Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.03.2007, Az.: 9 LB 373/06
Gewährung von Abschiebungsschutz aufgrund drohender asylerheblicher Verfolgungsmaßnahmen im Heimatland; Gefahr der Hinrichtung eines irakischer Asylbewerbers aufgrund seiner Flucht aus dem Irak bei einer Rückkehr; Neubewertung des Abschiebungsschutzes wegen einer zwischenzeitlichen Änderung der politischen Verhältnisse im Irak; Erforderlichkeit einer Prognose der politischen Verfolgung eines Asylbewerbers; Befürchtung einer politischen Verfolgung wegen der Zugehörigkeit des Asylbewerbers zur Gruppe der irakischen Yeziden; Widerruf der Gewährung von Abschiebungsschutz aufgrund des eindeutigen und unumkehrbaren Sturzes von Saddam Hussein; Auslegung des Begriffs der mittelbaren Verfolgung einer religiösen Gruppe
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 19.03.2007
- Aktenzeichen
- 9 LB 373/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 32547
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2007:0319.9LB373.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück - 31.10.2005 - AZ: 5 A 124/05
Rechtsgrundlagen
- Art. 1 C Nr. 5 S. 1 GFK
- Art. 10 Abs. 1 S. 1b Richtlinie 2004/83/EG
- § 73 AsylVfG
- § 60 Abs. 1 AufenthG
- § 60 Abs. 7 AufenthG
- § 51 Abs. 1 AuslG
Amtlicher Leitsatz
Yeziden aus dem Irak müssen bei einer Rückkehr dorthin in der Regel auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, wegen ihrer Religionszugehörigkeit individuell verfolgt zu werden.
Die gerichtliche Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG scheitert in Niedersachsen bei Irakern regelmäßig daran, dass eine Abschiebung in den Irak wegen des Erlasses des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 19. Juli 2004 für die meisten Personengruppen ausgeschlossen ist.
Gründe
Der am 1. Juli 1975 geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger yezidischer Glaubenszugehörigkeit. Er stammt aus dem 35 km von Mosul und 7 km von Al Qosh entfernt gelegenen zentralirakischen Dorf Khurazam. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland machte er bei seiner Anhörung am 13. Dezember 1999 zur Begründung seines Asylantrags geltend: Die irakische Verwaltung habe gegen ihn einen Haftbefehl erlassen, weil er sich als Staatsdiener unerlaubt in das kurdische Gebiet begeben habe, um seiner Schwester bei der Ausreise zu helfen. Bei einer Rückkehr in den Irak würde er hingerichtet werden, da er aus dem Irak geflohen sei.
Die Beklagte stellte - unter gleichzeitiger Ablehnung des Asylantrags - mit Bescheid vom 24. Mai 2000 bestandskräftig fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in der Person des Klägers erfüllt seien und ihm daher Abschiebungsschutz zustehe. Bei einer Rückkehr in den Irak müsste der Kläger mit asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen rechnen.
Mit Schreiben vom 18. November 2004 teilte die Beklagte dem Kläger ihre Absicht mit, die im Bescheid vom 24. Mai 2000 getroffene Feststellung wegen der zwischenzeitlichen Änderung der politischen Verhältnisse im Irak zu widerrufen. Der Kläger machte daraufhin geltend, bei einer Rückkehr in den Irak sei sein Leben weiterhin gefährdet. Er werde von den Kurden wegen des Vorwurfs gesucht, Mitglied einer Einheit des militärischen Nachrichtendienstes des Iraks gewesen zu sein und bei Kämpfen des Nachrichtendienstes mit kurdischen Schmugglern und Drogenhändlern einige Kurden getötet zu haben. Auch gehöre er zu den Yeziden, die von den Muslimen unterdrückt und verfolgt würden. Schließlich habe sich das islamische Terrorismusphänomen so stark ausgebreitet, dass Yeziden und Christen täglich Opfer islamischer Angriffe würden.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. Februar 2005 widerrief die Beklagte die im Bescheid vom 24. Mai 2000 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in der Person des Klägers erfüllt seien. Zugleich stellte sie fest, dass beim Kläger die nach § 60 Abs. 1 AufenthG für die Gewährung von Abschiebungsschutz bestehenden Voraussetzungen sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorlägen. Zur Begründung führte die Beklagte aus:
Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 51 Abs. 1 AuslG seien nicht mehr gegeben, weil sich die erforderliche Prognose einer drohenden politischen Verfolgung nicht länger treffen lasse. Auf Grund der Militäraktion im Februar 2003 habe sich die politische Situation im Irak grundlegend verändert. Die Baath-Regierung unter Führung von Saddam Hussein habe ihre politische und militärische Herrschaft über den Irak endgültig verloren. Von der seit dem 28. Juni 2004 im Amt befindlichen irakischen Übergangsregierung gehe eine politische Verfolgung nicht aus, und zwar auch nicht gegenüber ehemaligen Mitgliedern der inzwischen aufgelösten Baath-Partei. Der Kläger müsse auch nicht eine politische Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der irakischen Yeziden befürchten. Gewalttätige Übergriffe Dritter gegen Yeziden seien im Einzelfall zwar nicht auszuschließen, könnten der irakischen Übergangsregierung aber nicht zugerechnet werden. In ihre Heimat zurückkehrende Iraker seien dort nicht wegen Asylantragsstellung und ungenehmigten Auslandsaufenthalts gefährdet. Die Behauptung des Klägers, er müsse eine Verfolgung durch Kurden wegen seiner früheren Tätigkeit für das irakische Regime befürchten, sei völlig unglaubhaft. Denn einen solchen Sachverhalt habe der Kläger bei seiner erstmaligen Anhörung am 13. Dezember 1999 nicht geltend gemacht. Da er zudem nach seinen eigenen Angaben gemeinsam mit seiner Schwester in das kurdische Gebiet geflüchtet sei, müsse vermutet werden, dass er damals eine Verfolgung durch die Kurden nicht befürchtet habe.
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG lägen - so wird im angefochtenen Bescheid weiter ausgeführt - ebenfalls nicht vor. Der Kläger müsse etwaige Racheakte wegen seiner früheren Mitgliedschaft in der Baath-Partei nicht befürchten. Er könne sich ihnen durch einen Ortswechsel innerhalb des Iraks entziehen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestünden ebenfalls nicht. Trotz der angespannten Sicherheits- und Versorgungslage im Irak könne nicht angenommen werden, dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin landesweit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt sei. Im Übrigen sei eine Abschiebung des Klägers auf Grund der für Iraker derzeit in Deutschland bestehenden Beschlusslage der Innenministerkonferenz nicht zu befürchten.
Der Kläger hat mit seiner dagegen erhobenen Klage beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 2005 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil als unbegründet abgewiesen. Die Gewährung von Abschiebungsschutz sei zu Recht widerrufen worden, weil der Sturz von Saddam Hussein eindeutig und unumkehrbar sei und Art. 1 C Nr. 5 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht entgegenstehe. Bei einer Rückkehr in den Irak hätten Yeziden nicht politische Verfolgung zu befürchten. Sie seien als Angehörige einer religiösen Minderheit nur dort gefährdet, wo islamistische Gruppen und Bestrebungen ein gewisses Gewicht erreicht hätten, wie etwa im Großraum Mosul oder Bagdad. Auf dem Land oder in den kleinen Städten könnten die Islamisten hingegen aus sozialen und politisch-militärischen Gründen keinen Fuß fassen, so dass eine Verfolgungsgefahr für Yeziden dort nicht bestehe. In den kurdischen Gebieten des Nordiraks, in denen die Yeziden traditionell lebten, seien sie keinen größeren Gefahren als alle anderen dort ansässigen Kurden ausgesetzt. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG scheide aus, weil bei in ihre Heimat zurückkehrenden Irakern mit Existenzgefährdungen Einzelner nicht zu rechnen sei. Die Befürchtung des Klägers, von den Kurden wegen seiner Tätigkeit in einer militärischen Einheit belangt zu werden, sei unbegründet.
Mit Beschluss vom 30. Oktober 2006 (9 LA 417/05) hat der erkennende Senat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Es bedürfe der grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren, ob Yeziden aus dem ehemaligen Zentralirak einer Gruppenverfolgung unterlägen und - wenn ja - ihnen eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe.
Zur Begründung seiner Berufung macht der Kläger geltend:
Bei einer Rückkehr in den Irak müsse er wegen seiner yezidischen Religionszugehörigkeit mit einer individuellen Verfolgung rechnen. Im Irak finde sowohl eine unmittelbare als auch eine mittelbare Gruppenverfolgung der Yeziden statt. Sie seien in Städten wie Mosul und Bagdad akut bedroht. Viele im Scheikhan und Sindjar lebende Yeziden könnten dort ihren täglichen Bedarf nicht decken und seien allein aus ökonomischen Gründen gezwungen, sich regelmäßig in größere Städte der Umgebung, wie nach Mosul, zu begeben. Sie könnten den dort für sie bestehenden erheblichen Gefahren daher nicht ausweichen. Am 15. Februar 2007 hätten islamische Terroristen die yezidische Stadt Scheikhan überfallen, yezidische Tempel und Kulturzentren zerstört und die Yeziden zum Verlassen ihrer Gebiete aufgefordert. Am darauf folgenden Tag sei eine yezidische Frau von radikalen Muslimen vergewaltigt und enthauptet worden.
Eine inländische Fluchtalternative stehe den Yeziden - auch in den nordostirakischen Kurdengebieten - nicht zur Verfügung. Sie könnten nicht in Orte flüchten, in denen sie verwandtschaftliche, gesellschaftliche und politische Beziehungen nicht hätten. Es sei ihnen nicht möglich, dort Zuflucht vor Übergriffen zu finden und sich ein wirtschaftliches Existenzminimum aufzubauen.
Bei der angefochtenen Widerrufsentscheidung hätte im Rahmen der Prüfung, ob der Kläger nach einer Rückkehr in den Irak vor einer Verfolgung geschützt sei, Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention angewendet werden müssen. Zusätzlich zur Prüfung, ob eine nachhaltige und dauerhafte Änderung der Verhältnisse im Irak eingetreten sei, hätte auch untersucht werden müssen, ob der Kläger es nicht mehr ablehnen könne, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitze.
Bei der Auslegung des Begriffs der mittelbaren Verfolgung einer religiösen Gruppe sei Art. 10 Abs. 1 Satz 1 b der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 (ABl. 304/12 vom 30.9.2004) - sog. Qualifikationsrichtlinie - unmittelbar anzuwenden. Danach werde nicht nur die Möglichkeit der Religionsausübung in privater Gemeinschaft, sondern auch die Teilnahme an religiösen Betätigungen in der Öffentlichkeit geschützt. Yeziden könnten im Irak ihren Glauben nicht öffentlich betätigen. Übergriffe auf Yeziden fänden vor allem statt, wenn ein Yezide seine Religionszugehörigkeit öffentlich durch sein äußeres Erscheinungsbild, durch Gesten oder Bekundungen preisgebe. Zur Vermeidung gewalttätiger Übergriffe seitens der Muslime seien Yeziden in der Vergangenheit gezwungen gewesen, ihre Religion unter Ausschluss der Öffentlichkeit auszuüben und ihre yezidische Identität zu verstecken und zu leugnen. Sie seien bei Anwendung der Qualifikationsrichtlinie nicht mehr verpflichtet, sich solchem Zwang zu beugen.
Im Rahmen des § 60 Abs. 7 AufenthG sei Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie zu berücksichtigen. Danach sei subsidiärer Schutz zu gewähren bei einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens und der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten oder eines internationalen Konflikts. Diese Voraussetzung sei für den Kläger in Bezug auf den gesamten Irak erfüllt. Bei der dort bestehenden Situation handele es sich auch nicht um eine Gefahr, der die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe insgesamt ausgesetzt sei und die deshalb nicht eine individuelle Bedrohung darstelle. Denn die Gefährdungslage sei für Rückkehrer in den Irak deutlich höher als für im Irak ansässige Personen, weil sie eher verdächtigt würden, sich mit westlichen Lebensmaximen und Moralvorstellungen zu identifizieren, und weil sie wegen ihres vermeintlichen Wohlstands häufiger Ziel von Raubüberfällen würden; außerdem seien sie unerfahren im tagtäglichen Umgang mit Gefahrensituationen.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und den Widerrufsbescheid der Beklagten vom 28. Februar 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht geltend: Nach der aktuellen Auskunftslage gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass es gegenüber Yeziden gewaltsame Übergriffe durch staatliche Akteure gebe oder dass Yeziden eine quasi-staatliche Verfolgung drohe. Hinsichtlich einer Verfolgung durch nicht-staatliche Akteure fehle es für die Annahme einer Gruppenverfolgung an der nötigen Verfolgungsdichte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die in ihren wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
II.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Widerrufsbescheid der Beklagten vom 28. Februar 2005 zu Recht abgewiesen. Der Widerruf der Feststellung, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG) vorliegen, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf ist § 73 AsylVfG in der ab dem 1. Januar 2005 (Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004) geltenden Fassung. Gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bzw. des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr gegeben sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts(Urt. v. 1.11.2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 = DVBl. 2006, 511 = ZAR 2006, 107 [BVerwG 01.11.2005 - 1 C 21/04] = NVwZ 2006, 707 = AuAS 2006, 92) ist hiervon insbesondere dann auszugehen, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Heimatstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Das Bundesverwaltungsgericht geht dabei davon aus, dass § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG seinem Inhalt nach der "Beendigungs- oder Wegfall-der-Umstände-Klausel" in Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 und Nr. 6 Satz 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 - GFK - entspricht. Dort ist geregelt, dass der Betroffene nach Wegfall der Umstände, auf Grund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Der Gesetzgeber habe - so führt das Bundesverwaltungsgericht aus - die materiellen Anforderungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention übernehmen und als Widerrufsgründe ausgestalten wollen. "Wegfall der Umstände" im Sinne von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK, aufgrund derer die Anerkennung erfolgt sei, meine - ebenso wie im Rahmen von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - eine nachträgliche erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse. Unter "Schutz" sei nach Wortlaut und Zusammenhang der "Beendigungsklausel" ausschließlich der Schutz vor erneuter Verfolgung zu verstehen. Ob dem Ausländer wegen allgemeiner Gefahren im Herkunftsstaat eine Rückkehr unzumutbar sei, werde nicht beim Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG, sondern im Rahmen der allgemeinen ausländerrechtlichen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes geprüft. Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits in zahlreichen Entscheidungen angeschlossen (vgl. Beschl. v. 30.3.2006 -9 LA 388/05 -, v. 31.3.2006 - 9 LA 273/05 -, v. 3.4.2006 - 9 LA 370/05 -, v. 24.4.2006 - 9 LA 324/05 und 9 LA 95/06 - u. v. 29.12.2006 - 9 LA 359/05 -)
Bei Anwendung der vorgenannten Maßstäbe erweist sich die Annahme der Beklagten, dass sich die maßgeblichen Verhältnisse im Irak seit dem Erlass des Feststellungsbescheids vom 24. Mai 2000 nachträglich erheblich geändert hätten, als zutreffend. Sie steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 25.8.2004 - 1 C 22/03 - NVwZ 2005, 89 f.) und des erkennenden Senats (Beschl. v. 10.12.2004 - 9 LA 313/04 - Nds. Rpfl. 2005, 129 f., v. 16.2.2006 - 9 LB 27/03 u. a. - u. v. 29.11.2006 - 9 LA 268/05 -), deren Richtigkeit durch die spätere Entwicklung jeweils bestätigt worden ist.
Nach den Beschlüssen des erkennenden Senats vom 16. Februar 2006 (9 LB 27/03 u. a.) ist spätestens den Lageberichten des Auswärtigen Amtes vom 10. Juni 2005 und 24. November 2005 mit völliger Eindeutigkeit zu entnehmen, dass sich die politische Lage im Irak durch die am 20. März 2003 begonnene und am 1. Mai 2003 mit der Erklärung des US-Präsidenten Bush für beendet erklärte Militäraktion grundlegend verändert hat. Die Baath-Regierung unter der Führung Saddam Husseins hat, namentlich nach der Festnahme von Saddam Hussein am 13. Dezember 2003, ihre politische und militärische Herrschaft über den Irak vollständig verloren. Der Irak stand knapp 15 Monate unter Besatzungsrecht und wurde in diesem Zeitraum von einer "Zivilverwaltung" der Koalition ("Coalition Provisional Authority"- CPA) unter dem Sondergesandten des US-Präsidenten Paul Bremer sowie einem provisorischen Regierungsrat ("Governing Council") und einem Interims-Kabinett regiert. Am 28. Juni 2004 wurde die amerikanisch-britische Besatzung des Iraks formal beendet und die Souveränität des Iraks wiederhergestellt. Am 1. September 2004 wurde ein Übergangs-Nationalrat gewählt, der seinerseits eine Interimsregierung bestimmte. Am 30. Januar 2005 fanden die ersten demokratischen Wahlen im Irak statt. Als Sieger mit absoluter Mehrheit ging die Schiitenallianz aus der Wahl zum (Übergangs-)Parlament hervor. Sie bildete am 28. April 2005 mit der bei den Wahlen zur zweitstärksten Liste aufgestiegenen Kurdenallianz eine Koalition. Die Sunniten, welche die Wahlen weitgehend boykottiert hatten oder aufgrund der Bedrohung durch die militante Opposition nicht an ihnen teilnehmen wollten oder konnten, wurden ebenfalls an der Regierung beteiligt. Die Schiiten stellten den Ministerpräsidenten Al-Dschaafari und 16 Minister, die Kurden acht Minister, die Sunniten sechs sowie die Christen und Turkmenen je einen Minister. Zum Staatspräsidenten wurde am 6. April 2005 der Kurde Dschalal Talabani gewählt. Am 15. Oktober 2005 nahm die irakische Bevölkerung in einem Referendum die neue irakische Verfassung bei einer Wahlbeteiligung von 63 % an. Die Verfassung bestimmt, dass der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat ist. Der Islam ist Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung. Die Verfassung enthält einen umfassenden Menschenrechtskatalog und garantiert eine Frauenquote von 25 % im Parlament. Am 15. Dezember 2005 fanden Parlamentswahlen statt. Dabei kam die Vereinigte Irakische Allianz der Schiiten auf 128 der insgesamt 275 Mandate im Parlament. Die beiden sunnitischen Blöcke Irakische Eintracht und Front für Nationalen Dialog gewannen zusammen 55 Sitze. 53 Mandate gingen an die Kurdische Koalition. Die Bildung einer neuen "Regierung der Nationalen Einheit" verzögerte sich zunächst um 4 Monate, da sowohl die Kurden als auch die Sunniten den bisherigen schiitischen Ministerpräsidenten und Regierungschef Dschaafari ablehnten. Dann einigten sich die beteiligten Parteien auf den Schiiten Al-Maliki als Ministerpräsidenten, der seit Mai 2006 im Amt ist. Mit Antritt seiner Regierung ist der politische Übergangsprozess formal abgeschlossen. Das Kabinett von Ministerpräsident Al-Maliki spiegelt den ethnisch-konfessionellen Proporz wider, auf den sich die Parteien bei der Bildung einer "Regierung der Nationalen Einheit" einigen konnten (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak - im Folgenden: Lagebericht Irak - vom 11. Januar 2007). Die von der neuen Regierung am 25. Juli 2006 lancierte nationale Versöhnungsinitiative führte zu Konferenzen von Clanchefs, Vertretern der Zivilgesellschaft und religiösen Führern. Greifbare Ergebnisse zur Lösung der drängenden Probleme des Irak wurden nicht erzielt. Die politischen Entscheidungsträger haben bislang tragfähige Vereinbarungen zur Verbesserung der Sicherheitslage nicht treffen können. Am 11. Oktober 2006 verabschiedete das irakische Parlament ein neues Föderalismusgesetz, das die Schaffung weitgehend autonomer Provinzen vorsieht. Vornehmlich die sunnitische Minderheit sieht darin eine Bedrohung für die irakische Einheit. Am 5. November 2006 wurde Saddam Hussein wegen der Tötung von 143 schiitischen Moslems im Jahr 1982 zum Tode verurteilt. Er wurde am 30. November 2006 hingerichtet (Lagebericht Irak vom 11. Januar 2007).
Der auf diese Weise vollzogene Sturz des früheren Regimes von Saddam Hussein ist nach allen vorliegenden Erkenntnissen eindeutig und unumkehrbar. Dies gilt trotz der nach wie vor problematischen, in jüngster Zeit im Hinblick auf terroristische Anschläge sogar eskalierenden Sicherheitslage im Irak. Eine Rückkehr der Baath-Regierung sowie deren ehemaliger Anhänger kann gleichwohl nach den derzeit gegebenen Machtverhältnissen und wegen der Offenkundigkeit der veränderten politischen Gegebenheiten vollständig ausgeschlossen werden. Für diese Bewertung ist unerheblich, ob zurzeit bereits künftige politische Strukturen eindeutig erkennbar sind oder nicht. Gegen eine Erkennbarkeit sprechen der soeben umschriebene bisherige Verlauf des politischen Prozesses sowie dessen dargelegte Ergebnisse, wie sie sich nach der formalen Beendigung der amerikanisch-britischen Besatzung und der Wiederherstellung der nationalen Souveränität des Irak darstellen.
Aufgrund dieser nachhaltigen und dauerhaften Änderung der politischen Gegebenheiten im Irak hat sich die Verfolgungssituation für den Kläger von Grund auf geändert. Der - in der Vergangenheit im Regelfall vorgenommenen - Bejahung einer Verfolgungsgefahr wegen Asylantragstellung und langjährigem illegalen Auslandsaufenthalt ist mit dem Sturz des Unrechtsregimes von Saddam Hussein der Boden entzogen, weil allein dieses, nicht aber auch eine spätere Regierung an die genannten Umstände asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen angeknüpft hat (std. Rspr. vgl. z. B. BVerwG, Urt. v. 11.2.2004 - 1 C 23.02 -, Urt. v. 24.2.2004 - 1 C 24.02 -, Urt. v. 25.8.2004 - 1 C 22.03 - NVwZ 2005, 89 = BayVBl 2005, 56 = DÖV 2005, 77 = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 12; siehe ferner Beschl. d. erk. Sen. v. 30.3.2004 - 9 LB 5/03 - AsylMagazin 5/2004, 13 = AuAS 2004, 153 u. v. 16.2.2006 - 9 LB 26/03 -; BayVGH, Urt. v. 13.11.2003 - 15 B 02.31751 - AuAS 2004, 43 sowieBeschl. v. 17.12.2003 - 15 ZB 02.31617 - AuAS 2004, 69; SächsOVG, Beschl. v. 28.8.2003 - A 4 B 573/02 - AuAS 2003, 250; Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschl. v. 30.10.2003 - 1 LB 39/03 - u. v. 28.10.2003 - 1 LB 41/03 -; OVG NRW, Urt. v. 14.8.2003 - 20 A 430/02.A - Asylmagazin 1-2/2004, 17 u. Urt. v. 17.5.2004 - 20 A 1810/02.A -; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 2.4.2004 - 2 L 269/02 -).
Wegen der veränderten politischen Verhältnisse im Irak muss der Kläger bei einer Rückkehr dorthin auch nicht befürchten, dass sich die Verfolgungsmaßnahmen, die er bei seiner Anhörung am 13. Dezember 1999 geschildert hat, wiederholen werden. Denn eine Verhaftung durch eine vom Regime Saddam Husseins beherrschte Verwaltung droht nicht mehr deswegen, weil sich der Kläger unerlaubt in das Kurdengebiet sowie in die Bundesrepublik Deutschland begeben hat. Verfolgungsmaßnahmen wegen seiner yezidischen Religionszugehörigkeit hat der Kläger bei seiner Anhörung am 13. Dezember 1999 nicht geschildert, so dass sie ersichtlich nicht Grund seiner Ausreise waren. Die Yeziden waren zu Zeiten des Regimes von Saddam Hussein zwar in vielerlei Hinsicht benachteiligt: Einerseits wurden sie wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit von der arabischen Bevölkerung diskriminiert; andererseits kam es immer wieder zu Übergriffen wegen ihrer Religionszugehörigkeit. Es fanden Zwangsarabisierungen und Zwangsumsiedlungen von Yeziden statt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft vom 16.1.2006; amnesty international, Gutachten vom 16.8.2005; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 5.3.2007 - 3 A 12/07 - zitiert nach juris). In den Jahren 1965, 1973 bis 1975 sowie 1986 und 1987 wurden die yezidischen Bewohner des Sindjar aus rund 400 Dörfern gezwungen, fortan in sogenannten Zentral- oder Sammeldörfern zu leben, wo sie, entfernt von ihren Ländereien und in Abhängigkeit von staatlichen Lebensmittelzuteilungen, leicht kontrollierbar waren. Ihre Dörfer wurden entweder zerstört oder aber Angehörigen arabischer Stämme überlassen. Die Yeziden im Scheikhangebiet erlitten ab 1975 dasselbe Schicksal. Gleichwohl haben für eine Gruppenverfolgung der Yeziden sowohl damals als auch zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers und in den Jahren davor keinerlei durchgreifende Anhaltspunkte bestanden, weil die für eine Gruppenverfolgung notwendige Verfolgungsdichte sowie (überwiegend) die erforderliche Intensität von Verfolgungsmaßnahmen nicht vorhanden gewesen waren.
Der im Streit befindliche Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist somit nicht wegen Fortbestehens einer früheren Verfolgungsgefahr ausgeschlossen. Seiner Rechtmäßigkeit würde allerdings auch eine nunmehr bei einer Rückkehr in den Irak erstmals drohende, keinen erkennbaren Zusammenhang mit der früheren Bedrohung aufweisende Verfolgungsgefahr entgegenstehen. Bei der Prüfung dieser anders gearteten Verfolgungsgefahr gilt der allgemeine Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, wie er auch für die Anerkennung als Flüchtling Anwendung findet (BVerwG, Urt. v. 18.7.2006 - 1 C 15/05 - DVBl. 2006, 1512 = InfAuslR 2007,33 = AuAS 2006, 246; noch offen gelassen in BVerwG, Urt. v. 1.11.2005, a.a.O.).
Eine Verfolgung aus im Vergleich zur früheren Bedrohung andersartigen Gründen droht dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak nicht. Der Kläger muss - entgegen seiner mit der Berufung in erster Linie verfolgten Behauptung - nicht befürchten, schon allein wegen seiner Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Yeziden im Irak verfolgt zu werden. Es fehlt an hinreichend konkreten Anhaltspunkten für eine - allgemeine oder regionale, aktuelle oder unmittelbar bevorstehende - Verfolgung aller Yeziden im Irak wegen ihrer Religionszugehörigkeit. Dies gilt nicht nur unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Gruppenverfolgung, sondern auch unter demjenigen einer Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit:
Die Gefahr eigener Verfolgung des Flüchtlings kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen (sog. anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung; vgl. BVerwG, Urt. v. 1.2.2007 - 1 C 24.06 - AuAS 2007, 68). Eine Gruppenverfolgung ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.7.1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 m. w. N. = InfAuslR 1994, 423; Urt. v. 18.7.2006 - 1 C 15.05 - a.a.O.; Beschl. v. 5.1.2007 - 1 B 59.06 - zitiert nach juris; Urt. v. 1.2.2007, a.a.O.) gegeben, wenn die Verfolgung der durch asylerhebliche Merkmale gekennzeichneten Gruppe als solcher und damit grundsätzlich allen Gruppenmitgliedern gilt. In diesem Fall kann die Gruppengerichtetheit der Verfolgung dazu führen, dass jedes Mitglied der Gruppe im Verfolgerstaat jederzeit eigene Verfolgung erwarten muss (dazu BVerfG, Beschl. vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/83 u.a. - BVerfGE 83, 216, 231 f.). Diese Annahme setzt allerdings voraus, dass Gruppenmitglieder Rechtsgutbeeinträchtigungen erfahren, aus deren Intensität und Häufigkeit jedes einzelne Gruppenmitglied die begründete Furcht herleiten kann, selbst Opfer solcher Maßnahmen zu werden (BVerfG, Beschl. vom 23.1.1991, a.a.O, S. 232). Erforderlich ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter, dass es sich bei ihnen nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BVerwG, Urt. v. 18.7.2006 u. v. 1.2.2007 sowie Beschl. v. 5.1.2007, jeweils a.a.O.). Diese Verfolgungsdichte ist von den Tatsacheninstanzen mit Blick auf die Anzahl von Eingriffen, den Zeitraum, in dem die Eingriffe erfolgen, und die dabei in Rede stehenden Gebiete des Verfolgerstaates zu bestimmen. Ferner müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen auch zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urt. vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 - a.a.O., v. 23.12.2002 - 1 B 42/02 - Buchholz 11 Art. 16 a GG Nr. 49, v. 18.7.2006 - 1 C 15.05 - u. v. 1.2.2007 - 1 C 24.06 - jeweils a.a.O.). Die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte kann auch gegeben sein, wenn die Übergriffe von kleinen, gezielt und kontinuierlich handelnden Gruppen, etwa Banden oder radikalen Kommandos, in großer Zahl begangen werden (so zur mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung BVerwG, Beschl. v. 24.09.1992 - 9 B 130/92 - InfAuslR 1993, 91).
Der Kläger muss nicht befürchten, dass seine durch § 60 Abs. 1 AufenthG geschützten Rechtsgüter im Sinne der soeben wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei einer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit schon alleine wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der Yeziden bedroht sind. Dies gilt zunächst insoweit, als es um Gefahren für sein Leben, seine körperliche Unversehrtheit und seine Freiheit geht. Bezüglich dieser Rechtsgüter droht dem Kläger als Yeziden im Irak weder eine staatliche oder "quasi-staatliche" noch eine nichtstaatliche Gruppenverfolgung.
Für eine vom irakischen Staat ausgehende (unmittelbare oder mittelbare) Verfolgung religiöser Minderheiten, zu denen auch die Yeziden gehören, bestehen keine Anhaltspunkte. Seit dem Sturz des Saddam-Regimes sind staatliche Repressionen gegen Yeziden nicht mehr zu befürchten (vgl. Auskunft des UNHCR vom 2.8.2006). Sie müssen nicht mehr mit staatlichen Zwangsmaßnahmen wie Vertreibung, Enteignung und Arabisierung rechnen (Gutachten von amnesty international vom 16.8.2005). Die Religionsfreiheit ist rechtlich gewährleistet. In der neuen irakischen Verfassung werden die Yeziden als religiöse Minderheit ausdrücklich erwähnt. Die Verfassung soll die islamische Identität der Mehrheit des irakischen Volkes und gleichzeitig die Freiheit des Glaubens und der religiösen Praktiken für religiöse Minderheiten, wie etwa Christen, Yeziden und Sabäer (Mandäer), gewährleisten (Stellungnahme des Deutschen Orient-Instituts vom 12.9.2005). Soweit von gewaltsamen Übergriffen gegen die im Irak lebenden Yeziden berichtet wird, handelt es sich um Handlungen nicht seitens staatlicher Akteure, sondern durch Privatpersonen oder -gruppen (vgl. Lagebericht Irak vom 11.1.2007, Stellungnahmen des Deutschen Orient-Instituts vom 14.2.2005 und vom 12.9.2005, Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 15.6.2005, Auskunft des UNHCR vom 2.8.2006, Gutachten von amnesty international vom 16.8.2005). Für die Annahme einer mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung fehlt es schon an der dafür erforderlichen hinreichenden Schutzfähigkeit des irakischen Staates als Anknüpfungspunkt für eine Zurechnung. Die staatlichen Einrichtungen sind nicht in der Lage, die Bevölkerung effektiv vor Gewalttaten nichtstaatlicher Akteure zu bewahren (Stellungnahme des Deutschen Orient-Instituts vom 14.2.2005). Namentlich die Polizei und das Militär sind machtlos, weil sie weder über Mittel noch über Wege verfügen, sich dem islamistischen Einfluss zu entziehen oder Verbrechensbekämpfung vorzunehmen, geschweige denn sich selbst zu schützen (Auskunft des Europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 7.3.2005, Lagebericht Irak vom 29.6.2006, Stellungnahme des Deutschen Orient-Instituts vom 14.2.2005, VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 16.11.2006 - A 2 S 1150/04 -).
Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in den Irak auch nicht eine quasi-staatliche Verfolgung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (z. B. Beschl. v. 10.8.2000 - 2 BvR 260 u. 1353/98 - NVwZ 2000, 1165). Gruppierungen, die - wie vor allem die Koalitionsstreitkräfte - als "staatsähnliche" Verfolger in Betracht kommen, üben zwar mannigfaltig Repressionen aus. Es fehlt aber jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass sich ihre mit der Anwendung von Gewalt verbundenen Handlungen auch gegen Yeziden und deren Religionsausübung richten. Entsprechendes gilt - jedenfalls hinsichtlich der zentralirakischen Gebiete, aber auch bezüglich der nordostirakischen Kurdengebiete - für die beiden sich im Nordostirak die Herrschaftsgewalt teilenden kurdischen Parteien KDP und PUK (Auskunft des UNHCR vom Oktober 2005 und vom 2.8.2006).
Gegenwärtig lässt sich auch nicht feststellen, dass Yeziden im Irak als Gruppe wegen ihrer Religion von nichtstaatlichen Akteuren im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4c AufenthG verfolgt werden. Gemäß dieser Vorschrift kann eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG - unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht - (auch) von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 18.7.2006 - 1 C 15.05 - a.a.O.) erfasst die Vorschrift alle nichtstaatlichen Akteure ohne weitere Einschränkung, namentlich auch Einzelpersonen, sofern von ihnen Verfolgungshandlungen im Sinne des Satzes 1 ausgehen. Die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung ( vgl. BVerwG, Urt. v. 5.7.1994 - 9 C 158.94 - u. v. 18.7.2006 - 1 C 15.05 - sowie Beschl. v. 5.1.2007 - 1 B 59.06 - jeweils a.a.O.) zur unmittelbaren und mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze sind prinzipiell auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar (BVerwG, Urt. v. 18.7.2006 - 1 C 15/05 u. v. 1.2.2007 - 1 C 24.06 - jeweils a.a.O.).
Bei der Beurteilung, ob Yeziden einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt sind, ist nach der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zunächst die Zahl der im Irak lebenden Yeziden zu ermitteln. Sie stellen eine religiöse Minderheit dar und machen vermutlich 1 - 2 % der irakischen Gesamtbevölkerung aus. Über ihre genaue Anzahl gibt es - auch angesichts der neuerlichen Fluchtbewegungen - keine zuverlässigen Angaben. Nach den unterschiedlichen Schätzungen (vgl. z. B. Lageberichte Irak vom 10.6.2005 und vom 29.6.2006, Stellungnahme des Deutschen Orient-Instituts vom 14.2.2005) liegt ihre Gesamtzahl zwischen 150.000 und 600.000 Personen. Der UNHCR (Auskunft vom Oktober 2005) geht von 550.000, das Deutsche Orient-Institut (a.a.O.) von ca. 200.000 bis 250.000, das Yezidische Forum e.V. Oldenburg (Presseinformation vom 30. Dezember 2004 zur Menschenrechtssituation der Yeziden im Irak) sogar von mehr als 600.000 im Irak lebenden Yeziden aus. Auf der Grundlage dieser Erkenntnismittel, die eine genauere Festlegung nicht ermöglichen, erscheint es dem erkennenden Senat angemessen, bei der Bestimmung der Verfolgungsdichte einen in etwa mittleren Wert zugrunde zu legen und daher davon auszugehen, dass zurzeit noch etwa 400.000 Yeziden im Irak leben.
Diese Zahl ist nunmehr zu messen an der Menge der asylerheblichen Übergriffe gegen Yeziden. Selbst nach gründlicher Auswertung der vorhandenen Erkenntnismittel fällt auf, dass für den Zeitraum ab Mai 2005 verlässliche und detaillierte Zahlen zu Übergriffen gegen Yeziden, insbesondere zu Morden, Morddrohungen und Anschlägen, nur in geringem Umfang zur Verfügung stehen. Dies hat nach Einschätzung des Europäischen Zentrums für kurdische Studien (Auskunft vom 2.11.2004) mehrere Gründe: Zum einen erfahren Übergriffe gegen Yeziden selbst dann, wenn sie tödlich sind, kaum Beachtung in der (internationalen) Presse; das Interesse der arabischen Medien ist auf Grund der meist kurdischen Ethnie der Yeziden gering. Zum anderen müssen Anschläge gegen Yeziden in teils mühevoller Kleinarbeit recherchiert werden, weil die Yeziden, anders als etwa die Christen im Irak, nicht über eine institutionalisierte Lobby verfügen, die in der Lage wäre, auf ihre Situation aufmerksam zu machen; auch fehlt vor Ort eine Menschenrechtsorganisation, die sich engagiert für yezidische Interessen einsetzt. Eine Aufklärung von Straftaten gegen Yeziden bereitet schließlich auch deshalb Schwierigkeiten, weil Yeziden aus Angst vor weiteren Schikanen und Repressalien generell nicht zur Anzeige von Gewalttaten unter Offenbarung ihrer Religionszugehörigkeit neigen. Somit ist eine vollständige Auflistung aller gewalttätigen Übergriffe auf Yeziden im Irak ebenso unmöglich wie ein seriöser Rückschluss von tatsächlich recherchierten Fällen auf die absolute Zahl der Übergriffe. Möglich ist es hingegen, auf Grund bekannt gewordener Vorfälle herauszustellen, in welchen Regionen und für welche Personen eine erhöhte Gefahr besteht, an Leib und Leben verletzt zu werden.
Trotz dieser Schwierigkeiten ist der Senat davon überzeugt, dass bereits die vorhandenen Erkenntnismittel eine ausreichende Entscheidungsgrundlage bieten und die Einholung weiterer Gutachten ins Gewicht fallende zusätzliche Erkenntnisse nicht vermitteln würde. Dies gilt vor allem auch im Blick darauf, dass mit dem erst kurz vor Beginn der Berufungsverhandlung vorgelegten Gutachten des Europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 19. März 2007 eine hochaktuelle, umfassende und überzeugende Einschätzung der Verfolgungssituation irakischer Yeziden in das Gerichtsverfahren eingeführt worden ist. So haben die Prozessbeteiligten denn auch Beweisanträge zur Einholung weiterer Gutachten in der Berufungsverhandlung nicht gestellt.
Für die Einschätzung der Verfolgungssituation von Yeziden ist zunächst bedeutsam, wo ihre Siedlungsgebiete liegen. Um die 90 % der Yeziden leben in Gebieten, die bis zum dritten Golfkrieg im Jahr 2003 zur zentralirakischen Provinz Niniveh gehörten. Etwa 75 % wohnen im traditionellen Siedlungsgebiet Jebel Sindjar zwischen Mosul und der syrischen Grenze, circa 15 % halten sich im Scheikhan-Gebiet nordwestlich von Mosul auf. Weitere Yeziden leben schwerpunktmäßig in Mosul und Bagdad. Insgesamt wohnen etwa 10 % der irakischen Yeziden in den kurdisch verwalteten Gebieten des Nordiraks, die meisten von ihnen in der Provinz Dohuk. (Auskunft des Europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 3.11.2004, Stellungnahme des Deutschen Orient-Instituts vom 14.2.2005, Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 16.1.2006). Dort liegt auch das Lalischtal, der wichtigsten Wallfahrtsort der Yeziden, an dem sich der Schrein von Scheich Adi befindet.
Der Grad der Gefährdung von Yeziden ist in den jeweiligen Gebieten unterschiedlich. In ihren traditionellen Siedlungsgebieten in den nordirakischen Kurdengebieten leben die Yeziden nicht in größerer Gefahr als alle anderen dort lebenden Kurden (Stellungnahme des Deutschen Orient-Instituts vom 12.9.2005). Die Gefahr, dort Opfer eines gewalttätigen yezidenfeindlichen Angriffs zu werden, ist eher gering, zumal eine systematische Verfolgung von Yeziden durch die kurdische Regionalregierung definitiv auszuschließen ist (Auskunft des Europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 19.3.2007). Gleichwohl kommt es gegenüber der yezidischen Bevölkerung alltäglich zu Diskriminierungen von Seiten der muslimischen Mehrheit. So wird beispielsweise immer wieder berichtet, dass Yeziden ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse nicht verkaufen können bzw. die Preise erheblich senken müssen, weil ein Teil der Muslime es ablehnt, bei "Ungläubigen" zu kaufen. Auf der anderen Seite sind die religiösen und kulturellen Rechte der Yeziden derzeit im kurdisch verwalteten Norden gewährleistet. 1992 wurde in Dohuk das Lalisch-Kulturzentrum mit dem Angebot yezidischen Religionsunterrichts gegründet. Die Finanzierung dieses Zentrums, das mehrere Zweigstellen in Scheikhan und Sindjar hat, erfolgt in erster Linie über die KDP. Ungünstig könnte sich für die Yeziden in Zukunft auswirken, dass auch aus den kurdisch verwalteten Gebieten von einer wachsenden Islamisierung und einer damit einhergehenden Zunahme von Diskriminierungen der Yeziden durch Muslime berichtet wird.
Die traditionellen yezidischen Siedlungsgebiete im ehemaligen Zentralirak galten bis 2004 noch als relativ sicher, weil in den dort gelegenen Zentraldörfern ausschließlich Yeziden lebten und die Gefahr von Anschlägen deshalb gering war. Im Laufe des Jahres 2005 hat sich die Situation im Sindjar laut Angaben des Europäischen Zentrums für kurdische Studien (Auskunft vom 19.3.2007) so deutlich verschlechtert, dass sich das Gebiet am Rande eines Bürgerkriegs bewegt und die Yeziden im Scheikhan seitdem sicherer als im Sindjar leben, obwohl die Sicherheitslage auch im Scheikhan bei weitem nicht als unbedenklich eingestuft werden kann. Die Sicherheit für Yeziden ist umso größer, je höher die Präsenz bewaffneter kurdischer Sicherheitskräfte (Peschmerga) ist. In seinem neuesten Gutachten vom 19. März 2007 stellt das Europäische Zentrum für kurdische Studien eine neuerliche erhebliche Verschärfung der Situation in den yezidischen Siedlungsgebieten fest und verweist auf die zunehmende Anwesenheit von islamistischen und baathistischen Terroristen und von anderen extremistischen Gruppierungen. Die Ursache für die Verschlechterung der Situation und die Zunahme der Angriffe auf Yeziden liegt ferner vor allem in den besonderen ethnisch-religiösen Spannungen zwischen Arabern und Kurden, die ihrerseits auf die früheren Vertreibungen von Yeziden und die seinerzeitige Ansiedlung arabischer Siedler zurückzuführen sind. Hinzu kommt die wachsende politische Unsicherheit in der Region um Mosul durch die von mehreren Seiten erhobenen Ansprüche auf bestimmte Teilgebiete (vgl. Lagebericht Irak vom 11.1.2007, Gutachten von amnesty international vom 16.8.2005 und Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom16.1.2006).
Ein zusätzliches Gefährdungspotential für Yeziden aus dem Sindjar und dem Scheikhan folgt daraus, dass sie aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen sind, regelmäßig zur Arbeitsaufnahme nach Mosul oder Dohuk zu pendeln und sich dort länger, teilweise mehrere Wochen aufzuhalten. Das Gefährdungspotential für Yeziden ist in städtischen Bereichen deutlich höher als auf dem Land. Gewalttätige Islamisten, die häufig keine Iraker sind, können vor allem in den großen Städten nämlich eher Fuß fassen und eine Grundlage für ihre Angriffe finden als in kleinen Städten oder ländlichen Gegenden. Vergleichsweise viele Anschläge gegen Yeziden werden deshalb aus Mosul gemeldet. In seiner Stellungnahme vom 19. März 2007 schätzt das Europäische Zentrum für kurdische Studien die Gefahr, an Leib und Leben verletzt zu werden, für Yeziden aus dem Großraum Mosul (und auch Bagdad) als seit 2004 gleichbleibend hoch ein. Allerdings sind auch kleinere Städte häufig von Attentaten betroffen, wie etwa Tell Afar, wo die ursprüngliche Bevölkerung, die dort aber auch aus Christen, Turkmenen und Kurden bestand, auf den Druck von Islamisten den Ort verlassen hat (Stellungnahme des Deutschen Orient-Instituts vom 12.9.2005).
Die Hauptbedrohung für Yeziden stammt aus der Mitte der irakischen Gesellschaft, die immer stärker radikalislamische Tendenzen einnimmt (vgl. Lagebericht Irak vom 11.1.2007). Sie geht auch in den yezidischen Siedlungsgebieten von radikalen Muslimen aus. Das Yezidentum gilt nach islamischer Lehre im Gegensatz zum Christen- oder Judentum nicht als schutzwürdige Glaubensgemeinschaft einer Buchreligion, da die yezidische Religion mündlich überliefert wird. Yeziden sind daher für einige Muslime Häretiker bzw. Andersgläubige und werden als "ungläubig", "gottlos" und "unrein" bezeichnet. Es wird berichtet, dass radikale Muslime die Auffassung vertreten, die Tötung eines Yeziden sei eine heilige Handlung, die dem Täter den Einlass ins Paradies garantiere, und dass muslimische Geistliche u.a. auch in den kurdischen Städten Dohuk und Semele Hass und Verachtung gegen Ungläubige schüren (Gutachten von amnesty international vom 16.8.2005). Das Gefährdungspotential für Yeziden steigt weiter dadurch, dass die Yeziden meist Kurden sind und allgemein für Kurden gehalten werden, und zwar auch solche, die sich in der Saddam-Zeit als Araber deklariert haben. Kurden gelten als treue Verbündete der Amerikaner im Kampf um die Gestaltung der Zukunft des Iraks und stehen wegen ihrer politischen Haltung den amerikanischen Wertevorstellungen nah. Sie haben deshalb bei Terroristen und sonstigen "Widerstandskämpfern" den Ruch der Kollaboration mit den Amerikanern und bieten sich auch deshalb für diese als Angriffsziele dar (Stellungnahme des Deutschen Orient-Instituts vom 14.2.2005). Sowohl muslimische als auch arabisch-nationalistische Kreise begreifen die Kurden als "Verräter". Es gab in letzter Zeit wiederholt Aufrufe in Moscheen in Mosul und anderen Städten des Zentralirak zur Tötung von Kurden. In anderen Erklärungen wurde die Ermordung von Kurden sogar als "dringlicher und besser" bezeichnet als die Ermordung von Juden und Amerikanern (vgl. Auskunft des Europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 3.11.2004).
Die noch im Aufbau befindlichen staatlichen Sicherheitsstrukturen, insbesondere Polizei und Armee) sind zurzeit nicht in der Lage (oder willens), Yeziden vor Angriffen radikaler Islamisten und Baathisten zu schützen (vgl. Lagebericht Irak vom 11.1.2007; Auskunft des Europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 19.3.2007). In den traditionellen Siedlungsgebieten der Yeziden, teilweise auch in denjenigen im Zentralirak, sind die kurdischen Parteien KDP und PUK bemüht, den Yeziden Schutz vor den bestehenden Gefahren zu gewähren. Die Yeziden sind für sie als Wählergruppe sowie als politische Zielgruppe von Interesse. Dies hängt zunächst damit zusammen, dass die überwiegende Mehrheit der Yeziden sich als kurdisch definiert, nur eine verschwindende Minderheit bezeichnet sich als arabisch. Indem Protagonisten der kurdischen Nationalbewegung das Yezidentum als eigentliche und ursprüngliche Religion aller Kurden bezeichnen, schaffen sie den Mythos einer vorislamischen, alle Kurden miteinander verbindenden und von anderen Nationen des Nahen Ostens abgrenzenden Religion. Das politische Interesse der kurdischen Parteien ergibt sich ferner daraus, dass die Yeziden hinsichtlich der künftigen Grenzziehung des kurdischen Gebiets möglicherweise eine wichtige Rolle spielen werden. KDP und PUK streben die Eingliederung von Teilen der gemischt ethnischen Provinzen Niniveh und Ta'nim (Kirkuk) in das kurdische Autonomiegebiet an. Sollte die Bevölkerung in den beiden Provinzen in der Zukunft in einem Referendum über die Grenzziehung abstimmen, dürften die Yeziden als Wähler für die kurdischen Parteien eine wichtige Zielgruppe darstellen.
Ausgehend von dieser allgemein für Yeziden bestehenden Gefährdungslage ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung eine Gruppenverfolgung der Yeziden bisher überwiegend verneint worden. Der VGH Baden-Württemberg geht in seinem Urteil vom 16. November 2006 (A 2 S 1150/04, zitiert nach juris) auf der Grundlage der ihm verfügbaren Erkenntnismittel von landesweit etwa 100 Gewalttaten gegenüber Yeziden aus. Seiner Ansicht nach fallen die Verfolgungsschläge, die von nichtstaatlichen Akteuren im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4c AufenthG gegen Yeziden verübt werden, nicht so dicht und eng gestreut aus, dass für jedes Mitglied der yezidischen Religionsgemeinschaft die Furcht begründet ist, in eigener Person Opfer der Übergriffe zu werden. In dem Urteil findet sich eine detaillierte Darstellung verschiedener Übergriffe gegen Yeziden, auf die der erkennende Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt. Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes stellt in seinem Beschluss vom 5. März 2007 (3 A 12/07, zitiert nach juris) landesweit 137 asylerhebliche Übergriffe gegen Yeziden fest, wobei es sich ebenfalls auf die Auskünfte von amnesty international, des UNHCR und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe stützt. Das Gericht hält ebenfalls die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte nicht für gegeben, weil sich bezogen auf die 475.000 im Irak lebenden Yeziden eine Anschlagsdichte von lediglich 1:3467 ergebe, was einen sicheren Abstand zur kritischen Verfolgungsdichte beinhalte. Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (Urt. v. 14.12.2006 - 1 LB 67/05 -) nimmt an, bei den irakischen Yeziden sei nur ein Anteil von weit unter 1 Promille von Gewalttaten betroffen; werde zusätzlich berücksichtigt, dass den Erkenntnisquellen weder ein fester Zusammenhang zwischen den Gewalttaten und der yezidischen Religionszugehörigkeit noch ein Anteil von Fällen, in denen ein solcher Zusammenhang vorliege, zu entnehmen sei, verringere sich die rechnerisch darstellbare Betroffenheit weiter; auf dieser Grundlage könne nicht festgestellt werden, dass yezidische Gläubige oder Personen, die als solche erschienen, im Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr von Übergriffen staatsähnlicher oder nichtstaatlicher Akteure ausgesetzt seien.
Auch der erkennende Senat vermag nach den Maßstäben der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Gruppenverfolgung der Yeziden im Irak nicht festzustellen. Soweit Leib und Leben der Yeziden betroffen sind, geht der Senat für die Zeit ab 2004 von höchstens 200 Referenzfällen aus. Dabei hat er sich an folgenden Erkenntnismitteln orientiert:
Nach Angaben des Auswärtigen Amtes (Lageberichte Irak vom 10.6.2005 und 11.1.2007) wurde aus Mosul über eine wachsende Anzahl von Entführungen berichtet. Im Irak lebende Yeziden hätten von mehreren Dutzend Mordfällen an Yeziden in den vergangenen sechs Monaten vor allem in den Städten Tell Afar und Sindjar berichtet. Täter seien danach Muslime gewesen, die Yeziden zum Teil für ihr nicht den Regeln des Korans entsprechendes Verhalten hätten "bestrafen" wollen.
Nach der Presseinformation des Yezidischen Forums e.V. Oldenburg vom 30. Dezember 2004 wurden "allein in den letzten vier Monaten" mindestens 25 Mordfälle und doppelt so viele Gewaltakte gegen Yeziden registriert. Bei vielen Taten seien die Akteure grausam vorgegangen. In einer weiteren Stellungnahme vom 18. Mai 2005 listet das Yezidische Forum Oldenburg e.V. unter Angabe der Namen der Opfer, der Tatzeiten und der Tatorte insgesamt 34 Fälle von Morden an Yeziden im Irak auf, die im Zeitraum August 2004 bis Mitte Mai 2005 verübt worden sein sollen und bei denen als Motiv ein religiöser Hintergrund festgestellt worden sei. Weitere Mordfälle bei Yeziden, die bislang nicht auf die Religionszugehörigkeit zurückgeführt werden könnten, würden unerwähnt bleiben. Es lägen jedoch zahlreiche glaubhafte Berichte über Gewaltanwendungen, Morddrohungen, Anschläge und schwerste Diskriminierungen gegenüber Yeziden vor.
Der UNHCR nimmt in seiner Auskunft vom 2. August 2006 an, dass die Yeziden im Zentralirak zunehmend unter Druck gerieten, sich an die islamische Bevölkerung anzupassen, und dass die wachsenden Schwierigkeiten "Verfolgungsintensität" erreichen könnten, wobei mit diesem Begriff aber nicht eine rechtliche Bewertung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gemeint sein kann. In einer weiteren Auskunft vom 9. Januar 2007 stellt der UNHCR klar, dass die Situation für Yeziden in Gebieten unter zentralirakischer Verwaltung auch ab Mitte 2005 besorgniserregend war. Einzelne Übergriffe oder gar eine Gesamtzahl bekannt gewordener Vorfälle werden vom UNHCR jedoch nicht genannt. Genauere Angaben hatte der UNHCR in seiner Hintergrundinformation von Oktober 2005 gemacht. Darin ging der UNHCR - ebenso wie amnesty international in dessen Gutachten vom 16. August 2005 - unter Berufung auf yezidische Quellen und internationale Menschenrechtsorganisationen von mehr als 25 Morden und über 50 Gewaltverbrechen an Yeziden im letzten Drittel des Jahres 2004 aus. 8 Fälle wurden einzeln referiert. Viele Übergriffe auf Yeziden hätten einen mittelbaren oder unmittelbaren religiösen Bezug gehabt. So sei beispielsweise am 17. August 2004 ein junger Mann aus der Ortschaft Bashiqa deshalb von Terroristen enthauptet und sein Leichnam geschändet worden, weil er in den Augen der Täter als ungläubig und unrein gegolten habe. Am 21. Oktober 2004 seien an der Straße zwischen den Städten Tell Afar und Sindjar die enthaupteten Leichen zweier Männer gefunden worden, die einige Tage zuvor in Telafar von radikalen Muslimen mit Strafe bedroht worden seien, weil sie sich nicht an das für Muslime während des Fastenmonats Ramadan geltende Rauchverbot gehalten hätten. Bei einem weiteren Übergriff fanatischer Muslime in der Stadt Tell Afar seien im Dezember 2004 fünf Yeziden getötet worden. In Mosul seien zur gleichen Zeit Flugblätter mit der Aufforderung, alle Yeziden zu töten, verbreitet worden. Die genannten Verfolgungsmaßnahmen knüpften allerdings nicht in allen Fällen unmittelbar an das religiöse Bekenntnis der Betroffenen oder die Ausübung ihres Glaubens an. Vielmehr sei Motiv für Verfolgungsmaßnahmen häufig die Verbindung zwischen der Zugehörigkeit zur yezidischen Religionsgemeinschaft und tatsächlichen oder unterstellten zusätzlichen Merkmalen des jeweiligen Yeziden, wie beispielsweise eine vermeintliche Sympathie mit den Koalitionsstreitkräften oder die allen nicht muslimischen Religionsgemeinschaften unterstellte Ignoranz gegenüber traditionellen Moralvorstellungen, die auch in der Missachtung islamischer Bekleidungs- und Verhaltensvorschriften gesehen werden könne.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe berichtet in ihrer Auskunft vom 16. Januar 2006 - zusätzlich zu den 25 Morden und 50 Gewalttaten - noch über weitere 34 Ermordungen von Yeziden. Davon hätten sich rund zehn in Mosul und neun in der Region Sinjar sowie in Telafar ereignet. Besonders angespannt sei die Lage um Mosul und Kirkuk. Allein im Juni und Juli 2004 seien 28 Drohbriefe bekannt geworden, die an prominente Yeziden, welche entweder in Mosul lebten oder dort zumindest arbeiteten, gerichtet gewesen seien. Die Drohbriefe seien angesichts der angespannten Lage im Irak durchaus asylrechtlich ernst zu nehmen.
Das Deutsche Orient-Institut erwähnt in seiner Stellungnahme vom 12. September 2005 ebenfalls verschiedene Mordanschläge, Morddrohungen sowie Mordaufrufe gegen Yeziden im Irak insbesondere in der zweiten Hälfte des Jahres 2004, ohne allerdings zur Gesamtzahl nähere Angaben zu machen. Es verneint eine landesweite, für alle Siedlungsgebiete der Yeziden geltende Gefahr der Verfolgung wegen der yezidischen Religionszugehörigkeit und verweist zur Begründung auf die zahlreichen yezidischen Dörfer (vor allem in den eigentlichen Siedlungsgebieten der Yeziden), in denen ein Sicherheitsrisiko für Yeziden nicht bestehe und sie relativ gefahrlos leben könnten
Das Europäische Zentrum für kurdische Studien berichtet in seiner Auskunft vom 2. November 2004 unter Angabe von Einzelheiten über Morde, Anschläge und Drohungen, die sich gegen Yeziden richteten oder von denen Yeziden betroffen waren. Angeführt wird u.a. die auch in vielen anderen Quellen erwähnte, hinsichtlich seiner Hintergründe aber umstrittene Vergiftung eines Brunnens in Khanek am 8. März 2004, von der bis zu 400 Personen betroffen gewesen sein sollen und bei der es auch zu Todesfällen gekommen sein soll. In seinem weiteren Gutachten vom 19. März 2007 führt das Europäische Zentrum für kurdische Studien aus, dass es in Mosul-Stadt und im Sindjar allein zwischen Januar und September 2006 mindestens 50 Morde an Yeziden gegeben habe. Gefährlich seien nicht so sehr die yezidischen Zentraldörfer, sondern, vor allem nachts, die Straßen zwischen den einzelnen Dörfern und nach Mosul bzw. die Stadt Mosul selbst. Neben Entführungen kämen vor allem Attentate auf bestimmte Personen vor. So seien im August 2006 ein yezidischer Bauer getötet und ein weiterer schwer verletzt worden, weil es sich um Yeziden gehandelt habe. Bekannt geworden seien ferner Berichte kurdischer Medien über Angriffe kurdisch-muslimischer Bewohner auf Yeziden am 15./16. Februar 2007 in dem Ort Scheikhan. Auslöser der Übergriffe sei offenbar der bei Muslimen entstandene - letztlich falsche - Verdacht gewesen, zwei yezidische Männer hätten ein Mädchen muslimischer Religionszugehörigkeit entführt. Als die Muslime der beiden Männer nicht hätten habhaft werden können, sei es zu schweren Ausschreitungen gekommen, bei denen auch öffentliche Gebäude sowie das örtliche yezidische Kulturzentrum angegriffen worden seien. Kurdische Sicherheitskräfte hätten die Lage unter Kontrolle gebracht, mehrere Personen verhaftet und eine offizielle Untersuchung der Vorfälle zugesagt.
Bei der gebotenen Prüfung, ob Gewalttaten gegenüber Yeziden auf deren Glaubenszugehörigkeit zurückzuführen und daher für die Festlegung der Verfolgungsdichte relevant sind, ist zu berücksichtigen, dass sich - auch wegen des Fehlens einer funktionstüchtigen Polizei und Justiz - häufig nicht abschließend ermitteln lässt, inwieweit die Taten politisch-religiös motiviert oder aber nur Ausdruck der allgemein instabilen Sicherheitslage sind und daher jeden Iraker hätten treffen können. So sind beispielsweise Entführungen landesweit üblich und sowohl Ausdruck von Gewaltkriminalität und Sozialneid als auch Mittel, um in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu wecken. Ferner sind sie Ausdruck einer immer stärker werdenden, Muslime gleichermaßen betreffenden Islamisierung des Alltags (Auskunft des Europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 3.7.2005, Lagebericht Irak vom 10.6.2005). Potentielle Opfer islamistischer Extremisten sind mithin nicht nur Yeziden, sondern alle, die - in religiöser oder anderer Hinsicht - nicht den eigenen Maßstäben der Täter entsprechen (Stellungnahme des Deutschen Orient-Instituts vom 12.9.2005). Oft bleibt bei den bekannt gewordenen Gewalttaten gegen Yeziden unklar, wer für sie verantwortlich war, ob die Anschläge gegen die Betroffenen als Yeziden oder auch als Kurden gerichtet waren oder ob eine andere Ursache, wie etwa die Ausübung eines bestimmten Berufes, zugrunde lag (Auskunft des Europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 19.3.2007 sowie Stellungnahme des Deutschen Orient-Instituts vom 14.2.2005). Bei der Vergiftung des Brunnens in Khanek sprechen nach Angaben des Europäischen Zentrums für kurdische Studien beispielsweise beachtliche Umstände dafür, dass sie nicht auf einen gezielten Anschlag zurückzuführen ist, sondern andere (hygienische) Ursachen hatte. Im Rahmen der Berufsausübung sind neben Hochschullehrern, Ärzten und für die Verwaltung oder die Koalitionsstreitkräfte arbeitenden Personen auch diejenigen gefährdet, die - wie häufig Yeziden - im Alkoholverkauf, im Gaststättengewerbe und in der Vergnügungsindustrie tätig sind. Einerseits erlaubt ihnen ihre Religion derartige Tätigkeiten, andererseits finden sie hier eine Marktlücke, in der sie ihr ökonomisches Leben zu sichern versuchen. Angriffe gegen Personen, die in diesen Berufszweigen arbeiten, sind in der Regel, aber nicht immer auch als Angriffe auf den Wertekanon der yezidischen Bevölkerung im Irak zu verstehen oder als Versuch, ein flächendeckendes, radikal-islamisches Wertesystem zu erzwingen.
Aufgrund der vorstehenden Überlegungen müsste bei der Festlegung der genauen Verfolgungsdichte - wenn es entscheidungserheblich wäre - die Zahl der festgestellten Gewalttaten gegenüber Yeziden noch um die Anzahl der Taten gemindert werden, die nicht politisch-religiös motiviert waren. Von einer solchen (tatsächlich kaum durchführbaren) Reduzierung sieht der Senat ab, weil selbst alle aufgelisteten Gewalttaten gegenüber irakischen Yeziden im Verhältnis zur Gesamtzahl der im Irak lebenden Yeziden letztlich nur einen so geringen prozentualen Anteil ausmachen, dass nicht jeder Angehörige dieser Gruppe aktuell und konkret mit einer Gefährdung seiner Person rechnen muss. Die höchstens 200 Referenzfälle stehen zur Gesamtzahl aller Yeziden im Irak (etwa 400.000) im Verhältnis von ungefähr 1 zu 2000.
Nach alledem kann nicht angenommen werden, Yeziden im Irak seien hinsichtlich ihres Lebens, ihrer körperlichen Unversehrtheit und ihrer Freiheit einer allgemeinen, nicht an individuelle Verhaltensweisen, sondern an die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft anknüpfenden (Gruppen-) Verfolgungsgefahr durch staatliche, staatsähnliche oder nichtstaatliche Akteure ausgesetzt.
Der Senat hat auch nicht feststellen können, dass irakischen Yeziden im Hinblick auf unzumutbar eingeschränkte Möglichkeiten zur Religionsausübung schon allein wegen ihrer Gruppenzugehörigkeit Verfolgung droht und daher Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewähren ist:
Religiöse oder religiös motivierte Verfolgung ist allgemeiner Ansicht nach asylrelevante Verfolgung, wenn sie nach Art und Schwere geeignet ist, die Menschenwürde zu verletzen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. - BVerfGE 54, 341, 357;Urt. v. 1.7.1987 - 2 BvR 478, 962/86 - BVerfGE 76, 143, 158). Art. 16a GG und mithin § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG schützen daher nach dieser Rechtsprechung jedenfalls vor Verfolgung im privaten Bereich und damit zumindest das "religiöse Existenzminimum". Dieses ist u.a. berührt, wenn dem Betroffenen seine religiöse Identität geraubt wird, indem ihm etwa unter Androhung von Strafen für Leib, Leben oder persönliche Freiheit eine Verleugnung oder gar Preisgabe tragender Inhalte seiner Glaubensüberzeugung zugemutet oder er daran gehindert wird, seinen eigenen Glauben, so wie er ihn versteht, im privaten Bereich und zusammen mit anderen Gläubigen zu bekennen. Steht nicht die Gruppe der Gläubigen im Blickfeld der Verfolger, ist zudem zu fordern, dass die Verfolgung am Herkunftsort die "religiös personale" Identität des Betroffenen betrifft (vgl. BVerfG, Urt. v. 1.7.1987, a.a.O, 159 f.).
Religiös motivierte Verfolgung ist ferner anzunehmen bei Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 b der Richtlinie 2004/83/EG des Rats vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sog. Qualifikationsrichtlinie). Nach Art. 38 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie ist der Mitgliedsstaat verpflichtet, sein innerstaatliches Recht und seine Verwaltungspraxis mit der Richtlinie spätestens bis zum 10. Oktober 2006 in Übereinstimmung zu bringen. Seit Ablauf dieser Umsetzungsfrist - und damit auch im vorliegenden Berufungsverfahren - ist von der unmittelbaren Geltung der Richtlinie auszugehen (vgl. z.B. Urt. d. erk. Sen.v. 16.6.2006 - 9 LB 104/06 - AuAS 2006, 259 = InfAuslR 2006, 421; Beschl. v. 19.2.2007 - 9 LA 441/05 -).
Zwecks Erreichung einer einheitlichen Asylpolitik dehnt Art. 10 Abs. 1 b der Qualifikationsrichtlinie den Schutz vor Verfolgung wegen Religionszugehörigkeit auf solche Maßnahmen aus, die sich nicht auf den privaten Bereich beschränken, sondern an die öffentliche Glaubensbetätigung anknüpfen (ebenso VGH Baden-Württemberg, a.a.O. sowie VG Karlsruhe, Urt. v. 19.10.2006 - A 6 K 10335/04 - Asylmagazin 11/2006 S. 23 f.). Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen, dass der Begriff der Religion die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, ebenso umfasst wie sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Über den auf der nationalen Ebene der Bundesrepublik Deutschland lediglich gewährten Schutz des sog. religiösen Existenzminimums deutlich hinausgehend, schützt Art. 10 Abs. 1 Satz 1 b der Qualifikationsrichtlinie die religiöse Identität des Einzelnen nunmehr umfassend. Auch das im öffentlichen Bereich - sei es durch die Vornahme bestimmter religiöser Riten, sei es durch die Kundgabe einer bloßen religiösen Meinungsäußerung - erfolgte Bekenntnis zu einem bestimmten Glauben steht unter dem Schutz vor politischer Verfolgung. Der Betroffene kann im Gegensatz zur früheren Rechtslage in Deutschland nicht mehr darauf verwiesen werden, seinen Glauben bzw. die nach seinem Glauben wesentlichsten Riten allein im Rahmen seiner Privatsphäre zu verrichten. Unter den Begriff der Ausübung religiöser Riten im öffentlichen Bereich fällt insbesondere die ungehinderte Teilnahme an öffentlichen bzw. öffentlich zugänglichen Gottesdiensten in Gotteshäusern, aber auch unter freiem Himmel, wie sie etwa für die christliche Religion allgemein üblich und vorgesehen ist. Die Qualifikationsrichtlinie lehnt sich insoweit an Art. 9 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - an, wonach die jedermann zustehende Religionsfreiheit insbesondere die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion sowie die Freiheit, seine Religion einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht sowie durch die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben, umfasst. Eine Beschränkung des Schutzes auf die Religionsausübung im privaten oder nachbarschaftlichen Rahmen ist auch danach nicht vorgesehen (wie hier VG Karlsruhe, a.a.O.).
Allerdings ist nicht jede Diskriminierung in dem so verstandenen religiösen Schutzbereich zugleich auch Verfolgung wegen der Religion. Sie muss vielmehr das Maß überschreiten, das lediglich zu einer durch die Diskriminierung eintretenden Bevorzugung anderer führt, und sich damit als ernsthafter Eingriff in die Religionsfreiheit darstellen (dazu Marx, AsylVfG, 6. Aufl., § 1 Rdnr. 212 m.w.N.). Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die auf die - häuslich-private oder öffentliche - Religionsausübung gerichtete Maßnahme zugleich mit Gefahr für Leib und Leben verbunden ist oder zu einer Ausgrenzung führt (vgl. dazu Marx, a.a.O Rdnr. 208 f. m.w.N.).
Bei Anwendung dieser Maßstäbe kann nicht angenommen werden, Yeziden im Irak würden in ihrer Religionsausübung unzumutbar beeinträchtigt. Dass das religiöse Existenzminimum im privaten Bereich durch radikale Muslime nachhaltig beeinträchtigt sei, behauptet der Kläger selbst nicht. Die von ihm geltend gemachten Störungen bei der öffentlichen Religionsausübung liegen nicht vor. Die religiösen Rituale der Yeziden dürfen nicht vor den Augen von - aus deren Sicht - Ungläubigen praktiziert werden. Yeziden üben ihre Religion daher nicht in einer öffentlichen, auch Andersgläubigen zugänglichen Weise, insbesondere nicht in äußeren religiösen Handlungen, sondern im Privatbereich aus. Dort werden z. B. auch das Morgen- und Abendgebet abgehalten. Gotteshäuser gibt es ebenso wenig wie eigenständige Gebetsräume in anderen Baulichkeiten. Das Yezidentum spielt sich also vorwiegend im Bewusstseins- und Gefühlsbereich ab und ist deshalb sogar als Geheimorganisation bezeichnet worden (vgl. Gutachten von amnesty international vom 16.8.2005; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 5.3.2007 - 3 A 12/07 - zitiert nach juris) Der 11. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat zum yezidischen Glauben in einer Grundsatzentscheidung vom 28. Januar 1993 (11 L 513/89) ausgeführt:
Im Mittelpunkt des Glaubens der Yeziden steht nicht Gott, sondern die Verehrung des Melek Taus, eines in göttliche Ungnade gefallenen Engels, der infolge seiner Reue von Gott wieder aufgenommen worden sei und über die Welt herrsche, weil Gott sich nach Vollendung der Schöpfung von der Welt zurückgezogen habe. Kulthandlungen üben die Yeziden mit Ausnahme des privaten Gebets zusammen mit der ihnen kraft Geburt zugeordneten Priester- (Scheich-)Familie aus, der die religiöse Unterweisung und Betreuung der Laien (Muriden) obliegt. Gottesdienste werden in den Wohnungen abgehalten, da Kultbauten mit Ausnahme der Bauten am Grabe des Scheichs Adi, der als Inkarnation des Melek Taus gilt, unbekannt sind. Öffentliche Gebete finden im Freien und nur in Anwesenheit anderer Yeziden statt; dies geschieht bei Sonnenaufgang, während bestimmter Festperioden aber auch zu anderen Tageszeiten. Glaubensinhalte, Kulthandlungen und Festriten halten Yeziden vor Andersgläubigen möglichst geheim. Sie schließen sich als Glaubensgemeinschaft bewusst gegen Andersgläubige ab. Andererseits täuschen sie in ihrem Bemühen, ihre Religion geheim zu halten, in Gegenwart von Moslems oder Christen häufig eine Annäherung an deren Religion vor, was jedoch nur möglich ist, solange Gott oder Melek Taus nicht verleugnet werden muss.
Diesen Ausführungen schließt sich der erkennende Senat an. Demnach entbehrt die Annahme des Klägers, dass die Yeziden im Irak wegen drohender Übergriffe von radikalen Muslimen gezwungen seien, ihre Religion nicht mehr in der Öffentlichkeit auszuüben, schon von der Art der üblichen Religionsausübung her weitgehend jeglicher Grundlage. Dass die ohnehin nur sehr eingeschränkte Religionsausübung außerhalb des privaten Bereichs in der Vergangenheit nachhaltig beeinträchtigt worden ist oder in naher Zukunft beeinträchtigt sein wird, lässt sich den vorliegenden Erkenntnismitteln - auch der Auskunft des Europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 19. März 2007 - nicht entnehmen. Darin wird allerdings von einem versuchten Bombenangriff auf das Lalischzentrum in Zanun sowie von der Notwendigkeit berichtet, die Räumlichkeiten des Lalischzentrums in Mosul ständig zu wechseln, um Angriffen nichtstaatlicher Akteure zu entgehen. Dass diese Angriffe indessen religiösen Bezug haben, insbesondere in irgendeiner Weise religiös veranlasste Handlungen betroffen haben könnten, ist nicht ersichtlich. Bei den LalischZentren handelt es sich keineswegs um Gotteshäuser, sondern um yezidische Gemeindebüros, in denen für Yeziden Begegnungsmöglichkeiten geboten werden und auch Feierlichkeiten, beispielsweise Hochzeiten und Beerdigungsveranstaltungen, stattfinden. Nach der Auskunft des Europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 19. März 2007 sind seit 2004 zahlreiche solcher Zentren mit finanzieller Unterstützung der KDP im Sindjar-Gebiet und um Scheikhan gegründet worden. Berichte über nachhaltige Störungen von in ihnen vorgenommenen Handlungen mit religiösem Bezug liegen nicht vor.
Nach alledem ergibt sich eine im Vergleich zur früheren Bedrohung neue Verfolgungsgefahr für den Kläger nicht schon allein aus seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der Yeziden. Eine neue Verfolgungsgefahr kann der Kläger auch nicht erfolgreich mit der Behauptung begründen, ihm drohe eine sog. anlassgeprägte Einzelverfolgung in Form gegen ihn selbst gerichteter Maßnahmen. Sein im Widerrufsverfahren neu erhobener Einwand, er müsse sich seit dem Sturz von Saddam Hussein nicht mehr vor dessen Regime, sondern vor den Kurden fürchten, ist sowohl von der Beklagten als auch vom Verwaltungsgericht als unglaubhaft bzw. unbegründet angesehen worden. Im Berufungsverfahren, insbesondere auch in der Berufungsverhandlung vor dem erkennenden Senat, hat der Kläger diesen Einwand nicht substantiiert weiterverfolgt. Der Senat, der insoweit ebenfalls von einer bloßen Schutzbehauptung des Klägers ausgeht, folgert daraus, dass der Kläger ernsthaft nur noch behaupten will, ihm stehe allein wegen seiner yezidischen Religionszugehörigkeit Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu.
Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in den Irak auch nicht eine individuelle Verfolgung wegen Zugehörigkeit zur Gruppe der Yeziden. Das OVG Mecklenburg-Vorpommern hat in zwei Beschlüssen vom 1. Februar 2006 (- 1 L 121/02 -, AuAS 2006, 151, und 1 L 321/02) eine solche Verfolgung beim Vorliegen besonderer Gefährdungsmerkmale bejaht und damit im Ergebnis den Auskünften des Europäischen Zentrums für kurdische Studien Rechnung getragen, wonach für Yeziden, die sich im Großraum Mosul oder Bagdad aufhalten, eine erhöhte Gefährdung besteht, wenn sie Intellektuelle mit öffentlich sichtbarem Erfolg bzw. Einfluss oder yezidische Würdenträger sind, wenn sie regelmäßig yezidische Einrichtungen besuchen, im Alkoholgeschäft oder im Gaststätten- und Hotelgewerbe oder in der Vergnügungsindustrie tätig sind, in Schönheits- oder Frisiersalons arbeiten oder - etwa als Polizisten oder Taxifahrer - in häufigen Kontakt zur moslemischen Bevölkerung treten, wenn sie aufgrund typischer Kleidungsstücke oder anderer Merkmale als Yeziden auffallen oder wenn sie als Frauen unverschleiert in die Öffentlichkeit gehen. Ob bei diesen Personengruppen letztlich die Gefahr einer Verfolgung besteht, lässt sich nach Auffassung des erkennenden Senats nicht allgemein und grundsätzlich beantworten, sondern ist eine Frage der konkreten Umstände des Einzelfalls. Zu prüfen ist bei Übergriffen jeweils auch, ob wirklich ein Bezug zum yezidischen Glauben besteht, also nicht unabhängig davon auch bei anderen Personen eine entsprechende Gefährdung vorhanden ist. Im vorliegenden Fall erübrigt sich eine solche Einzelfallprüfung, weil der Kläger nicht zu einer der genannten Personengruppen gehört.
Kann somit nicht festgestellt werden, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak eine Verfolgung drohen würde, so kommt es auf das Vorliegen einer sog. inländischen Fluchtalternative nicht mehr an. Denn deren Prüfung setzt gerade die Bejahung einer Verfolgung voraus, der sich der Betroffene eventuell durch ein Ausweichen in einen anderen Landesteil entziehen kann (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG).
Dem streitigen Widerruf steht § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 1. November 2005 (1 C 21.04, a.a.O.) zu § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG Folgendes ausgeführt:
Von einem Widerruf ist dann abzusehen, wenn sich aus dem konkreten Flüchtlingsschicksal besondere Gründe ergeben, die eine Rückkehr unzumutbar erscheinen lassen. Maßgeblich sind somit Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen, ungeachtet dessen, dass diese abgeschlossen sind und sich aus ihnen für die Zukunft keine Verfolgungsgefahr mehr ergibt. Der Rückkehr in den Heimatstaat müssen (gegenwärtige) zwingende Gründe entgegenstehen (d.h. eine Rückkehr muss unzumutbar sein). Diese Gründe müssen außerdem auf einer früheren Verfolgung beruhen. Zwischen der früheren Verfolgung und der Unzumutbarkeit der Rückkehr muss daher bereits nach dem Wortlaut der Bestimmung ein kausaler Zusammenhang bestehen.
Dagegen schützt auch diese Vorschrift nicht gegen allgemeine Gefahren. Ebenso wenig können aus ihr allgemeine, von den gesetzlichen Voraussetzungen losgelöste Zumutbarkeitskriterien hergeleitet werden, die einem Widerruf der Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung entgegenstehen. § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG trägt vielmehr der psychischen Sondersituation solcher Personen Rechnung, die ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten haben und denen es deshalb selbst lange Zeit danach - auch ungeachtet veränderter Verhältnisse - nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 73 AsylVfG Rn. 29 m.w.N.). Die Signatarstaaten hatten bei der Schaffung des zugrunde liegenden Art. 1 C Nr. 5 Satz 2 GFK das Schicksal jüdischer Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland vor Augen (vgl. Takkenberg/Tahbaz, The collected Travaux preparatoires of the 1951 Geneva Convention Relating to the Status of Refugees, Band III S. 481 ff.).
Im Fall des Klägers sind zwingende, seiner Rückkehr in den Irak entgegenstehende Gründe im Sinne dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht ersichtlich. Es lässt sich nicht feststellen, dass beim Kläger (weiterhin) ein besonders schweres Verfolgungsschicksal nachhaltig wirkt und er sich insoweit in einer Sondersituation befindet.
Nach alledem hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 28. Februar 2005 zu Recht die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in der Person des Klägers vorliegen, widerrufen und festgestellt, dass dem Kläger Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht gewährt werden kann.
Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet, zu Gunsten des Klägers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen.
Ob die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG eine konkret-individuell drohende Gefahr durch einen Staat oder eine staatsähnliche Organisation voraussetzt (so BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - BVerwGE 99, 331 -) oder ob die in § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG genannten Menschenrechtsverletzungen wegen der Erweiterung des Tatbestands der politischen Verfolgung auf Übergriffe durch nichtstaatliche Akteure im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG nunmehr auch von nichtstaatlicher Seite ausgehen können (vgl. dazu auch Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 8. Aufl., § 60 AufenthG RdNr. 36), bedarf nicht der abschließenden Entscheidung, weil offensichtlich ist oder aufgrund der Darlegungen in diesem Urteil feststeht, dass jedenfalls die weiteren Voraussetzungen der Absätze 2 bis 5 - Gefahr der Folter oder der Todesstrafe, Vorliegen eines Auslieferungs- oder Festnahmeersuchens, Unzulässigkeit der Abschiebung nach der Konvention vom 4. November 1950 - nicht erfüllt sind.
Dem Kläger drohen bei einer Rückkehr in den Irak auch nicht landesweit Gefahren, die ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen. Gemäß dieser Vorschrift, die hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen inhaltlich dem früheren § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG entspricht (siehe auch die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 15/420 zu § 60 AufenthG), soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine individuelle und erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Für die Annahme einer solchen Gefahr genügt nicht die lediglich denkbare Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die genannten Rechtsgüter zu werden. Gefordert ist vielmehr die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines derartigen Eingriffs. Die Annahme einer "konkreten" Gefahr setzt - wie durch Satz 2 des § 60 Abs. 7 AufenthG deutlich wird - eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation voraus, ohne dass es darauf ankommt, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zugerechnet werden muss (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324, 330 [BVerwG 17.10.1995 - 9 C 9/95] -, Urt. v. 12.7.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1, 7 [BVerwG 12.07.2001 - 1 C 5/01] ff. [BVerwG 12.07.2001 - 1 C 5/01], jeweils zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG). Anhaltspunkte dafür, dass im Fall des Klägers ein Abschiebungshindernis in unmittelbarer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen könnte, sind nicht ersichtlich: Denn der Kläger ist bei einer Rückkehr in den Irak weder wegen seiner Religionszugehörigkeit noch aus sonstigen Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer erheblichen individuellen Gefahr ausgesetzt. Dies ergibt sich überwiegend bereits aus den obigen Ausführungen zu § 60 Abs. 1 AufenthG und wird auch durch die sehr kritische Gesamtsituation im Irak nicht ernsthaft in Frage gestellt:
Zwar lässt sich nicht bestreiten, dass die Sicherheitslage in Teilen des Iraks nach wie vor instabil ist und sich seit September 2005 weiter verschlechtert hat (Auskunft des UNHCR vom 18.12.2006). Vor allem nach dem Anschlag in Samarra am 22. Februar 2006 ist es zu einem signifikanten Anstieg der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen sunnitischen und schiitischen Moslems gekommen. Ebenso hat die Gewalt aufgrund ethnischer Spannungen in den Bereichen Kirkuk, Mosul und Diyala zugenommen. Parallel dazu haben terroristische Gruppen und Milizen einzelne Personen oder Gruppen aus individuellen oder aus religiösen, politischen sowie kriminellen Gründen mit terroristischen Handlungen überzogen, was zu einer massiven Vertreibung der Bevölkerung geführt hat. Weder die Regierung Al-Malikis noch die Koalitionstruppen sind im Stande, Sicherheit und Ordnung sowie einen wirkungsvollen Schutz zu gewährleisten. Allerdings sind die bewaffneten Anschläge, Auseinandersetzungen und Konflikte sowie die ausgedehnten Kampfhandlungen weiterhin schwerpunktmäßig nur in bestimmten Regionen des Zentraliraks zu verzeichnen, wobei vor allem Polizisten, Soldaten, Intellektuelle, Ärzte und Politiker (auch des früheren Baath-Regimes) gefährdet sind. Im Hinblick auf die Gesamtbevölkerung des Iraks von ungefähr 24 Millionen Menschen ist eine beachtlich wahrscheinliche individuelle Extremgefährdung des Klägers aus dieser - zu beklagenden - Situation, deren Verbesserung politisches Ziel sowohl der irakischen Regierung als auch der internationalen Militärallianz ist, nicht abzuleiten. Insoweit kommt beim Kläger im Vergleich zu vielen anderen Irakern noch Gefahr mindernd hinzu, dass er weder einer besonders gefährdeten Berufsgruppe angehört noch aus einer Region mit gesteigertem Gewaltpotential stammt, er vielmehr vom besonderen Schutz der yezidischen Gemeinschaft im Scheikhan profitieren kann.
Auszugehen ist ferner davon, dass auch die Nahrungs-, Trinkwasser- und Stromversorgung im Irak - ebenso wie die medizinische Versorgung - trotz internationaler Hilfsgelder infolge der miserablen Sicherheitslage und wiederholter Anschläge auf die Ölinfrastruktur des Landes schlecht bleibt. Nach Regierungsaussagen erhalten 60% der Bevölkerung weiterhin Lebensmittelrationen aus einem Programm der Vereinten Nationen. Versorgungsengpässe sucht die irakische Regierung durch die Verteilung von Nahrungsmitteln abzumildern. Zu Hungersnöten ist es bisher nicht gekommen, weil das öffentliche Verteilungssystem alles in allem funktioniert und eine flächendeckende Grundversorgung der Bevölkerung sicherstellt (Stellungnahme des Deutschen Orient-Instituts vom 22.12.2006, Lagebericht Irak vom 11.01.2007; wie hier z. B. OVG Schleswig, a.a.O.). Dass sich aus dieser Versorgungslage gerade beim Kläger konkrete Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ergeben, lässt sich nicht feststellen, zumal der Kläger seine Versorgung innerhalb der yezidischen Gemeinschaft wahrscheinlich noch besser sicherstellen kann als es viele andere Gruppen von Irakern in deren Lebensbereichen tun können.
Der Senat vermag eine erhebliche konkrete Gefahr für den Kläger auch nicht aus der von diesem angeführten Erwägung herzuleiten, dass er als Rückkehrer besonders gefährdet sei. Zwar mag es richtig sein, dass bei Rückkehrern in den Irak eine gegenüber der Gesamtbevölkerung zusätzliche Gefährdung daraus resultieren kann, dass ihnen westliche Lebensvorstellungen vorgehalten und sie als wohlhabend angesehen werden und dass sie unerfahren im alltäglichen Umgang mit Gefahrensituationen sind. Einer solchen Unerfahrenheit, dem Anschein, wohlhabend zu sein, sowie dem Verdacht, sich mit westlichen Lebensvorstellungen zu identifizieren, können Rückkehrer dadurch begegnen, dass sie sich besonders vorsichtig verhalten, nicht näher auffallen und - was in den Siedlungsgebieten der Yeziden auch relativ gut möglich sein dürfte - eher zurückgezogen leben. Bei Beachtung dieser Verhaltensregeln leben Rückkehrer im Irak wahrscheinlich nicht gefährlicher als der gewöhnliche Iraker. Zumindest verdichtet sich die Gefahrenlage erkennbar weder allgemein noch in der Person des Klägers derart stark, dass bei der Rückkehr in den Irak vom Vorliegen einer aktuellen Gefährdung ausgegangen werden kann.
Sind das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Klägers bei einer Rückkehr in den Irak somit nicht konkret gefährdet, so folgt daraus zugleich, dass es auch an einer ernsthaften Bedrohung im Sinne des Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie fehlt. Die vom Kläger geforderte Berücksichtigung dieser Vorschrift im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führt schon aus diesem Grund nicht zu einem für den Kläger günstigeren Verfahrensausgang.
Der Bejahung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG steht ferner entgegen, dass es sich bei der allgemein unsicheren Lage, den terroristischen Anschlägen und den wirtschaftlich schlechten Lebensumständen um Gefahren allgemeiner Art handelt, die nicht zum Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen können, weil ihnen die gesamte Bevölkerung des Landes oder die Bevölkerungsgruppe, der der zurückkehrende Ausländer angehört, (wenn auch in dem dargelegten unterschiedlichen Ausmaß) allgemein ausgesetzt ist. Solche Gefahren werden nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausschließlich bei politischen Leitentscheidungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt und sind daher regelmäßig nicht Prüfungsgegenstand von Verfahren der vorliegenden Art. Dabei scheidet eine unmittelbar im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfolgende Berücksichtigung individueller Gefährdungen des Ausländers, die sich aus allgemeinen Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ergeben, selbst dann aus, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt werden, aber letztlich gleichwohl nur typische Auswirkungen der allgemeinen Gefahrenlage sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.12.1998 - 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77 zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG -; VGH Baden-Württemberg, a.a.O. sowie Urt. vom 16.9.2004 - A 2 S 471/02 -).
Bei verfassungskonformer Auslegung und Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG ist allerdings im Einzelfall ausnahmsweise Schutz nach dessen Satz 1 zu gewähren, wenn die obersten Landesbehörden trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, aufgrund derer ein Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden würde, nicht Gebrauch gemacht haben von ihrer Entscheidungsermächtigung aus § 60 a Abs. 1 AufenthG, einen generellen Abschiebungsstopp zu verfügen (vgl. zur früheren, insoweit identischen Rechtslage BVerwG, Urt. v. 8.12.1998, a.a.O.), und ein anderweitiger Schutz, der dem aufgrund eines Erlasses nach § 60 a Abs. 1 AufenthG gewährten Schutz entspricht, nicht besteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.7.2001 - 1 C 2/01 - BVerwGE 114, 379 ff.). Auch auf der Grundlage dieser Rechtsprechung kann zugunsten des Klägers ein Abschiebungshindernis nicht festgestellt werden. Ein Durchbrechen der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil eine Abschiebung des Klägers in den Irak wegen des weiterhin geltenden und von den Ausländerbehörden in Niedersachsen auch angewendeten Erlasses des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 19. Juli 2004 (Aktenzeichen 45.11-12235/12-6-5) zurzeit ausgeschlossen ist und dem Kläger daher aufgrund der niedersächsischen Erlasslage ein der gesetzlichen Duldung nach den §§ 60 Abs. 7 Satz 2, 60 a AufenthG entsprechender und damit gleichwertiger Abschiebungsschutz zuteil wird. Die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder hat zuletzt am 17. November 2006 festgestellt, dass lediglich mit der Rückführung von ausreisepflichtigen Irakern, die in Deutschland wegen Straftaten verurteilt worden sind, begonnen werden kann. Hinsichtlich der weiteren Personenkreise, zu denen der Kläger gehört, verbleibt es bei der bisherigen Beschlusslage. Damit sind nicht straffällig gewordene Iraker derzeit wirksam vor einer Abschiebung in den Irak geschützt, so dass ihnen nicht zusätzlich Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren ist (vgl. BVerwG, Beschl, v. 23.08.2006 - 1 B 60.06 u. a. - zitiert nach juris, Beschl. v. 28.08.2003 - 1 B 192.03 - Buchholz 402.240, § 54 AusIG Nr. 7, Urt. v. 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 379 ff.; Beschl. d. erk. Sen. v. 13.2.2005 - 9 LB 133/03 - und v. 19.1.2007 - 9 LA 332/05 -; VGH München, Urt. v. 3.3.2005 - 23 B 04.30734 -; VGH Mannheim, Urt. v. 16.9.2004 - A 2 S 471/02 - u. v. 04.05.2006 - A 2 S 1046/05 - DVBI. 2006, 1059 [Ls.]; OVG Münster, Urt. v. 6.7.2004 - 9 A 1406/02.A -).