Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 04.11.2004, Az.: 4 B 154/04
Unterrichtsausschluss wegen nachhaltiger und schwerer Beeinträchtigung des Schulunterrichts durch einen Schüler in Form einer Schädigung des Ansehens seines Lehrers i.S.v. § 61 Abs. 2 Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG)
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 04.11.2004
- Aktenzeichen
- 4 B 154/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 36370
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2004:1104.4B154.04.0A
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- SchuR 2005, 177 (Volltext)
- SchuR 2007, 116 (Kurzinformation)
Verfahrensgegenstand
Schulrechtliche Ordnungsmaßnahme
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Göttingen - 4. Kammer -
am 4. November 2004 beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, mit dem der Antragsteller gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 28.10.2004 verfügte schulrechtliche Ordnungsmaßnahme begehrt, hat keinen Erfolg.
Die im Rahmen dieses Verfahrens zu treffende Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, einstweilen von dem Vollzug des unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgesprochenen Unterrichtsausschlusses verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung dieser Maßnahme geht zu Lasten des Antragstellers aus. Der bis zum 08.11.2004 befristete zweiwöchige Unterrichtsausschluss stellt sich bei der im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und allein möglichen summarischen Prüfung als rechtmäßig dar. Die von der Antragsgegnerin verhängte Ordnungsmaßnahme begegnet weder in formeller noch in materieller Hinsicht rechtlichen Bedenken.
Das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Ausschlusses vom Unterricht ist in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO genügenden Weise begründet worden. Der Schulleiter der Antragsgegnerin hat hierzu auf der Grundlage eines einstimmigen Beschlusses der Klassenkonferenz der Klasse 8c vom 25.10.2004 in dem Bescheid vom 28.10.2004 ausgeführt, es wäre mit dem schulischen Bildungsauftrag nicht vereinbar, wenn der Antragsteller für die Dauer eines möglichen Widerspruchsverfahrens weiterhin in der ihm vorgeworfenen Weise auf seine Mitschüler einwirken und sie zur Nachahmung animieren könnte. Auch könne nur im Fall eines möglichst zeitnahen Zusammenhangs von Tat und Maßnahme beim Antragsteller Einsicht und Besserung bewirkt werden. Diese Erwägungen erscheinen hinreichend, zumal vieles dafür spricht, dass der von der Konferenz verfolgte Erziehungszweck der getroffenen Maßnahme durch die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs- und eines evtl. nachfolgenden Klageverfahrens vereitelt würde.
Rechtsgrundlage für die angefochtene Maßnahme der Antragsgegnerin ist § 61 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 4 des Nds. Schulgesetzes (NSchG). Danach ist der Ausschluss vom Unterricht bis zu drei Monaten als Ordnungsmaßnahme zulässig, wenn Schülerinnen oder Schüler ihre Pflichten grob verletzen und insbesondere gegen rechtliche Bestimmungen verstoßen. Der Ausschluss vom Unterricht setzt gemäß § 61 Abs. 4 NSchG weiter voraus, dass die Schülerin oder der Schüler durch den Schulbesuch die Sicherheit von Menschen ernstlich gefährdet oder den Unterricht nachhaltig und schwer beeinträchtigt hat.
Der Wortlaut des § 61 Abs. 2 NSchG kennzeichnet die getroffene Regelung als Ermessensnorm, was zur Folge hat, dass die vom Schulleiter der Antragsgegnerin umgesetzte Entscheidung der Klassenkonferenz bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen lediglich daraufhin überprüft werden kann, ob die Konferenz vom richtigen Sachverhalt ausgegangen ist, die einzuhaltenden Verfahrensbestimmungen und den Gleichheitssatz beachtet hat und sich von sachgerechten, am Sinn des ihr eingeräumten Ermessensspielraums orientierten Erwägungen hat leiten lassen. Diesen Anforderungen entspricht der verhängte Ausschluss des Antragstellers vom Unterricht für zwei Wochen.
Nach Auffassung der Kammer ist die Klassenkonferenz mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen, als sie angenommen hat, der Antragsteller habe den Fachlehrer O. zusammen mit zwei anderen Schülern während einer Klassenfahrt und danach immer wieder öffentlich und in der Absicht, ihn herabzuwürdigen, mit Begriffen wie "Schlüpfer" oder "Schlüpfermann" betitelt. Dieses Verhalten einem Lehrer gegenüber, das der Antragsteller zugestanden hat, erscheint in hohem Maße respektlos. Darüber hinaus spricht insbesondere die protokollierte Äußerung einer Mitschülerin dafür, dass der Antragsteller auch das Gerücht in die Welt gesetzt hat, sein Lehrer habe Schülerinnen fotografiert, die nur leicht bekleidet gewesen seien. Diese Behauptungen waren zumindest mitursächlich für das Entstehen weiterer Gerüchte, die einen gegen den Lehrer gerichteten Verdacht unsittlichen Verhaltens beinhalten. Für die Richtigkeit dieses Verdachts spricht nach dem Inhalt der dem Gericht vorliegenden Unterlagen und insbesondere der Äußerungen anderer Schüler und der die Klassenfahrt begleitenden Lehrerin nichts. Abgesehen davon wäre der Antragsteller in keinem Fall berechtigt gewesen, sich gegenüber seinem Lehrer und gegenüber Dritten in der dargestellten Weise zu äußern, sondern hätte im Fall des Verdachts einer Dienstpflichtverletzung das Gespräch mit seiner Lehrerin oder - nach Abschluss der Klassenfahrt - mit dem Vertrauenslehrer oder dem Schulleiter suchen müssen. Wie die Klassenkonferenz sieht auch die Kammer in dem Verhalten des Antragstellers, das geeignet war, das Ansehen des Lehrers O. gravierend zu schädigen, eine grobe Pflichtverletzung i.S.v. § 61 Abs. 2 NSchG, durch die der Unterricht in der Klasse 8c der Antragsgegnerin nachhaltig und schwer beeinträchtigt worden ist. Für eine solche Beeinträchtigung spricht nicht zuletzt eine Äußerung des Vorsitzenden des Schulelternrats der Antragsgegnerin, wonach in der Klasse eine Situation entstanden ist, die ein konzentriertes Lernen kaum noch ermögliche.
Die von der Klassenkonferenz verhängte Maßnahme lässt keine Anzeichen von Willkür erkennen und erscheint verhältnismäßig. Insbesondere hat die Klassenkonferenz intensiv über die zu verhängende Maßnahme beraten und dabei im Verhältnis zu den anderen betroffenen Schülern berücksichtigt, dass der Antragsteller bei den Diffamierungen seines Lehrers die treibende Kraft gewesen ist. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Konferenz davon abgesehen hat, den Ausschluss vom Unterricht gemäß § 61 Abs. 3 Nr. 3 NSchG zunächst anzudrohen. Dem Protokoll vom 25.10.2004 ist zu entnehmen, dass die Konferenz einen zweiwöchigen Unterrichtsausschluss im Hinblick auf das Gewicht des Verstoßes des Antragstellers als an der unteren Grenze der in Betracht kommenden Maßnahmen liegend angesehen hat und dass verschiedene Teilnehmer sich für einen länger dauernden Ausschluss vom Unterricht ausgesprochen haben. Angesichts der eingehenden Abwägung dieser Frage und des Umstands, dass ein im unteren Bereich des Rahmens des § 61 Abs. 3 Nr. 4 NSchG liegender Zeitraum gewählt wurde, ist die Entscheidung der Konferenz bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.
Verfahrensmängel kann die Kammer nicht erkennen. Insbesondere ist der Antragsteller auf seine Rechte gemäß § 61 Abs. 6 NSchG hingewiesen worden. Auch haben sowohl der betroffene Fachlehrer als auch der Antragsteller unter Wahrung des § 41 Abs. 1 NSchG an der Beratung und der Abstimmung über die zu verhängende Ordnungsmaßnahme nicht teilgenommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Die Entscheidung über den Streitwert ergeht nach § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Eine Verminderung des Wertes im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nimmt die Kammer nicht vor, da die Entscheidung die Hauptsache faktisch vorwegnimmt.