Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 16.07.2007, Az.: 5 A 5367/05
Abschiebung; Abschiebungshindernis; Abschiebungsverbot; Ausgrenzung; Behandlung; Behandlungskosten; Chaldäer; Christ; Depot-Krankenhaus; Eigentumsrecht; Einzelverfolgung; Gesundheitszustand; Glaubensfreiheit; Glaubensüberzeugung; Gruppenverfolgung; Islam; Krankheit; Medikamentenkosten; Menschenrechtsstiftung; Minderheit; Mittellosigkeit; Muslim; Nachfluchtgrund; politische Verfolgung; psychische Erkrankung; PTBS; Qualifikationsrichtlinie; Religionszugehörigkeit; religiöses Existenzminimum; Retraumatisierung; Rückkehrgefährdung; Schutzwilligkeit; Staat; Suizidalität; Therapie; Türkei; Verfolgungsdichte; Verfolgungshandlung; Verfolgungsschutz; Verwandter; Westtürkei; Wiederaufgreifen; yesil kart; Zurechenbarkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 16.07.2007
- Aktenzeichen
- 5 A 5367/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 71702
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 60 AufenthG
- § 71 Abs 1 AsylVfG
- Art 10 Abs 1 EGRL 83/2004
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand:
Die Kläger sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volks- und chaldäischer Religionszugehörigkeit. Sie sind miteinander verheiratet und Eltern von 10 zwischen 1975 und 1999 geborener Kinder. Ihre 1993, 1998 und 1999 im Bundesgebiet geborenen Kinder F., G. und Linda H. sind Kläger in dem Parallelverfahren 5 A 5371/05. Die Kläger lebten zunächst in dem Landkreis I., Provinz J., im Süd-Osten der Türkei. Etwa 1986 zogen sie in die Stadt K. im Süd-Westen der Türkei um.
Im November 1990 gelangten die Kläger erstmals als Asylbewerber in die Bundesrepublik Deutschland. Ihr Asylerstverfahren, in dem sie sich im Wesentlichen auf ihre Verfolgung durch Moslems wegen ihres christlichen (chaldäischen) Glaubens berufen hatten, blieb ebenso erfolglos (Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge [jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge] vom 15. April 1991, Urteil des erkennenden Gerichts vom 10. Januar 1994 - 11 A 1991/91 - und Urteil des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 15. Juni 1999 - 11 L 3456/94 -) wie diejenigen ihrer Kinder. Demgegenüber erhielten die sechs Geschwister des Klägers zu 1) und offenbar auch weitere Verwandte ihre Anerkennung als Asylberechtigte oder Flüchtlinge in Deutschland.
Nachdem die Ausländerbehörde des Landkreises Leer auch die Gewährung eines asyl-unabhängigen Aufenthaltsrechts versagt hatte, verließen die Kläger am 29. Juli 2003 zusammen mit den Klägern des Parallelverfahrens 5 A 5371/05 und einem weiteren (jüngeren) Kind das Bundesgebiet und kehrten in die Türkei zurück. Vier weitere Kinder der Kläger blieben aufgrund einer Vereinbarung mit der Ausländerbehörde im Bundesgebiet, um einen Schulabschluss erreichen zu können. Sie wurden von älteren Geschwistern betreut und unterhalten, denen ein asylunabhängiges Aufenthaltsrecht erteilt worden war.
Anfang April 2005 reisten die Kläger zusammen mit den Klägern im Parallelverfahren 5 A 5371/05 auf dem Landweg versteckt in einem Lkw erneut ins Bundesgebiet ein. Am 11. April 2004 beantragten sie das Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 bis 7 AufenthG. Zur Begründung legten sie eine nicht datierte Erklärung des Paters L. Bruno M. der katholischen Antoniuskirche in K. (N. l), eine Pressemitteilung der Gesellschaft für bedrohte Völker vom 9. Juni 2005 und eine Pressemeldung der Frankfurter Rundschau - FR - vom 26. Oktober 2006 vor und beriefen sich erneut auf eine Verfolgung durch Moslems wegen ihres christlichen Glaubens.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 7. Juni 2005 erklärte der Kläger zu 1): Er habe keine Schule besucht. Nach seiner Rückkehr habe er als Straßenverkäufer mit Obst und Gemüse gehandelt. Weil dies seine wirtschaftliche Existenz nicht gesichert habe, sei er von Verwandten aus dem Bundesgebiet unterstützt worden. Nach seiner Rückkehr in die Türkei am 29. Juli 2003 seien sie 24 Stunden auf dem Flughafen Istanbul festgehalten und dann freigelassen worden. Sie seien dann in ihr Heimatdorf gefahren, weil sie geglaubt hätten, dort wohnen zu können. Sie hätten aber festgestellt, dass das gesamte Dorf eine Ruine gewesen sei. Außerhalb des Dorfes hätten die Dorfschützer 5 oder 6 Häuser gebaut und bewohnt. Nachdem die Dorfschützer festgestellt hätten, dass sie Christen seien, hätten sie sie festgenommen. 8 Tage lang hätten sie sie für Angehörige des Geheimdienstes, für Spitzel, gehalten. Ein hoher Offizier aus J. habe angerufen und den Dorfschützern befohlen, sie festzunehmen, da sie Spitzel irgendeines Geheimdienstes seien. Er habe Angst gehabt, dass man sie umbringen werden. Er habe dann einen Mann gefunden und ihn gebeten, ihnen zu helfen. Dieser habe mit den Leuten gesprochen und diesen versichert, dass sie weder Geheimdienstangehörige noch Spitzel seien. Sie seien über kleinere Wege gegangen aus Angst davor, getötet zu werden, falls sie die regulären Wege nehmen würde. Sie seien nach K. gefahren und dort in ein kurdisches Stadtviertel gegangen. Der Hausbesitzer habe sie gefragt, was sie seien, nachdem er festgestellt habe, dass sie nicht zur Moschee gingen. Als sie sich als Christen zu erkennen gegeben hätten, habe er sie aus diesem Grunde aus dem Haus hinausgeschmissen. Sie seien dann in eine italienisch/katholische Kirche gegangen, deren Pastor Italiener gewesen sei. Dieser habe ihnen auf seine Bitten zwei Räume zur Verfügung gestellt. Es sei so nicht mehr weiter gegangen und sie hätten ausreisen müssen. Seine Kinder seien auf dem Schulweg tatsächlich beschimpft und aus der Schule verjagt worden. Seine in Deutschland lebenden etwa 200 Familienangehörigen hätten für ihn gesammelt und das Geld für ihre Ausreise aufgebracht. Als Christen hätten sie auch keine Chance gehabt, in Ankara oder Istanbul zu bleiben. Sie seien öfter beschimpft worden, dass sie wie die Amerikaner Christen seien und ein moslemisches Land besetzt halten würden. Es könne doch nicht sein, dass von seiner Familie alle Personen hier Schutz gefunden hätten, nur seiner (Kern-)Familie keinen Schutz gewährt werde. Ihm sei der Tod lieber als eine Rückkehr in die Türkei.
Die Klägerin zu 2) erklärte bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 7. Juni 2005: Sie habe keine Schule besucht und als Hausfrau gearbeitet. Nach 13 Jahren Aufenthalt in Deutschland hätten sie das Pech gehabt, in die Türkei abgeschoben zu werden. Nach der Ankunft in O. seien sie für 24 Stunden auf einer Polizeistation festgehalten worden. Man habe ihnen noch nicht einmal gestattet, dass das Kind die Toilette aufsuchen könne. Nach 24 Stunden seien sie dann freigelassen worden. Weder sie - die Kläger - noch ihre Kinder hätten in diesem Land Probleme gemacht. Als sie in das Dorf gekommen seien, hätten sie festgestellt, dass sämtliche Häuser zerstört gewesen seien. 5 Dorfschützerfamilien hätten sich außerhalb des Dorfes Häuser gebaut. Von den Dorfschützern seien sie 8 Tage in einem Raum festgehalten worden. Man habe sie ständig bedroht. Eine Person, die sie gekannt hätten, hätten sie um Hilfe gebeten, mit deren Hilfe habe man sie freigelassen. Jener Mann habe ihnen auch geraten, Umwege zu wählen, zumal sie auf den normalen Wegen umgebracht würden. Aus dem in K. gemieteten Haus seien sie rausgeschmissen worden, nachdem der Eigner festgestellt habe, dass sie Christen seien. Die Kinder seien von anderen Kindern geschüttelt und beschimpft worden, weil sie Christen seien. Sie hätten dann in einer Kirche Zuflucht gesucht und sich dem Pastor offenbart. Sie hätten die Kinder in der Schule anmelden wollen. Man habe ihre Kinder aber nicht angenommen. Weil die Kinder kein Türkisch sprechen würden, sollten sie in Deutschland zu Schule gehen. Weil ihre Tochter ein Kreuz um den Hals getragen habe, sei sie - die Tochter - von vielen Menschen geschlagen worden, so dass sie beinahe daran verstorben wäre. Ihre Tochter sei darüber ganz traurig gewesen und habe sich am Ende sogar das Leben nehmen wollen. Sie hätten dort nicht länger leben können und seien dann nach Ankara und über Istanbul nach Deutschland gefahren. Im Falle ihrer Rückkehr befürchte sie, umgebracht zu werden. Sie hätten dort keine Verwandten und Bezugspersonen, während in Europa 200 Personen der Familie als Asylberechtigte lebten.
Mit Bescheid vom 14. November 2005 lehnte das Bundesamt die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenhG nicht vorliegen. Zugleich wies es darauf hin, dass es einer erneuten Abschiebungsandrohung nicht bedürfe. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 3 VwVfG seien nicht erfüllt, zumal Christen in der Türkei nach der gegenwärtigen Erkenntnislage hinreichend sicher vor Verfolgung durch Andersgläubige seien. Dies zeige sich an Interventionen des türkischen Staats zu Gunsten von Christen und verschiedenen Rückkehrprojekten von Christen.
Die Kläger haben am 30. November 2005 Klage erhoben und um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Das erkennende Gericht hat durch Beschluss vom 9. Dezember 2005 (5 B 5369/05) die Ausländerbehörde des Landkreises Leer im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, aufenthaltsbeendende Maßnahmen auf der Grundlage der bestehenden Abschiebungsandrohung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage zu unterlassen.
Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger ergänzend vor: Wegen ihres christlichen Glaubens seien sie bei einer Rückkehr in die Türkei der Verfolgung durch Andersgläubige ausgesetzt und in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet. Die Lage der Christen in der Türkei sei nach wie vor von ständigen Bedrohungen geprägt. Die Verschiebung des für November 2006 geplanten Papst-Besuchs in der Türkei durch die türkische Regierung belege das schwierige Verhältnis der Religionsgemeinschaften und die fehlende Schutzwilligkeit des türkischen Staates (vgl. FR vom 26. Oktober 2006). Die christlichen Kirchen seien in der Türkei praktisch rechtlos und existierten juristisch eigentlich gar nicht (FR v. 26. Oktober 2006). Sie hätten keinen gesicherten Status und könnten offiziell kein Geld einnehmen und nutzen, kein Eigentum erwerben oder veräußern und kein Personal anstellen oder ausbilden (Rechtsanwalt P., Reisebericht vom 17. Oktober 2006; Q., Menschrechtsbeauftragter des katholischen Missionswerks Missio, in Zeitschrift Kontinente Nr. 2/06, Metropolit Meliton, orthodoxer Geistlicher aus Istanbul, in Publik-Forum Nr. 22/2006; SZ vom 23. Dezember 2006 zur Lage der Christen in der Türkei). Die EU-Kommission sehe die christlichen Gemeinden in der Türkei praktisch als rechtlos und damit „in ihrer Existenz bedroht“ an (FR vom 8. Februar 2006). Auch in dem jüngsten Bericht des US-Außenministeriums werde eine Verschlechterung der Situation festgestellt (vgl. FR vom 8. Februar 2006). Die staatliche türkische Religionsbehörde Diyanet habe eine öffentliche Kampagne gegen christliche Missionstätigkeit gestartet. Fälle von Drohungen und Vandalismus gegen Christen und kirchliche Einrichtungen häuften sich: Am 5. Februar 2006 sei der italienische Geistliche Andrea Santoro in der Schwarzmeer-Stadt R. von einem 16-jährigen Schüler erschossen worden (FR vom 8. Februar und 18. Mai 2006). Im westtürkischen Izmir sei ein katholischer Geistlicher von einer Gruppe Jugendlicher geschlagen und mit dem Tod bedroht worden (Süddeutsche Zeitung - SZ - vom 11. Februar 2006). Am 2. Juli 2006 sei der französische Geistliche S. in der Schwarzmeer-Stadt T. von einem 47-jährigen Türken aus offenbar religiösen Motiven durch Messerstiche an der Hüfte verletzt worden (FR vom 4. Juli 2006). Am 18. April 2007 seien aus religiösen Motiven drei Menschen des christlichen Verlagshauses U. in der ost-türkischen Stadt V. brutal getötet worden (SZ vom 19. April 2007; FR vom 20. April 2007). Das Herstellen von Bibeln, anderer christlicher Literatur und Kreuzen werde von türkischen Extremisten als verbotene Missionarstätigkeit und damit als Versuch zur Unterwanderung der Einheit des Landes angesehen. Erst recht seien einfache und mittellose Angehörige der Christengemeinschaft gefährdet. Ihr zwischenzeitlicher Aufenthalt in der Türkei sei nur mit Unterstützung der katholischen Kirche und des Paters M. möglich gewesen. Ihre Angehörigen im Verband der Kern- und Großfamilie könnten sie dort nicht auf Dauer unterstützen, zumal auch der Lebensunterhalt eines Teils ihrer zu Ausbildungszwecken weiter im Bundesgebiet geduldeter Kinder finanziert werden müsse. Vor diesem Hintergrund könnten sie - die Kläger - bei einer Rückkehr in die Türkei nicht existieren (Beweis: einzuholende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. W., zu laden über Missio e. V, Goethe Str. 43, 52064 Aachen). Das Gutachten der X. GmbH - TTC - vom 26. April 2007 - blende diesen Hintergrund aus, was die Einschätzungen zur (fehlenden) Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Kläger entwerte. Demgegenüber seien die mehrfach geschilderten Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt, ihre Existenzgefährdung sowie die Drangsalierungen in der Schule glaubhaft.
Auch wegen der psychischen Beschwerden sei eine Rückkehr in die Türkei unzumutbar. Das Gutachten der TTC vom 26. April 2007 bestätige zwar nicht die von dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Y. unter dem 1. Dezember 2005 jeweils attestierte posttraumatischen Belastungsstörung - PTBS -, belege aber für den Kläger zu 1) die behandlungsbedürftige Erkrankung Angst und depressive Störung (ICD-10: F 41.2) und für die Klägerin zu 2) die behandlungsbedürftige Krankheit leichte Angst und depressive Störung, gemischt (ICD - 10: F 41.2) mit Somatisierungsneigung. Weitere Beschwerden der Klägerin zu 2) seien fachärztlich bescheinigt (ärztliche Bescheinigung von Z. vom 13 Juni 2006 und des Arztes für Neurologie AA., undatiert). Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände seien sie nicht in der Lage, in ihrem Heimatland eine angemessene Behandlung zu erlangen. Ihre psychischen Beschwerden stellten sie im Übrigen in besonderer Weise als Opfer der Übergriffe Andersgläubiger dar.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. November 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass in ihrer Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind,
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG für sie bestehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt unter Hinweis auf das eingeholte Gutachten der TTC vom 26. April 2007 den angefochtenen Bescheid.
Mit Beschluss vom 29. August 2006 hat das Gericht durch Einholung eines Sachverständigengutachtens der TTC Beweis darüber erhoben, unter welcher psychischen Erkrankung die Kläger leiden und welche gesundheitliche Folgen eine Rückkehr in die Türkei für sie hätte, insbesondere ob im Falle einer posttraumatischen Belastungsstörung mit einer Retraumatisierung zu rechnen wäre. Auf das daraufhin erstatte Gutachten der TTC, Dipl.-Psychologen AB. und AC., vom 26. April 2007 wird Bezug genommen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakten 5 A 5371/05 und 5 B 5369 und 5372/05, der Ausländerakten des Landkreises Leer sowie der vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Weiter wird verweisen auf Auskünfte, Gutachten, Stellungnahmen und Presseberichte, die auf Bl. 236 ff bzw. 247 ff der Gerichtsakte aufgeführt und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Es ist zwar in Betracht zu ziehen, dass Wiederaufgreifensgründe nach § 71 Abs. 1 AsylVfG, § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG gegeben sind. Selbst wenn jedoch die Durchführung eines neuen Asylverfahrens durch das Bundesamt erforderlich gewesen sein sollte - das Gericht kann diese Frage letztlich offen lassen - führt dies allein noch nicht zu einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Vielmehr hat das Gericht in einem solchen Fall selbst über die Frage zu entscheiden, ob den Klägern im Ergebnis der begehrte Verfolgungsschutz oder Abschiebungsverbote zustehen oder nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 177 ff.).
Die vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung gebotene gerichtliche Prüfung ergibt, dass den Klägern bei einer Rückkehr in die Türkei keine politische Verfolgung droht. Sie haben im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) keinen Anspruch auf Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen. Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG gegeben sind.
Den Klägern droht im Falle einer Rückkehr in die Türkei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylerhebliche Beeinträchtigung oder Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG durch nichtstaatliche Akteure (etwa radikale Muslime).
Nach ihrer Rückkehr in die Türkei Ende Juli 2003 bis zu ihrer erneuten Einreise in das Bundesgebiet Anfang April 2005 waren die Kläger keiner landesweiten Verfolgung ausgesetzt.
Von einer individuellen Verfolgungssituation im genannten Zeitraum ist nicht auszugehen. Nach (kurzer) Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung hält der Einzelrichter entsprechend den überzeugenden Ausführungen in dem Gutachten der TTC vom 26. April 2007 für unglaubhaft, dass die Kläger bei ihrer Einreise im Juli 2003 für 24 Stunden auf dem Flughafen Istanbul festgehalten wurden, sich in ihr in der Provinz Siirt (Südosttürkei) gelegenes Heimatdorf begeben und dort 8 Tage von Dorfschützern festgehalten und misshandelt worden sind und anschließend in K. bedeutsame Schwierigkeiten wegen ihres christlichen (chaldäischen) Glaubens gehabt haben. Hinsichtlich des Aufenthalts in K. ist keines der zu unterschiedlichen Zeitpunkten und Gelegenheiten unterbreiteten Vorbringen glaubhaft, der Kläger zu 1) sei gezwungen worden, in die Moschee zu gehen, man habe ihn drei Mal auf dem AD. festgehalten und seine Ehefrau unter Hausarrest gestellt oder Muslime hätten mehrfach versucht, ihn wegen seines christlichen Glaubens umzubringen. Das entsprechende Vorbringen der Kläger ist nicht nur teilweise vage und unsubstantiiert, sondern massiv widersprüchlich, teilweise gesteigert und daher unglaubhaft. Dabei widersprechen die Kläger zu 1) und 2) in den mehrfachen Befragungen nicht nur sich selbst, sondern auch dem jeweils anderen. Der Einzelrichter verweist insoweit auf die sorgfältig herausgearbeiteten Ungereimtheiten in dem Gutachten der TTC vom 26. April 2007 (S. 153 ff. bzw. 170 ff.). Die Einschätzung wird dadurch bekräftigt, dass es entsprechend widersprüchliches Vorbringen auch zu dem Verfolgungsgeschehen vor der Ausreise im November 1990 gibt. Besonderes Gewicht hält das Gutachten diesbezüglich auch wegen der zusätzlichen fachkundigen Verhaltensbeobachtungen (S. 157 f. und 175 f. des Gutachtens). Die Ungereimtheiten lassen sich auch nicht mit dem geringen Bildungsgrad der Kläger plausibel erklären, zumal diese mehrfach nicht in der Lage gewesen sind, für sie überschaubare konkrete Handlungsabläufe mit einfachen Worten darzulegen oder zumindest anzumerken, dass ihnen die Versprachlichung bestimmter erlebter Phänomene schwer falle (vgl. S. 173 des Gutachtens). Entsprechend den weiteren angewandten Testverfahren schließt das Gutachten auch hinreichend plausibel aus, dass die Kläger infolge von Traumatisierungen oder anderen psychischen Belastungen darin eingeschränkt gewesen sein könnten, stimmige und widerspruchsfreie Darstellungen zu den angeblichen Erlebnissen zu schildern. Die vom Einzelrichter geteilte Glaubhaftigkeitsbewertung lässt sich auch nicht mit dem Einwand erschüttern, die schwierige Lage der christlichen Religionsgemeinschaft in der Türkei, wie sie sich aus neueren Pressemitteilungen und fachkundigen Stellungnahmen ergebe (vgl. Angaben im Tatbestand S. 3 und 5 f.) werde nicht hinreichend gewürdigt. Soweit sich die Kläger diesbezüglich auf Meldungen und Einschätzungen aus den Jahren 2006 und 2007 beziehen, verkennen sie bereits, dass diese für das vor ihrer Ausreise im April 2005 zu beurteilende Geschehen nicht von Bedeutung sind. Im Übrigen lässt sich mit dem Hinweis auf eine allgemein schwierige Situation für Christen in der Türkei nicht das aufgetretene Maß an Ungereimtheiten und Widersprüchen rechtfertigen, zumal die Kläger in jedem Fall in der Lage sein müssten, zu ihren persönlichen Erlebnissen in überschaubaren Lebensbereichen hinreichend stimmige Angaben zu machen.
Abgesehen von der fehlenden Glaubhaftigkeit des Vorbringens würde ein Teil des behaupteten Verfolgungsgeschehens unterhalb der Schwelle verfolgungsrelevanten Geschehens liegen. Selbst eine erlittene 24-stündige Festnahme auf dem Flughafen Istanbul würde sich als eine noch hinzunehmende Rückkehrerkontrolle angesichts langjährigen Auslandsaufenthalts darstellen. Eine Kündigung oder ein Rausschmiss durch den Wohnungsvermieter wegen des christlichen Glaubens der Kläger würde nicht die für die Zuerkennung von Verfolgungsschutz erhebliche Intensität erreichen. Entsprechendes gilt für mögliche Schwierigkeiten beim Verkauf von Waren als Straßenhändler. Auch die Teilnahmeverpflichtung am islamischen Religionsunterricht der Kinder der Kläger - auf die sich die Kläger ohnehin nicht selbst berufen können - läge unterhalb der Schwelle verfolgungsrelevanten Handelns (so bereits Nds. OVG, Urteil vom 15. Juni 1999 - 11 L 3456/94 -). Soweit in den Angaben der Kläger von einem (zunächst) versagten Schulbesuch der Kläger die Rede gewesen ist, kommt hinzu, dass offenbar mehr die fehlenden Türkisch-Kenntnisse der Grund gewesen sein dürfte als der christliche Glaube.
Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen wäre auch nicht glaubhaft, dass den Klägern entsprechende Beeinträchtigungen landesweit drohten. Trotz entsprechender Hinweise in früheren gerichtlichen Entscheidungen haben sie nicht ernsthaft versucht, in anderen Teilen der Westtürkei (etwa im großstädtischen Bereich Istanbuls) Fuß zu fassen. Mit der ihnen von den vielen Verwandten im Bundesgebiet gewährten wirtschaftlichen Unterstützung und Hilfe von in verschiedenen Landesteilen ansässiger christlicher Glaubensgemeinschaften dürfte dies auch wirtschaftlich nicht von vornherein unzumutbar sein. Angesichts der großen Anzahl von erwerbsfähigen Angehörigen im Verband der Kern- und Großfamilie der Kläger ist davon auszugehen, dass ihnen erforderlichenfalls - wie zwischen 2003 und 2005 - dauerhaft finanzielle Unterstützung gewährt wird, selbst wenn zusätzlich der Unterhalt weiterer zu Ausbildungszweck im Bundesgebiet geduldeter Kinder aufgebracht werden müsste.
Auf eine etwaige Gruppenverfolgung der Christen können sich die Kläger für den Zeitpunkt ihrer Ausreise nicht berufen. Denn nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (Nds. OVG, Urteil vom 15. Juni 1999 - 11 L 3456/94 - betr. die Kläger unter Hinweis auf OVG NW, Urteil vom 28. September 1994 - 2 A 1411/91.A - V.n.b.) - der sich der Einzelrichter anschließt - unterlagen Christen in und um K. in den 90er Jahren weder unmittelbar noch mittelbar einer staatlichen gruppengerichteten Verfolgung. Der seinerzeitigen Erkenntnislage (vgl. Urteil des Nds. OVG, a.a.O., S. 13 f.) ließen sich keine hinreichenden Hinweise auf Verfolgungshandlungen von Andersgläubigen entnehmen. Es ist weder von den Klägern dargetan noch sonst ersichtlich, dass sich an dieser Einschätzung Wesentliches für die Zeit von Juli 2003 bis April 2005 und die Region bedeutsam etwas geändert hat. Eine mittelbare Gruppenverfolgung der (syrisch-orthodoxen) Christen hatte das Nds. OVG nur für den Zeitraum ab Frühjahr 1993 - und ab 1998 eingeschränkt als sog. „örtlich begrenzte“ Verfolgung - bis Ende 2001 lediglich für Christen im Südosten der Türkei (insbesondere im AE.) anerkannt. Darauf konnten sich die Kläger in ihrem Asylerstverfahren allerdings nicht berufen, weil zum Zeitpunkt ihrer ersten Ausreise 1990 nach der Rechtsprechung eine Gruppenverfolgung der Christen im Südosten der Türkei noch nicht stattfand und sie sich bei der Beurteilung ihrer Rückkehrgefährdung im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung 1999 wegen des etwa 1986 selbst gewählten Wohnsitzes in K. (Südwest-Türkei) nicht auf die örtlich begrenzte Gruppenverfolgung in der Osttürkei berufen konnte. Wegen zwischenzeitlicher Verbesserung der Lage in der Türkei und anhaltender Reformbestrebungen unterliegen selbst (syrisch-orthodoxe) Christen aus den ländlichen Gebieten im Südosten der Türkei ab Dezember 2001 keiner örtlich begrenzten mittelbaren Gruppenverfolgung mehr (Nds. OVG, Urteil vom 21. Juni 2005 - 11 LB 256/02 -; VGH BW, Urteile vom 27. Oktober 2005 - A 12 S 919/05 - und - A 12 S 603/05 -; Hess. VGH, Urteil vom 22. Februar 2006 - 6 EU 2268/04.A -; VG Stuttgart, Urteil vom 06. Dezember 2006 - A 17 K 1611/06 -). Insoweit fehlt es sowohl an einer hinreichenden Verfolgungsdichte als auch an einer Zurechenbarkeit der nur noch vereinzelt stattfindenden Übergriffe gegenüber dem türkischen Staat. Demgemäß unterlagen die Kläger nach ihrer Rückkehr in die Türkei im Juli 2003 selbst dann keiner Gruppenverfolgung wegen ihres christlichen Glaubens, wenn entgegen der oben stehenden Annahme für glaubhaft erachtet würde, dass sie sich in ihr bereits 1986 zerstörtes Heimatdorf in der Provinz J. begeben hätten sowie ihren dauerhaften Wohnsitz dort nehmen wollten. Unter Auswertung der bis zu den Entscheidungszeitpunkten der Gerichte 2005/2006 bekannt gewordenen Erkenntnismittel geht die obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. oben) mittlerweile einheitlich davon aus, dass Christen in der Türkei weder eine unmittelbar noch eine mittelbare oder mittelbare örtlich begrenzte Gruppenverfolgung droht. Nach übereinstimmender Beurteilung ist die individuelle Glaubensfreiheit in der Türkei faktisch weitestgehend gewährleistet. Obwohl bezüglich der Verwirklichung der Rechte der religiösen Minderheiten als Gruppe noch Defizite bestehen, hat der mit Blick auf die Europäische Union begonnene Reformprozess auch vor diesem Bereich nicht Halt gemacht und zu ersten kleinen Fortschritten geführt. Der türkische Staat ist bezüglich gewalttätiger Übergriffe privater Dritter schutzfähig und auch -willig. Das religiöse Existenzminimum von Christen ist in der Türkei nicht gefährdet (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 21. Juni 2005, a.a.O.; VGH BW, Urteile vom 27. Oktober 2005, a.a.O.; Hess. VGH, Urteil vom 22. Februar 2006, a.a.O.). Zwar bezieht sich diese Rechtsprechung auf syrisch-orthodoxe bzw. armenisch-orthodoxe Christen. Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass hinsichtlich Christen anderer Richtungen etwas anderes gilt, zumal die nur für religionswissenschaftlich gebildete Personen deutlichen Unterschiede in der türkischen Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden.
Ebenso fehlen glaubhafte Anhaltspunkte für eine Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit für die Zeit vor der Ausreise der Kläger im April 2005.
Nachfluchtgründe liegen nicht vor.
Auf subjektive Nachfluchtgründe (etwa exilpolitische Betätigungen) haben sich die Kläger nicht berufen.
Objektive Nachfluchtgründe liegen ebenfalls nicht vor, da sich die Kläger auch unter Berücksichtigung der Auswirkungen der sog. EU-Qualifikationsrichtlinie (ABl. EU L 304 vom 30. April 2004, S. 12 ff) und neuerer Erkenntnismittel nicht auf eine mittelbare Gruppenverfolgung in der Türkei berufen können. Auch wenn der Fokus der beachtlichen Verfolgungsschläge wegen gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben weiter gefasst wird, fehlt es nach wie vor sowohl an einer hinreichenden Verfolgungsdichte als auch an einer Zurechenbarkeit der (immer noch) vereinzelt stattfindenden Übergriffe gegenüber dem türkischen Staat. Dies gilt in erster Linie für den Südwesten (in und um den seit etwa 1986 von den Klägern gewählten Aufenthaltsort K.), aber auch für die übrigen Landesteile.
Über den insoweit geltend gemachten objektiven Nachfluchtgrund konnte entschieden werden, ohne dass es der in der mündlichen Verhandlung beantragten Beweiserhebung zur Frage der Rückkehrgefährdung der Kläger als chaldäische Christen unter Berücksichtigung bei ihnen bestehender Besonderheiten (insbesondere langer Aufenthalt in Deutschland, schlechte wirtschaftliche Situation, Alter und Gesundheitsbeeinträchtigungen) bedurfte. Die Beurteilung der Rückkehrgefährdung im Einzelfall ist eine Rechtsfrage, die zu beantworten dem zuständigen Richter obliegt. Hinsichtlich der hierfür erforderlichen Tatsachenkenntnisse kann dieser sich zwar bei Bedarf sachkundiger Hilfe bedienen. Dies war hier jedoch nicht der Fall. Hinsichtlich des gestellten Beweisantrags übt das Gericht das ihm zustehende Ermessen (§§ 98 VwGO, 404, 412 ZPO) dahingehend aus, dass ein zusätzlicher Beweis in Gestalt einer gutachterlichen Stellungnahme von Dr. W. zur Gefährdung der Kläger als chaldäische Christen in der Türkei durch den türkischen Staat und radikale Andersgläubige nicht zu erheben ist. Der Einzelrichter ist aufgrund der in das Verfahren eingeführten - und vom Kläger bezeichneten - Erkenntnismittel hinreichend sachkundig (beraten). Weder für die Festlegung des - obergerichtlich ausreichend geklärten - Maßstabs für die Beurteilung der Gruppenverfolgung noch etwa für die Feststellung bestimmter Verfolgungsschläge oder die hier vorzunehmende Einzelfallbeurteilung ergibt sich noch ein besonderer oder weitergehender Klärungsbedarf.
Religiöse oder religiös motivierte Verfolgung ist allgemeiner Ansicht nach asylrelevante Verfolgung, wenn sie nach Art und Schwere geeignet ist, die Menschenwürde zu verlet-zen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 u.a. - BVerfGE 54, 341, 357; Urteil vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 478, 962/86 - BVerfGE 76, 143, 158). Art. 16a GG und mithin § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG schützen daher nach dieser Rechtsprechung jedenfalls vor Verfolgung im privaten Bereich und damit zumindest das „religiöse Existenzminimum“. Dieses ist u.a. berührt, wenn dem Betroffenen seine religiöse Identität geraubt wird, indem ihm etwa unter Androhung von Strafen für Leib, Leben oder persönliche Freiheit eine Verleugnung oder gar Preisgabe tragender Inhalte seiner Glaubensüberzeugung zugemutet oder er daran gehindert wird, seinen eigenen Glauben, so wie er ihn versteht, im privaten Bereich und zusammen mit anderen Gläubigen zu bekennen. Steht nicht die Gruppe der Gläubigen im Blickfeld der Verfolger, ist zudem zu fordern, dass die Verfolgung am Herkunftsort die „religiös personale“ Identität des Betroffenen betrifft (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Juli 1987, a.a.O, 159 f.).
Religiös motivierte Verfolgung ist ferner anzunehmen bei Verfolgungshandlungen im Sin-ne von Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2004/83/EG des Rats vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehöri-gen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sog. Qualifikationsrichtlinie), die seit Ablauf der Umsetzungsfrist bis zum 10. Oktober 2006 unmittelbar gilt.
Zwecks Erreichung einer einheitlichen Asylpolitik dehnt Art. 10 Abs. 1 lit. b der Qualifikationsrichtlinie den Schutz vor Verfolgung wegen Religionszugehörigkeit auf solche Maßnahmen aus, die sich nicht auf den privaten Bereich beschränken, sondern an die öffentliche Glaubensbetätigung anknüpfen (ebenso Nds. OVG, Urteil vom 19. März 2007 - 9 LB 373/06 - Asylmagazin 6/2007, S.10 ff; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juni 2006 - A 2 S 571/05 - sowie VG Karlsruhe, Urteil vom 19. Oktober 2006 - A 6 K 10335/04 - Asylmagazin 11/2006, S. 23 f.). Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen, dass der Begriff der Religion die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, ebenso umfasst wie sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Über den auf der nationalen Ebene der Bundesrepublik Deutschland lediglich gewährten Schutz des sog. religiösen Existenzminimums deutlich hinausgehend, schützt Art. 10 Abs. 1 Satz 1 lit. b der Qualifikationsrichtlinie die religiöse Identität des Einzelnen nunmehr umfassend. Auch das im öffentlichen Bereich sei es durch die Vornahme bestimmter religiöser Riten, sei es durch die Kundgabe einer bloßen religiösen Meinungsäußerung erfolgte Bekenntnis zu einem bestimmten Glauben steht unter dem Schutz vor politischer Verfolgung. Der Betroffene kann im Gegensatz zur früheren Rechtslage in Deutschland nicht mehr darauf verwiesen werden, seinen Glauben bzw. die nach seinem Glauben wesentlichsten Riten allein im Rahmen seiner Privatsphäre zu verrichten. Unter den Begriff der Ausübung religiöser Riten im öffentlichen Bereich fällt insbesondere die ungehinderte Teilnahme an öffentlichen bzw. öffentlich zugänglichen Gottesdiensten in Gotteshäusern, aber auch unter freiem Himmel, wie sie etwa für die christliche Religion allgemein üblich und vorgesehen ist. Die Qualifikationsrichtlinie lehnt sich insoweit an Art. 9 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - an, wonach die jedermann zustehende Religionsfreiheit insbesondere die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion sowie die Freiheit, seine Religion einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht sowie durch die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben, umfasst. Eine Beschränkung des Schutzes auf die Religionsausübung im privaten oder nachbarschaftlichen Rahmen ist auch danach nicht vorgesehen (wie hier VG Karlsruhe, a.a.O.).
Allerdings ist nicht jede Diskriminierung in dem so verstandenen religiösen Schutzbereich zugleich auch Verfolgung wegen der Religion. Sie muss vielmehr das Maß überschreiten, das lediglich zu einer durch die Diskriminierung eintretenden Bevorzugung anderer führt, und sich damit als ernsthafter Eingriff in die Religionsfreiheit darstellen (dazu Marx, AsylVfG, 6. Aufl., § 1 Rdnr. 212 m.w.N.). Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die auf die - häuslich-private oder öffentliche - Religionsausübung gerichtete Maßnahme zugleich mit Gefahr für Leib und Leben verbunden ist oder zu einer Ausgrenzung führt (vgl. dazu Marx, a.a.O Rdnr. 208 f. m.w.N.).
Bei Anwendung dieser Maßstäbe kann nicht angenommen werden, (chaldäische) Christen in der Türkei (oder nur örtlich begrenzt im Südwesten um K.) würden in ihrer Religionsausübung unzumutbar beeinträchtigt. Dass das religiöse Existenzminimum im privaten Bereich durch radikale Muslime nachhaltig beeinträchtigt sei, behaupten die Kläger selbst nicht. Die von ihnen geltend gemachten Störungen bei der öffentlichen Religionsausübung unter Hinweis auf neuere Erkenntnismittel (vgl. Angaben im Tatbestand S. 3 und 5 f.) bleiben im Verhältnis zu der Gesamtzahl der Christen in der Türkei (etwa 100.000 bis 110.000, vgl. Lagebericht des AA vom 11. Januar 2007, S. 24) vereinzelt, so dass sich nicht annehmen lässt, jeder Christ werde selbst alsbald Opfer einer solchen Verfolgungsmaßnahme. Außerdem fehlt es an belastbaren Hinweisen für die Annahme, der türkische Staat sei nunmehr nicht mehr fähig oder in der Lage, den Betroffenen Schutz vor Übergriffen Andersgläubiger zu gewähren.
Ein schwieriges Verhältnis der Religionsgemeinschaften und die fehlende Schutzwilligkeit des türkischen Staates lässt sich nicht mit Hinweis auf eine geplante Verschiebung des Papst-Besuchs in der Türkei durch die türkische Regierung belegen. Denn der Papst hat die Türkei in der Zeit von 28. November - 1. Dezember 2006 besucht, sich u.a. mit Ministerpräsident AF., dem Leiter des türkischen Amtes für religiöse Angelegenheiten AG. sowie dem orthodoxen Patriarchen von Istanbul AH. getroffen und sich um eine Versöhnung von Christen und Muslimen bemüht (vgl. www.br-online.de/papst/-tuerkei-reise/auftakt.xml). Die angekündigten Massenproteste blieben aus.
Die Beanstandungen im EU-Fortschrittsbericht vom 8. November 2006 zur Religionsfreiheit (zit. im Lagebericht AA vom 11. Januar 2007, S. 25) unterscheiden sich nicht nachhaltig zu denjenigen in Vorläuferberichten, die in der zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung Berücksichtigung fanden. Zusammenfassend wird dort festgestellt, „dass die freie Religionsausübung in der Regel auch weiterhin gewährleistet ist. Die Schwierigkeiten, mit den nicht-muslimische Glaubensgemeinschaften in der Türkei konfrontiert sind, bestehen jedoch unverändert fort.“ Gemeint sind damit mögliche Diskriminierungen durch die Angabe der Religionszugehörigkeit in personenbezogenen Papieren, fehlende Rechtspersönlichkeit von nicht-muslimischen Glaubensgemeinschaften, deren eingeschränkte Eigentumsrechte, Beschränkungen bei der Ausbildung von nicht-türkischen Geistlichen und ihrer Tätigkeit, Anfeindungen gegen Missionstätigkeiten in Predigten und Veröffentlichungen des Amtes für religiöse Angelegenheiten und lokaler religiöser Instanzen sowie Angriffe auf Geistliche und Gebetsstätten sowie christliche Verlage durch radikale Angehörige nicht-muslimischer Glaubensgemeinschaften.
Nach wie vor rechtfertigen allein die rechtlichen und administrativen Hemmnisse (insbesondere für die Gemeinschaften als solche) nicht die Bejahung einer politischen Verfolgung, da sie die Glaubensbetätigung der einzelnen Mitglieder der Glaubensgemeinschaft auch in dem nunmehr nach der EU-Qualifikationsrichtlinie weiteren Schutzbereich nicht mit der erforderlichen Intensität verletzen. Denn übereinstimmend wird in den Erkenntnismitteln jedenfalls die faktische Religionsausübung als möglich angesehen, wenngleich Status- und Eigentumsfragen weiterhin weitgehend ungelöst sind und sich gesetzgeberische oder gerichtliche Hilfe schleppend gestaltet. Immerhin hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - EGMR - im Januar 2007 mit einem Urteil die Eigentumsrechte nichtmuslimischer Minderheiten in der Türkei gestärkt, indem er die staatliche Beschlagnahme einer kirchlichen Immobilie beanstandet und die Türkei zu einer Entschädigungszahlung verurteilt hat (vgl. SZ vom 11. Januar 2007; Okolisan, Reisebericht vom 17. Oktober 2006, S. 3). Ungeachtet dessen lässt sich den von den Klägern bezeichneten Erkenntnismitteln nicht entnehmen, dass trotz der Hemmnisse und Einschränkungen das Abhalten von Gottesdiensten und Andachten sowie die geistige Betreuung der Glaubensgemeinde in einer beachtlichen Anzahl von Fällen nicht mehr möglich ist. Im konkreten Fall sind die Kläger - glaubt man insoweit ihren Angaben und der vorgelegten Bescheinigung des Pater M., der sie bereits vor ihrer ersten Ausreise 1990 betreut hatte (vgl. seinerzeit vorgelegte religiöse Bescheinigungen) - über längere Zeiträume von der katholischen Kirchengemeinde in K. sächlich und auch glaubensmäßig unterstützt worden. Von Einschränkungen und Übergriffen gerade auf die Kläger ist in der Bescheinigung des Pater AI. nicht die Rede. Dass Pater AJ.- wie in der mündlichen Verhandlung vom Bevollmächtigen der Kläger behauptet - nur aus Angst vor Anfeindungen davon abgesehen hat, hierüber zu berichten, hält der Einzelrichter für sehr fraglich.
Den unterbreiteten Erkenntnismitteln lassen sich in jüngerer Zeit folgende schwerwiegende Übergriffe auf Christen entnehmen: Am 5. Februar 2006 wurde der italienische Geistliche AK. AL. in der Schwarzmeer-Stadt R. von einem 16-jährigen Schüler erschossen (FR vom 8. Februar und 18. Mai 2006; vgl. Lagebericht des AA vom 11. Januar 2007, S. 25). Im westtürkischen Izmir wurde ein katholischer Geistlicher von einer Gruppe Jugendlicher geschlagen und mit dem Tod bedroht (Süddeutsche Zeitung - SZ - vom 11. Februar 2006). Am 2. Juli 2006 wurde der französische Geistliche AM. AN. in der Schwarzmeer-Stadt T. von einem 47-jährigen Türken aus offenbar religiösen Motiven durch Messerstiche an der Hüfte verletzt (FR vom 4. Juli 2006). Am 18. April 2007 wurden drei Menschen des christlichen Verlagshauses U. in der ost-türkischen Stadt V. offenbar im Zusammenhang mit religiösen Motiven brutal getötet (SZ vom 19. April 2007; FR vom 20. April 2007). Diese Übergriffe konzentrieren sich nicht auf eine bestimmtes Gebiet, allerdings sind weder Mersin noch Istanbul in der Westtürkei betroffen gewesen. Die Ermordung Santoros wurde von der türkischen Regierung scharf verurteilt und die Tat wurde vom Strafgericht hart geahndet (vgl. Lagebericht des AA vom 11. Januar 2007, S. 25 laut EU-Fortschrittsbericht). Hinsichtlich der übrigen Übergriffe spricht nichts dagegen, dass dort ebenfalls Verfahren gegen mutmaßliche Täter eingeleitet wurden und ernsthaft betrieben werden. Soweit es daneben im Südosten des Landes in den letzten zwei bis drei Jahren zu - ebenfalls vereinzelten - Übergriffen von Muslimen auf (syrisch-orthodoxe) Christen gekommen ist, waren die Streitigkeiten nach der Erkenntnislage von Auseinandersetzungen um Eigentum und Weiderechte überlagert, so dass keineswegs evident die Religionszugehörigkeit im Vordergrund stand. Hinweise auf schwerwiegende Übergriffe gegenüber christlichen Schülern sind ebenfalls vereinzelt. Soweit nicht die staatlich anerkannten christlichen Minderheiten eigene Schulen betreiben, müssen christliche Schüler staatliche Schulen besuchen. Christlichen Religionsunterricht erhalten sie dort nicht. Allerdings können sie nach einem Erlass des Erziehungsministeriums nicht zur Teilnahme am islamischen Religionsunterricht gezwungen werden. Aus einem Dorf im Südosten der Türkei wird berichtet, dass christliche Schülerinnen aus Angst vor strenggläubigen Muslimen im Nachbardorf nicht zur 6. Klasse der dortigen weiterführenden Schule geschickt werden (Okolisan, Reisebericht vom 17. Oktober 2006, S. 6). Die Veröffentlichung von religiösen Schriften, die öffentliche Verbreitung von Religion und die Missionierung in der Türkei sind zwar nicht strafbar, entsprechende Aktivitäten schüren aber die Ängste und Vorbehalte in großen Teilen der islamischen Mehrheitsbevölkerung. Die staatliche türkische Religionsbehörde Diyanet hat ihre öffentliche Kampagne gegen christliche Missionstätigkeit aus dem Jahr 2005 nicht wiederholt oder fortgesetzt (vgl. U.S. Department of State, Bureau of Democracy, Human Rights and Labor [Hrsg.], 2006 Country Report an Human Rights Practices in Turkey, März 2007, http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2006/78844.htm).
Auch wenn sich nur wenige und kleine Fortschritte im Zusammenleben der christlichen Minderheit mit der islamischen Mehrheitsbevölkerung feststellen lassen, gibt es nach aktueller Erkenntnislage keine ernsthaften Zweifel an dem Fortbestand der grundsätzlichen Schutzwilligkeit und -fähigkeit des türkischen Staats. Es ist nicht ersichtlich, dass die begonnenen Reformbestrebungen im Zusammenhang mit den EU-Beitrittsverhandlungen beendet wurden oder dauerhaft nachgelassen hätten. Mit Blick auf die gegenwärtigen innenpolitischen Verhältnisse und die anstehenden Parlamentswahlen erscheint vielmehr evident, dass zurzeit von der Regierung und den politischen Kräften eine Verbesserung der Lage der christlichen Minderheiten gerade nicht verstärkt gefordert und betrieben wird (vgl. auch Okolisan, Reisebericht vom 17. Oktober 2006, S. 5). Eine negative Tendenz lässt sich daher aus der gegenwärtigen Stagnation nicht ableiten.
Da die Kläger mithin unverfolgt ausgereist sind und sich auch nicht auf einen objektiven Nachfluchtgrund berufen können, sind für die Frage, ob eine Rückkehr in die Türkei zumutbar ist, nicht die Kriterien einer inländischen Fluchtalternative (herabgesenkter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, zusätzliche Prüfung insbesondere der wirtschaftlichen Existenzmöglichkeit) anzulegen. Für die Zumutbarkeit der Rückkehr ist vielmehr lediglich zu prüfen, ob die Kläger in irgendwelchen Gebieten der Türkei ohne die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung leben können. Dies ist ebenso wie im Entscheidungszeitpunkt des Nds. OVG 1999 (Urteil vom 15. Juni 1999 - 11 L 3456/94 - S. 14) zu bejahen. In K. könnten die Kläger ohne die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung leben. Darüber hinaus könnten sie sich auch im Westen der Türkei, insbesondere in Istanbul ohne die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung niederlassen. Dabei wird nicht verkannt, dass Christen im Westen auf der Verwaltungsebene weiterhin Repressalien - die allerdings nicht die für die Zuerkennung von Verfolgungsschutz erhebliche Intensität erreichen - ausgesetzt sind. Da die Kläger unverfolgt ausgereist sind, sich auch nicht auf einen objektiven Nachfluchtgrund berufen können, stellt sich die Frage einer wirtschaftlichen Existenzmöglichkeit hier schon nicht. Im Übrigen dürfte es den Klägern aus eigener Kraft, mit Hilfe ihrer mitreisenden erwerbsfähigen Kinder sowie mit der ihnen von den Verwandten im Bundesgebiet gewährten wirtschaftlichen Unterstützung und der Hilfe von in verschiedenen Landesteilen ansässigen christlichen Glaubensgemeinschaften möglich und zumutbar sein, ohne Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz zu leben. Angesichts der großen Anzahl von erwerbsfähigen Angehörigen im Verband der Kern- und Großfamilie der Kläger ist davon auszugehen, dass ihnen erforderlichenfalls - wie zwischen 2003 und 2005 - dauerhaft finanzielle Unterstützung gewährt wird, selbst wenn zusätzlich der Unterhalt weiterer zu Ausbildungszweck im Bundesgebiet geduldeter Kinder aufgebracht werden müsste.
Auch Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG liegen nicht vor.
Den obigen Ausführungen ist zu entnehmen, dass für die Kläger nicht die konkrete Gefahr besteht, der Folter unterworfen zu werden (§ 60 Abs. 2 AufenthG).
Ebenso wenig besteht die Gefahr der Todesstrafe (§ 60 Abs. 3 AufenthG), die in der Türkei durch das Reformpaket vom 3. August 2002 abgeschafft wurde.
Die Kläger können sich weiter nicht auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK berufen. Diese Bestimmungen verbieten die Abschiebung nur dann, wenn im Zielland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung landesweit droht, auf eine bestimmte Person zielt und vom Staat ausgeht oder von ihm zu verantworten ist (BVerwG, Urteil vom 2. September 1997 - 9 C 40.96 -, DVBl. 1998, 271). Dass die genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, ist den obigen Ausführungen ebenfalls zu entnehmen.
Gesichtspunkte, nach denen den Klägern in der Türkei erhebliche konkrete Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit drohen (§ 60 Abs. 7 AufenthG) sind gleichfalls nicht ersichtlich.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Ein solches zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich auch aus einer wesentlichen Verschlimmerung einer bereits vorhandenen Erkrankung des Ausländers alsbald nach der Rückkehr in seinen Heimatstaat ergeben. Dabei sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können, in die Beurteilung mit einzubeziehen. Dies bedeutet, dass eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht nur dann anzunehmen ist, wenn eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit im Herkunftsstaat generell nicht verfügbar ist, sondern auch dann, wenn dem betroffenen Ausländer die an sich vorhandene medizinische Behandlungsmöglichkeit aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2006 - 1 C 18.05 -, BVerwGE 127, 33 = DVBl. 2007, 254). Dazu gehört auch der Fall, dass die an sich gegebene Behandlungsmöglichkeit für ihn aus in der Erkrankung selbst liegenden Gründen - beispielsweise bei der Gefahr einer Retraumatisierung - nicht erfolgversprechend ist (vgl. Nds. OVG, Beschluss 26. Juni 2007 - 11 LB 398/05 - juris; Hess. VGH, Urteil vom 26. Februar 2007 - 4 UE 1125/05.A -, juris; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 9. Februar 2007 - 10 A 10952/06.OVG -; Schl.-H. OVG, Beschluss vom 28. September 2006 - 4 LB 6/06 -). Nach diesen Kriterien ist den Klägern Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht zu gewähren.
Nach dem überzeugenden Gutachtender TTC vom 26 April 2007 (S. 133 ff d. GA) liegt bei den Klägern weder eine posttraumatischen Belastungsstörung - PTBS - vor noch ergibt sich die Gefahr einer Retraumatisierung. Das Gutachten setzt sich in plausibler und nachvollziehbarer Weise mit der anderslautenden Einschätzung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. AO. -AP. vom 1. Dezember 2005 auseinander und widerlegt überzeugend die dortige Einschätzung. Auch durch die weiteren vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen wird die Aussagekraft des TCC-Gutachtens nicht beeinträchtigt. Allerdings leiden die Kläger unter der psychischen Erkrankung Angst und depressive Störung gemischt (ICD-10: F 41.2) (bei der Klägerin zu 2) mit Somatisierungsneigung). Diese Störung wird nicht zuletzt verursacht durch eine als massive Ungerechtigkeit empfundene „Benachteiligung“ bezüglich des Aufenthaltsstatus, was zu ausgeprägtem Neid führt (vgl. S. 134 d. GA). Im Falle einer Rückkehr in die Türkei würde sich sehr wahrscheinlich die derzeitige psychische Beschwerdesymptomatik verschlimmern (Zunahme der Angst vor etwaigen gewaltsamen Übergriffen, Verstärkung der depressiven Beschwerden angesichts einer erlebten Perspektivlosigkeit, Existenzängste). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt besteht keine akute Suizidalität. Etwaige suizidale Handlungen können allerdings im Rahmen einer Abschiebung als solcher noch nach etwaig erfolgter Abschiebung ausgeschlossen werden, wobei insoweit ein gewisser Schutz durch den christlichen Glauben und den Verband mit den Kindern zu sehen ist.
Diese attestierten psychischen Erkrankungen der Kläger lassen sich nach der Überzeugung des Einzelrichters in der Türkei hinreichend behandeln, so dass den Klägern im Falle ihrer Rückkehr keine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes droht. Die hierfür erforderliche medizinische Hilfe ist den Klägern auch im Hinblick auf Alter, berufliche Qualifikation und wirtschaftliche Verhältnisse sowie ihren gegenwärtigen Krankheitszustand zugänglich. In erster Linie können sie - wie auch zuvor in der Zeit von Juli 2003 bis April 2005 auf die wirtschaftliche Unterstützung ihres im Bundesgebiet oder im europäischen Ausland lebenden großfamiliären Verbandes zählen. Unabhängig davon gewährt auch das öffentliche und karitative Gesundheitssystem der Türkei hinreichende Hilfen bei der Erlangung landestypischer Behandlungen ihrer Beschwerden.
Das Gesundheitswesen der Türkei garantiert auch psychisch kranken Menschen den umfassenden Zugang zu Gesundheitsdiensten und Beratungsstellen. Die rein medikamentöse Versorgung von psychisch kranken Menschen - etwa nach einer Krankenhausbehandlung - gilt in der Türkei nicht zuletzt auch durch die so genannten Gesundheitszentren als gesichert, namentlich sind antipsychotische Medikamente und Antidepressiva erhältlich. Die Situation psychisch Kranker in der Türkei ist allerdings gekennzeichnet durch die Dominanz medikamentöser und krankenhausorientierter Betreuung bei gleichzeitigem Fehlen differenzierter ambulanter (Tageskliniken und/oder -stätten) und komplementärer Versorgungs- und Therapieangebote (z.B. Beratungsstellen, Kontaktbüros, betreutes Wohnen etc.). Dahinter steht u.a. die Annahme, dass der Patient in der Familie die bessere Pflege erhalte. Es sind dementsprechend vorwiegend staatliche Krankenhäuser in Provinzstädten, Universitätskliniken und Hospitäler der sozialen Versicherungsträger, in denen psychiatrische Abteilungen solche Patienten - ggf. auch ambulant - betreuen. Psychiatrische Kliniken des Gesundheitsministeriums und Einrichtungen der Sozialversicherungsanstalt SSK verfügen - unter Einbeziehung der psychiatrischen Stationen in allgemeinen Krankenhäusern aller öffentlichen türkischen Institutionen - inzwischen über mehr als 10.000 Betten für psychisch Kranke. Landesweit sind in 68 Städten 137 Krankenhäuser bevollmächtigt, Gesundheitszeugnisse über Behinderte und/oder psychisch kranke Menschen auszustellen. Darauf beschränkt ist - jedenfalls in den großen Städten - eine psychiatrische Behandlung in der Türkei im Allgemeinen auf demselben Niveau möglich wie in Deutschland. Im Osten des Landes, außerhalb der Städte und in Bezug auf mittellose Personen wird dagegen das in Deutschland bestehende Versorgungsniveau nicht erreicht. Die stationäre Verweildauer der Patienten in den Kliniken ist allerdings aufgrund der begrenzten Zahl sowohl der Psychiater als auch der verfügbaren Betten in der Regel auf drei Monate beschränkt. Weiterführende Therapien neben bzw. nach der stationären Behandlung werden aus fachlichen aber auch finanziellen Gründen im Allgemeinen nicht angeboten. Dauereinrichtungen für psychisch kranke Erwachsene gibt es nur in der Form sog. "Depot-Krankenhäuser". Diese sind eingerichtet für chronische Fälle, die keine familiäre Unterstützung haben oder eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen. Die Anzahl und Kapazität derartiger Einrichtungen ist gering. Der insgesamt schwierigen Situation für psychisch kranke Menschen versucht man nicht zuletzt deshalb ergänzend durch die Einrichtung von Selbsthilfeorganisationen zu begegnen. Diese Einrichtungen existieren oft über Verbindungen mit türkischen Institutionen im Ausland, die für Beratungszwecke Ärzte aus Deutschland, Frankreich und den USA in die Türkei vermitteln, um medizinischem Personal, Betreuungspersonal, Eltern und Lehrern Wege zum Umgang mit psychisch kranken Menschen aufzuzeigen.
Die Versorgung psychisch kranker Menschen im - für mittellose Flüchtlinge regelmäßig nicht in Betracht kommenden - Privatsektor ist im Übrigen vergleichsweise günstiger: In Istanbul wurden in den letzten Jahren mehrere moderne psychiatrische Krankenhäuser mit einem differenzierten Behandlungsangebot und ambulanter Betreuungsmöglichkeit eingerichtet. Privatpatienten ist auch die Beratung oder Behandlung bei einem der niedergelassenen Fachärzte oder der - zumeist im Ausland - umfassend ausgebildeten Psychologen, Psychiater, psychotherapeutisch tätigen Ärzten oder Neurologen möglich, deren Wirkungskreis sich allerdings fast ausschließlich auf die großen Städte Ankara, Istanbul, Izmir, Adana und Erzurum beschränkt.
Die in der Türkei mögliche Behandlung psychischer Erkrankungen umfasst sowohl medikamentöse als auch psychotherapeutische Therapien und wird sowohl durch staatliche Einrichtungen, insbesondere Krankenhäuser mit einer Abteilung für Psychiatrie, und niedergelassene Psychiater und Psychotherapeuten als auch durch verschiedene Selbsthilfeeinrichtungen und Stiftungen sichergestellt. Folteropfer und traumatisierte Personen können sich darüber hinaus einer medizinischen und psychologischen Behandlung durch Ärzte, Psychiater, Psychotherapeuten und Sozialarbeiter in den fünf Rehabilitationszentren der durch Mitglieder des Menschenrechtsvereins "Insan Haklari Dernegi" (IHD) und der Ärztekammer im Jahr 1990 gegründeten "Türkischen Menschenrechtsstiftung (Türkiye Insan Haklari Vakfi - TIHV)" in Ankara, Istanbul, Izmir, Adana und Diyarbakir unterziehen. Die Behandlung ist kostenlos, weil die Zentren sich aus Spenden finanzieren. Trotz der Probleme, die den Behandlungszentren anfänglich von staatlicher Seite bereitet wurden, haben sie eine beachtliche Zahl von Patienten behandelt. Die Stiftung arbeitet mit niedergelassenen Ärzten zusammen und betreibt eine rege Informationspolitik, die durch die Einbindung der Organisation in ein weit reichendes Netzwerk nationaler und internationaler Organisationen begünstigt wird, ihm weit reichendes Gehör verschafft und einen wirksamen Schutz gegen staatliche Übergriffe bietet (vgl. VGH BW, Urteil vom 7. November 2002 - A 12 S 907/00 - juris).
Bedürftige, die die ärztliche Behandlung nicht selbst finanzieren können, haben das Recht, sich von der Gesundheitsverwaltung eine "Grüne Karte" ("yesil kart") ausstellen zu lassen, die zu kostenloser medizinischer Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem berechtigt. Die Voraussetzungen, unter denen mittellose Personen in der Türkei die “Grüne Karte" erhalten, ergeben sich aus dem Gesetz Nr. 3816 vom 18. Juni 1992.
Zum Erwerb der “Grünen Karte” muss der Antragsteller gegenüber dem Landratsamt an seinem Wohnsitz seine Mittellosigkeit (z.B. durch Bescheinigungen des Finanzamtes oder der Sozialversicherung, Grundbuchauszüge) nachweisen. Sein laufendes Einkommen darf ein Drittel des Mindestlohnes nicht überschreiten. Die zuständige Kommission des Landratsamtes tritt einmal wöchentlich zusammen und entscheidet über die Anträge. Die Zeit, die zwischen Antragstellung und Erteilung der Karte verstreicht, beträgt normalerweise etwa sechs bis acht Wochen, kann aber auch länger sein, wenn nicht alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt werden. Die medizinischen Leistungen, die über die „Grüne Karte“ erhältlich sind, wurden durch Gesetz Nr. 5222 vom 14. Juli 2004 wesentlich erweitert.
Auch wenn nach Beantragung noch keine Grüne Karte ausgestellt ist, werden bei einer Notfallerkrankung sämtliche stationären Behandlungskosten und alle weiteren damit zusammenhängenden Ausgaben übernommen. Stationäre Behandlung von Inhabern der “Grünen Karte” umfasst sowohl Behandlungskosten als auch sämtliche Medikamentenkosten.
Als wesentliche Besserstellung bei ambulanter Behandlung wurden seit 01. Januar 2005 auch die Kosten für die Medikamente voll übernommen (seit 01. Mai 2005 nur noch 80 %). Nach Angaben der zuständigen Stellen gibt es in der Türkei ca. zehn Millionen Inhaber einer “Grünen Karte”. In Diyarbakir besitzen offiziellen Angaben zufolge ca. 40 % der Bevölkerung eine Grüne Karte. Für Leistungen, die nicht über die “Grüne Karte” abgedeckt sind, stehen ergänzend Mittel aus dem jeweils örtlichen Solidaritätsfonds zur Verfügung (Sosyal Yardim ve Dayanisma Fonu; vgl. BayVGH, Urteil vom 7. Juni 2005 - 11 B 02.31096 - juris).
Damit ist zur Überzeugung des erkennenden Gerichts ausgeschlossen, dass sich die bei den Klägern bestehende psychische Erkrankungen infolge fehlender medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der Türkei wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern wird. Dass der Standard der gesundheitlichen Versorgung in der Türkei nach dem oben Dargelegten u.U. nicht an den bundesdeutschen Standard heranreicht, ist rechtlich ohne Bedeutung. Im Übrigen wird es Sache der Ausländerbehörde sein, ggf. im Rahmen einer Aufenthaltsbeendigung der angesprochenen Suizidgefährdung der Kläger nachzugehen und entsprechenden Risiken sowie den fortbestehenden psychischen Beschwerden der Kläger mit Medikamenten oder in sonstiger Weise Rechnung zu tragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11 ZPO.