Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.02.1997, Az.: I 233/94
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 04.02.1997
- Aktenzeichen
- I 233/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 27893
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1997:0204.I233.94.0A
In dem Rechtsstreit
wegen Einheitsbewertung auf den 1. Januar 1989
hat der I. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 4. Februar 1997, an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht .
Richter am Finanzgericht .
Richter am Finanzgericht .
ehrenamtliche Richterin . Bankkauffrau
ehrenamtliche Richterin . Damenschneiderin
für Recht erkannt:
Tenor:
Unter Änderung des Einheitswertbescheides vom 16. Mai 1989 und Rufhebung des Einspruchsbescheides vom 10. August 1994 wird der Einheitswert auf den 1. Januar 1989 des Grundstücks U. auf 70.500,00 DM herabgesetzt.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragt der Kläger zu 44 v.H. und der Beklagte zu 56 v.H.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Geldbetrages in Höhe der an den Kläger zu erstattenden Kosten abwenden, sofern dieser nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe Leistet. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist die Höhe des Einheitswertes. Dabei geht es um die Frage, ob die im Mietspiegel des Beklagten (Finanzamt, FA) ausgewiesene Miete für freifinanzierten nicht preisgebundenen Wohnraum den Marktverhältnissen des Hauptfeststellungszeitpunktes 1. Januar 1964 gerecht wird.
Das streitbefangene Grundstück Liegt in U. . Es ist mit einem Wohnhaus bebaut, das am 1. März 1973 bezugsfertig wurde. Damals gehörte das Grundstück dem Kläger (Kl.) zusammen mit seinem Vater. Bei der Einheitswertfeststellung auf den 1. Januar 1974 kam es zu einem Klageverfahren. Durch Urteil vom 15. Oktober 1976 (I 5/75) setzte der I. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts den Einheitswert auf 72.500,00 DM fest. Bereits in diesem verfahren war die Frage umstritten, welcher Mietwert für das -; damals noch grundsteuerbegünstigte -; Grundstück anzusetzen sei. Der Senat hat damals Beweis erhoben über die bei der Rufstellung des Mietspiegels verwerteten Mieten. Insbesondere hat er festgestellt, daß nur ein einziges vergleichbares, freifinanziertes und nicht grundsteuerbegünstigtes Zweifamilienhaus bekannt war.
Am 1. Oktober 1980 erwarb der Kl. das Alleineigentum an dem Grundstück. Am 31. Dezember 1983 lief die Grundsteuervergünstigung aus. Ruf den 01.01.1984 führte das FR eine Wertfortschreibung durch, in der es den Einheitswert auf 62.900,00 DM herabsetzte. Dabei ging es von einer Miete von 2,55 DM/qm aus. Da das FR diese Bewertung später für unrichtig hielt, führte es auf den 01.01.1989 die in diesem Verfahren angefochtene fehlerberichtigende Wertfortschreibung durch. Es ging dabei von einem Mietwert von 3,20 DM/qm aus, den es seinem Mietspiegel entnommen hatte (Mietspiegelgruppe "IV g", d. h. gute Ausstattung und freifinanziert).
Am 29. Oktober 1996 besichtigte der Berichterstatter das Grundstück. Es ist unstreitig und offensichtlich richtig, daß es sich um ein Zweifamilienhaus handelt; die Wohnfläche beträgt 173,92 qm. Die Ausstattung entspricht -; worüber sich die Beteiligten gleichfalls einig sind -; der Ausstattungsklasse "IV" (gute Ausstattung) des Mietspiegels des FA. Wegen der weiteren Ergebnisse der Augenscheinseinnahme wird auf das Protokoll vom 29. Oktober 1996 (Bl. 38-;39 FG-Akte) Bezug genommen.
Es ist unstreitig, daß die im Mietspiegel in den Klassen "IV g" bzw. "V g" (gute bzw. sehr gute Ausstattung, freifinanziert) ausgewiesenen Mieten nicht auf dem Vergleich mit Vergleichsgrundstücken und tatsächlich gezahlten Mieten beruhen, weil zum Hauptfeststellungszeitpunkt nicht genügend vergleichbare Grundstücke existierten. Weiter ist unstreitig, daß die Mietspiegel seinerzeit bei allen Finanzämtern zumindest im Bereich der Steuerabteilung Hannover der OFD Hannover nach dem gleichen Verfahren unter Beteiligung der OFD aufgestellt worden sind.
Der Kl. trägt vor, der vom FR angesetzte Mietwert von 3,20 DM/qm sei überhöht. Eine solche Miete sei seinerzeit nicht erzielbar gewesen. Die Gruppe "g" des Mietspiegels sei insofern unrichtig. Es sei offensichtlich, daß die in der Gruppe "g" des Mietspiegels ausgewiesenen Mieten seinerzeit durch Hochrechnung ermittelt worden seien. Das sei damals ohne besondere Bedeutung gewesen, weil es einerseits kaum freifinanzierte Grundstücke gegeben habe und zudem nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes (BewG) nach sechs Jahren eine neue Hauptfeststellung hätte erfolgen sollen. Diese sei aber bis heute weder erfolgt noch absehbar. Die extreme tatsächliche Länge des Hauptfeststellungszeitraumes hätte dazu geführt, daß heute ein ganz erheblicher Teil aller Grundstücke als freifinanziert eingestuft würden. Die Anwendung der Mietspiegelgruppe "g" auf diese Grundstücke würde zu einer unrichtigen, nicht akzeptablen Bewertung führen.
Der Kl. beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
unter Änderung des Einheitswertbescheides vom 16.05.1989 und Rufhebung des Einspruchsbescheides vom 10.08.1994 den Einheitswert für das streitbefangene Grundstück auf den 01.01.1989 auf 62.900,00 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es trägt vor:
Es halte an seinem Mietspiegel fest. Der BFH habe in ständiger Rechtsprechung anerkannt, daß die Mietspiegel der Finanzämter geeignete Hilfsmittel zur Schätzung der üblichen Miete im Sinne von § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG seien. Den vom BFH genannten Voraussetzungen werde der vom FR angewandte Mietspiegel gerecht. Er sei nach den Anweisungen der OFD Hannover -; Rundverfügung vom 20.03.1967 S 3202 -; 1 StH 341/S 3202 -; 1 StO 312 -; erstellt worden.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Im übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und die vorgelegten Steuerakten Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist teilweise begründet.
Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG wird der Einheitswert neu festgestellt (Wertfortschreibung), wenn beim Grundbesitz der wert, der sich für den Beginn eines Kalenderjahres ergibt, vom Einheitswert des Letzten Feststellungszeitpunktes nach oben um mehr als den zehnten Teil, mindestens aber um 5.000,00 DM oder um mehr als 100.000,00 DM abweicht. Unter diesen Voraussetzungen findet eine Fortschreibung sowohl zur Beseitigung eines Fehlers der Letzten Feststellung (§ 22 Abs. 3 BewG) als auch dann statt, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse seit der Letzten Feststellung geändert haben. Bei einer Fort Schreibung zur Beseitigung eines Rechtsfehlers ist die Fort Schreibung -; wenn damit eine Erhöhung des Einheitswerts verbunden ist -; frühestens auf den Beginn des Kalenderjahres möglich, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird (§ 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG).
Im Streitfall ist eine Wertfortschreibung gegenüber der ursprünglichen Einheitswertfeststellung auf den 01.01.1974 erforderlich geworden, weil die Grundsteuerbegünstigung am 31. Dezember 1983 ausgelaufen ist. Der Wegfall der öffentlichen Förderung ist eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne des § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BewG, weil damit die Wohnungen aus der Mietpreisbindung entlassen werden (vgl. BFH, Urteil vom 17. Januar 1990 II R 65/87, BStBl II 1990, 530). Damit war -; was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist -; auf den 01.01.1984 eine Wertfortschreibung durchzuführen. Diese Fortschreibung war jedoch sachlich unrichtig, weil ein zu niedriger Einheitswert festgestellt worden ist. Das FA war grundsätzlich bereit, auf den 01.01.1989 durch den angefochtenen Bescheid eine fehlerberichtigende wert Fortschreibung durchzuführen. Ruch hierüber sind sich die Beteiligten einig. Der vom FR auf den 01.01.1989 festgestellte Einheitswert ist jedoch zu hoch. Das ergibt sich aus folgendem:
Zweifamilienhäuser sind nach § 76 Abs. 1 Ziff. 5 BewG grundsätzlich im Ertragswertverfahren zu bewerten. Dabei wird der Grundstückswert durch Anwendung eines Vervielfältigers auf die Jahresrohmiete ermittelt und anschließend unter bestimmten Voraussetzungen ermäßigt oder erhöht. Damit vollzieht sich die Bewertung auf der Grundlage eines aus dem Grundstück erzielbaren Reinertrages, wobei der Reinertrag im Interesse der Durchführung einer Massenbewertung schematisierend und damit nur pauschal festgestellt wird (vgl. z. B. BFH, Urteil vom 31.10.1974 III R 160/72, BStBl II 1975, 106). Entscheidend sind dabei die Wertverhältnisse am 1. Januar 1964 (§ 79 Abs. 5 BewG).
Bei der Ermittlung der Jahresrohmiete ist davon auszugehen, daß Wohnungen, die zunächst öffentlich gefördert worden waren, mit Auslauf dieser Förderung mietpreisrechtlich zu freifinanzierten Wohnungen werden. Für sie ist deshalb die übliche Marktmiete für nicht grundsteuerbegünstige Wohnräume am 1. Januar 1964 anzusetzen (vgl. BFH, Urteil vom 15. Oktober 1986 II R 230/81, BStBl II 1987, 201 sowie Gürsching/Stenger, Bewertungsgesetz, § 79 Rdnr. 44, 88). Diese Miete steht jedoch, anders als die preisgebundene Miete von der öffentlichen Förderung unterliegenden Wohnräumen, nicht fest. Eine tatsächliche Vereinbarung, auf die man zurückgreifen könnte, hat es wegen der damaligen Mietpreisbindung nicht gegeben. Existierte eine tatsächlich vereinbarte Miete nicht, so ist nach § 79 Abs. 2 BewG die übliche Miete anzusetzen, die in Anlehnung an die Jahresrohmiete zu schätzen ist, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art. Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wird. Eine derartige Schätzung setzt voraus, daß freifinanzierte nicht preisgebundene vermietete Vergleichsobjekte in ausreichender Zahl vorhanden sind. Daran fehlt es im Streitfall. Es ist offensichtlich und zwischen den Beteiligten auch unstreitig, daß eine hinreichende Zahl von Vergleichsobjekten nicht benannt werden kann, weil es sie nicht gab. Dem FR ist nur ein einziges Vergleichsobjekt bekannt.
Läßt sich die übliche Miete nicht aus tatsächlich gezahlten Mieten für Vergleichsobjekte ableiten, so ist grundsätzlich auf die Mietspiegel der Finanzbehörden als Schätzungshilfsmittel zurückzugreifen (vgl. BFH, Urteil vom 10.08.1984 III R 41/75, BStBl II 1985, 36). Dabei geht der BFH davon aus, daß die Mietspiegel aus einer Zusammenstellung von Rahmenmieten entstanden sind, die aus den regelmäßig gezahlten Mieten einer repräsentativen Zahl von vermieteten Wohngrundstücken unter Berücksichtigung der öffentlichen Marktlage abgeleitet und mit Mieter-, Vermieter- und anderen Verbänden sowie Organen des Wohnungsbaus abgestimmt sind. Sie sollen nach Grundstücksarten, Baujahrgruppen, Ausstattungsgruppen, Lage der Grundstücke sowie nach solchen Wohnraumgruppen gegliedert sein, für die am Hauptfeststellungszeitpunkt unterschiedliche Mietpreisregelungen bestanden. Derart erstellte Mietspiegel entsprechen den Kriterien, die nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG für die Schätzung der üblichen Miete durch Vergleich mit vermieteten Grundstücken maßgebend sind.
Der Mietspiegel des FR entspricht in weiten Bereichen diesen geforderten Kriterien. Das gilt jedoch nicht für die Mietspiegelspalte "g". Der Senat ist der Überzeugung, daß die im Mietspiegel ausgewiesenen Mieten für freifinanzierten nicht preisgebundenen Wohnraum nicht aus regelmäßig gezahlten Mieten einer repräsentativen Zahl von vermieteten Wohngrundstücken abgeleitet worden sind. Das folgt schon daraus, daß es am Hauptfeststellungsstichtag 01.01.1964 nur in seltenen Ausnahmefällen freifinanzierten, nicht preisgebundenen Wohnraum gab, der für die Aufstellung von Mietspiegeln zahlenmäßig bei weitem nicht ausreichte. Die Mietspiegelgruppe "g" konnte somit nur im Schätzungswege oder durch Hochrechnungen ermittelt werden. Es ist offensichtlich, daß dies bei dem im Streitfall angewandten Mietspiegel -; ebenso wie bei allen anderen Mietspiegeln im Bereich der OFD Hannover -; geschehen ist, wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil des Senats vom 27. August 1996 I 119/90 (EFG 1997 S. 8) Bezug genommen. Die Mietspiegelspalte "g" scheitert deshalb als Schätzungshilfsmittel für die nicht preisgebundene Marktmiete aus.
Unter diesen Umständen hat der Senat die übliche Miete anderweitig zu schätzen. Er hat sich dabei an die Grundsätze angelehnt, die der BFH für die Ermittlung der Marktmiete nach Auslauf der Grundsteuervergünstigung entwickelt hat (BFH, Urteil vom 15. Oktober 1986 II R 230/81, BStBl II 1987, 201). Dort ist die Schätzung der üblichen Marktmiete durch Ansatz der üblichen Miete für grundsteuerbegünstigten Wohnraum zuzüglich eines Zuschlages als zulässig erkannt worden. Der Zuschlag hat dabei der Tatsache Rechnung zu tragen, daß nach Beendigung der Grundsteuervergünstigung die nunmehr einsetzende Grundsteuerbelastung des Grundstücks regelmäßig zu einer Erhöhung der Rohmiete führt. Entsprechend der Systematik des § 79 Abs. 3 BewG ist dabei nicht auf die tatsächliche Grundsteuerbelastung im Einzelfall abzustellen, sondern sie ist pauschal für das ganze Bewertungsgebiet einheitlich anzusetzen. Gemessen an diesen Erfordernissen hat der Senat auf die im Mietspiegel ausgewiesene Miete für grund-
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Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.