Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.02.1997, Az.: XII 200/94

Einordnung von Einkünften in eine Einkuftsart als rechtliche Wertung; Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden bei nachträglichem Bekanntwerden von Tatsachen oder Beweismitteln, die zu einer niedrigeren Steuer führen

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
12.02.1997
Aktenzeichen
XII 200/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 17860
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:0212.XII200.94.0A

Verfahrensgegenstand

Tatsachenbegriff i.S.d. § 173 AO

1) Gewerbesteuermeßbescheide 1984 bis 1986

2) Gewerbesteuermeßbescheid 1986

In den Rechtsstreiten
hat der XII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 12. Februar 1997,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter ... am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ... Geschäftsführer
hrenamtliche Richterin ... Hausfrau
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Hinweis: Verbundenes Verfahren

Verbundverfahren:
FG Niedersachsen - 12.02.1997 - AZ: XII 201/94

Tatbestand

1

Streitig ist, ob eine Aufhebung von Gewerbesteuermeßbescheiden nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vorzunehmen ist.

2

Streitjahre sind die Jahre 1984 bis 1986.

3

Die vom Aufhebungsantrag betroffenen Gewerbesteuermeßbescheide 1984 bis 1986 unter der Steuernummer ... (AZ: XII 200/94) richten sich gegen die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes Günter Gerlach, der vom Aufhebungsantrag betroffene Gewerbesteuermeßbescheid 1986 unter der Steuernummer ... (AZ: XII 201/94) richtet sich gegen die Klägerin als Unternehmerin seit dem 20.04.1986. Der Ehemann der Klägerin war als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Fa. ... & ... Maschinen- und Apparatebau GmbH tätig. Von dieser Firma erhielt er - anschließend die Klägerin selbst als Rechtsnachfolgerin - Zahlungen in Zusammenhang mit seinen Erfindungen, welche von der Firma verwertet wurden. Diese Zahlungen beliefen sich für ... in 1984 auf 350.133,55 DM, in 1985 auf 324.412,48 DM und in 1986 auf 133.196,79 DM; für die Klägerin wurden in 1.986.301.690,16 DM ausgezahlt. Die arbeitsvertraglich als "Lizenzgebühren" deklarierten Zahlungen wurden ursprünglich vom Beklagten (das Finanzamt - FA -) als Arbeitnehmererfindervergütungen behandelt. Im Rahmen anhängiger Einspruchsverfahren der Klägerin gegen die Einkommensteuerbescheide 1983 bis 1986 gelangte das FA zu der Auffassung, daß wegen des beherrschenden Einflusses des ... auf die Firma ... & ... GmbH (70 % am Stammkapital) und der großen Bedeutung seiner Erfindungen für die Firma die Patentüberlassung im Rahmen einer Betriebsaufspaltung erfolgt sei. Die betreffenden als "Lizenzgebühren" geleisteten Zahlungen wurden als gewerbliche Einkünfte qualifiziert. Dementsprechend wurden die Einkommensteuerbescheide geändert und erstmals Gewerbesteuermeßbescheide erlassen. Die geänderten Einkommensteuerbescheide wurden bestandskräftig, nachdem die Klägerin ihre Einsprüche zurückgezogen hatte. Gegen die Gewerbesteuermeßbescheide 1984 bis 1986 bezüglich des Ehemanns der Klägerin - sowie für 1986 auch bezüglich der Klägerin selbst - wurde kein Einspruch eingelegt. Mit Schreiben vom 16.04.1992 beantragte die Klägerin, die gegen ihren verstorbenen Ehemann gerichteten Gewerbesteuermeßbescheide 1984 bis 1986 sowie den gegen sie selbst gerichteten Gewerbesteuermeßbescheid 1986 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO aufzuheben, da es sich entgegen der bisherigen steuerlichen Beurteilung nicht um Lizenzzahlungen, sondern um verdeckte Gewinnausschüttungen aus der Beteiligung an der Fa. ... & ... GmbH gehandelt habe. Der Aufhebungsantrag wurde mit Bescheid vom 15.05.1992 zurückgewiesen, da es sich bezüglich der Umqualifikation nicht um neue Tatsachen, sondern lediglich um rechtliche Wertungen handele. Hiergegen richten sich nach erfolglosem Vorverfahren die zunächst unter getrennten Aktenzeichen geführten Verpflichtungsklagen der Klägerin.

4

Die Klägerin ist weiterhin der Ansicht, die Gewerbesteuermeßbescheide seien gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO aufzuheben, denn die bislang als gewerbliche Einkünfte qualifizierten Zahlungen der Gesellschaft für die Nutzung der Patente seien verdeckte Gewinnausschüttungen. Neue Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 AO seien die Nichtigkeit der Lizenzverträge, das wirtschaftliche Eigentum der Gesellschaft an den Patenten, das im Anstellungsvertrag mit Herrn ... vereinbarte Konkurrenzverbot, das Fehlen eines Gesellschafterbeschlusses bezüglich des Konkurrenzverbots, die Höhe der Einkünfte und der sich aus der verdeckten Gewinnausschüttung ergebende Rückgewähranspruch. Auch die handels- und gesellschaftsrechtliche Beurteilung der geleisteten Zahlungen als verdeckte Gewinnausschüttung stelle eine neue Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 AO dar. Darüber hinaus seien die entsprechenden Verträge, aus denen das Konkurrenzverbot und das wirtschaftliche Eigentum der Gesellschaft an den Patenten hervorgehe, vor dem Änderungsantrag nicht dem zuständigen Bearbeiter im FA bekanntgewesen. Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO komme es auf ein Verschulden hinsichtlich des nachtraglichen Bekanntwerdens der neuen Tatsache hier nicht an, da die neuen Tatsachen auch zu Mehrsteuern sowohl bei der Klägerin als auch bei der Gesellschaft führten.

5

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, die Bescheide über den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag für 1984 bis 1986 (Steuernummer: ...) und für 1986 (Steuernummer: ...) sowie die Einspruchsentscheidungen vom 6. April 1994 ersatzlos aufzuheben.

6

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Es ist der Ansicht, es lägen keine neuen Tatsachen für eine Aufhebung der Gewerbesteuermeßbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vor. Die rechtliche Wertung der geleisteten Zahlungen als verdeckte Gewinnausschüttungen sei keine Tatsache. Sämtliche für die Beurteilung als verdeckte Gewinnausschüttungen maßgeblichen Umstände seien bei Erlaß der Gewerbesteuermeßbescheide dem zuständigen Bearbeiter des FA bekannt gewesen. Insbesondere hätten ihm der Anstellungs- und der Lizenzvertrag vorgelegen, aus denen das Konkurrenzverbot und das wirtschaftliche Eigentum der Gesellschaft an den Patenten hervorgehe. Darüber hinaus sei auch die Höhe der geleisteten Zahlungen bekannt gewesen. Die Existenz eines Rückgewähranspruches sei einerseits das Ergebnis einer steuerrechtlichen Wertung als verdeckte Gewinnausschüttung und somit keine Tatsache, andererseits könne ein Rückgewähranspruch erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Inanspruchnahme erfaßt werden. Hilfsweise ist das FA der Ansicht, ein grobes Verschulden des steuerlichen Beraters der Klägerin hindere eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, da rechtzeitig Einspruch gegen die Gewerbesteuermeßbescheide hätte eingelegt werden können und ein Zusammenhang mit steuererhöhenden Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO nicht bestehe.

8

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze und die vom FA vorgelegten Steuerakten Bezug genommen.

9

Das Gericht hat durch Beschluß in der mündlichen Verhandlung vom 12. Februar 1997 die Klagen XII 200/94 und XII 201/94 gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Entscheidungsgründe

10

Die Klage ist nicht begründet.

11

Zu Recht hat das FA die Aufhebung der Gewerbesteuermeßbescheide 1984 bis 1986 mit den angefochtenen Verwaltungsentscheidungen abgelehnt.

12

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO i.V.m.§§ 184 Abs. 1 Satz 3, 181 Abs. 1 Satz 1 AO sind Steuerbescheide bzw. Steuermeßbescheide zugunsten des Steuerpflichtigen aufzuheben oder zu ändern, soweit nachträglich Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer oder zu einer niedrigeren Festsetzung von Steuermeßbeträgen führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, daß die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.

13

Im Streitfall sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheide aus § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Es liegen keine neuen Tatsachen im Sinne dieser Vorschrift vor.

14

Tatsache ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestandes erfüllt. Nicht zu dieses Gegenständen der Seinswelt gehören Schlußfolgerungen, Urteile im Sinne der Logik.

15

Die Einordnung von Einkünften in eine Einkuftsart ist keine Tatsache, sondern eine rechtliche Wertung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. April 1986 V R 99/83, BFH/NV 1986, 589). Die Zuordnung der von der Gesellschaft bezüglich der Patente geleisteten Zahlungen zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG anstelle der Zuordnung zu den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG stellt somit keine Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dar. Daher kann auch der - sich erst als Resultat der steuerrechtlichen Beurteilung als verdeckte Gewinnausschüttung ergebende - Rückgewähranspruch keine Tatsache im Sinne dieser Norm sein. Tatsachen sind allerdings die Umstände, aus denen sich die Einordnung von Einkünften in eine Einkunftsart ergibt. Im vorliegenden Fall waren jedoch alle für die Einkünftezuordnung maßgeblichen Umstände bekannt, so daß keine relevanten Tatsachen nachträglich bekannt geworden sind. Ausweislich der Rechtsbehelfsakte zur Einkommensteuer 1983 bis 1986 der Klägerin waren dem über den Erlaß der Gewerbesteuermeßbescheide entscheidenden Bearbeiter des FA die für die Einordnung der Einkünfte erheblichen Tatsachen vor Erlaß der Bescheide bekannt. Einerseits war die Höhe der geleisteten Zahlungen bekannt, andererseits lagen dem Bearbeiter sowohl der Anstellungsvertrag des ... bei der Gesellschaft als auch der Lizenzvertrag mit der Gesellschaft vor. Es ist nicht ersichtlich, daß dem Bearbeiter das Konkurrenzverbot und das wirtschaftliche Eigentum der Gesellschaft an den Patenten nicht bekannt war. Daß das FA aus diesen für die Einkunftsartzuordnung maßgeblichen Tatsachen - wegen der Verkennung der rechtlichen Unangemessenheit der Zahlungen - die falsche Schlußfolgerung gezogen und die Einkünfte - in der Annahme einer Betriebsaufspaltung - den Einkünften aus Gewerbebetrieb anstelle den Einkünften aus Kapitalvermögen zugeordnet hat, rechtfertigt nicht die Annahme einer neuen Tatsache. Die spätere, erst nach Eintritt der Bestandskraft der Gewerbesteuermeßbescheide vertretene Auffassung des FA, es handele sich bei den Zahlungen um verdeckte Gewinnausschüttungen, stellt lediglich eine andere rechtliche Beurteilung bereits bekannter Umstände dar (vgl. Urteil des BFH vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BStBl II 1989, 55).

16

Andere Änderungsvorschriften sind nicht einschlägig.

17

Nach alldem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

18

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.