Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 15.08.2011, Az.: 12 WF 104/11
Berücksichtigungsfähigkeit staatlicher Sozialleistungen zur Deckung des Lebensunterhalts bei der Berechnung des Verfahrenswerts in Ehesachen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 15.08.2011
- Aktenzeichen
- 12 WF 104/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 37015
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2011:0815.12WF104.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Stadthagen - 24.06.2011
Rechtsgrundlage
- § 43 Abs. 2 FamFG
Fundstelle
- FamRZ 2012, 240
Amtlicher Leitsatz
Staatliche Sozialleistungen zur Deckung des Lebensunterhalts, denen keine Lohnersatzfunktion zukommt, haben für die Berechnung des Verfahrenswertes in Ehesachen außer Betracht zu bleiben.
Tenor:
I. Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
II. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III. Der Beschwerdewert wird auf 194,00 € festgesetzt.
Gründe
I. Das Amtsgericht - Familiengericht - Stadthagen hat die Ehe der Beteiligten geschieden und den Verfahrenswert im angefochtenen Beschluss vom 24.06.2011 für die Ehescheidung auf 2.700 €, für das Sorgerecht auf 540 € und den Versorgungsausgleich auf 1.000 € festgesetzt. Dabei hat es berücksichtigt, dass der Ehemann über ein Nettoeinkommen in Höhe von 900 € und die Ehefrau über kein Erwerbseinkommen verfügt.
Hiergegen wendet sich die Verfahrensbevollmächtigte der Ehefrau. Sie meint, die von der Ehefrau bezogenen Leistungen nach dem SGB II in Höhe von insgesamt 451, 75 € seien bei der Bemessung des Verfahrenswertes zu berücksichtigen.
II. Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Ehefrau ist gem. § 59 Abs. 1 S. 2 und 3 FamGKG zulässig, da sie innerhalb der gesetzlichen Frist eingelegt und durch das Amtsgericht - Familiengericht - Stadthagen zugelassen worden ist.
Die Beschwerdeberechtigung der Beschwerdeführerin ergibt sich aus § 32 RVG.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Das Amtsgericht hat die von der Ehefrau bezogenen Leistungen nach dem SGB II zu Recht nicht als Nettoeinkommen i. S. d. § 43 Abs. 2 FamGKG berücksichtigt.
Gem. § 43 Abs. 1 FamGKG ist der Verfahrenswert in Ehesachen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Ehegatten, nach Ermessen zu bestimmen. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift ist für die Einkommensverhältnisse das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Ehegatten einzusetzen.
Als Nettoeinkommen im Sinne dieser Vorschrift ist vorliegend allein das Erwerbseinkommen des Antragsgegners anzusehen. Dagegen stellen die nach dem SGB II bezogenen Leistungen an die Antragstellerin kein im Rahmen von § 43 Abs. 2 FamGKG berücksichtigungsfähiges Einkommen dar.
Die Frage, ob durch die Ehegatten bezogene Leistungen nach dem SGB II als Nettoeinkommen i. S. d. § 43 Abs. 2 FamFG berücksichtigt werden müssen (so etwa der 15. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des OLG Celle im Beschluss vom 01.09.2010 - NJW 2010, 3587; OLG Brandenburg FamRB 2011, 217; zit. nach juris) oder als staatliche Transferleistungen unberücksichtigt bleiben muss (10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des OLG Celle FamRZ 2006, 1690; zuletzt Beschluss vom 08.06.2011 - 10 WF 39/11; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht FamRZ 2010, 1939; OLG Stuttgart Beschluss vom 23.03.2011, zit. nach juris; OLG Hamm NJW 2011, 1235) ist weiterhin umstritten. Der Senat folgt der Ansicht, dass staatliche Sozialleistungen zur Deckung des Lebensunterhalts, denen keine Lohnersatzfunktion zukommt, für die Berechnung des Verfahrenswertes außer Betracht zu bleiben haben.
Für diese Ansicht sprechen der Wortlaut und der Sinn des Gesetzes, der mit dem Zusatz "Netto"-einkommen ersichtlich an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Ehegatten anknüpft. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Ehegatten wird durch das Erwerbseinkommen, nicht aber durch staatliche Transferleistungen ohne Lohnersatzfunktion bestimmt. Denn diese sichern lediglich den Grundbedarf und orientieren sich nicht an der Höhe des zuvor erworbenen Lebensstandards.
Sozialleistungen zur Grundsicherung, wie hier die Leistungen nach dem SGB II, sind somit nicht Ausdruck bestehender Leistungsfähigkeit, sondern - da sie sich allein nach der Bedürftigkeit des Empfängers richten und lediglich das Existenzminimum absichern - eher Ausdruck der fehlenden Leistungsfähigkeit. Es wäre daher systemfremd, diese bei der Verfahrenswertbestimmung heranzuziehen (a. A. Klüsener in Prütting/Helms § 43 FamGKG Rn. 12).
Gegen deren Berücksichtigung spricht zudem, dass ansonsten die gesetzliche Regelung des § 43 Abs. 1 S. 2 FamGKG, wonach der Wert nicht unter 2.000 € angenommen werden darf, ins Leere liefe, da unter Einschluss der binnen drei Monaten gewährten Sozialleistungen diese Grenze nahezu stets überschritten würde (OLG Hamm NJW 2011, 1235; OLG Stuttgart FamRB 2011, 217, zit. nach juris). Soweit die Gegenansicht meint, dieser gesetzliche Mindestwert könne nicht als Argument herangezogen werden, weil dieser seit über 30 Jahren nicht mehr an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst worden sei (OLG Brandenburg FamRB 2011, 217; zit. nach juris), so ist dem entgegen zu halten, dass dieser Wert mit ausdrücklicher Billigung des Gesetzgebers auch nach der Einführung des FamFG fortgeführt und durch das BVerfG ebenfalls bestätigt worden ist (BVerfG NJW 2009, 1197; FamRZ 2010, 25).
Soweit die Gegenansicht darauf hinweist, dass der Begriff des Einkommens i. S. d. § 115 ZPO auch die nach dem SGB II gewährten Leistungen umfasse, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung. Denn während die Zielrichtung des § 115 ZPO darin liegt, die Fähigkeit des Antragstellers zu bemessen, die Verfahrenskosten aus eigenen Mitteln zu tragen, soll § 43 FamGKG eine dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden entsprechende Gebührenhöhe nach sozialen Gesichtspunkten unter vorrangiger Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse ermöglichen. Da der Einkommensbegriff somit in § 114 ZPO die Frage der Bedürftigkeit und in § 43 FamGKG die der Belastbarkeit der Betroffenen anspricht, rechtfertigt und gebietet dieser unterschiedliche Blickwinkel auch eine unterschiedliche Auslegung. Schließlich entspricht es der Zielsetzung einer gerechten Gebührenbemessung eher, bei geringen eigenen Einkommen geringe Gebühren festzusetzen, als die Gebührenhöhe durch die Berücksichtigung staatlicher Transferleistungen zu erhöhen.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass Erwerbseinkommen ebenso gering sein können wie Sozialleistungen. In diesem Fall erscheint es geboten und dem Zweck des § 43 Abs. 1 S. 2 FamGKG zu entsprechen, den Verfahrenswert mit dem Mindestwert zu bemessen, statt die Betroffenen durch die Berücksichtigung der staatlichen Transferleistungen mit erhöhten Gebühren zu belasten.
Insoweit hat auch das Bundesverfassungsgericht unter dem Aspekt der angemessenen Vergütung der Rechtsanwaltschaft diese Auslegung des Nettoeinkommens in seiner Rechtsprechung noch zu § 48 Abs. 3 S. 1 GKG, deren Wortlaut in § 43 Abs. 2 FamGKG übernommen worden ist, ausdrücklich gebilligt (NJW 2006, 1581 [BVerfG 22.02.2006 - 1 BvR 144/06]).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 59 Abs. 3 FamGKG.