Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.03.2007, Az.: 1 ME 61/07
Bestehen eines Abwehranspruchs gegen den Betrieb einer Drogenberatungsstelle in einem durch Wohnnutzung geprägten Gebiet; Anforderungen an die Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme; Einbeziehung des Allgemeininteresses an der Fortführung einer Drogenberatungsstelle in die Abwägungsentscheidung; Ausnahmsweise Ermessensreduzierung auf Null im Fall massiver Beeinträchtigungen
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 21.03.2007
- Aktenzeichen
- 1 ME 61/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 13170
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2007:0321.1ME61.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Braunschweig - 31.03.2006 - AZ: 2 B 72/06
Rechtsgrundlagen
- § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO
- § 34 BauGB
- § 35 BauGB
- § 89 Abs. 1 S. 1 BauO,NI
- § 1004 BGB
Fundstellen
- BRS-ID 2007, 6-9
- BauR 2007, 1214-1217 (Volltext mit amtl. LS)
- GesR 2007, 335
- NVwZ-RR 2007, 456 (amtl. Leitsatz)
- NZBau 2007, 503 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
- NordÖR 2007, 330 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
In einem auch durch Wohnnutzung geprägten Gebiet kann eine Drogenberatungsstelle trotz des daran bestehenden Allgemeininteresses mit dem Gebot der Rücksichtnahme unvereinbar sein.
Bei massiven Beeinträchtigungen kann sich das der Bauaufsichtsbehörde grundsätzlich zustehende Ermessen hinsichtlich des Einschreitens - ausnahmsweise - auf null reduzieren.
Gründe
Die Antragstellerin wendet sich in zwei Eilverfahren gegen die von der Antragsgegnerin der Beigeladenen zu 1) genehmigte Nutzung des nördlich angrenzenden Mehrfamiliengebäudes Kurt-Schumacher-Straße 26 in B. nunmehr als Drogenberatungsstelle bzw. -zentrum. Mit dem Eilverfahren 2 B 72/06 (= 9 ME 151/06 = 1 ME 61/07) begehrt sie im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Durchsetzung der zuvor von ihr erlassenen Nutzungsuntersagungsverfügung vom 6. Juli 2004 mittels geeigneter Zwangsmaßnahmen, insbesondere der Festsetzung von Zwangsgeld und/oder einer Ersatzvornahme. Mit dem Eilverfahren 2 B 309/06 (= 9 ME 332/06 = 1 ME 79/07) begehrt die Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz gegen die der Beigeladenen zu 1) erteilte Baugenehmigung vom 1. Februar 2006 in der Fassung der Ergänzungsbaugenehmigungen vom 20. April 2006 und 20. Juli 2006.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des mit einem mehrgeschossigen Wohn- und Geschäftshaus bebauten Grundstücks Kurt-Schumacher-Straße 25. Im Souterrain ihres Gebäudes ist die Gaststätte D., im Erdgeschoss die E. -Apotheke und in der ersten Etage ein Architektenbüro untergebracht. Das zweite Obergeschoss wird wohngenutzt.
Die Beigeladene zu 2) betreibt in B. seit 1974 die Jugend- und Drogenberatung (drobs). Seit 1978 übt sie diese Tätigkeit in dem Gebäude Kurt-Schumacher-Straße 26 aus, und zwar ohne Absicherung durch eine baurechtliche Genehmigung. Einem zu den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin genommenen Zeitungsbericht ist zu entnehmen, dass sich offensichtlich mit dem Start des Methadon-Programmes im Jahres 1992 und dem niederschwelligen Angebot des so genannten Café F. die (nachbarliche) Situation vor der Drogenberatungsstelle zugespitzt hat, insbesondere auch deswegen, weil die Beratungsstelle nunmehr von mehr Besuchern angenommen wurde. Nach dem Zeitungsbericht wird diese täglich von rund 150 Klienten aufgesucht, darunter 130 Methadon-Substituierten. Die Antragstellerin spricht - insofern wohl vergleichbar - von rund 5.000 Besuchern monatlich.
Sowohl das Gebäude der Antragstellerin (Nr. 25) als auch das Nachbargebäude Nr. 26 weisen einen deutlich geringeren Grenzabstand auf als nach der heute geltenden Niedersächsischen Bauordnung vorgeschrieben. Der Abstand der beiden Gebäude voneinander beträgt etwa 3 m (Grenzabstand des Gebäudes der Antragstellerin etwa 1,60 m, der des Nachbargebäudes etwa 1,40 m).
Zur baurechtlichen Absicherung der von der Beigeladenen zu 2) betriebenen Drogenberatungsstelle genehmigte die Antragsgegnerin auf ihren entsprechenden Bauantrag mit Bescheid vom 15. Januar 2002 eine widerrufliche Nutzungsänderung für eine hausärztliche Praxis mit medizinischer Ambulanz (drobs). Nachdem die Bezirksregierung B. auf den dagegen von der Antragstellerin eingelegten Widerspruch die ihr eingereichten Widerspruchsvorgänge zu einer weitergehenden Überprüfung an die Antragsgegnerin zurückgab (dazu auch der Prüfbericht vom 6. Februar 2003), hob die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 3. Mai 2004 die Baugenehmigung vom 15. Januar 2002 auf. Mit Verfügung vom 6. Juli 2004 untersagte sie der Beigeladenen zu 2) die - ungenehmigte - Nutzung des Wohngebäudes Kurt-Schumacher-Straße 26 als hausärztliche Praxis mit medizinischer Ambulanz, Jugend- und Drogenberatungsstelle sowie den Betrieb des Cafés F.. Dabei räumte sie für die Durchführung dieser Maßnahme zunächst eine Frist bis zum 31. Dezember 2005 ein. Mit dem am 13. Januar 2006 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat die Antragstellerin im Verfahren 2 B 72/06 die gerichtliche Durchsetzung dieser Untersagungsverfügung begehrt.
Nach Erlass der Untersagungsverfügung vom 6. Juli 2004 ist die Antragsgegnerin entsprechend zahlreichen Vermerken und Schriftsätzen in ihren Verwaltungsvorgängen zunächst von der baurechtlichen Unzulässigkeit der Nutzung des Gebäude Kurt-Schumacher-Straße 26 als Drogenberatungsstelle ausgegangen. Umfangreiche Bemühungen um Alternativstandorte bzw. -lösungen führten aber nicht zum (offensichtlich) gewünschten Erfolg. Die Antragsgegnerin strebte sodann eine baurechtliche Lösung am alten Standort an. Sie genehmigte der Beigeladenen zu 1) mit Bescheid vom 1. Februar 2006 erneut den Umbau und die Nutzungsänderung ihres Mehrfamilienhauses nunmehr unter Erteilung einer Ausnahme von den Abstandsvorschriften der NBauO gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 NBauO. Mit einer weiteren Ergänzungsbaugenehmigung vom 20. Juli 2006 erteilte sie der Beigeladenen zu 1) Befreiung von den Forderungen der NBauO in § 30 Abs. 5 NBauO i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 DVNBauO in dem folgenden Umfang: "Zulassung der vorhandenen Fenster- und Türöffnungen in der südöstlichen Abschlusswand des Gebäudes, die zur Grenze des Nachbargrundstückes Kurt-Schumacher-Straße 25 einen Abstand von maximal 1,60 m hält". Diese Befreiung beruhte auf den gutachterlichen Stellungnahmen des Sachverständigen für Brandschutz Dr. Ing. G. vom 27. Juni 2006 bzw. vom 4. Oktober 2006.
Mit dem streitigen Beschluss vom 31. März 2006 hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hinsichtlich der Nutzungsuntersagung abgelehnt. Mit dem weiteren, ebenfalls streitigen Beschluss vom 20. September 2006 hat es ferner den gegen die Genehmigung der Nutzungsänderung und des Umbaus gerichteten vorläufigen Rechtsschutzantrag abgelehnt. Wegen der Begründung beider gerichtlichen Entscheidung wird auf die Beschlüsse Bezug genommen.
Die dagegen gerichteten Beschwerden der Antragstellerin haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung ist der Antragstellerin in beiden zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerdeverfahren vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren.
Die für die Nutzungsänderung und den Umbau des Mehrfamilienhauses Kurt-Schumacher-Straße 26 der Beigeladenen zu 1) erteilte Baugenehmigung vom 1. Februar 2006 in der Fassung der Ergänzungsbaugenehmigungen vom 20. April 2006 und 20. Juli 2006 verletzt nach dem sich derzeitig aus den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin und den Gerichtsakten ergebenden Gesamteindruck nachbarschützende Rechte der Antragstellerin. Die angegriffenen Genehmigungen sind nach umfassender Bewertung der sich aus den Akten ergebenden Örtlichkeit und dem Vortrag der Beteiligten nicht mit dem nachbarschützenden Gebot der Rücksichtnahme vereinbar. Der Senat sieht sich bei dieser von ihm vorgenommenen bauplanungsrechtlichen Bewertung nicht durch die die gerichtliche Überprüfung grundsätzlich einschränkende Vorschrift des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO gehindert. Nach dieser Vorschrift beschränkt sich die gerichtliche Überprüfung des Beschwerdevorbringens nur auf die dargelegten Gründe. Darlegungen in diesem Sinne sind nicht nur zu den vom Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 20. September 2006 vorrangig angeführten brandschutztechnischen Ausführungen festzustellen. Untrennbar verbunden sind mit dem Gesamtvortrag der Antragstellerin auch ihre nachbarlichen Belange und Interessen. Deren Bewertung ergibt, dass die angegriffene Baugenehmigung mit ihren Ergänzungsgenehmigungen nicht mit dem Gebot der Rücksichtnahme in Einklang zu bringen ist.
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem grundlegenden Urteil vom 25. Februar 1977 (IV C 22.75 - DVBl. 1977, 722 = BauR 1977, 244 = BRS 32 Nr. 155 = BVerwG 52, 122) zum Gebot der Rücksichtnahme wie folgt geäußert: "Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme (objektiv-rechtlich) begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schützwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dabei muss allerdings demjenigen, der sein eigenes Grundstück in einer sonst zulässigen Weise baulich nutzen will, insofern ein Vorrang zugestanden werden, als er berechtigte Interessen nicht deshalb zurückzustellen braucht, um gleichwertige fremde Interessen zu schonen. Das gilt noch verstärkt, wenn sich bei einem Vergleich der beiderseitigen Interessen derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, zusätzlich darauf berufen kann, dass das Gesetz durch die Zuerkennung einer Privilegierung seine Interessen grundsätzlich höher bewertet wissen will, als es für die Interessen derer zutrifft, auf die Rücksicht genommen werden soll".
Das so umschriebene Gebot der Rücksichtnahme erfasst keineswegs nur die Genehmigungsfälle, die - wie im zitierten Urteil - nach § 35 BauGB zu beurteilen sind. Seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. März 1981 (IV C 1.78 - DVBl. 1981, 928 = BauR 1981, 354 = BRS 38 Nr. 36 = ZfBR 1981, 149) ist geklärt, dass das Gebot der Rücksichtnahme auch Bestandteil des § 34 BauGB ist. Er geht im Begriff des "Einfügens" auf. Das Rücksichtnahmegebot hebt auf die gegenseitige Verflechtung der baulichen Situation benachbarter Grundstücke ab; es will einen angemessenen Ausgleich erreichen, der dem einen das ermöglicht, was für ihn unabweisbar ist, und den anderen vor unzumutbaren Belästigungen oder Benachteiligungen schützt. Der Senat bewertet die vom Grundstück der Beigeladenen zu 1) durch die genehmigte Nutzungsänderung und den genehmigten Umbau ausgehenden Beeinträchtigungen als für die Antragstellerin unzumutbar. Der Senat gibt hinsichtlich der eintretenden Beeinträchtigungen zunächst der Antragstellerin das Wort. Sie umschreibt die von der Drogenberatungsstelle ausgehenden Belästigungen u.a. in ihrem Schriftsatz vom 3. Mai 2006 plastisch und nachvollziehbar wie folgt:
Dealer und Junkies dealen vor der Eingangstür des Hauses zum Café F. oder auf dem Fußweg,
die Heroinsüchtigen stellen ihre Fahrräder unbefugt auf ihrem Grundstück ab,
die Heroinsüchtigen stellen ihre Fahrräder und Mofas unbefugt im Souterraineingang ihres Grundstücks ab,
die Heroinsüchtigen stellen ihre Fahrräder unbefugt an ihren Fahrradständern ab,
Fahrräder, die sie oder ihre Mieter auf ihrem Grundstück abstellen, werden umgehend gestohlen,
durch die Menge der Heroinsüchtigen ist die Kriminalität angewachsen,
die Heroinsüchtigen verhindern ein freies Betreten ihres Hauses durch Sitzen auf der Hauseingangsschwelle. Hierbei kommt es zum "Sonnenbaden" auf dem Fußweg oder auf dem Grundstück der Antragstellerin, zum längeren Sitzen auf dem Fußweg oder auf dem Grundstück der Antragstellerin sowie zu längeren Gesprächen, die teilweise sehr lautstark geführt werden, teilweise wird dabei auch gegessen und Alkohol getrunken,
die Heroinsüchtigen blockieren den Hauseingang durch unmittelbares Davorstehen, allein, zu zweit oder in Gruppen,
Zulieferer der in dem Haus der Antragstellerin ansässigen H. -Apotheke müssen sich bei der Lieferung erst den Weg durch die Heroinjunkies bahnen,
die Heroinsüchtigen lassen sich auf den Treppen zur Apotheke nieder, rauchen und trinken Dosenbier, sie lassen Unrat und Abfall zurück,
das in ihrem Haus ansässige Architekturbüro hat erklärt, dass ein Besuch von Bauherren, die durch eine Menge von Heroinjunkies durchgehen müssen, nicht mehr möglich ist,
viele der Heroinsüchtigen haben Hunde, die nicht mit in das Café F. dürfen. Diese Hunde werden von den Heroinsüchtigen vor dem Haus an einem alten Tor oder am Gartentor angebunden und verursachen dort ein teilweise derart lautes Gebell, dass ein Arbeiten und normales sich Aufhalten im Haus teilweise nicht mehr möglich ist,
die Heroinsüchtigen füttern ihre Hunde, indem sie ihnen Futter auf den Fußweg vor den Häusern werfen,
Lärmbelästigung erfolgt teilweise frühmorgens durch die Heroinsüchtigen, wenn sie ihr Methadon abholen,
ein Öffnen der Fenster in Richtung des streitgegenständlichen Nachbarhauses ist wegen der Lärmbelästigung oft nicht mehr möglich,
die Heroinsüchtigen gehen miteinander rabiat und bisweilen brutal um,
die Heroinsüchtigen spritzen sich das Rauschgift in ihrem Garten und lassen ihre Spritzen sowie zerschnittene Getränkedosen, die als Heroinkocher dienen, im Garten zurück,
die Heroinsüchtigen spritzen sich das Rauschgift im Souterraineingang ihres Grundstücks. Auch hier werden Spritzen und die als Heroinkocher umgestalteten Getränkedosen zurückgelassen,
die Heroinsüchtigen spritzen sich das Heroin offensichtlich vor der Eingangstür des Café F., weil die Blumenbehälter in ihrem Garten ständig mit Tupfern gefüllt sind,
gebrauchte Heroinspritzen werden in ihren Garten geworfen,
die Heroinsüchtigen vergraben und verstecken das Rauschgift auf ihrem Grundstück. So fand sie beim Beschneiden von Pflanzen einen großen Beutel mit Rauschgift im Erdreich. Die herbeigerufene Polizei erklärte lediglich, dass es sich hier um eine Bevorratung für den nächsten Schuss handelt,
die Heroinsüchtigen beschimpfen sie sowie ihre Mieter beleidigend und mit Drohgebärden kombiniert, wenn sie beobachtet werden,
obwohl so viele Heroinsüchtige in das Café F. und zur Methadonvergabe gehen, gibt es offensichtlich niemanden, der den immensen Dreck, d.h. Getränkedosen, Flachmänner, Zigarettenkippen der Heroinsüchtigen vor ihrem Grundstück sowie dem Nachbargrundstück entfernt,
eine große Anzahl von Heroinsüchtigen spucken und "rotzen" auf den Gehweg und in ihren Hauseingang.
Diese vorgetragenen Beeinträchtigungen sind mehr oder weniger unstreitig. Sie sind der Antragstellerin gegenüber unzumutbar. Nach Einschätzung des Senats sind sie auch realistisch. Sie stehen im Einklang mit allgemeiner Erfahrung bzw. entsprechenden Feststellungen in der obergerichtlichen Rechtsprechung. Der Bundesgerichtshof hat in seinem einschlägigen Urteil vom 7. April 2000 (V ZR 39/99 -, NJW 2000, 2901 = BGHZ 144, 200 = DVBl. 2000, 1608 = BauR 2000, 1766 = BRS 63 Nr. 189) zum Betrieb eines Drogenhilfezentrums im Bahnhofsviertel von Frankfurt zusammenfassend das Folgende angeführt: "Die Ansammlung von Drogensüchtigen und von Drogendealern sowie die damit einhergehenden Übergriffe auf das Grundstück des Klägers und die Verunreinigung des Gehsteigs durch Fixerutensilien, Blut und Fäkalien sind adäquate Folgen des Betriebs des Drogenhilfezentrums. Ähnlich wie der Lärm von Besuchern eines Clubs, der auf der Straße beim An- und Abfahren verursacht wird (BGH, NJW 1963, 2020 [BGH 11.07.1963 - III ZR 55/62]) oder Beeinträchtigungen durch an einer Bushaltestelle wartende Fahrgäste (Senat, NJW 1960, 2335 = LM § 1004 BGB Nr. 51 = JZ 1961, 498 [BGH 21.09.1960 - V ZR 89/59]) sind derartige Umstände mit dem Drogenhilfezentrum typischerweise verbunden und ihm daher zuzurechnen".
Bei dem Grundstück der Antragstellerin handelt es sich um ein teilweise gewerblich, teilweise wohngenutztes Haus. Eine vergleichbare Nutzung ist auch in der weiteren Nachbarschaft festzustellen. Jedenfalls ist nicht davon auszugehen, dass die auch dort anzutreffende Wohnnutzung nur untergeordnet ist. Dieser Eindruck wird unter anderem auch durch die von der Antragstellerin zu den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin gereichte "Unterschriftenliste" vermittelt. Die Nutzung des Gebäudes Kurt-Schumacher-Straße 26 als Drogenberatungsstelle in der unmittelbaren Nachbarschaft zum Wohn- und Geschäftshaus der Antragstellerin ist mit dem Gebot der Rücksichtnahme unvereinbar. Die Antragstellerin führt in diesem Zusammenhang überzeugend die von ihren Mietern in der Vergangenheit vorgebrachten Beschwerden an, die zu - jedenfalls teilweise - erheblichen Mietzinsminderungen führten bzw. zum Auszug von Mietern im zweiten Obergeschoss.
Bei der im Rahmen des Gebotes der Rücksichtnahme vorzunehmenden Interessenabwägung ist sich der Senat sehr wohl der im öffentlichen Interesse liegenden und auch grundsätzlich förderungswürdigen Drogenberatungsstelle bewusst. Dieser Gesichtspunkt ist für den Bundesgerichtshof in seinem zuvor angeführten Urteil vom 7. April 2000 (a.a.O.) ein maßgeblicher rechtlicher Gesichtspunkt gewesen. Der Bundesgerichtshof hat trotz der festgestellten Störereigenschaft der Drogenberatungsstelle gleichwohl einen Abwehranspruch im Rahmen des § 1004 BGB mit der Begründung verneint, dass an der Fortführung der Drogenhilfeeinrichtung ein öffentliches Allgemeininteresse bestehe. Dieser Gesichtspunkt greift im vorliegenden Fall aber nicht durch. Zum einen ist nach Einschätzung des Senats die im Bahnhofsbereich von Frankfurt anzutreffende bauplanungsrechtliche Situation mit der in der Kurt-Schumacher-Straße nicht vergleichbar. Von Bedeutung ist aber insbesondere die unmittelbare Nachbarschaft dieser beiden miteinander unvereinbaren Nutzungen. Der Abstand der beiden Gebäude zueinander beträgt insgesamt nur 3 m. Die nachteiligen Auswirkungen vom Gebäude Nr. 26 auf das Grundstück der Antragstellerin sind damit nahezu unvermeidbar. Nur ergänzend bleibt anzumerken, dass eine Verlegung des Eingangsbereiches der Drogenberatungsstelle nicht das Grundproblem lösen würde. Eine Verlegung könnte zwar unter Umständen vereinzelte Beeinträchtigungen mindern, nicht dadurch aber ein nunmehr verträgliches Miteinander erreichen.
Sind die angegriffenen Genehmigungen mit dem Gebot der Rücksichtnahme nicht vereinbar, bedarf es keiner weiteren Entscheidung des Senats, ob diese aus bauordnungsrechtlicher Sicht durchstehen. Summarisch ist allerdings festzuhalten, dass die beiden Gutachten des Brandschutzsachverständigen G. vom 27. Juni 2006 und vom 4. Oktober 2006 Fragen des Brandschutzes bzw. der Brandmauer in einer schlüssigen und nachvollziehbaren Art und Weise abgearbeitet haben. Bei summarischer Betrachtung gibt es insoweit nichts zu erinnern. Für die von der Antragsgegnerin erteilte Befreiung von den Abstandsvorschriften sprechen in Anlehnung an die Rechtsprechung beider Bausenate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 10.3.1986 - 6 A 133/84 - NdsRpfl. 1986, 284 = BRS 46 Nr. 153; Beschl. v. 5.2.1996 - 1 M 383/96 - DWW 1996, 162) durchaus gewichtige Gründe. Diese Fragen bedürfen im Hinblick auf die obigen bauplanungsrechtlichen Ausführungen aber keiner Vertiefung.
Der Antragstellerin steht - des Weiteren - nach den dem Senat vorliegenden Sachstand auch ein Anspruch auf Durchsetzung der Nutzungsuntersagung der Antragsgegnerin vom 6. Juli 2004 vom Grundsatz her zu. Allerdings sind die rechtlichen Hürden für einen derartigen Anspruch sehr hoch. Nach der ständigen Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts steht das Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde schon wegen des Wortlauts von § 89 Abs. 1 Satz 1 NBauO selbst dann noch im Ermessen der Behörde, wenn das streitige Vorhaben nachbarschützende Vorschriften verletzt. Die Rechtsverletzung begründet zwar den für den Tatbestand der Eingriffsermächtigung (§ 89 Abs. 1 Satz 1 NBauO) erforderlichen Widerspruch des Vorhabens gegen geltendes Baurecht. Die Rechtsverletzung für sich allein führt aber nicht bereits - gewissermaßen automatisch - zu einer Reduzierung des daraufhin eröffneten Ermessens auf Null. Für die Beantwortung der Ermessensfrage, d.h. ob und ggf. in welcher Weise einzuschreiten ist, kommt es vielmehr auf das Ausmaß der Einwirkungen auf das Nachbargrundstück an (vgl. z.B. OVG Lüneburg, Urt. v. 16.5.1988 - 1 A 23/87 - BRS 48, 191; Urt. v. 29.10.1993 - 6 L 3295/91 - OVGE 44, 384 = BauR 1994, 86 = BRS 55 Nr. 196; Urt. v. 26.5.1997 - 1 L 5006/95 - V.n.b.; ferner die Beschl. v. 10.2.2003 - 1 LA 52/02 - V.n.b.; v. 6.3.2003 - 1 LA 197/02 - NVwZ-RR 2003, 484 = BRS 66 Nr. 133; v. 4.11.2004 - 9 LA 264/04 - und v. 15.12.2004 - 9 LA 346/04 - V.n.b.; s.a. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/ Wiechert, NBauO, Kommentar 8. Aufl. 2006 § 89 Rdnr. 67 ff.). Dabei sind die konkreten Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Der Senat bejaht einen Anspruch der Antragstellerin auf Einschreiten dem Grunde nach, also dem "Ob" des Einschreitens, dem die Antragsgegnerin hier mit der Untersagungsverfügung vom 6. Juli 2004 ja auch schon Rechnung getragen hat. Der Senat geht - ausnahmsweise - auch von einer Schrumpfung des der Antragsgegnerin zustehenden Ermessensbereiches im Rahmen des "Wie" aus. Die Durchsetzung der Untersagungsverfügung vom 6. Juli 2004 hat die Antragsgegnerin zunächst bis zum 31. Dezember 2005 befristet. Diese Frist ist dann bis zum 31. März 2006 verlängert worden. Die massiven Beeinträchtigungen der Antragstellerin lassen nur schwer eine weitere Fristverlängerung für die Fortführung der Nutzung durch die Beigeladene zu 2) zu. Dabei ist von Bedeutung, dass die Antragsgegnerin noch im gerichtlichen Hauptsacheverfahren 2 A 105/05 mit ihrem Schriftsatz vom 15. Juli 2005 vorgetragen hat, dass eine weitere Verlängerung der ursprünglich bis zum 31. Dezember 2005 eingeräumten Frist nicht erfolgen werde. Die Beigeladene zu 2) habe wegen der angeordneten Nutzungsuntersagung den mit ihr abgeschlossenen Betreibervertrag gekündigt. Das spätere gegensätzliche Verhalten der Antragsgegnerin erscheint vor diesem Hintergrund von vornherein nicht besonders schutzwürdig. Andererseits verkennt der Senat nicht, dass eine sofortige Schließung der Drogenberatungsstelle - neben den nachteiligen Folgen für die Drogenabhängigen - auch mit einer Erhöhung der Beschaffungskriminalität und einem erhöhten Drogenhandel im Bereich der öffentlichen Straßen und Plätze von B. verbunden wäre. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat eine weitere Frist bis zum 31. September 2007 als sachgerecht an.