Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 12.08.2011, Az.: 10 WF 246/11

Verfahrensregeln bei Abänderung einer familiengerichtlich gebilligen Umgangsregelung; Voraussetzungen für eine einstweiligen Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung i.R.d. Abänderung einer Sorgerechtsregelung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
12.08.2011
Aktenzeichen
10 WF 246/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 40455
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2011:0812.10WF246.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 06.07.2011 - AZ: 605 F 3758/10

Fundstellen

  • FamFR 2011, 448
  • FamRZ 2012, 798
  • ZKJ 2011, 433-434

Amtlicher Leitsatz

1. Bedarf eine - auf gerichtlicher Anordnung oder einem familiengerichtlich für verbindlich erklärten bzw. gebilligten Vergleich beruhende - Umgangsregelung nach den Maßstäben des § 1696 Abs. 1 BGB der Abänderung, hat das örtlich zuständige Amtsgericht gemäß § 166 Abs. 1 FamFG von Amts wegen unmittelbar ein entsprechendes Verfahren einzuleiten, ohne daß es dafür etwa des Antrags eines beteiligten Elternteiles bedürfte.

2. Auch im Falle eines gemäß § 166 Abs. 1 FamFG amtswegig eingeleiteten Verfahrens auf Abänderung einer Sorgerechtsregelung kommt eine einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung entsprechend § 93 Abs. 1 Nr. 4 und 5 FamFG in Betracht.

3. Die Anordnung von Ordnungsmitteln im Hinblick auf Verstöße eines Elternteiles gegen eine familiengerichtlich getroffene Umgangsregelung, die formal fortbesteht, weil das Amtsgericht die Möglichkeiten der amtswegigen Abänderung und Einstellung der Vollstreckung verkannt hat, kann ausgeschlossen sein, wenn festgestellt ist, daß nach den Maßstäben des § 1696 Abs. 1 BGB eine Abänderung dieser Umgangsregelung im Sinne des in Rede stehenden Verhaltens angezeigt ist.

Tenor:

Die Beschwerde des Kindesvaters gegen den die Anordnung von Ordnungsmitteln ablehnenden Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 6. Juli 2011 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren: Gebührenstufe bis 600 €.

Gründe

1

I. Die Beteiligten zu 1. und 2. sind die Eltern der betroffenen N. J.. zwischen ihnen sind seit 2005 beim Amtsgericht mindestens dreiundzwanzig familiengerichtliche Verfahren anhängig gewesen. das Verhältnis zwischen den Kindeseltern ist nach wie vor erheblich konfliktgeladen. Die elterliche Sorge für N. J. wird - mit Ausnahme der auf eine Pflegerin übertragenen Gesundheitsfürsorge - auf Grund der Entscheidung des Amtsgerichts Hannover vom 6. Oktober 2009 allein durch die Kindesmutter ausgeübt, in deren Haushalt N. J. auch lebt. Über den Umgang zwischen dem Kindesvater und N. J. hatten die Kindeseltern eine familiengerichtlich für verbindlich erklärte Vereinbarung vom 13. Januar 2009 getroffen.

2

Vor dem Hintergrund einer von der Kindesmutter betriebenen Ausbildung, aufgrund derer N. J. nach der Schule zeitweilig durch eine Tagesmutter betreut wurde, ist auf Antrag des Kindesvaters durch amtsgerichtlichen Beschluß vom 13. Januar 2011 die Umgangsvereinbarung dahin abgeändert worden, daß der Kindesvater N. J. während der Schulzeit auch montags bis freitags jeweils zwischen 13:00 Uhr und 15:00 Uhr betreut, wobei durch die Regelung der Übergabe persönliche Zusammentreffen der Kindeseltern ausdrücklich vermieden wurden. Zur Begründung hat das Amtsgericht seinerzeit darauf abgestellt, daß eine derartige, den ohnehin regelmäßig stattfindenden Umgang lediglich ausweitende persönliche Betreuung durch den Kindesvater dem Kindeswohl mehr dienen würde als eine entsprechende Fremdbetreuung. Ausdrücklich hat das Amtsgericht dabei auch ausgeführt, daß eine von der Kindesmutter erstrebte Befristung der Ausweitung bis zum Ende ihrer Ausbildung allein deswegen nicht sinnvoll erscheine, weil weder der genaue Termin noch die sich anschließende Situation im Hinblick auf eine mögliche Berufstätigkeit der Kindesmutter hinreichend sicher vorhersehbar seien. soweit die Kindesmutter jedoch wieder nach 13:00 Uhr für eine eigene Betreuung des Kindes zur Verfügung stünde, sollten sich die Eltern im Kosteninteresse außergerichtlich auf eine Abänderung dahin einigen, daß die ursprünglichen Umgangszeiten wieder hergestellt werden, anderenfalls müsse auf entsprechenden Antrag eine Abänderung durch das Gericht erfolgen. In dem Beschluß hat das Amtsgericht gemäß § 89 Abs. 2 FamFG auf die Folgen einer Zuwiderhandlung hingewiesen.

3

Nachdem die Kindesmutter seit Ende Juni 2011 nicht mehr durch eigenen Schulbesuch in der Zeit ab 13:00 Uhr verhindert ist, hat sie nach entsprechender Anzeige gegenüber dem Kindesvater N. J. wieder selbst von der Schule abgeholt. Dies hat der Kindesvater beim Amtsgericht angezeigt. Nach Hinweis des Amtsgerichtes, daß auf entsprechenden Antrag der Kindesmutter eine Aufhebung der Ausweitung der Umgangsvereinbarung entsprechend des Beschlusses vom 13. Januar 2011 erfolgen werde, hat allein der Kindesvater die Anordnung von Ordnungsmitteln gegenüber der Kindesmutter betragt.

4

Mit Beschluß vom 6. Juli 2011 hat das Amtsgericht diesen Antrag zurückgewiesen. Dazu hat es auf die bereits im Beschluß vom 13. Januar 2011 ausdrücklich enthaltene sachliche Abhängigkeit der Umgangsausweitung von der persönlichen Verhinderung der Kindesmutter im schultäglichen Zeitraum von 13:00 bis 15:00 Uhr abgestellt, die zwischenzeitlich jedoch entfallen sei, und bekräftigt, daß auf einen - bislang allerdings nach wie vor noch nicht erfolgten - Antrag der Kindesmutter diese Ausweitung wieder beendet werden müßte. Daß die Kindesmutter die Tochter - sogar noch vor Ende der bis 13:00 dauernden Beaufsichtigungsphase - von der Schule abhole, ohne für eine Aufhebung des Beschlusses vom 13. Januar 2011 zu sorgen, stelle lediglich seinen formalen Fehler dar, der nicht mit Ordnungsmitteln zu sanktionieren sei. vielmehr stelle sich der Antrag des Kindesvaters auf Anordnung von Ordnungsmitteln als mißbräuchlich dar.

5

Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde des Kindesvaters, der sein Ziel der Anordnung von Ordnungsmitteln weiterverfolgt. dazu macht er ausschließlich geltend, daß formal ein Verstoß gegen den Umgangsbeschluß vom 13. Januar 2011 vorliege.

6

Der Einzelrichter hat die Sache dem Senat zur Entscheidung übertragen.

7

II. Die zulässige, insbesondere form und fristgerecht eingelegte Beschwerde kann in der Sache keinen Erfolg haben.

8

1. Gemäß § 89 Abs. 1 S. 1 und 3, Abs. 2 FamFG kann das Gericht bei Zuwiderhandlungen gegen einen Vollstreckungstitel zur Regelung des Umgangs gegenüber dem Verpflichteten durch Beschluß Ordnungsmittel anordnen, wenn zuvor auf die Folgen einer Zuwiderhandlung hingewiesen worden ist.

9

Im Streitfall liegen formal die äußeren Voraussetzungen in diesem Sinne fraglos vor: die Antragsgegnerin hat in durch entsprechenden Hinweis im Beschluß vermittelter Kenntnis der Folgen einer Zuwiderhandlung mit der Einbehaltung von N. J. während des schultäglichen Zeitraumes zwischen 13:00 und 15:00 Uhr gegen die im Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 13. Januar 2011 getroffene und hinreichend konkret gefaßte Umgangsregelung verstoßen.

10

Allerdings hat der Gesetzgeber in § 89 Abs. 1 Satz 1 FamFG ausweislich der Ausgestaltung als ´Kann´Regelung die Anordnung von Ordnungsmittel bewußt und ausdrücklich in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichtes gestellt (vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrs. 16/9733, 291 im Gegensatz zu der im Regierungsentwurf vorgesehenen Formulierung ´soll´). Hintergrund war insbesondere auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (Beschluß vom 1. April 2008 - 1 BvR 1620/04 - NJW 2008, 1287 [BVerfG 01.04.2008 - 1 BvR 1620/04]), nach der eine zwangsweise Durchsetzung der Umgangspflicht eines umgangsverweigernden Elternteils zu unterbleiben hat, wenn nicht im konkreten Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der erzwungene Umgang dem Kindeswohl dient. Dies hat zwar keineswegs zur Folge, daß im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens etwa grundsätzlich eine erneute Prüfung der Rechtmäßigkeit des zu vollstreckenden Beschlusses zu erfolgen hätte (vgl. Zöller28Feskorn, FamFG § 89 Rz. 5 m.w.N.), vielmehr ist das (Entschließung) Ermessen nach § 89 Abs. 1 FamFG regelmäßig dahin verdichtet, daß bei Verstößen Ordnungsmittel auch anzuordnen sind (vgl. BTDrs. 16/9733, S. 292) und lediglich ein (Auswahl) Ermessen hinsichtlich dessen Wahl und Ausgestaltung verbleibt (vgl. Keidel16Giers, FamFG § 89 Rz. 6) .

11

2. Im Streitfall besteht allerdings die Besonderheit, daß das Amtsgericht - ohne daß dies vom Kindesvater inhaltlich ersichtlich weiter in Zweifel gezogen würde - bereits festgestellt hat, daß die Umgangsregelung hinsichtlich der von der Kindesmutter nicht eingehaltenen Regelung aus Gründen des Kindeswohles der Änderung bedarf. dabei geht das Amtsgericht allerdings offenkundig davon aus, zu einer Änderung ohne entsprechenden Antrag der Kindesmutter nicht befugt zu sein, und ist lediglich aus diesem Grunde noch nicht in ein Abänderungsverfahren eingetreten.

12

Entgegen des Verständnisses des Amtsgerichtes ist eine Änderung des Beschlusses vom 13. Januar 2011 jedoch nicht von einem entsprechenden Antrag seitens der Kindesmutter abhängig. Vielmehr kann das Amtsgericht in Kindschaftssachen entsprechend der materiellrechtlichen Änderungsbefugnis und dem Abänderungsmaßstab des § 1696 BGB eine (rechtskräftige) Entscheidung wie einen gerichtlich gebilligten Vergleich insbesondere auch zur Regelung des Umganges gemäß § 166 Abs. 1 FamFG ohne das Erfordernis eines etwaigen Antrages abändern und muß - soweit es wie vorliegend von der Notwendigkeit einer derartigen Abänderung überzeugt ist - diese auch vornehmen.

13

Mit dem somit im Streitfall gemäß § 166 Abs. 1 FamFG seit Kenntnis des Gerichtes von der eingetretenen Veränderung der tatsächlichen Sachlage eröffneten und gebotenen Eintritt in ein Abänderungsverfahren bestand zugleich die Möglichkeit, entsprechend § 93 Abs. 1 Nr. 4 und 5 FamFG die Vollstreckung des Beschlusses vom 13. Januar 2011 einstweilen einzustellen bzw. zu beschränken. Zwar geht die Norm nach ihrem Wortlaut davon aus, daß insofern eine Abänderung oder die Durchführung eines Vermittlungsverfahrens ´beantragt´ ist. nach Sinn und Zweck der eröffneten Möglichkeit einer amtswegigen Abänderung einerseits sowie der Einstellungsmöglichkeiten andererseits muß dies aber auch und erst recht im Falle des nach § 166 Abs. 1 Satz 1 FamFG eingeleiteten Abänderungsverfahrens gelten, noch zumal die Einstellungsentscheidung ihrerseits selbst ausdrücklich nicht von einem entsprechenden Antrag abhängig ist (vgl. Zöller28Feskorn, FamFG § 93 Rz. 3).

14

3. In dieser tatsächlichen wie rechtlichen Ausgangslage ist es im Streitfall ausgeschlossen, aufgrund des Verstoßes der Kindesmutter gegen eine objektiv nicht mehr dem Kindeswohl dienende und lediglich aufgrund einer Fehlvorstellung des Amtsgerichtes noch nicht abgeänderte bzw. der Vollstreckbarkeit entzogene Regelung Ordnungsmaßnahmen anzuordnen.

15

4. Die verfahrensrechtlichen Nebenentscheidungen fußen auf §§ 84 FamFG, 42 FamGKG.