Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 30.08.2011, Az.: 10 UF 127/11
Berücksichtigung einer Aussicht auf Schlussüberschüsse und Beteiligung an Bewertungsreserven beim Ausgleichswert einer privaten Rentenversicherung; Geltung der internen Teilung eines Anrechts aus privater Rentenversicherung für einen durch Schlussüberschuss und Beteiligung an Bewertungsreserven eintretenden Wertzuwachs des Anrechts; Einbeziehung eines geringwertigen Anrechts in den Wertausgleich bei Angewiesensein des ausgleichsberechtigten Ehegatten auf das Anrecht für seinen notwendigen Unterhalt
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 30.08.2011
- Aktenzeichen
- 10 UF 127/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 23391
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2011:0830.10UF127.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - 23.02.2011 - AZ: 604 F 1197/10
Rechtsgrundlagen
- § 176 Abs. 3 VVG a.F.
- § 10 Abs. 1 VersAusglG
- § 18 Abs. 2 VersAusglG
- § 27 VersAusglG
Fundstellen
- FamRB 2011, 369
- FamRZ 2012, 308
- NJW-Spezial 2012, 38
- VuR 2011, 437
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Aussicht auf Schlussüberschüsse und Beteiligung an Bewertungsreserven ist beim Ausgleichswert einer privaten Rentenversicherung, auf die § 176 Abs. 3 VVG a.F. anzuwenden ist, nicht zu berücksichtigen. Das gilt auch bei der Prüfung der Geringwertigkeit des Anrechts nach § 18 Abs. 2 VersAusglG.
- 2.
Die interne Teilung des Anrechts aus einer privaten Rentenversicherung bezieht sich jedoch auch auf den durch den Schlussüberschuss und die Beteiligung an den Bewertungsreserven eintretenden Wertzuwachs des Anrechts. Dies kann im Entscheidungstenor klarstellend zum Ausdruck gebracht werden.
- 3.
Ein geringwertiges Anrecht ist in den Wertausgleich einzubeziehen, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte für seinen notwendigen Unterhalt auf das Anrecht angewiesen ist.
In der Familiensache
...
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht W.,
den Richter am Oberlandesgericht G. und
die Richterin am Amtsgericht R.
am 30. August 2011
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 23. Februar 2011 im dritten Absatz der Entscheidung zum Versorgungsausgleich (II des Tenors) geändert und wie folgt gefasst:
Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Ehefrau bei der H. Lebensversicherung AG (Rentenversicherung Nr. ...) zugunsten des Ehemannes ein Anrecht im Wert von 1.613,03 EUR, bezogen auf den 31. Mai 2010, übertragen. Des Weiteren kommen im Leistungsfall die auf die Ehezeit entfallenden Schlussüberschüsse (Ausgleichswert der Bemessungsgröße am Ende der Ehezeit: 33,98 EUR) und Bewertungsreserven (Ausgleichswert der Bemessungsgröße am Ende der Ehezeit: 4.139,72 EUR) zum Ausgleich.
Das weitergehende Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden zwischen den beteiligten Eheleuten gegeneinander aufgehoben.
Beschwerdewert: 1.674 EUR.
Gründe
I.
Die beteiligten Eheleute heirateten am 1. Februar 1985 und wurden auf den am 14. Juni 2010 zugestellten Antrag der Ehefrau durch den angefochtenen Beschluss geschieden. Zugleich hat das Amtsgericht den Versorgungsausgleich durchgeführt. Dabei hat es beiderseitige gesetzliche Rentenanwartschaften bei der weiteren Beteiligten zu 1 ausgeglichen und den Ausgleich einer privaten Rentenanwartschaft der Ehefrau bei der weiteren Beteiligten zu 2 wegen Geringfügigkeit gemäß § 18 Abs. 2 VersAusglG ausgeschlossen.
Gegen die Entscheidung über den Versorgungsausgleich richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des jetzt 74 Jahre alten Ehemannes, der bereits eine Vollrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht. Er ist der Auffassung, ein Ausgleich der beiderseitigen gesetzlichen Rentenanwartschaften wäre grob unbillig, da er höhere Rentenanwartschaften an die Ehefrau abgeben müsste als er von ihr erhielte und ihm dann nur noch eine Rente von monatlich 660,75 EUR verbleiben würde. Die jetzt 61 Jahre alte Ehefrau könne bei Erreichen der Altersgrenze eine deutlich höhere Rente erwarten. Außerdem verfüge sie noch über ihre private Rentenanwartschaft ("Riester-Rente"), deren Ausgleich das Amtsgericht ausgeschlossen habe. Hilfsweise beantragt der Ehemann, dieses Anrecht der Ehefrau bei der weiteren Beteiligten zu 2 auszugleichen.
Die Ehefrau tritt der Beschwerde entgegen.
II.
Die Beschwerde des Ehemannes ist nur insoweit begründet, als er hilfsweise eine Einbeziehung des Anrechts der Ehefrau aus der privaten Rentenversicherung in den Wertausgleich begehrt.
1.
Zu Recht hat das Amtsgericht die von beiden Ehegatten in der Ehezeit (1. Februar 1985 bis 31. Mai 2010; § 3 Abs. 1 VersAusglG) erworbenen gesetzlichen Rentenanwartschaften jeweils gemäß § 10 Abs. 1 VersAusglG intern geteilt.
Gegen die Berechnung der Ehezeitanteile durch die Versicherungsträger bestehen keine Bedenken. Danach hat der Ehemann in der Ehezeit ein Anrecht im Wert von 20,2220 Entgeltpunkten erworben, die Ehefrau ein solches im Wert von 10,6617 Entgeltpunkten. Auf Seiten des Ehemannes sind die Entgeltpunkte zutreffend aus der bereits bezogenen Altersrente berechnet worden. Die Ehefrau bezieht noch keine Rente. Bei Berechnung einer Rentenanwartschaft sind zwar nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich nur die bis Ende der Ehezeit zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten zu berücksichtigen (Senat FamRZ 2011, 723). Im vorliegenden Fall hat die DRV Bund zwar auch den Monat Juni 2010 in die Berechnung einbezogen. Dennoch kann die Berechnung hier ausnahmsweise übernommen werden. Denn zum einen kann sich durch die Einbeziehung dieses einen Monats keine ins Gewicht fallende Abweichung ergeben, weil die Ehefrau fast die gesamte Ehezeit und auch den Monat Juni 2010 mit Pflichtbeitragszeiten belegt hat. Zum anderen steht der Renteneintritt der Ehefrau bereits kurz bevor, so dass sich bis zum Rentenbeginn keine wesentliche Veränderung der auf die Ehezeit entfallenden Entgeltpunkte mehr ergeben wird.
Den hälftigen Ausgleichswert (§ 1 Abs. 2 S. 2 VersAusglG) der gesetzlichen Rentenanwartschaften haben die Versicherungsträger mathematisch korrekt auf Seiten des Ehemannes mit 10,1110 Entgeltpunkten (die bezogen auf das Ende der Ehezeit einer Monatsrente von 275,02 EUR entsprechen) und auf Seiten der Ehefrau mit 5,3309 Entgeltpunkten (bezogen auf das Ende der Ehezeit monatlich 145,00 EUR) errechnet.
2.
Der Ausgleich der beiderseitigen Rentenanwartschaften ist nicht grob unbillig.
Eine grobe Unbilligkeit setzt voraus, dass die gesamten Umstände des Falles es rechtfertigen, von der im Gesetz vorgesehenen starren Halbteilung der ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte abzusehen (§ 27 VersAusglG). Das Gericht hat dabei insbesondere die gegenwärtige und zukünftige wirtschaftliche Situation der Eheleute zu berücksichtigen. Die Durchführung des Versorgungsausgleichs ist nur dann grob unbillig, wenn er zu einem erheblichen wirtschaftlichen Ungleichgewicht zu Lasten eines Ehegatten führen und dem Zweck des Versorgungsausgleichs, zu einer ausgewogenen sozialen Sicherung beider Ehegatten beizutragen, grob zuwiderlaufen würde. Dazu reicht es nicht aus, wenn ein Ehegatte aufgrund des Versorgungsausgleichs besser dastehen würde als der andere. Selbst eine bei ungekürzter Durchführung des Versorgungsausgleichs drohende Unterschreitung des unterhaltsrechtlich erheblichen Selbstbehalts auf Seiten des Verpflichteten stellt keinen Härtegrund dar, wenn der Berechtigte ebenfalls in engen wirtschaftlichen Verhältnissen lebt (vgl. BGH FamRZ 1986, 563; 1993, 682, 684; 2006, 769, 771; 2007, 366, 368; 2007, 996, 1000; Wick in Fachanwaltskommentar Familienrecht, 4. Aufl., § 27 VersAusglG Rn. 9).
Die interne Teilung der gesetzlichen Rentenanwartschaften beider Ehegatten wird dergestalt vollzogen, dass die jeweils übertragenen Entgeltpunkte von den beteiligten Versicherungsträgern miteinander verrechnet werden (§ 10 Abs. 2 VersAusglG). Daraus folgt, dass der Ehemann auf seinem Versicherungskonto eine Lastschrift in Höhe der Differenz der beiden Ausgleichswerte von 4,7801 Entgeltpunkten erhält und die Ehefrau eine entsprechende Gutschrift bekommt. Der Rente des Ehemannes liegen bisher 32,3563 Entgeltpunkte zugrunde. Ihm verbleiben daher nach Durchführung des Versorgungsausgleichs noch 27,5762 Entgeltpunkte. Diese entsprechen seit dem 1. Juli 2011 unter Berücksichtigung des aktuellen Rentenwerts von 27,47 EUR einer Brutto-Monatsrente von 757,52 EUR. Nach Abzug von 9,85% Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung wird eine Netto-Rente von monatlich 682,90 EUR verbleiben. Die Rente der Ehefrau wird jedoch nicht wesentlich höher sein. Sie hat bisher 25,3232 Entgeltpunkte erworben. Mit der Gutschrift aus dem Versorgungsausgleich wird sie daher über insgesamt 30,1033 Entgeltpunkte verfügen, was einer Bruttorente von derzeit monatlich 826,94 EUR entspricht. Nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge könnte sie derzeit mit einer Nettorente von monatlich rund 745 EUR rechnen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass sie ihre Rentenanwartschaft bis zum Erreichen der Altersgrenze noch etwas steigern kann, und ferner berücksichtigt, dass sie noch ein Anrecht auf "Riester-Rente" besitzt, werden ihre Renten zur Sicherung ihres notwendigen Lebensunterhalts nur knapp ausreichen.
3.
Der Senat hält das Hilfsbegehren des Ehemannes auf Ausgleich auch der von der Ehefrau in der Ehezeit erworbenen privaten Rentenanwartschaft bei der weiteren Beteiligten zu 2 für begründet. Das Anrecht ist zwar geringwertig i. S. des § 18 Abs. 3 VersAusglG. Es liegen jedoch gewichtige Gründe dafür vor, dieses Anrecht entgegen der Regel des § 18 Abs. 2 VersAusglG in den Wertausgleich einzubeziehen.
Die Versicherung hat den Ehezeitanteil der bei ihr erworbenen Rentenanwartschaft auf der Grundlage des Rückkaufswerts ohne Stornokosten (§ 46 VersAusglG) unter Berücksichtigung des bereits zugeteilten Ansammlungsguthabens mit 3.376,06 EUR errechnet. Die Versicherung hat im Beschwerdeverfahren zutreffend darauf hingewiesen, dass bei Versicherungsverträgen, die - wie der hier in Rede stehende - vor dem 01.01.2008 abgeschlossen worden sind, gemäß § 176 Abs. 3 VVG a.F. der Rückkaufswert mit dem Zeitwert anzusetzen sind, d.h., dem Betrag, der am Ende der Ehezeit ausgezahlt worden wäre. Soweit die Versicherung in ihrer Auskunft vom 24.06.2010 auch Ehezeitanteile der Bemessungsgrößen für den Schlussüberschuss und für die Bewertungsreserven mitgeteilt hat, bleiben diese für die Berechnung des Ausgleichswerts im Versorgungsausgleich außer Betracht. Die Werte für den Schlussüberschuss und die Bewertungsreserven sind nämlich nur Verteilungsschlüssel für den Leistungsfall. Auf sie besteht derzeit noch keine gesicherte Anwartschaft, die abschließend bewertet und hälftig auf den anderen Ehegatten übertragen werden kann (vgl. OLG München Beschluss vom 29.12.2010 - 12 UF 1235/10 - [...]).
Der Ehezeitanteil des Anrechts ist daher nur mit einem Kapitalwert von 3.376,06 EUR zugrunde zu legen. Der Versicherungsträger hat die mit einer internen Teilung dieses Anrechts verbundenen Kosten auf 150 EUR veranschlagt. Dagegen bestehen keine Bedenken. Gemäß § 13 VersAusglG sind die Teilungskosten hälftig mit den Anrechten beider Ehegatten zu verrechnen, nicht - wie dies das Amtsgericht in seiner Entscheidung vorgenommen hat - in voller Höhe vom Ausgleichswert - d.h. der auf die ausgleichsberechtigte Person zu übertragenden Hälfte des Ehezeitanteils - in Abzug zu bringen. Nach der Teilungsordnung der Versicherung wird eine Hälfte der Teilungskosten vom Ausgleichswert - d.h. der Hälfte des ermittelten Ehezeitanteils bezogen auf das Ehezeitende - abgezogen, die andere Hälfte der Teilungskosten wird dem der ausgleichspflichtigen Person verbleibenden Anrecht entnommen. Danach errechnet sich der für den Versorgungsausgleich maßgebliche Ausgleichswert wie folgt: 3.376,06 EUR : 2 = 1.688,03 EUR ./. (150 EUR : 2 =) 75 EUR = 1.613,03 EUR.
Auch für die Prüfung der Geringwertigkeit nach § 18 Abs. 2 und 3 VersAusglG bleiben die noch nicht gesicherten Beteiligungen an dem Schlussüberschuss und den Bewertungsreserven außer Betracht (vgl. KG Beschluss vom 25.03.2011 - 13 UF 229/10 - [...]). Der maßgebliche Ausgleichswert von 1.613,03 EUR ist zwar höher als der vom Amtsgericht zugrunde gelegte Betrag von 1.538,03 EUR, liegt aber immer noch deutlich unter dem nach § 18 Abs. 3 VersAusglG im vorliegenden Fall maßgeblichen Grenzbetrag von 3.066 EUR, bis zu dem Ausgleichswerte von Anrechten nach § 18 Abs. 2 VersAusglG in der Regel vom Wertausgleich ausgenommen werden sollen.
Hier liegen jedoch besondere Gründe vor, die eine Einbeziehung des Anrechts der Ehefrau aus der privaten Rentenversicherung in den Wertausgleich erfordern. Wie bereits ausgeführt, wird die Teilung der gesetzlichen Rentenanwartschaften beider Ehegatten dazu führen, dass die Ehefrau eine höhere Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen wird als der Ehemann und dass die Rente des Ehemannes kaum zur Deckung seines notwendigen Unterhalts ausreichen wird. Unter diesen Umständen entspricht es nicht der Billigkeit, der Ehefrau das Anrecht auf ergänzende Altersversorgung, das sie während der Ehezeit erworben hat, allein zu belassen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Ausgleichswert des Anrechts zwar unter der Bagatellgrenze des § 18 Abs. 3 VersAusglG liegt, dass dieser Wert aber aller Voraussicht nach bis zum Ablauf der Versicherung am 01.01.2016 durch die zu erwartenden Schlussüberschüsse und Beteiligung an den Bewertungsreserven noch deutlich steigen wird. An diesen Wertsteigerungen wird der Ehemann aufgrund der internen Teilung des gesamten Anrechts teilnehmen, die im Leistungsfall mit zum Ausgleich kommen. In Übereinstimmung mit dem OLG München (a.a.O.) bringt der Senat im Tenor klarstellend zum Ausdruck, dass sich die interne Teilung auch auf die Beteiligung am Schlussüberschuss und an den Bewertungsreserven bezieht, dass die entsprechenden Werte aber erst im Leistungsfall bestimmt werden können.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 150 Abs. 1 FamFG, die Festsetzung des Beschwerdewerts auf § 50 Abs. 1 S. 1 FamGKG.