Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 22.11.2023, Az.: 7 A 190/23

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
22.11.2023
Aktenzeichen
7 A 190/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 52295
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2024:0301.7A190.23.00

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der am 1. August 1963 geborene Kläger begehrt die Zulassung seiner Praxis als Weiterbildungsstätte sowie die Erteilung der Ermächtigung zur Weiterbildung.

Der Kläger ist approbierter Arzt und hat am 4. April 2000 das Recht zum Führen der Facharztbezeichnung Allgemeinmedizin erworben. Seit dem 5. April 2000 ist er mit seiner Praxis in der E. -Straße 5 in F. G. niedergelassen.

Mit Schreiben vom 13. März 2020 beantragte der Kläger die Zulassung seiner Praxis als Weiterbildungsstätte und die Erteilung der Ermächtigung zur Weiterbildung von Ärzten im Gebiet Allgemeinmedizin im Umfang von 24 Monaten. Dem Antrag legte der Kläger Honorarabrechnungen für das Kalenderjahr 2019 bei, aus denen sich für das erste Quartal 2.378 Fälle, für das zweite Quartal 2.249 Fälle, für das dritte Quartal 2.087 Fälle und für das vierte Quartal 2.291 Fälle ergeben.

Am 14. April 2020 bestätigte die Beklagte den Eingang des Antrags und wies den Kläger darauf hin, dass er offenbar der einzige Facharzt in der Praxis mit regelmäßig mehr als 2.000 Fälle pro Quartal sei. Aufgrund der hohen Fallzahlen sei es laut dem Ausschuss für Ärztliche Weiterbildung derzeit nicht möglich, dass ein Assistent strukturiert und ausreichend angeleitet werde. Sollten die Fallzahlen über mehrere Quartale unter 2.000 Fälle pro Quartal fallen, lohne es sich, nochmals einen Antrag zu stellen.

Gegen diese Auffassung wendete sich der Kläger mit Schreiben vom 30. April und 28. August 2020. Er habe in letzter Zeit zwei Studentinnen eine Famulatur in seiner Praxis ermöglicht. Beide hätten ihm eine fachlich sehr gute Betreuung sowie vielschichtige Einblicke in das Fach Allgemeinmedizin bestätigt. Er habe ihnen alle Untersuchungen gezeigt und sei immer ansprechbar gewesen. Dem Weiterbildungsassistenten würden zwei vollwertige Sprechzimmer zur Verfügung stehen und er könne die Ausstattung nutzen. Seine Patienten betreue der Kläger bis weit über die Praxiszeiten hinaus sowie am Wochenende. Der tägliche Arbeitstag dauere täglich immer länger als 12 Stunden. Er glaube, dass durch seine Erfahrung und Kenntnis seiner Patienten gut strukturierte Praxisabläufe schneller erledigt und mehr Leistungen erbracht werden können. Seine sieben Arzthelferinnen und eine Auszubildende unterstützen ihn in dieser Hinsicht optimal und routiniert. Am 6. Oktober 2020 ließ der Kläger diesen Vortrag durch seinen Prozessbevollmächtigten ergänzen. Es gebe keine gesetzliche Regelung zur Festlegung einer Obergrenze für Fallzahlen für die Ermächtigung zur Weiterbildung. Ungeachtet dessen lasse sich anhand einer festgelegten Fallzahl denklogisch kein Rückschluss darauf ziehen, ob und in welchem Umfang der Weiterbildungsermächtigte zur Weiterbildung in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehe. Eine Festlegung auf eine bestimmte Obergrenze sei willkürlich und verstoße gegen das Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.

In seiner Plenarsitzung am 28. Oktober 2020 empfahl der Ausschuss für Ärztliche Weiterbildung unter Berücksichtigung der von dem Kläger vorgebrachten Argumente, keine Ermächtigung zur Weiterbildung von Ärzten im Gebiet Allgemeinmedizin zu erteilen. Begründet wurde dies mit der übergroßen Anzahl an betreuten Patienten.

Dies wurde dem Kläger am 4. November 2020 mit dem Hinweis mitgeteilt, dass die Beklagte geneigt sei, dieser Empfehlung zu folgen. Aufgrund der Anzahl der betreuten Patienten könne der Kläger nicht gewährleisten, ausreichend Zeit für die Betreuung von Weiterbildungsassistenten aufbringen zu können. Die übersandten Stellungnahmen aus der Famulatur seien sofern nicht vergleichbar, als zur Weiterbildung zum Facharzt erhebliche Unterschiede bestehen.

Mit Schreiben vom 12. November 2020 teilte der Kläger erneut mit, dass er diese Rechtsauffassung nicht teile. Eine Ablehnung der Ermächtigung zur Weiterbildung sei nicht gerechtfertigt und verstoße gegen den Grundsatz der Berufsfreiheit. Die Entscheidung der Ablehnung wäre zumindest ermessenslückenhaft, da z.B. eine Befristung der Ermächtigung oder eine Ermächtigung unter Vorbehalt als mildere Mittel zur Verfügung stünden, um abzusichern, dass die Weiterbildung den Anforderungen nach der Weiterbildungsordnung gerecht werde.

Unter dem 26. November 2020 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers (derzeit) ab. Der Kläger belege nicht, dass seine Praxis geeignet sei, eine gründliche und strukturierte Weiterbildung entsprechend der Weiterbildungsordnung gewährleisten zu können. Durch die hohen Fallzahlen in der Praxis sei nicht gewährleistet, dass der Kläger genügend Zeit für eine gründliche und grundsätzlich ganztätige Anleitung eines Weiterbildungsassistenten aufbringen könne. Die Praxis des Klägers sei somit für eine Weiterbildung nicht ausreichend besetzt. So habe das VG Hannover in seinem Urteil vom 25. September 2000 (- 5 A 628/97 -) nach einer gutachterlichen Stellungnahme angenommen, dass eine Praxis ab einer Fallzahl von 1.600 Fällen pro Quartal nicht als geeignete Weiterbildungsstätte anzuerkennen sei. Der Kläger versorge regelmäßig, und gerade nicht nur ausnahmsweise, in einem Quartal mehr als 2.100 Fälle. Entscheidend sei, dass aufgrund der Versorgungszahl naturgemäß keine Zeit bleibe, während dieser Tätigkeit einen Arzt im Gebiet Allgemeinmedizin gründlich und strukturiert anzuleiten. Diese qualifizierte Anleitung erfordere zusätzlichen zeitlichen Aufwand, der auch bei guter, strukturierter Praxistätigkeit nicht parallel zur Verfügung stehe. Der Weiterbildungsassistent werde bei solch hohen Fallzahlen zu einem Entlastungsassistenten. Schließlich weist die Beklagte darauf hin, dass es sich nicht um eine Ermessensentscheidung handele. Sobald die Voraussetzungen erfüllt seien, sei die Zulassung als Weiterbildungsstätte und die Ermächtigung zur Weiterbildung zu erteilen.

Der Kläger legte hiergegen am 8. Januar 2021 Widerspruch ein. Ergänzend trägt er vor, den einschlägigen Normen lasse sich nicht entnehmen, dass eine bestimmte Fallzahl nicht überschritten werden dürfe. So könne anhand der vorliegenden Fallzahlen nicht darauf geschlossen werden, dass die Praxis nicht den Erfordernissen der medizinischen Entwicklung Rechnung trage. Auch könne aufgrund der Fallzahlen nicht automatisch darauf geschlossen werden, dass er der in § 6 Abs. 4 WBO formulierten Verpflichtung zur persönlichen und grundsätzlich ganztägigen Ausbildung und Gestaltung nicht nachkommen werde. Zumal er mit dem Antrag ein Weiterbildungsprogramm vorgestellt habe und für weitere Ausführungen auch jederzeit zur Verfügung gestanden hätte. Zusammenfassend könne nicht pauschal aufgrund einer Fallzahl von der Beklagten, die pauschal festgesetzt wurde, darauf geschlossen werden, dass der Arzt nicht genügend Zeit für eine gründliche und grundsätzlich ganztägige Anleitung eines Weiterbildungsassistenten aufbringen könne. Die Höhe der Fallzahlen sei einem stetigen Wandel unterworfen, Behandlungsinhalte und die Anforderungen an eine Behandlung im zeitlichen Ablauf ändern sich. Somit ergäben sich auch ständig Änderungen bei der Ermittlung des Fachgruppendurchschnitts zur Berechnung der Honorarverteilung. Ein weiterer Aspekt sei, dass die Praxen im städtischen Bereich nicht zwingend mit Landarztpraxen vergleichbar sein.

Die Beklagte wies den Widerspruch unter dem 11. November 2021 zurück. Die übersandte KV-Leistungsstatistik spreche dafür, dass die Voraussetzungen für eine Zulassung der Praxis als Weiterbildungsstätte nicht erfüllt seien. Weitere Nachweise habe der Kläger gerade nicht eingereicht. Zutreffend sei zwar, dass die zitierten Vorschriften keine bestimmten Anforderungen an die Fallzahlen stellen, die Normen seien jedoch durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgericht Hannover konkretisiert worden. Soweit sich der Kläger in seiner Begründung auf die Genehmigung einer Entlastungsassistenz bezieht, lasse er die wesentlichen Unterschiede einer solchen zu einer Weiterbildungsassistenz außer Acht. Maßgeblich sei vorliegend, dass die durchgehend hohen Fallzahlen dafürsprechen, dass in der Praxis des Klägers allein mit dem Kläger als behandelnder Arzt nicht ausreichend Personal vorhanden sei, um der medizinischen Entwicklung Rechnung zu tragen.

Der Kläger hat am 13. Dezember 2021 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Erforderlich sei, dass Patienten in so ausreichender Zahl behandelt werden, dass sich die Weiterzubildenden mit den typischen Krankheiten des jeweiligen Gebiets vertraut machen können. Mit einer Fallzahl von über 2.000 Fällen pro Quartal werde die Stätte des Klägers diesem Erfordernis umfassend gerecht. Ferner stelle die Norm lediglich auf die "ausreichende Zahl" der Behandlungen ab. Das durch die Beklagte angelegte Höchstmaß verstoße mithin gegen die Wortlautgrenze. Aus dem Fälleverteilungsgesetz lasse sich nicht rechtfertigen, dass die Qualität der Weiterbildung bei einer zu hohen Fallzahl absinken würde. Daneben sei die Fallzahl wenig geeignet, den Versorgungsumfang abzubilden. Viele Leistungen werden rein pauschal betrachtet. Auch komme es regelmäßig zur Generierung von Fallzahlen, ohne dass hierfür umfassend Zeit des Arztes gebunden werde. Zum Beispiel werde auch bereits dann eine Fallzahl generiert, wenn der Arzt lediglich - ohne Patientenkontakt - eine Überweisung oder sogar nur eine Folgeüberweisung ausstelle. Schließlich sei der Vorwurf, ein Weiterbildungsassistent würde bei einer zu hohen Fallzahl zu einem Entlastungsassistenten, unbegründet. Nach einer zeitintensiven Einarbeitungsphase müsse der Weiterbildungsassistent - ein approbierter Arzt - auch lernen, selbstständig tätig zu werden. Eine ständige Anwesenheit des weiterbildenden Arztes sei dann nicht mehr erforderlich. Für Nachfragen sei er immer verfügbar.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 26. November 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2021 zu verpflichten, seine Praxis als Weiterbildungsstätte zuzulassen und ihm die Ermächtigung zur Weiterbildung zu erteilen,

hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 26. November 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2021 zu verpflichten, den Antrag des Klägers über die Erteilung der Zulassung der Weiterbildungsstätte und die Ermächtigung zur Weiterbildung unter der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden,

die Feststellung, dass die Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig erklärt wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, der Kläger belege nicht, dass seine Praxis geeignet sei, eine gründliche und strukturierte Weiterbildung entsprechend der Weiterbildungsordnung zu gewährleisten. Die Praxis des Klägers biete nicht die erforderliche Personalausstattung, um eine Weiterbildung auf der Basis der in der Praxis zu versorgenden Patientenzahl zu ermöglichen. Zutreffend sei, dass der Kläger über nichtärztliches Personal verfüge, in der Praxis sei jedoch kein weiterer Arzt angestellt, so dass die pro Quartal zu versorgende Anzahl von mehr als 2.000 Patienten gerade keine Anleitung eines Weiterbildungsassistenten im Rahmen einer strukturierten Facharztweiterbildung ermögliche. Die begehrte Erteilung der Ermächtigung sei nur möglich, wenn die Weiterbildungsstätte zugelassen sei. Daran fehle es vorliegend. Die von dem Kläger angesprochene Befristung der Weiterbildungsstätte wäre nicht sachgerecht, da die Qualität, die an eine Weiterbildung zu stellen sind, dadurch nicht gewährleistet wäre. Entgegen dem Vortrag des Klägers weisen die vorgelegten KV-Honorarstatistiken gerade nicht den Einsatz von Hilfskräften wie VERAH bzw, NäPA aus. Die entsprechenden EBM-Ziffern finden sich gerade nicht. Ein nennenswerter Einsatz nichtärztlichen Praxispersonals sei durch die Abrechnung nicht dokumentiert.

In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, auch in den letzten vier Quartalen über 2.100 Fälle pro Quartal abgerechnet zu haben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Der zulässigen Klage ist kein Erfolg beschieden.

Der angefochtene Bescheid vom 26. November 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. November 2021 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf die Zulassung seiner Praxis als Weiterbildungsstätte und Erteilung der Ermächtigung zur Weiterbildung auf dem Gebiet der Allgemeinmedizin, noch - dem Hilfsantrag entsprechend - einen Anspruch auf erneute Bescheidung.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zulassung seiner Praxis als Weiterbildungsstätte.

Die Zulassung zur Weiterbildungsstätte setzt gemäß § 48 Abs. 2 Nr. 1 - 3, § 41 Abs. 1 Nr. 3 Nds. Kammergesetz für Heilberufe - HKG - i.V.m. § 7 Abs. 3 Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen - WBO - voraus, dass die Patienten in so ausreichender Zahl und Art behandelt werden, dass sich die Weiterzubildenden mit den typischen Krankheiten des jeweiligen Gebietes oder Schwerpunktes vertraut machen können, Personal und Ausstattung vorhanden sind, die den Erfordernissen der medizinischen Entwicklung Rechnung tragen und regelmäßig gebiets- und schwerpunktübergreifend beratende und unterstützende Tätigkeit ausgeübt wird.

Der Anspruch des Klägers scheitert bereits daran, dass in der Praxis des Klägers die Patienten nicht in so ausreichender Zahl und Art behandelt werden, dass sich die Weiterzubildenden mit den typischen Krankheiten des jeweiligen Gebietes oder Schwerpunkt vertraut machen können. Durch die Größe des zu versorgenden Patientengutes ist eine ordnungsgemäß und damit sorgfältig durchzuführende Weiterbildung unter Anleitung nicht möglich. Bei Fallzahlen von über 2.100 Fällen pro Quartal in der von dem Kläger allein bewirtschafteten Praxis mangelt es dem Kläger schlicht an ausreichender Zeit, den Weiterzubildenden gründlich und grundsätzlich ganztägig anleiten zu können. So trug der Kläger selbst vor, er arbeite jeden Tag länger als 12 Stunden und sei auch am Wochenende für seine Patienten dar. Eine Weiterbildung im Sinne eines Anleitens und nicht eines Zeigens kann daneben nicht (auch noch) gewährleistet werden. Entgegen der Vorstellung des Klägers, die er in der mündlichen Verhandlung kundgetan hat, besteht eine Weiterbildung nämlich gerade nicht darin, dass der Weiterbildungsassistent dem praktizierenden Facharzt über die Schulter schaut. Anleiten im Sinne der Facharztausbildung meint vielmehr den genau umgedrehten Fall: Der Weiterbildungsassistent behandelt unter Anleitung des Facharztes. Das diese Art der Behandlung länger dauert als die Behandlung durch den Facharzt direkt liegt auf der Hand. Wenn der Kläger also vorträgt, bereits jetzt mehr als 12 Stunden täglich zu arbeiten, so verbleibt für die angeleitete Behandlung durch den Weiterbildungsassistenten keine Zeit.

Entscheidungserheblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage ist vorliegend der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Ob für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung oder die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts maßgebend ist, beantwortet nicht § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, sondern das jeweils einschlägige materielle Recht (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 1990 - 8 C 87/88 - NVwZ 1991, 360). Dies ist durch Auslegung der maßgeblichen Norm zu ermitteln. Ein Anhaltspunkt dafür, dass Änderungen nach Erlass der Behördenentscheidung nicht mehr berücksichtigt werden sollen, kann sich z.B. daraus ergeben, dass der Gesetzgeber besondere Regelungen bereitstellt, auf die die Behörde bei veränderten Umständen zurückgreifen kann (Schoch/Schneider/Riese, 43. EL August 2022, VwGO § 113 Rn. 236). Für die Frage des Bestehens eines Anspruchs ist im Zweifel die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich (vgl. etwa Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 113 Rn. 102). Ändert sich das materielle Recht während des gerichtlichen Verfahrens, so ist auf der Grundlage dieser Änderung zu entscheiden, ob das neue Recht einen durch das alte Recht begründeten Anspruch beseitigt, verändert oder unberührt lässt (vgl. Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 57).

Dem hier einschlägigen Fachrecht kann keine explizite Regelung zum maßgeblichem Zeitpunkt entnommen werden, weshalb maßgebend der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bleibt. Für den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung als maßgeblichen Zeitpunkt spricht zudem, dass die Zulassung als Weiterbildungsstätte grundsätzlich unbefristet erteilt wird und diese Ermächtigung eine zukunftsgerichtete Dauerwirkung entfaltet. Es erschiene dem Grundsatz "Dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est" folgend widersprüchlich, die Zulassung der Praxis des Klägers als Weiterbildungsstätte auf Grundlage der Fallzahlen von 2019 zu erteilen, die basierend auf den neuen Fallzahlen von 2022/2023 widerrufbar wäre. Gleiches gilt für den umgekehrten Fall, sollten die Fallzahlen mittlerweile erheblich gesunken seien. Es wäre widersprüchlich dem Kläger im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens die Zulassung seiner Praxis als Weiterbildungsstätte abzusprechen, weil die Fallzahlen 2019 eine solche nicht zulassen, während er zur selben Zeit basierend auf den Fallzahlen 2022/2023 einen Anspruch auf die begehrte Zulassung hätte.

Zu dem Tatbestandsmerkmal der "Patienten in so ausreichender Zahl" führt das VG Hannover in seinem Urteil vom 25. September 2000 (- 5 A 628/97 -) aus:

"Der Gutachter sieht als eine ausreichende Fallzahl etwa 900 Patienten pro Quartal an. Dieses Quantum gewährleiste einerseits einen repräsentativen Überblick über die typische Fälleverteilung und das typische Fallspektrum, berücksichtige jedoch andererseits auch, dass ab einer bestimmten Fallzahl von etwa 1.600 Fällen pro Quartal eine vernünftige Ausbildung durch den Praxisinhaber nicht mehr durchgeführt werden könne, vielmehr der Weiterbildungsassistent zum "Entlastungsassistenz" werde. Die Abrechnungshäufigkeit von Leistungsziffern - so heißt es in dem Gutachten weiter - könne als Maß für die Anzahl behandelter Patienten nicht gelten. Voraussetzung dafür, dass sich in einer allgemeinmedizinischen Praxis das typische Spektrum der "Braun'schen Fälleverteilung" wiederspiegele, sei vielmehr, dass eine ausreichende Anzahl behandelter Patienten zu bejahen sei. Dass sich die an einer Vielzahl von Patienten gewonnenen Erfahrungen und Krankheitsbilder nicht ausgleichen lassen durch eine über dem Durchschnitt liegende Häufigkeit von Abrechnungsziffern, ist für das Gericht nachvollziehbar, da sich das Spektrum an Krankheitsbildern bei einer deutlich höheren Patientenzahl zwangsläufig variabler darstellt als bei gleicher Abrechnungshäufigkeit bestimmter Leistungsziffern bezogen auf eine sehr viel kleinere Anzahl an Patienten. Im Übrigen stellt die Weiterbildungsordnung selbst, gegen deren Rechtsgültigkeit die Kammer keine Bedenken hat, in § 9 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 2 auf die Anzahl von Patienten ab, indem es heißt, dass Patienten in ausreichender Zahl und Art behandelt werden müssen."

Die erkennende Kammer folgt diesen Ausführungen, da sie in sich schlüssig und logisch nachvollziehbar sind. Die Fallzahlen des Klägers von mehr als 2.100 Fälle pro Quartal überschreiten die dem Urteil zu entnehmenden maximalen Fallzahl von 1.600 Fälle pro Quartal erheblich, nämlich um 30 %.

Die Digitalisierung mag an der maximalen Fallzahl keine grundlegenden Zweifel begründen. Zwar mag die Digitalisierung teilweise dazu geführt haben, dass der bürokratische Aufwand einiger Arbeitsschritte gesunken ist. Genauso hat die Digitalisierung jedoch auch dazu geführt, dass der bürokratische Aufwand anderer Arbeitsschritte gestiegen ist.

Auch mag es zutreffen, dass ein erfahrener Weiterbildungsassistent weniger intensive Anleitung bedarf als ein wenig erfahrener. Die Kammer stimmt dem Kläger dahingehend zu, dass einem Weiterbildungsassistenten ein seinen Leistungen und seinem Weiterbildungsstand entsprechendes Maß an Selbstständigkeit zugesprochen werden darf bzw. sogar muss. In diesem Rahmen dürfen ihm auch durchaus Aufgaben zur selbstständigen Erledigung übertragen werden, die den weiterbildenden Arzt zeitlich, wenn nur unerheblich binden würden. Der Weiterbildungsassistent bedarf allerdings während der gesamten Zeit der Anweisung und Überwachung durch den zur Weiterbildung ermächtigten Arzt in dem Umfang, der seinem Kenntnisstand entspricht. Zu Beginn der Weiterbildung wird der Umfang dabei naturgemäß höher sein, als zum Ende. Nichtsdestotrotz bedarf der Weiterbildungsassistent der Anweisung und Überwachung in einem Umfang, wofür dem Kläger wie dargelegt - jedenfalls zu Beginn der Weiterbildung - die zeitlichen Kapazitäten aufgrund der hohen Behandlungsfälle fehlen.

Soweit der Kläger vorträgt, dass durch das Abstellen auf die Fallzahlen der tatsächliche Zeitaufwand für den Praxisinhaber nicht berücksichtigt werde, vermag dies die erkennende Kammer nicht zu überzeugen. Zwar dürfte dem Kläger dahingehend zuzustimmen sein, dass einige Fälle keine oder kaum zeitliche Kapazitäten des Klägers binden. Diese Aspekte wurden jedoch in dem dem Urteil des VG Hannover vom 25 September 2000 (- 5 A 628/97 -) zugrundeliegenden Gutachten und der daraus resultierenden maximalen Fallzahl hinreichend beachtet. So hat sich das Gutachten intensiv mit der Frage der Häufigkeit bestimmter Krankheitsbilder und dem daraus folgenden Patientenstamm einer Praxis auseinandergesetzt. Betrachtet wurde die tägliche Arbeit einer allgemein medizinischen Praxis. Dies beinhaltet denklogisch auch die Fälle, in denen kein oder kaum zeitlicher Aufwand für den zur Weiterbildung Ermächtigten entsteht. Auf diesem Gedanken basierend ist das Gutachten zu dem Schluss gekommen, dass ab einer Fallzahl von 1.600 Fällen pro Quartal keine vernünftige Ausbildung mehr gewährleistet werden könne. Der Urteilsbegründung lässt sich gerade nicht entnehmen, die maximale Zahl von 1.600 Fällen pro Quartal betreffe nur Fälle mit einer gewissen Mindestbehandlungsdauer.

Die erkennende Kammer folgt dem Kläger grundsätzlich mit dem Vorbringen, dass die Fallzahlen auch entstehen, sobald ausschließlich eine nichtärztliche Hilfskraft tätig wird und der Arzt selbst nicht oder nur marginal in die Behandlung mit einbezogen wird. Der Kläger blieb bei seinen Ausführungen allerdings theoretisch und legte nicht dar, dass dies bei ihm in der Praxis über das Maß der Fall sei. Der grundsätzliche Einsatz nichtärztlichen Praxisassistenten ist hingegen bereits bei der maximalen Fallzahl von 1.600 Fällen pro Quartal berücksichtigt worden, da der Einsatz zu der täglichen Arbeit einer allgemein medizinischen Praxis gehört. Aus den mit dem Antrag eingereichten KV-Honorarstatistiken ergibt sich ein solcher Einsatz nichtärztlichen Praxisassistenten (NäPA mit den EBM Ziffern 03060, 03062 und 03063) überhaupt nicht.

Unabhängig der Tatsache, dass auch diese Fälle, als Teil der täglichen Arbeit einer Praxis der Allgemeinmedizin, bereits aus den oben ausgeführten Gründen bei der maximalen Fallzahl berücksichtigt wurden, liegt ein nennenswerter Einsatz, der die durchschnittliche Fallzahl von 2.100 Fällen pro Quartal erheblich mindern würde, in der Praxis des Klägers auch nicht bzgl. der von dem Kläger angeführten sog. "Verwässerungsfällen" vor. Umfasst sind von dem Begriff der Verwässerungsfälle nach dem Vortrag des Klägers all die Behandlungsfälle, in denen der Arzt selbst nicht oder nur marginal in die Behandlung des Patienten mit einbezogen war. Nach Durchsicht der dem Antrag beigefügten KV-Honorarabrechnungen ergeben sich für das Jahr 2019 lediglich durchschnittlich 92 solcher Verwässerungsfälle pro Quartal. Weder ist es für die erkennende Kammer ersichtlich noch trug der Kläger vor, dass sich diese Zahl im Jahr 2023 erheblich erhöht hat.

Die erkennende Kammer stimmt dem Kläger insoweit zu, dass seine hohen Fallzahlen den Gedanken nahelegen, dass er über viel Behandlungserfahrung und Routine verfügt. Dies vermag aber an der Tatsache nichts zu ändern, dass die hohen Fallzahlen auch darauf schließen lassen, dass eine strukturierte Weiterbildung aktuell in der Praxis des Klägers aufgrund der zeitlichen Inanspruchnahme des Klägers nicht durchgeführt werden kann.

Der Einwand des Klägers, zwischen ländlichen und städtischen Praxen würden erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Fallzahlen bestehen, vermag ebenfalls nicht durchgreifen. Zwar mag es zutreffend sein, dass die Fallzahlen ländlicher Praxen höher sind, als die eines Allgemeinmediziners in der Stadt, dies ändert jedoch nichts an der Grundaussage, ab einer Fallzahl von 1.600 Fällen pro Quartal und Arzt, habe dieser keine Zeit "nebenbei" einen Weiterbildungsassistenten anzuleiten. Konkret auf den Kläger bezogen bedeutet die Tatsache, dass seine Praxis eher ländlich gelegen ist, nicht, dass er deshalb Zeit findet, neben seinem eh schon 12-stündigen Arbeitsplatz einen Weiterbildungsassistenten anzuleiten.

Auch die Argumentation des Klägers, der Wortlaut des § 48 Abs. 2 Nr. 1 HKG "ausreichende Zahl" lege lediglich ein Mindestmaß, jedoch kein Höchstmaß für das in der Praxis vorhandene Patientengut fest, greift zu kurz. Das Wort "ausreichend" ist dabei nicht - wie von dem Kläger verstanden - als Mindestmaß zu verstehen, sondern als "den Erfordernissen entsprechend" (vgl. duden.de). Um dem Erfordernis, den Weiterbildungsassistenten die erforderlichen Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten zu vermitteln, zu entsprechen, bedarf es einerseits einer gewissen Fallzahl pro Quartal und pro Arzt und andererseits einer gewissen zeitlichen Verfügbarkeit des Weiterbildenden. Der Beklagten ist daher zuzustimmen, dass die Frage nach der "ausreichenden Patientenzahl" nicht isoliert, sondern nur im Zusammenhang mit den in der Praxis vorhandenen Ärzten - die nicht Weiterbildungsassistenten sind - betrachtet werden muss. Die Fallzahlen des Klägers würden nämlich durchaus Zeit für die Anleitung von Weiterbildungsassistenten lassen, wenn denn in der Praxis des Klägers ein weiterer Arzt (als Entlastungsassistent) angestellt wäre.

Schließlich kommt die von dem Kläger in Betracht gezogene Befristung der Zulassung der Praxis des Klägers als Weiterbildungsstätte nicht in Betracht. Auch während einer nur befristeten Zeit wäre aufgrund der zeitlichen Kapazität des Weiterbildenden nicht gewährleistet, dass dem Weiterbildungsassistenten die erforderlichen Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten vermittelt werden würden.

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Erteilung der Befugnis zur Weiterbildung auf dem Gebiet der Allgemeinmedizin.

Gemäß § 6 Abs. 1 WBO wird die Weiterbildung unter verantwortlicher Leitung von Kammermitgliedern, die die Ärztekammer hierzu ermächtigt hat, in Weiterbildungsstätten durchgeführt. Da der Kläger nicht dargelegt hat, an einer anderen Stätte als seiner Praxis die Weiterbildung durchzuführen, kann ihm die Befugnis zur Weiterbildung mangels zugelassener Weiterbildungsstätte nicht erteilt werden.

3. Schließlich hat der Kläger auch keinen Anspruch auf erneute Bescheidung unter Rechtsauffassung des Gerichts. Eine Bescheidungsklage i.S.v. § 113 Abs. 5 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - ist in Fällen der gebundenen Rechtsfolge unstatthaft (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 29. Auflage, § 113 Rn. 212).

Sowohl bei dem Antrag auf Zulassung einer Weiterbildungsstätte als auch zur Ermächtigung zur Weiterbildung steht dem Antragsteller bei Erfüllung der gesetzlichen und der satzungsrechtlichen Voraussetzungen ein Anspruch auf Erteilung der Ermächtigung zu. Bei beiden Entscheidungen handelt es sich um eine rechtlich gebundene Entscheidung ohne Ermessensspielraum.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Mangels positiver Kostenfolge für den Kläger bedarf es keiner Entscheidung über die Beiziehung des Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.