Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.01.1997, Az.: II 675/95
Pflegekosten in einem Altenheim als außergewöhnliche Belastung; Unterbringungskosten als Lebenshaltungskosten; Abgrenzung Hilfsbedürftigkeit zu Pflegebedürftigkeit; Anforderungen an Nachweis der Pflegebedürftigkeit
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 29.01.1997
- Aktenzeichen
- II 675/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 23283
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1997:0129.II675.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 33 EStG
- § 33b Abs. 6 EStG
- R 187 Abs. 1 EStR 1993
- § 33b Abs. 7 EStG
Verfahrensgegenstand
Pflegeaufwendung als außergewöhnliche Belastung
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Zusätzliche Pflegekosten, die einem Altenheimbewohner auf Grund ärztlich verordneter Bettruhe entstehen, können als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig sein.
- 2.
Die Unterbringung in einem normalen Altersheim stellt keine Krankheits-, sondern übliche Lebenshaltungskosten dar. Ist der Aufenthalt jedoch ausschließlich durch eine Krankheit veranlasst, können auch die Pflegekosten, die zusätzlich zu den normalen Aufenthaltskosten in Rechnung gestellt werden, außergewöhnlich und zwangsläufig i.S.d. § 33 EStG sein.
- 3.
In diesem Sinne krankheitsbedingt ist immer eine ständige Pflegebedürftigkeit. Ständige Pflegebedürftigkeit ist keine für ältere Menschen typische Erscheinung, sondern die Ausnahme und aus diesem Grunde außergewöhnlich i.S.v. § 33 EStG.
- 4.
Pflegebedürftig ist entgegen R 187 Abs. 1 EStR 1993 nicht nur, wer die Voraussetzungen der Hilflosigkeit nach § 33b Abs. 6 EStG erfüllt, sondern derjenige, der wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, nach Maßgabe der drei vorgesehenen Pflegestufen in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf.
- 5.
Die Übertragung der Nachweiserfordernisse zu § 33b EStG auf § 33 EStG verbietet sich, weil § 33b EStG sich eindeutig nur auf die Pauschbeträge des § 33b EStG bezieht.
In dem Rechtsstreit
hat der II. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
in der Sitzung vom 29. Januar 1997,
an der mitgewirkt haben:
1.Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
2.Richter am Finanzgericht ...
3.Richter am Finanzgericht ...
4.ehrenamtliche Richterin ...
5.ehrenamtliche Richterin ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1994 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 08.01.1995 sowie unter deren Aufhebung wird die Einkommensteuer 1994 auf 1.609 DM festgesetzt. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der an die Kläger zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leisten.
Tatbestand
Streitig ist, ob gesondert in Rechnung gestellte Pflegekosten bei Heimunterbringung als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG abzuziehen sind.
Die nach Klageerhebung verstorbene Klägerin (nachfolgend: Erblasserin - El. -) wohnte seit 1985 in einem Appartement des Wohnstifts des Collegium A. in B.. Nach dem Wohnstiftsvertrag hatte die El. für die Nutzung eines beheizten Leerappartements sowie für weitere Leistungen der Einrichtung ein Pauschalentgelt zu entrichten. In diesem war u.a. gem. § 3 Nr. 2 des Wohnstiftsvertrages auch die Pflege im eigenen Appartement durch Schwestern des Wohnstifts bei vorübergehender Erkrankung enthalten, "soweit nicht Krankenhausbehandlung oder Pflege in erheblichem Umfang gem. § 4 Abs. 1 Nr. 4 des Wohnstiftsvertrages erforderlich war". Nach § 4 Nr. 4 des Wohnstiftsvertrages wurde u.a. für Pflege in erheblichem Umfang ein zusätzliches Entgelt erhoben und war Pflege in diesem Sinne in der Regel dann gegeben, wenn sie"aufgrund ärztlichen Zeugnisses festgestellt (ist) war oder wenn unbestimmt (ist) war, ob oder wann die Pflegebedürftigkeit (endet) endete".
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt des Wohnstiftsvertrages des Collegium A. vom 13.02.1985 (Bl. 23 ff. Gerichtsakte - GA -) verwiesen.
Außerdem bestand mit Wirkung vom 01.01. des Streitjahres eine zusätzliche beitragspflichtige versicherungsähnliche Pflegevereinbarung mit dem Wohnstift, der sich die El. angeschlossen hatte. Nach deren Inhalt hatte sie im Krankheitsfall einen Anspruch auf Erstattung des zusätzlichen Leistungsentgelts für Pflege in erheblichem Umfang nach § 4 Nr. 4 Wohnstiftsvertrag, soweit dieses 500 DM monatlich überstieg und nicht von anderen Leistungsträgern übernommen wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf das Merkblatt über die Regelung der Kosten für Pflege in erheblichem Umfang in den Wohnstiften des Collegium A. (Bl. 27, 28 GA) verwiesen.
Die El. war im Streitjahr 1994 zu 50 v.H., ab dem 30.12.1994 zu 60 v. H. schwerbehindert. Zusätzliche Merkmale zur Kennzeichnung des Grades der Schwerbehinderung waren vom Versorgungsamt nicht festgestellt.
Im Januar des Streitjahres war die El. aufgrund ärztlicher Verordnung wegen eines grippalen Infektes bettlägerig. Im August bis Anfang September befand sich die El. in stationärer Behandlung im Krankenhaus; sie wurde dort nach einem Sturz wegen Beschwerden an der linken Hüfte und dem linken Knie bei Arthrosen und mehrfachen Gelenkoperationen fachchirurgisch behandelt. Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus konnte sie nicht mehr allein aus dem Bett aufstehen, sich selbständig anziehen oder ohne Begleitung gehen. Ab dem 01.11.1994 wurde sie in die Pflegestufe 1 nach den Kriterien des Wohnstifts A. aufgenommen und entsprechend durch im Wohnstift angestellte Fachkräfte gepflegt. Hierfür entstanden ihr zusätzliche Pflegekosten. Mit Wirkung vom 01.04.1995 war sie dann auch durch den medizinischen Dienst der AOK in die Pflegestufe 1 nach der gesetzlichen Pflegeversicherung aufgenommen worden und erhielt hieraus Leistungen.
In ihrer Einkommensteuererklärung 1994 machte sie die ihr für November und Dezember des Streitjahres entstandenen Pflegeaufwendungen als außergewöhnliche Belastung nach § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) geltend, deren Abzug das Finanzamt (FA) jedoch versagte.
Hiergegen legte die El. Einspruch ein, mit dem sie neben bisher noch nicht geltend gemachten Krankheitskosten folgende - gegenüber der Steuererklärung erweiterte - Pflegekosten als außergewöhnliche Belastung begehrte:
Januar | ärztlich verordnete Bettruhe wegen gippalen Infekts | 361,80 DM | |
---|---|---|---|
Sept. | Pflege mit gymnastischen Übungen | 482,40 DM | |
Okt. | Pflegekosten | 2.075,40 DM | |
Erstattung | 1.575,40 DM | ||
500,00 DM | 500,00 DM | ||
Nov. | Pflegekosten | 2.190,00 DM | |
Erstattung | 1.690,00 DM | ||
500,00 DM | 500,00 DM | ||
Dez. | Pflegekosten | 2.251,00 DM | |
Erstattung | 1.752,00 DM | ||
500,00 DM | 500,00 DM | ||
2.344,20 DM |
Die Erstattungsbeträge ergaben sich aus der Pflegevereinbarung mit dem Wohnstift, wonach für die El. lediglich eine Selbstbeteiligung von höchstens 500 DM verblieb.
Den von der El. selbst getragenen Pflegeaufwand von insgesamt 2.344,20 DM ließ das FA auch im Einspruchsverfahren nicht als außergewöhnliche Belastung zum Abzug zu und wies den Einspruch insoweit als unbegründet zurück.
Das FA begründete seine Entscheidung damit, Pflegeaufwendungen seien zwar grundsätzlich als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigungsfähig, wenn der Steuerpflichtige pflegebedürftig sei. Nach Abschn. 187 Abs. 1 Sätze 2, 3 Einkommensteuerrichtlinien (EStR) 1993 sei aber pflegebedürftig nur, wer hilflos i.S.v. § 33 b Abs. 6 EStG sei. Der Nachweis sei dabei entsprechend § 65 Abs. 4 Einkommensteuerdurchführungsverordnung (EStDV) zu führen. Somit sei die Pflegebedürftigkeit bzw. die Hilflosigkeit durch Vorlage eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkmal "H" nachzuweisen. Dieses Zusatzmerkmal sei der El. vom Versorgungamt jedoch nicht zuerkannt worden.
Mit der Klage begehrt die El. weiterhin den Abzug der Pflegeaufwendungen in Höhe von 2.344,20 DM als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG.
Sie meint, es handele sich deshalb um außergewöhnliche Belastungen i.S.d. § 33 EStG, weil sie für "die Pflege gegen zusätzliches Entgelt" gem. § 4 Abs. 1 Nr. 4 des Wohnstiftsvertrages angefallen seien, mithin außerhalb der Grundbetreuung im Wohnheim. Es gehe nicht an, den Nachweis für eine Pflegebedürftigkeit auf das Zusatzmerkmal "H" ("Hilflosigkeit") nach dem Schwerbehindertengesetz, wie im Schwerbehindertenausweis bescheinigt werde, zu beschränken, wie dies in Abschn. 187 Abs. 1 Satz 2 EStR 1993 verlangt werde. Hilflosigkeit sei zwar eine hinreichende, jedoch keine notwendige Bedingung für das Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit. Schließlich gebe es zahlreiche Fälle vorübergehender Pflegebedürftigkeit, die schon wegen ihrer vorübergehenden Natur nie zur Anerkennung des Merkmals"Hilflosigkeit" ("H") führen könnten, wie sich aus den Erläuterungen Nr. 1.4 und 1.7 der Anlage zum Widerspruchsbescheid vom 08.08.1995 des Niedersächsischen Landesamts für zentrale soziale Aufgaben (Einzelheiten s. Bl. 29 GA) ergebe.
Der Prozeßbevollmächtigte der El. beantragt,
Pflegekosten in Höhe von 2.344 DM zusätzlich als außergewöhnliche Belastung abzuziehen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA hält an seiner im Einspruchsverfahren vertretenen Auffassung fest. Zwar seien früher gem. Abschn. 187 Abs. 1 EStR 1990 nicht krankheitsbedingte Aufwendungen älterer Steuerpflichtiger für ihre Unterbringung in einem Pflegeheim wie Krankheitskosten behandelt worden. Die Verwaltung habe aber in den EStR 1993 ihre bisherige Regelung wieder eingeschränkt und die Pflegebedürftigkeit an die Voraussetzung der Hilflosigkeit i.S.v. § 33 b Abs. 6 EStG und an das Nachweiserfordernis nach § 65 Abs. 4 EStDV geknüpft (Absch. 187 Abs. 1 EStR 1993). Da dort auch nicht etwa zwischen krankheitsbedingter und altersbedingter Pflegebedürftigkeit unterschieden werde, könnten auch Aufwendungen für vorübergehende Pflege infolge Krankheit nicht berücksichtigt werden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
1.
Die Pflegeaufwendungen in Höhe von 361,80 DM, die der El. durch die wegen eines grippalen Infekts ärztlich verordnete Bettruhe im Januar 1994 entstanden sind, sind als unmittelbare Krankheitskosten gem. § 33 EStG als außergewöhnliche Belastung abzuziehen.
a)
Nach ständiger Rechtsprechung sind krankheitsbedingte Maßnahmen und die dadurch veranlaßten Aufwendungen stets aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig, soweit sie entweder der Heilung dienen oder den Zweck verfolgen, die Krankheit erträglich zu machen. Abziehbar sind Aufwendungen jedenfalls insoweit, als es sich hierbei um unmittelbare Krankheitskosten handelt (vgl. BFH-Urteile vom 20.11.1987 III R 296/84, BFHE 151/443, BStBl II 1988, 137; vom 09.08.1991 III R 54/90, BFHE 165/272, BStBl II 1991, 920, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Die Aufwendungen, die der El. zusätzlich zu den normalen Kosten ihrer Unterbringung im Wohnstift entstanden sind, sind nicht etwa nur nichtabzugsfähige mittelbare Aufwendungen, die nur gelegentlich oder als Folge einer Krankheit entstehen. Da die Bettruhe ärztlich verordnet war, hatte sie ersichtlich die Funktion, den Heilungsprozeß bei dem vorhandenen grippalen Infekt zu unterstützen.
b)
Es handelt sich bei diesen Aufwendungen auch nicht etwa um solche für die normale Unterbringung im Altenheim, die keine Krankheits-, sondern übliche Lebenshaltungskosten darstellen; solche Aufwendungen wären allerdings ihrer Art und dem Grunde nach schon deshalb nicht außergewöhnlich, weil sie anderen in vergleichbaren Verhältnissen lebenden Steuerpflichtigen ebenfalls erwachsen und es insbesondere nichts Außergewöhnliches ist, daß ein älterer Mensch in einem Altersheim lebt, weil er nicht mehr für sich sorgen kann oder auch nur nicht will, selbst wenn auch erhöhte gesundheitliche Anfälligkeiten für den dortigen Aufenthalt mitbestimmend sind (vgl. BFH-Urteile vom 12.01.1973 VI R 207/71, BFHE 108/500, BStBl II 1973, 442; vom 22.08.1980 VI R 138/77, BFHE 131/381, BStBl II 1981, 23; vom 29.09.1989 III R 129/86, BFHE 158/380, BStBl II 1990, 418).
Die hier streitigen Aufwendungen sind nämlich neben den normalen Unterbringungs- und Betreuungskosten im Wohnstift gesondert für zusätzliche Pflegeleistungen, hier verursacht durch verordnete Bettruhe wegen eines grippalen Infekts, entstanden.
Diese - gesondert erhobenen - Pflegekosten gingen damit über das von allen Stiftsbewohnern gleichmäßige erhobene Entgelt, welches schon eine Grundpflege einschließlich ärztlicher Grundbetreuung enthielt, hinaus. Lediglich krankheitsbedingte Pflegekosten, die infolge einer Mischkalkulation des Heimträgers von der Gemeinschaft sämtlicher Heimbewohner im Wege von Solidarbeiträgen aufgebracht werden, können von den einzelnen Mitbewohnern nicht - als Krankheitskosten - als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden (BFH-Urteil vom 29.09.1989 III R 129/86, a.a.O.). So liegt der Fall indes hier nicht, denn die als außergewöhnliche Belastung von der El. geltend gemachten Aufwendungen betreffen ausschließlich der El. gesondert berechnete, krankheitsbedingte Zusatzleistungen, waren also nicht schon in dem normalen, von allen Stiftsbewohnern gleichermaßen zu zahlenden Grundentgelt enthalten.
2.
Die von der El. für Oktober bis Dezember des Streitjahres nach Abzug der Erstattungen aus der Pflegevereinbarung mit dem Wohnstift noch getragenen Pflegekosten (Selbstbeteiligung) in Höhe von zusammen 1.982,40 DM sind ebenfalls als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG zu berücksichtigen.
a)
Der Senat kann offenlassen, ob auch Aufwendungen wegen vorübergehender, lediglich altersbedingter Pflegebedürftigkeit als außergewöhnlich zu beurteilen sind und deshalb einen Abzug als außergewöhnliche Belastung nach sich ziehen, sofern die Aufwendungen für die vorübergehend erforderlich gewordene Pflege nicht schon zu den unmittelbaren Krankheitskosten einer während des Aufenthalts im Altenheim eingetretenen Krankheit gehören, wie der durch den grippalen Infekt im Januar angefallene Pflegeaufwand, und schon deshalb als außergewöhnliche Belastung (vgl. oben 1.)) abgezogen werden können.
b)
Die Aufwendungen waren nämlich schon wegen nicht nur vorübergehender Pflegebedürftigkeit der El. außergewöhnlich.
Lediglich die Unterbringung in einem normalen Altersheim stellt keine Krankheits-, sondern übliche Lebenshaltungskosten dar. Ist der dortige Aufenthalt jedoch ausschließlich durch eine Krankheit veranlaßt, können auch die Pflegekosten, sofern sie zusätzlich zu den normalen Aufenthaltskosten im Wohnheim in Rechnung gestellt werden, außergewöhnlich und zwangsläufig i.S.d. § 33 EStG sein, da sie zum Zwecke der Heilung oder jedenfalls mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen (vgl. BFH-Urteil vom 29.09.1989 III R 129/86, a.a.O.).
In diesem Sinne krankheitsbedingt ist immer eine ständige Pflegebedürftigkeit, was in Fällen wie Lähmungen, Versteifung von Gliedmaßen, Bettlägerigkeit wegen Schwäche u.ä. ohne weiteres einsehbar ist. Ständige Pflegebedürftigkeit ist keine für ältere Menschen typische Erscheinung, sondern die Ausnahme und aus diesem Grunde außergewöhnlich i.S.d. § 33 EStG (so schon BFH-Urteil vom 07.03.1975 VI R 248/71, BFHE 115/346, BStBl II 1975, 483).
Die El. war in diesem Sinne nicht nur vorübergehend pflegebedürftig.
Sie hat seit September, also seit ihrer Entlassung aus der Klinik, ohne Unterbrechung die nach § 4 Ziff. 4 Wohnstiftsvertrag gesondert zu vergütende Pflege in erheblichem Umfang in Anspruch genommen, die nach dem Vertrag nur dann gesondert zu vergüten ist, wenn sie entweder aufgrund eines ärztlichen Zeugnisses festgestellt war oder aber wenn unbestimmt war, ob und wann die Pflegebedürftigkeit endete. Tatsächlich hat diese Pflegebedürftigkeit auch kein Ende gefunden. Mit Wirkung vom 01.11. des Streitjahres ist die El. schließlich in die Pflegestufe 1 nach den Kriterien des Wohnstifts aufgenommen und entsprechend gepflegt worden; dies hat seine Fortsetzung dann weiter darin gefunden, daß auch die AOK die El. mit Wirkung ab dem 01.04. des Folgejahres 1995 in die Pflegestufe 1 der Pflegepflichtversicherung aufgenommen und fortan entsprechende Leistungen gewährt hat. Entgegen der in R 187 Abs. 1 Einkommensteuerrichtlinien (EStR) 1993 von der Verwaltung vertretenen Auffassung, wonach pflegebedürftig (nur) ist, wer die Voraussetzungen der Hilflosigkeit nach § 33 b Abs. 6 EStG erfüllt, ist der Begriff der Pflegebedürftigkeit weiter zu fassen. Nach § 14 Abs. 1, 2 Sozialgesetzbuch XI sind pflegebedürftig nämlich schon solche Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, nach Maßgabe der drei vorgesehenen Pflegestufen in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen.
Der Senat hat nach alledem keine Zweifel, daß die El. auch schon seit September des Streitjahres in diesem Umfang nicht nur vorübergehend pflegebedürftig war.
c)
Da die aufgrund der Pflegebedürftigkeit vom Wohnstift erbrachten besonderen Pflegeleistungen der El. auch gesondert, zusätzlich zum normalen Entgelt für die üblichen Leistungen des Wohnstifts, wie sie alle Wohnstiftsbewohner zu entrichten haben, berechnet worden sind, waren sie außergewöhnlich und deshalb als außergewöhnliche Belastung auch nach § 33 EStG abzuziehen.
3.
Entgegen der in R 187 Abs. 1 EStR 1993 zu § 33 EStG vertretenen Auffassung der Finanzverwaltung scheitert der Abzug nicht etwa daran, daß der El. bei der Feststellung des Grades der Behinderung nach § 4 Abs. 1 Schwerbeschädigtengesetz nicht auch das Zusatzmerkmal "H" zuerkannt worden war. Zwar ist aufgrund der Ermächtigung in § 33 b Abs. 7 EStG durch Rechtsverordnung in § 65 Abs. 2 EStDV bestimmt, daß die gesundheitlichen Merkmale "hilflos" und "blind" durch einen Ausweis nach dem Schwerbehindertengesetz, der mit den Merkzeichen "H" oder "Bl" gekennzeichnet ist, oder durch einen Bescheid der für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörde nachzuweisen ist. Diese Einschränkung der Nachweismöglichkeit der Hilflosigkeit ist nach der Ermächtigungsvorschrift für § 65 EStDV, nämlich durch § 33 b Abs. 7 EStG, eindeutig beschränkt auf die Pauschbeträge des § 33 b EStG, wie sich zwangsläufig aus der Stellung als letzter Abs. des § 33 b EStG und aus dem Wortlaut des Abs. 7 des § 33 b EStG selbst ("die Inanspruchnahme der Pauschbeträge") ergibt.
Im Streitfall geht es indes um die Nachweiserfordernisse an die Voraussetzungen der Grundnorm der außergewöhnlichen Belastungen in § 33 EStG.
Eine Übertragung der Nachweiserfordernisse zu § 33 b EStG auf § 33 EStG verbietet sich darüber hinaus auch deshalb, weil § 33 b gegenüber § 33 EStG Sondertatbestände der außergewöhnlichen Belastung regelt, mithin eine Spezialnorm ist. Gerade dieses rechtfertigt es, für die Spezialnorm besondere Anforderungen gesetzlicher Art zu stellen, mit der Folge, daß eine Übertragung auf den Grundtatbestand des § 33 auch aus gesetzessystematischen Gründen ausgeschlossen ist.
4.
Der Abzug der Pflegeaufwendungen ist auch nicht etwa nach § 33 a Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 EStG ausgeschlossen. Nach § 33 a Abs. 3 Satz 2 können zwar bei Heimunterbringung bis zu 1.200 DM, bei Heimunterbringung zur dauernden Pflege bis zu 1.800 DM jährlich für damit verbundene Aufwendungen, die Kosten für Dienstleistungen enthalten, die mit denen einer Hilfe im Haushalt vergleichbar sind, als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden, wie es im Streitfall auch geschehen ist (vgl. die Berechnung in der Einspruchsentscheidung vom 08.01.1995, dort Bl. 3 unter 2.) - Bl. 13 GA -) und kann gem. § 33 b Abs. 5 EStG für diese Aufwendungen eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG nicht in Anspruch genommen werden. Der nach § 33 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 EStG bei Unterbringung zur dauernden Pflege gegenüber der normalen Unterbringung erhöhte Höchstbetrag knüpft zwar tatbestandsmäßig an die Voraussetzungen der dauernden Pflege an; indes geht es auch dort nur um die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen, die Kosten für Dienstleistungen enthalten, die mit denen einer Hilfe im Haushalt vergleichbar sind.
Derartige Dienstleistungen sind aber in den hier in Frage stehenden Pflegeaufwendungen, jedenfalls soweit sie die El. abziehen will, nicht enthalten.
Für Januar und September sind die reinen Pflegekosten, die unterhalb der Selbstbeteiligungsgrenze von 500 DM lagen, geltend gemacht worden, für die Monate Oktober bis Dezember jeweils die Selbstbeteiligungskosten von je 500 DM. Zwar werden in den Abrechnungen des Wohnstifts auch Aufwendungen für Zimmerservice, mithin auch Aufwand für Dienstleistungen, die mit denen einer Hilfe im Haushalt vergleichbar sind, als Pflegeaufwand behandelt. Dies würde es allenfalls rechtfertigen, den von der El. getragenen Mindestanteil von 500 DM je Monat im Verhältnis der reinen Pflegekosten zu den Kosten des Zimmerservices aufzuteilen. Indes muß es dem Anspruchsberechtigten freistehen, welchen Teil des Aufwandes er im Rahmen seiner Selbstbeteiligung tragen will. Insoweit ist zugunsten der El. zu unterstellen, daß sie im Rahmen der Selbstbeteiligung lediglich reine Pflegekosten getragen hat.
Es ergibt sich folgende neue Steuerfestsetzung:
zu versteuerndes Einkommen lt. angefochtenem Einkommensteuerbescheid (Fassung lt. Einspruchsentscheidung) v. 08.01.1995 | 16.202 DM |
---|---|
weitere Aufwendungen nach § 33 EStG | ./. 2.344 DM |
13.858 DM | |
festzusetzende Einkommensteuer (Grundtabelle): | 1.609 DM. |
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 136 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung (ZPO).