Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 12.08.2011, Az.: 10 UF 270/10

Recht des nicht sorgeberechtigten nichtehelichen Kindesvaters auf Übertragung der teilweisen elterlichen Sorge auf beide Elternteile; Voraussetzungen für die Änderung einer einvernehmlich getroffenen gerichtlichen Entscheidung nach § 1696 BGB

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
12.08.2011
Aktenzeichen
10 UF 270/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 40454
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2011:0812.10UF270.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 10.09.2010 - AZ: 608 F 3827/10

Fundstellen

  • FamFR 2011, 450
  • FamRB 2012, 43-44
  • FamRZ 2011, 1876-1878
  • FuR 2011, 701-702
  • MDR 2011, 1115
  • NJW 2011, 3245-3247
  • NJW-Spezial 2011, 678
  • ZKJ 2011, 429-431

Amtlicher Leitsatz

1. Bis zu einer Regelung des Verfahrens durch den Gesetzgeber können auf Antrag des bislang nicht an der elterlichen Sorge beteiligten nichtehelichen Kindesvaters auch lediglich Teile der elterlichen Sorge auf beide Elternteile gemeinsam übertragen werden, wenn die Kindeseltern eine dahingehende Vereinbarung geschlossen haben.

2. Eine Vereinbarung der Eltern, die Grundlage einer derartigen gerichtlichen Entscheidung über die elterliche Sorge geworden ist, ist einer ´Aufkündigung´ oder ´Anfechtung´ nicht zugänglich.

3. Eine Änderung der auf Grundlage einer einvernehmlichen Erklärung der Eltern getroffenen gerichtlichen Entscheidung kommt nur unter den Voraussetzungen des § 1696 BGB in Betracht. dies gilt insbesondere auch, wenn von Seiten des Kindesvaters erstmals eine über die Vereinbarung hinausgehende Beteiligung an weiteren Teilen der elterlichen Sorge in Form einer gegen die erstinstanzliche Entscheidung gerichteten Beschwerde geltend gemacht wird.

Tenor:

1. Der Antragsgegnerin wird die für das Beschwerdeverfahren nachgesuchte Verfahrenkostenhilfe versagt.

2. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 10. September 2010 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren: 3.000 €.

Gründe

1

I. Die weiteren Beteiligten zu 1. und 2. sind die Eltern des betroffenen Kindes O., das seit seiner Geburt ausschließlich in der Obhut der Kindesmutter lebt. Die Kindeseltern waren und sind nicht miteinander verheiratet und haben keine Sorgerechtserklärung abgegeben, so daß die elterliche Sorge bislang allein durch die Kindesmutter ausgeübt wurde. O. hat auch zu dem Kindesvater auf der Grundlage intensiver Umgangskontakte ein enges Verhältnis. in der Vergangenheit ist es allerdings auch wiederholt zu gerichtlichen Verfahren zwischen den Kindeseltern gekommen.

2

Im vorliegenden, am 5. August 2010 eingeleiteten Verfahren hat der Kindesvater unter Berufung auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 21. Juli 2010 seine Beteiligung an der elterlichen Sorge begehrt. In einem alsbald unter Beteiligung auch des Jugendamtes durchgeführten Anhörungstermin vom 10. September 2010 haben die - jeweils anwaltlich vertretenen - Kindeseltern nach ausführlicher Erörterung der Sach und Rechtslage eine Vereinbarung geschlossen. danach soll das Aufenthaltsbestimmungsrecht weiterhin allein von der Kindesmutter ausgeübt werden, während sie die elterliche Sorge im übrigen gemeinsam ausüben wollen. Ein darüber hinausgehendes Begehren ist vom Kindesvater nicht geltend gemacht worden.

3

Mit noch im Anhörungstermin verkündetem Beschluß hat das Amtsgericht entsprechend der Vereinbarung der Kindeseltern in entsprechender Anwendung des § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB unter Belassung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für O. allein bei der Kindesmutter die elterliche Sorge im übrigen auf beide Elternteile zur gemeinsamen Ausübung übertragen.

4

Gegen diese Entscheidung richtet sich die form und fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde des Antragstellers, mit der er unter ´Aufkündigung´ der Elternvereinbarung vom 10. September 2010 die ´Aufhebung´ des amtsgerichtlichen Beschlusses und die Übertragung der gesamten elterlichen Sorge einschließlich des Aufenthaltsbestimmungsrechtes auf beide Elternteile gemeinsam erstrebt.

5

Zur Begründung macht er geltend, von seinem damaligen Verfahrensbevollmächtigten dahin beraten worden zu sein, daß die mit der Kindesmutter getroffene Vereinbarung der Sorgeregelung für eheliche Kinder aus einer geschiedenen Ehe entsprechen würde. er habe erst später erfahren, daß auch eine Beteiligung an dem in der Vereinbarung ausgenommenen Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht ausgeschlossen sei, so daß die Vereinbarung ausdrücklich ´widerrufen und angefochten´ werde. Zwar gehe es ihm nicht darum, den Lebensmittelpunkt von O. bei der Kindesmutter in Hannover in Frage stellen zu wollen, die zwischen den Kindeseltern bereits getroffenen Vereinbarungen über den Besuch O. in einer konkreten Kindertagesstätte sowie den zukünftigen Besuch einer konkreten Grundschule könne ohne seine Beteiligung auch am Aufenthaltsbestimmungsrecht ´unschwer dadurch unterlaufen werden ..., daß der Aufenthalt durch die Kindesmutter einseitig und ohne Absprache mit dem Kindesvater verändert werden könnte´.

6

Nach Hinweis des Senates auf bestehende Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der - allein auf den erstinstanzlich vom Kindesvater gar nicht erstrebten Gegenstand ´Aufenthaltsbestimmungsrecht´ gerichteten - Beschwerde hat der Antragsteller ergänzend vorgetragen.

7

Der Senat hat der Kindesmutter Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, ob sie ihre Zustimmung auch auf die vom Kindesvater weitergehend erstrebte Beteiligung an der elterlichen Sorge ausdehne. eine solche Zustimmung ist ausdrücklich nicht erfolgt. Die Kindesmutter ist vielmehr der Beschwerde ausdrücklich entgegen getreten und hat ihrerseits um die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe (VKH) nachgesucht.

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II. Der Antragsgegnerin kann für das Beschwerdeverfahren die nachgesuchte VKH nicht bewilligt werden, weil sie das Vorliegen der wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür nicht dargetan hat.

9

III. Der Senat läßt ausdrücklich offen, ob die Beschwerde zulässig ist. daran bestehen insofern Zweifel, als dem - in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht konkretisierten - Begehren des Antragstellers erstinstanzlich in vollem Umfang entsprochen worden ist und durch den - lediglich die umfassende Vereinbarung der Kindeseltern umsetzenden - Beschluß des Amtsgerichtes nicht in Rechte des Antragsstellers eingegriffen wird.

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IV. Unabhängig von der Frage ihrer Zulässigkeit, über die im vorliegenden Verfahren nicht vorrangig entschieden werden muß (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. auch BGH - Beschluß vom 30. März 2006 - IX ZB 171/04 - NJWRR 2006, 1346. OLG Köln, Beschluß vom 27. Juli 2010 - 6 W 79/10 - GRURRR 2011, 86, 87), ist die Beschwerde jedenfalls unbegründet.

11

Dabei kann der Senat unmittelbar in der Sache entscheiden, da eine weitere Sachaufklärung nicht erforderlich und von einer Wiederholung der erstinstanzlich erfolgten Verfahrensschritte, insbesondere der persönlichen Anhörung der Beteiligten, ein entscheidungserheblicher Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten ist.

12

1. Zutreffend hat das Amtsgericht im vorliegenden Verfahren auf der Grundlage der zwischen den beteiligten Eltern genau dahin geschlossenen Vereinbarung die elterliche Sorge mit Ausnahme des einvernehmlich allein bei der Kindesmutter verbleibenden Aufenthaltsbestimmungsrechtes beiden Kindeseltern zur gemeinsamen Ausübung übertragen. Zwar enthält der Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes vom 21. Juli 2010 (1 BvR 420/09 - FamRZ 2010, 1403) lediglich hinsichtlich der Vorschriften der §§ 1626a und § 1672 BGB Anordnungen bezüglich ihrer Auslegung bis zu einer gesetzlichen Regelung und führen diese Anordnungen lediglich dazu, daß auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder Teile davon gemäß § 1626a BGB den Eltern gemeinsam oder gemäß § 1672 BGB dem Kindesvater allein übertragen werden können. Dies muß nach den Gründen allerdings dahin verstanden werden, daß - obwohl § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB nach seinem Wortlaut lediglich die vereinbarungsweise Übertragung der elterlichen Sorge insgesamt im Rahmen einer Sorgeerklärung vorsieht - aufgrund einer Vereinbarung der Eltern eine Übertragung auch lediglich von Teilen der elterlichen Sorge erfolgen kann, wie dies insbesondere vergleichbar etwa § 1671 Abs. 2 BGB vorsieht. Insofern bedurfte es für die erfolgte Übertragung auch keiner zusätzlichen positiven Feststellungen zu ihrer Kindeswohldienlichkeit.

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2. Die somit vergleichbar einer Sorgeerklärung nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB Grundlage der gerichtlichen Entscheidung gewordene Erklärung des Antragstellers wird - ebenso wie eine solche (vgl. Palandt79-Diederichsen, BGB § 1626a Rz. 7 a.E.) - durch seine späteren Erklärungen im Beschwerdeverfahren, die er als ´Aufkündigung´, ´Widerruf´ bzw. ´Anfechtung´ bezeichnet hat, nicht berührt. dies gilt um so mehr, als auch sachlich die Voraussetzungen für eine Anfechtung gar nicht vorlägen, da der Antragsteller inhaltlich lediglich einen rechtlich unerheblichen Motivirrtum dartut. Im übrigen hätte eine Wirksamkeit der Gegenerklärung des Antragstellers nicht - wie er offenbar annimmt - zur Folge, daß nunmehr ergänzend allein über die Frage des Aufenthaltsbestimmungsrechtes zu befinden wäre - vielmehr entfiele bei einer Beachtlichkeit der ´Aufkündigung´ zunächst einmal die Grundlage für jegliche Beteiligung des Kindesvaters an der elterlichen Sorge insgesamt, so daß es vollumfänglich der positiven Feststellung bedürfte, daß die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge durch beide Eltern dem Kindeswohl dient.

14

3. Eine Abänderung dieser durch die wirksame übereinstimmende Erklärung gegenüber dem Amtsgericht sowie dessen darauf fußende Beschlußfassung wirksam getroffenen Regelung zur elterlichen Sorge kommt - auch wenn man insofern eine Abänderung bereits im Beschwerdeverfahren für möglich erachtet - nunmehr allein unter den Voraussetzungen des § 1696 BGB in Betracht, also wenn dies aus triftigen, das Kindeswohl nachhaltig berührenden Gründen im Kindeswohl angezeigt wäre. Diese Voraussetzungen liegen jedoch im Streitfall offenkundig nicht vor. Seit der amtsgerichtlichen Entscheidung haben sich - abgesehen von der weitergehenden ´Begehrlichkeit´ des Kindesvaters - keinerlei Änderungen der Situation ergeben.

15

Vielmehr ist nicht einmal ersichtlich oder vom Antragsteller substantiiert dargetan, daß seine Beteiligung gerade auch an der Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes für O. überhaupt dem Kindeswohl dienen könnte. Nach eigenem Vorbringen steht der ständige Aufenthalt und Lebensmittelpunkt von O. im Haushalt seiner Mutter weder gegenwärtig noch für die Zukunft in irgendeiner Weise in Frage. Angesichts der Tatsache, daß die Kindesmutter (allein) insofern nach wie vor und ausdrücklich mit einer rechtlichen Beteiligung des Kindesvaters nicht einverstanden ist, wird durch eine wie vom Kindesvater intendierte Entscheidung das bislang positive Verhältnis zwischen den Kindeseltern, das Basis für die gänzlich unproblematische einvernehmliche Beteiligung des Kindesvaters an allen sonstigen Teilen der elterlichen Sorge war, ernstlich in Frage gestellt. dies wird auch dadurch deutlich, daß die Kindesmutter - nach den Ausführungen in der Beschwerdebegründung völlig zu Recht - das Verhältnis zunehmend belastet sieht. Es liegt auf der Hand, daß die Eröffnung bzw. Vertiefung einer derartigen Auseinandersetzung und die damit einhergehenden Verunsicherungen im - nach früheren erheblichen Auseinandersetzungen auch gerichtlicher Art gerade erstmals positiv bewährten - Verhältnis zwischen den Eltern jedenfalls nicht dem Kindeswohl dienen können. Insofern könnte selbst dann, wenn man nicht auf den Maßstab des § 1696 Abs. 1 BGB abstellen wollte, sicher nicht einmal die bloße Kindeswohldienlichkeit einer zwangsweisen Einbeziehung des Kindesvaters in das Aufenthaltsbestimmungsrecht festgestellt werden.

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V. Die verfahrensrechtlichen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 84 FamFG, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.