Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 12.08.2011, Az.: 10 WF 299/10

Voraussetzungen einer Ablehnung der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wegen Mutwilligkeit seitens des Antragsgegners aufgrund Nichtgeltendmachung von Einwendungen im Verfahrenskostenbewilligungsverfahren des Antragstellers

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
12.08.2011
Aktenzeichen
10 WF 299/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 22596
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2011:0812.10WF299.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - AZ: 617 F 2613/10

Fundstellen

  • FamFR 2011, 444
  • FamRZ 2012, 47-48
  • FuR 2012, 42-43
  • FuR 2012, 385-386
  • JurBüro 2011, 653-654
  • MDR 2011, 1235-1236
  • RVGreport 2011, 400

Amtlicher Leitsatz

1. Unterläßt es der Antragsgegner anläßlich der Prüfung der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zugunsten des Antragstellers ohne triftigen Grund, in einer rechtzeitigen Stellungnahme Einwendungen geltend zu machen, mit denen er ohne weiteren Aufwand ein Hauptsacheverfahren verhindern könnte, so ist seine spätere entsprechende Rechtsverteidigung als verfahrenskostenhilferechtlich mutwillig im Sinne von §§ 114 ZPO, 113 Abs. 1 FamFG zu beurteilen.

2. Dies gilt insbesondere, wenn er materiellrechtlich zu entsprechender Auskunft verpflichtet ist oder ihm gegenüber einer Inanspruchnahme eine Darlegungslast obliegt, deren Verletzung der Gesetzgeber - wie etwa in § 243 Satz 2 Nr. 2 FamFG oder § 93d ZPO a.F. - ausdrücklich im Rahmen der Kostenentscheidung sanktioniert.

Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten sind getrennt lebende Ehegatten. die beiden aus der Ehe hervorgegangenen minderjährigen Kinder leben in der Obhut des Kindesvaters. Im vorliegenden Verfahren nimmt der Antragsteller - nach vorherigem erfolglosen außergerichtlichen Auskunftsverlangen - im Wege eines Stufenantrages die Antragsgegnerin auf Kindesunterhalt in Anspruch. vor dem Hintergrund eines in einem im Jahre 2008 geführten Gewaltschutzverfahren ergangenen Beschlusses hat er seitdem keine näheren Kenntnisse über ihren Aufenthalt und ihre Verhältnisse.

2

Das Amtsgericht hat der Antragsgegnerin das Gesuch des Antragstellers auf Bewilligung entsprechender Verfahrenskostenhilfe (VKH) zugeleitet und ihr unter Fristsetzung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Nach Ablauf dieser Frist sowie eines weiteren entsprechenden Zeitraumes hat das Amtsgericht - wie aus Rechtsgründen geboten - dem Antragsteller VKH bewilligt und den Antrag förmlich zugestellt.

3

Lange nach Ablauf der gesetzten Stellungnahmefrist und nach Bewilligung von VKH für den Antragsteller hat sich die Antragsgegnerin über einen Verfahrensbevollmächtigten gegen ihre Inanspruchnahme verteidigt. dazu hat sie lediglich dargelegt, daß sie nach wie vor in einem Frauenhaus lebe, ALG IILeistungen beziehe, derzeit in Integrationsmaßnahmen (Deutschkurs, Arbeitsmaßnahme) eingebunden sei und sich zudem noch in ärztlicher Behandlung befinde. sie ist zudem der Auffassung, dem Antragsteller seien diese Umstände auch bereits bekannt. Für die Verteidigung hat sie ihrerseits um VKH nachgesucht.

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Das Amtsgericht hat der Antragsgegnerin VKH wegen Mutwilligkeit versagt und dabei darauf abgestellt, daß eine selbst für die Verfahrenskostenhilfe aufkommende Beteiligte ihre Einwände bereits im Rahmen der vorgelagerten VKHPrüfung vorgebracht und nicht erst das Entstehen der mit der Rechtshängigkeit zwangsläufig verbundenen Kosten abgewartet hätte.

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Dagegen richtet sich die form und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin, die ihr VKHGesuch weiter verfolgt. das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

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Der Einzelrichter hat das Verfahren zur Entscheidung auf den Senat übertragen.

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II. Die zulässige Beschwerde kann in der Sache keinen Erfolg haben.

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1. In obergerichtlicher Rechtsprechung wie Literatur besteht keine Übereinstimmung, ob und unter welchen Voraussetzungen es als prozeß bzw. verfahrenskostenhilferechtlich mutwillig im Sinne von §§ 114 ZPO, 113 Abs. 1 FamFG zu beurteilen ist, wenn der Antragsgegner im VKHPrüfungsverfahren von seiner Stellungnahmemöglichkeit nach § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO keinen Gebrauch macht und sich erstmals nach Rechtshängigkeit verteidigt und dafür seinerseits um VKH nachsucht.

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So haben etwa die Auffassung vertreten, einem Beklagten, der zunächst zum PKH Gesuch der Klägerseite nicht Stellung nehme, könne, wenn er nach Klagerhebung selbst PKH begehre, diese nicht wegen Mutwilligkeit versagt werden, Entscheidungen des OLG Karlsruhe (Beschluß vom 28. August 2001 - 5 WF 133/01 - FarmRZ 2001, 1132 f., Leitsatz) und OLG Schleswig (Beschluß vom 6. Juli 2005 - 15 WF 152/05 - FuR 2006, 142 - Leitsatz). nach einer Entscheidung des OLG Oldenburg soll jedenfalls ein anwaltlich nicht vertretener Antragsgegner nicht mutwillig im Sinne von § 114 ZPO handeln, wenn er relevante Einwendungen erst mit der Klagerwiderung und nicht schon im Rahmen der Anhörung zu dem gegnerischen Gesuch um PKHBewilligung vorbringt (Beschluß vom 17. Februar 2009 - 13 WF 24/09 - FamRZ 2009, 895 f., Leitsatz).

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Demgegenüber ist nach einer vom Brandenburgischen OLG vertretenen Auffassung die spätere Rechtsverteidigung regelmäßig mutwillig i.S.d. § 114 ZPO, wenn die Partei zum PKHGesuch der Gegenseite erklärt hat, keine Erklärung abzugeben (Beschluß vom 5. April 2005 - 9 WF 79/05 - FamRZ 2006, 349, Leitsatz). Für möglich halten die Mutwilligkeit bei Unterlassen der Geltendmachung bereits im gegnerischen PKHVerfahren etwa Entscheidungen der Oberlandesgerichte Düsseldorf (Beschluß vom 15. Januar 1997 - 3 WF 234/96 - FamRZ 1997, 1017 f. Leitsatz 2), Oldenburg (Beschluß vom 13. Mai 2002 - 12 WF 81/02 - FamRZ 2002, 1712 f. - Leitsatz) und Köln (Beschluß vom 25. September 2008 - 2 W 63/08 - JurBüro 2009, 145 f., Leitsatz. Beschluß vom 28. April 2010 - 27 WF 49/10 - BeckRS 2010, 13535 [bereits zum FamFG]) sowie des Brandenburgischen OLG (Beschluß vom 19. Juli 2007 - 9 WF 197/07 - FamRZ 2008, 39 f. - Leitsatz). Eine grundsätzliche Möglichkeit der Beurteilung als mutwillig, die praktisch allerdings unter recht strengen Voraussetzungen steht - ohne weiteres gegenüber dem Anspruch durchgreifender Einwand, auf nächste Zeit fehlende Durchsetzungsmöglichkeit eines Kostenerstattungsanspruches und Fehlen von berechtigten Sonderinteressen an einer streitigen Entscheidung - vertritt etwa Fischer (MDR 2006, 661 ff.).

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2. Der Senat geht in ständiger - allerdings bislang nicht ersichtlich veröffentlichter Rechtsprechung (vgl. etwa ausdrücklich Beschluß vom 28. September 2008 - 10 WF 305/08) davon aus, daß es als verfahrenskostenhilferechtlich mutwillig zu beurteilen ist, wenn es ein in Anspruch genommener Beteiligter ohne triftigen Grund unterläßt, anläßlich der Prüfung der Bewilligung von VKH zugunsten des Anspruchstellers in einer rechtzeitigen Stellungnahme Einwendungen geltend zu machen, mit denen er ohne besonderen Aufwand - etwa weil sie bereits in vorgerichtlichen Anwaltsschriftsätzen oder in eigenen früheren Verteidigungsschreiben zusammengefaßt sind oder die Überreichung von Ablichtungen vorhandener Unterlagen ausreichend ist - seine gerichtliche Inanspruchnahme verhindern könnte. An dieser Beurteilung hält der Senat ausdrücklich fest. Das beruht auf folgenden Erwägungen:

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Einer Bewilligung von VKH steht der Gesichtspunkt der Mutwilligkeit entgegen, wenn dem Rechtssuchenden eine einfachere und billigere Möglichkeit der Geltendmachung offensteht, die auch ein selbst für die Rechtsverfolgungs bzw. verteidigungskosten aufkommender Beteiligter vernünftigerweise wählen würde.

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Es ist schlichtweg selbstverständlich, daß sich eine in beliebig rechtserheblicher Weise in Anspruch genommene Person dem - soweit dies aus ihrer Sicht zu Unrecht erfolgt - entgegenstellt und - je nach den persönlichen Fähigkeiten mehr oder wenig substantiiert und qualifiziert - den für unberechtigt gehaltenen Anspruch zurückweist. Dies gilt auch und erst recht für eine Inanspruchnahme, für die ein Anspruchsteller erst um Prozeß bzw. Verfahrenskostenhilfe nachsucht, so daß der in Anspruch Genommene vorab durch das ersichtlich als neutrale Instanz tätig werdende Gericht ausdrücklich zu einer entsprechenden Stellungnahme zur Verteidigung aufgefordert wird.

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In einer solchen Situation bedarf es daher einer besonderen Rechtfertigung, wenn der in Anspruch Genommene von der ihm ausdrücklich nahegelegten Möglichkeit der Stellungnahme nicht zumindest in einer solchen Weise Gebrauch macht, wie dies ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten ohne weiteres und ohne Auslösung wesentlicher Kosten - namentlich etwa für die erstmalige Einschaltung eines Rechtsanwaltes - möglich und zumutbar ist. auch ein selbstzahlender Betroffener würde vernünftigerweise bereits in diesem Frühstadium entsprechend tätig werden, schon um das mit einer eigentlichen gerichtlichen Inanspruchnahme unabhängig vom Ausgang des Verfahrens stets verbundene Kostenrisiko zu vermeiden. Unterläßt der in Anspruch Genommene dagegen ohne triftigen Grund die ihm in diesem Sinne obliegende Stellungnahme, so stellt sich eine erst nach dadurch verursachter Rechtshängigkeit des Verfahrens erfolgende Geltendmachung der entsprechenden Einwendungen als verfahrenskostenrechtlich mutwillig dar. Demgegenüber erweist sich auch der Hinweis auf ein anfänglich noch fehlendes Prozeßrechtsverhältnis als unerheblich - einer Beurteilung als mutwillig steht gerade nicht entgegen, daß ein entsprechendes Verhalten prozeß bzw. verfahrensrechtlich zulässig wäre.

15

Nach diesen Maßstäben stellt sich die Rechtsverteidigung der Antragsgegnerin im Streitfall als offenkundig verfahrenskostenhilferechtlich mutwillig dar. Die von ihr erst nachträglich offengelegten, einem aktuellen Unterhaltsanspruch der minderjährigen Kinder durchgreifend entgegenstehenden Umstände konnte und mußte sie bereits im Rahmen einer Stellungnahme zum gegnerischen VKHGesuch anzeigen, bereits bei Vorlage von Ablichtungen der ihr vorliegenden entsprechenden Urkunden wäre eine VKHBewilligung für den Antragsteller sicher unterblieben.

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3. Die verfahrenskostenhilferechtliche Mutwilligkeit der Rechtsverteidigung ergibt sich im Streitfall - wie in der Mehrzahl der dem unter 2. dargestellten Mutwilligkeitsvorwurf unterfallenden Fälle - zudem aber auch aus einem weiteren Gesichtspunkt.

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a. Es ist anerkannten Rechts, daß ein Rechtsmittel als prozeßkostenhilferechtlich mutwillig zu bewerten ist, dessen Erfolgsaussicht auf Vorbringen beruht, das bereits in erster Instanz möglich gewesen wäre, dort aber sorgfaltswidrig unterblieben ist (vgl. etwa Zöller28Geimer, ZPO § 119 Rz. 54a a.E.. OLG Karlsruhe - Beschluß vom 5. März 1998 - 2 WF 146/97 - FamRZ 1990. 726 f. - Leitsatz 2. OLG Jena - Beschluß vom 17. August 1998 - 7 U 461/98 - MDR 1999, 257. OLG Bamberg - Beschluß vom 10. Mai 1999 - 7 UF 48/99 - FamRZ 2000, 1024 - Leitsatz. OLG Frankfurt - Beschluß vom 17. Januar 2002 - 1 UF 98/01 - MDR 2002, 843 f. - Leitsatz . OLG Stuttgart - Beschluß vom 5. Oktober 2005 - 13 U 214/04 - Justiz 2006, 229 - Leitsatz. OLG Brandenburg - Beschluß vom 22. März 2006 - 9 UF 243/05 - FamRZ 2006, 1549 - Leitsatz), wobei für diese Beurteilung ganz wesentlich auf den entsprechenden, durch § 97 Abs. 2 ZPO deutlich gemachten gesetzgeberischen Willen abgestellt wird.

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b. Der Gesetzgeber hat dem entsprechender Weise mit § 93d ZPO a.F. bzw. § 243 Satz 2 Nr. 2 FamFG ebenfalls deutlich gemacht, daß auch ein letztlich obsiegender Unterhaltsverpflichteter, der einer materiellrechtlichen Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht rechtzeitig und vollständig nachgekommen ist, mit den Prozeß bzw. Verfahrenskosten zu belasten ist, auch wenn es sich dabei um ein Verhalten außerhalb eines bereits entstandenen Prozeßrechtsverhältnisses handelt.

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Da der Antragsteller als Prozeßstandschafter der gemeinsamen minderjährigen Kinder in seiner Obhut gegenüber der Antragsgegnerin unzweideutig einen materiellrechtlichen Anspruch auf Auskunft über ihre Einkommens und Vermögenssituation hat und die Antragsgegnerin zudem eine gesteigerte Darlegungslast hinsichtlich einer geltend gemachten Leistungsunfähigkeit trifft, oblag es ihr spätestens auf das ihr mit dem VKHGesuch zugleich übermittelte Auskunftsverlangen hin (ob sie sich zu diesem Zeitpunkt mit der Auskunft bereits in Verzug befand, kann hier dahinstehen), vollständige Auskunft zu erteilen und insofern jedenfalls innerhalb der ihr gesetzten (vor) verfahrensrechtlichen Stellungnahmefrist zu reagieren. es war ihr unter den Umständen des Streitfalles auch unproblematisch und ohne Einschaltung eines Rechtsanwaltes möglich, die später zu ihrer Verteidigung vorgebrachten Gesichtspunkte zumindest ihrem Kern nach kurz anzugeben und die ihr vorliegenden entsprechenden Unterlagen - etwa den Sozialhilfebescheid, die Vereinbarung über die laufenden Integrationsmaßnahmen sowie ärztliche Stellungnahmen - in Ablichtung vorzulegen. Nachdem sie dieser ihr sogar materiellrechtlich obliegenden Verpflichtung nicht nachgekommen ist, werden ihr auch im Obsiegensfall die Verfahrenskosten aufzuerlegen sein, so daß zugleich auch eine VKHBewilligung insoweit durchgreifend ausgeschlossen ist.