Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.02.1997, Az.: XII 535/95
Entnahme im Sinne des § 4 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG); Notwendigkeit einer Entnahmehandlung und eines Entnahmewillens für das Vorliegen einer Entnahme
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 19.02.1997
- Aktenzeichen
- XII 535/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 15982
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1997:0219.XII535.95.0A
Rechtsgrundlage
- § 4 Abs. 1 S. EStG
Fundstelle
- NWB 1997, 962
Verfahrensgegenstand
Einkommensteuer 1991
In dem Rechtsstreitverfahren
hat der XII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
durch
den Richter am Finanzgericht ... als Berichterstatter gemäß § 79 a Abs. 3 und 4 Finanzgerichtsordnung (FGO)
am 19. Februar 1997
für Recht erkannt:
Tenor:
Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 12.07.1995 und Änderung des Einkommensteuerbescheides 1991 in der Fassung vom 02.11.1994 wird die Einkommensteuer von 17.230 DM auf 16.072 DM herabgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der Kostenerstattung abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leisten.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage einer Entnahme i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG.
Die Kläger werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger betreibt in ... eine Tanzschule. Den Gewinn ermittelt er gemäß § 4 Abs. 3 EStG durch Einnahme-Überschuß-Rechnung.
Im Rahmen einer u.a. für das Streitjahr in der Zeit vom 22.11.1993 bis 26.07.1994 (mit Unterbrechungen) durchgeführten Außenprüfung stellte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) u.a. fest, daß der Kläger im November 1990 eine "verfahrbare Dreh- und Schwenkeinrichtung" hatte einbauen lassen. Die Rechnung der Firma ... vom 06.12.1990 lautet über 18.950 DM zuzüglich Umsatzsteuer. Im Rahmen der Außenprüfung gab der Kläger an, die Anlage sei ca. ein halbes Jahr später wieder ausgebaut worden, da sie seinen Erwartungen nicht entsprochen habe. Den Ausbau habe eine Firma ..., Maschinen- und Apparatebau, ... vorgenommen. Der Firmeninhaber ... war mit dem Kläger verschwägert. Er verstarb im Juli 1992. Die Firma ... ist Anfang 1993 in Konkurs geraten.
Nach dem Ausbau der Dreh- und Schwenkeinrichtung ist die Deckenverkleidung, die zuvor beim Einbau der Anlage verändert worden war, wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt worden. Eine Rechnung über den Ausbau der Anlage ist nicht vorhanden. Über den Verbleib der Dreh- und Schwenkeinrichtung gibt es keinen Hinweis.
Im Anschluß an die Außenprüfung gelangte das FA zu der Auffassung, daß es sich bei dem Ausbau der Dreh- und Schwenkanlage um eine Entnahme handele. Das FA schätzte in Anlehnung an den Buchwert per 30.06.1991 den Entnahmewert auf 15.160 DM netto und erließ für das Streitjahr (1991) einen geänderten Einkommensteuerbescheid, in dem der Gewinn aus Gewerbebetrieb um die AfA des Schwenkarms in Höhe von 1.895 DM sowie um die Umsatzsteuer auf den Entnahme-Eigenverbrauch in Höhe von 2.122 DM erhöht wurde.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren haben die Kläger gegen diese Entscheidung Klage erhoben. Mit der Klage verbleiben sie bei ihrer bereits im Vorverfahren geäußerten Rechtsauffassung, daß im vorliegenden Fall eine Entnahme nicht anzunehmen sei, da der Kläger einen entsprechenden Willensentschluß zur Entnahme nicht gehabt habe. Im Gegenteil habe der Kläger seinerzeit die Firma ... beauftragt, die Anlage durch einige technische Veränderungen wieder verwendungsfähig für die Tanzschule herzurichten. Ein nach außen unmißverständlich bekundeter Entnahmewille sei vom Kläger nie verlautet worden. Auch eine Entnahmehandlung durch schlüssiges Verhalten sei nicht gegeben, da die Nutzung der Anlage nicht derart geändert werden sollte, daß sie nach der Nutzungsänderung nicht mehr dazu bestimmt und geeignet gewesen sei, den Betrieb zu fördern. Man habe gerade vorgehabt, sie in einen für die Tanzschule nutzungsfähigen Zustand zu versetzen. Die Nichtnutzung eines betrieblichen Wirtschaftsgutes lasse regelmäßig nicht den Schluß auf einen Entnahmewillen eines Steuerpflichtigen zu. Dies jedenfalls entspreche ständiger Rechtsprechung des BFH. Ein Wille zur außerbetrieblichen Nutzung sei im vorliegenden Fall ebenfalls nicht erkennbar.
Die Instandsetzung der Deckenverkleidung in den ursprünglichen Zustand nach Ausbau des Dreh- und Schwenkarmes könne nicht als schlüssige Entnahmehandlung oder als Verzicht auf eine technische Veränderung der Anlage gewertet werden. Vielmehr sei es für ein Dienstleistungsunternehmen wie eine Tanzschule gerade wichtig, daß eine saubere und instandgesetzte Ausstattung der Geschäftsräume vorliege. Im vorliegenden Fall handele es sich deshalb um einen Verlust, der durch Nachlässigkeit entstanden sei. Der Verlust eines Wirtschaftsgutes des Betriebsvermögens führe mangels einer Entnahmehandlung nicht zur Entnahme des Wirtschaftsgutes.
Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 12.07.1995 und Änderung des Einkommensteuerbescheides 1991 in der Fassung vom 02.11.1994 die Einkommensteuer von 17.230 DM auf 16.072 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA verweist dazu auf seine im Einspruchsbescheid vom 12.07.1995 dargestellte Rechtsauffassung und stellt ergänzend klar, daß das FA seine Entscheidungsgründe im wesentlichen nicht auf ein schlüssiges Verhalten der Kläger, aus dem der für eine Entnahme notwendige Willensentschluß sichtbar werde, stütze. Vielmehr sei der Hauptgrund die Verletzung abgabenrechtlicher Mitwirkungspflichten, die im Streitfall zur Folge hätten, daß aus dem Verhalten der Kläger für sie nachteilige Schlüsse gezogen worden seien.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf die zwischen ihnen im Einspruchs- und Klageverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Ausbau der Dreh- und Schwenkeinrichtung stellt keine Entnahme i. S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG dar. Entnahmen sind alle Wirtschaftsgüter (Barentnahmen, Waren, Erzeugnisse, Nutzungen und Leistungen), die der Steuerpflichtige dem Betrieb für sich, für seinen Haushalt oder für andere betriebsfremde Zwecke im Laufe des Wirtschaftsjahres entnimmt. Die Entnahme verlangt für ihre Wirksamkeit deshalb grundsätzlich ein Verhalten des Steuerpflichtigen, mit dem nach außen hin dokumentiert wird, daß ein Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen gelöst wird. Die Entnahmehandlung setzt also regelmäßig ein tatsächliches Verhalten (aktives Tun) voraus, aus dem sich diese unternehmerische Entscheidung für einen Außenstehenden erkennbar nachvollziehen läßt. Allerdings ist eine bestimmte Form dafür nicht vorgeschrieben (vgl. etwa BFH-Urteil vom 31.01.1985, BStBl II, 395; BFH-Urteil vom 30.07.1987, BStBl II 1988, 48). Demgemäß reicht also auch ein schlüssiges Verhalten (Ausbuchung des VVG, nachhaltige Nutzungsänderung, Erklärung gegenüber der Finanzverwaltung) aus. Erforderlich ist jedoch in jedem Fall, daß das VVG aus dem betrieblichen Nutzungs- und Funktionszusammenhang gelöst wird und in einen betriebsfremden/außerbetrieblichen Nutzungszusammenhang überführt wird.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Der Kläger hat sowohl im Rahmen der Außenprüfung, als auch im Einspruchs- und Klageverfahren immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß er die Dreh- und Schwenkeinrichtung nicht habe entnehmen wollen. Nach den Feststellungen des Außenprüfers sollte die Anlage der Überwachung der Linienführung bei Übungen von Tanzformationen dienen. Der Kläger hat angegeben, die Anlage habe seinen Erwartungen nicht entsprochen und sei im übrigen auch technisch nicht fehlerfrei gewesen. Er habe sie deshalb von seinem Schwager ... wieder ausbauen lassen. Herr ... habe vorgehabt, die Anlage umzubauen und nach dem Umbau erneut in der Tanzschule einzubauen, damit der Kläger sie dort wieder verwenden könne. Nach dem Tod des Herrn und dem Konkurs der Firma ... sei die Anlage nicht wiedergefunden worden.
Aus diesem Vorbringen des Klägers kann nicht auf eine Entnahme der Einrichtung geschlossen werden. Es ist daraus weder eine Entnahmehandlung, noch ein Entnahmewille erkennbar. Soweit das FA vorbringt, für eine Entnahme spreche auch die Instandsetzung der Deckenverkleidung in den ursprünglichen Zustand nach dem Ausbau der Anlage, folgt das Gericht diesem Vorbringen nicht. Denn zutreffend führen die Kläger hierzu an, eine Tanzschule (Dienstleistungsunternehmen) müsse saubere und instandgesetzte Geschäftsräume vorweisen. Gegen eine Entnahme spricht im übrigen, daß Herr ... die Anlage ausgebaut hat und für den Ausbau keine Rechnung gestellt hat. Dies läßt darauf schließen, daß eine Rechnungsstellung erst nach Umbau und erneutem Einbau der Anlage in der Tanzschule erfolgen sollte. Jedenfalls ist entgegen der Auffassung des FA aus dem Verhalten des Klägers nicht zu entnehmen, daß er mit Überlassung der Anlage an Herrn ... seinen Rückgabeanspruch aufgegeben hat. Weitere Hinweise darauf, daß im Streitfall eine Entnahme vorgelegen hat, sind nicht erkennbar. Es muß nach alldem von einem Verlust des Wirtschaftsgutes ausgegangen werden, zumal das FA über sein Vorbringen hinaus Nachweise für eine Entnahme nicht erbracht hat. Das FA trifft jedoch die objektive Beweislast (Feststellungslast) dafür, daß ein Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen entnommen worden ist. Zutreffend wird diese Auffassung vom BFH in ständiger Rechtsprechung vertreten (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 20.03.1987, BStBl II, 679, 681).
Nach alldem war dem Klageantrag der Kläger zu entsprechen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3 i.V. mit § 5, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zugelassen worden. Hiergegen kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Niedersächsischen Finanzgericht in Hannover Beschwerde eingelegt werden. Ruf Abs. 4 der Rechtsmittelbelehrung wird hingewiesen. In der Beschwerdeschrift muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt, die Entscheidung des Bundesfinanzhofs, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.