belastenden Maßnahme für sich genommen eine Vorwegnahme der Hauptsache nicht darstellt, gibt für die Festsetzung des Streitwertes nichts her. Diese Rechtsprechung ist zu einer materiell-rechtlichen Frage (im konkreten Fall: Ablösung von der Arbeit und getrennte Unterbringung eines Strafgefangenen) ergangen, ob der Erlass einer einstweiligen Anordnung der Sache nach allein mit der Begründung abgelehnt werden könne, die Hauptsache werde vorweggenommen. In diesem Zusammenhang führt das Bundesverfassungsgericht an, im Einzelfall könne der Erlass einer solchen Anordnung, die die Hauptsache zugunsten des Antragstellers vorwegnehme, zulässig und geboten sein.