Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 03.08.2011, Az.: 4 AR 43/11
Grundsätzezzur Bindungswirkung einer Verweisung; Anforderungen an die Pflicht des Gerichts zur Prüfung der eigenen Zuständigkeit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 03.08.2011
- Aktenzeichen
- 4 AR 43/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 22707
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2011:0803.4AR43.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Syke - AZ: 24 C 1170/10
- AG Bremen - AZ: 1 C 6/11
Rechtsgrundlage
- § 281 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Setzt sich ein Gericht bei der Verweisung des Rechtsstreits gem. § 281 ZPO inhaltlich nicht mit einer - möglichen - eigenen Zuständigkeit auseinander, begründet dies grundsätzlich die Annahme objektiver Willkür und nimmt dem Verweisungsbeschluss die Bindungswirkung. Eine Ausnahme kann dann gegeben sein, wenn die Verweisung im Einvernehmen beider Parteien erfolgt und nicht vom Gericht angestoßen wurde.
Tenor:
Das Amtsgericht Bremen ist zuständig.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem beendeten Postagenturvertrag.
Die Klägerin hat mit der Beklagten unter dem 3./7. April 2008 einen sog. Partnervertrag geschlossen. Als Adresse der Beklagten ist die V. L.straße ... in ... S. angegeben. S. liegt im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Syke. Die Klägerin beantragte einen Mahnbescheid, der am 13. Juli 2009 erlassen und der Beklagten am 15. Juli 2009 durch Niederlegung unter der Adresse S. F. ... in ... S. zugestellt wurde. Als Prozessgericht war das Amtsgericht Syke angegeben. Die Beklagte erhob Widerspruch und gab als Adresse die C. Straße ... in ... B. an. Der am 5. August 2009 eingegangene Antrag auf Erlass eines Vollstreckungsbescheids konnte wegen des bereits erhobenen Gesamtwiderspruchs nicht erlassen werden. Am 14. Oktober 2010 ging die Anspruchsbegründung der Klägerin ein. Mit der Anspruchsbegründung wurde zugleich die Abgabe des Rechtsstreits an das für den Wohnsitz der Beklagten in B. (C. Str. ...) zuständige Amtsgericht Bremen beantragt. Hierzu wurde die Beklagte mit der Verfügung des Amtsgerichts Syke vom 26. Oktober 2010 angehört. Die Zustellung der Verfügung konnte unter der Adresse N. Straße ... in ... B. erfolgen. Die Beklagte erhob unter dem 15. Dezember 2010 ein "Recht des Widerspruchs" und gab keine Stellungnahme zur beantragten Abgabe des Verfahrens ab.
Das Amtsgericht Syke hat sich mit Beschluss vom 20. Dezember 2010 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das für den Wohnsitz der Beklagten zuständige Amtsgericht Bremen verwiesen. Das Amtsgericht Bremen hat sich seinerseits mit Beschluss vom 15. April 2011 ohne Anhörung der Parteien für örtlich unzuständig erklärt und die Sache unter Ablehnung der Übernahme an das Amtsgericht Syke zurückverwiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht Bremen ausgeführt, die Klägerin habe ihr Wahlrecht zur Gerichtsstandswahl im Mahnbescheidsantrag ausgeübt und könne nun nicht mehr wählen, im allgemeinen Gerichtsstand zu klagen. Im Übrigen habe das Amtsgericht Syke den Gerichtsstand des Erfüllungsortes verkannt. Das Amtsgericht Syke hat das Verfahren dem Amtsgericht Bremen unter Hinweis auf eine nicht im Gesetz vorgesehene "Rückgabe" des Verfahrens übersandt. Das Amtsgericht Bremen hat sodann die Übernahme der Sache abgelehnt und den Rechtsstreit dem Oberlandesgericht Celle mit Beschluss vom 22. Juli 2011 vorgelegt.
II. 1. Das Oberlandesgericht Celle ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zur Entscheidung über die Bestimmung der Zuständigkeit berufen. Das Amtsgericht Bremen und das Amtsgericht Syke haben sich jeweils rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das Amtsgericht Syke als das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört zum Bezirk des Oberlandesgerichts Celle.
2. Der Senat hat das Amtsgericht Bremen als das zuständige Gericht bestimmt. Die mit Beschluss des Amtsgerichts Syke vom 20. Dezember 2010 erfolgte Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Bremen erweist sich im Ergebnis jedenfalls nicht als objektiv willkürlich.
Grundsätzlich sind Verweisungsbeschlüsse nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbar und gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008, Aktenzeichen: X ARZ 45/08 m. w. N. - aus [...]). Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist, etwa weil er einer gesetzlichen Grundlage entbehrt. Ausreichend ist nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist (z. B. BGH NJW 2003, 3201). Ein Ausnahmefall ist allerdings dann gegeben, wenn ein als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands unzweifelhaft örtlich zuständiges Gericht sich darüber hinwegsetzt, dass die Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt (BGH NJW 1993, 1273. NJW 2002, 3634). Allerdings ist ein Verweisungsbeschluss auch bei gänzlichem Fehlen einer Begründung noch nicht offensichtlich gesetzwidrig, wenn die Entscheidung im Einvernehmen beider Parteien ergangen ist (BGH NJW 2003, 3201, 3203 [BGH 10.06.2003 - X ARZ 92/03]. s. a. BGH NJW 2002, 3634, 3635 f. [BGH 10.09.2002 - X ARZ 217/02]. OLG Brandenburg, Beschl. v. 27. Juli 2010, Az.: 1 AR 25/10 - aus [...]).
Zwar hat sich das Amtsgericht Syke fehlerhaft nicht mit der aus § 29 ZPO folgenden eigenen Zuständigkeit auseinandergesetzt. Der Partnervertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten wurde geschlossen, als die Beklagte ihren Sitz in S. und damit im Bezirk des Amtsgerichts Syke hatte. Hieraus ergibt sich, dass auch aus dem Vertrag entstehende Folgeansprüche gemäß § 29 ZPO am Sitz des Vertragsschlusses eingeklagt werden können. Dies hat das Amtsgericht Syke übersehen und inhaltlich bei der Verweisung nicht berücksichtigt. Dies führt normalerweise nach ständiger Rechtsprechung des Senats zur Annahme objektiver Willkür, was dem Verweisungsbeschluss die Bindungswirkung nehmen würde.
Allerdings erweist sich in diesem Einzelfall die Verweisung ausnahmsweise nicht als willkürlich. Die Ausübung eines Wahlrechts seitens der Klägerin kann nicht angenommen werden, weil sie bei Beantragung des Mahnbescheides überhaupt kein Wahlrecht hatte. Die Klägerin musste vielmehr davon ausgehen, dass sowohl der Erfüllungsort (Ort des Vertragsschlusses) als auch der (Wohn)Sitz der Beklagten in S. und damit im Bezirk des Amtsgerichts Syke lagen. Allerdings ist die Verweisung im Einvernehmen beider Parteien erfolgt und nicht vom Amtsgericht Syke 'angestoßen' worden. Die Klägerin hat bereits mit dem Abgabeantrag an das im Mahnbescheid genannte Prozessgericht und mit der Anspruchsbegründung die Verweisung des Rechtsstreits an das Wohnsitzgericht, also das Amtsgericht Bremen, beantragt. Hierzu hat die Beklagte keine Einwände erhoben. Zwar ist Willkür anzunehmen, wenn ein unzweifelhaft zuständiges Gericht die Parteien, die sich bislang zur Frage einer Verweisung noch nicht geäußert haben, von sich aus auf die angeblich bestehende Möglichkeit einer Verweisung hinweist (BGH NJW 2002, 3634, 3636 [BGH 10.09.2002 - X ARZ 217/02]). Dieser Sachverhalt ist vorliegend aber nicht gegeben. Ein derartiger Hinweis des Amtsgerichts Syke ist nicht erfolgt. Anlass zur gegenteiligen Annahme bietet der Akteninhalt nicht. Es tritt hinzu, dass das Amtsgericht Bremen seinen Rückverweisungsbeschluss sowie den Vorlagebeschluss ohne Anhörung der Parteien und damit ohne die Gewährung rechtlichen Gehörs getroffen hat. Bereits dies könnte die Annahme objektiver Willkür begründen.
Der Senat weist, ohne dass es allerdings noch darauf ankommt, darauf hin, dass eine Rechtshängigkeit des Verfahrens mit Zustellung des Mahnbescheides nicht begründet wurde. Denn eine Abgabe des Verfahrens an das Prozessgericht ist nicht alsbald i.S.v. § 696 Abs. 3 ZPO nach der Erhebung des Widerspruches erfolgt. Im Übrigen sollten beide Amtsgerichte zukünftig bedenken, dass Zuständigkeitsstreitigkeiten nicht auf dem Rücken der Parteien auszutragen sind.