Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 03.11.2023, Az.: 5 B 3819/23

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
03.11.2023
Aktenzeichen
5 B 3819/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 40525
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2023:1103.5B3819.23.00

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem die Antragsgegnerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Verlust seines Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet festgestellt, ihm die Abschiebung nach Griechenland angedroht und die Wirkung der Verlustfeststellung sowie einer ggf. noch zu erfolgenden Abschiebung auf acht Jahre nach erfolgter Ausreise/Abschiebung befristet hat.

Der am E.. F. 1987 in Griechenland geborene Antragsteller ist griechischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals im Oktober 1997 gemeinsam mit seinen Eltern in das Bundesgebiet ein. Am 1. Januar 2002 wurden der Antragsteller und seine Familie von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet. Am 1. Februar 2003 zog der Antragsteller aus dem Ausland erneut ins Bundesgebiet und hält sich seitdem hier auf.

Am G.. H. 2006 wurde die Tochter des Antragstellers, I. J., geboren, deren Mutter die griechische Staatsangehörige K. L. ist.

Am M.. N. 2008 wurde eine weitere Tochter des Antragstellers, O. J., geboren, die die deutsche Staatsangehörigkeit hat und deren Mutter ebenfalls Frau L. ist.

Der Antragsteller hat mit Frau L. drei weitere, in den Jahren 2009, 2010 und 2011 geborene Kinder sowie ein weiteres, im Jahr 2016 geborenes Kind mit der russischen Staatsangehörigen P. Q..

Der Antragsteller ist im Bundesgebiet wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:

Am 28. Juli 2010 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt wegen fahrlässiger Körperverletzung zum Nachteil seiner zur Tatzeit zwei Monate alten Tochter O. J. in Tatmehrheit mit Entziehung Minderjähriger zu neun Monaten Jugendstrafe. Die Bewährungszeit betrug zwei Jahre. Mit Wirkung vom 4. September 2013 wurde die Jugendstrafe erlassen und der Strafmakel beseitigt.

Am 27. Oktober 2010 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt wegen Betrugs zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen.

Am 16. August 2011 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt wegen Erschleichens von Leistungen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen.

Am 16. Februar 2012 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen.

Am 16. April 2012 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt wegen Erschleichens von Leistungen unter Einbeziehung der Entscheidung vom 16. August 2011 zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen.

Am 17. Dezember 2013 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt wegen Betrugs zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen.

Am 13. August 2014 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen.

Am 8. März 2016 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt wegen Freiheitsberaubung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen.

Am 12. September 2016 wurde der Antragsteller auf Grundlage des Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Amsterdam vom 8. Juli 2016 zur Strafverfolgung an die Niederlande ausgeliefert und befand sich in der Folgezeit in den Niederlanden in Haft.

Am 17. August 2017 verurteilte die Rechtbank Amsterdam den Antragsteller wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren unter Abzug des Vorarrests. Auf die Berufung des Antragstellers und der Staatsanwaltschaft verurteilte der Gerechtshof Amsterdam den Antragsteller am 15. Juni 2018 wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren. Seit dem 26. August 2020 verbüßt der Antragsteller diese Strafe auf Grund des Beschlusses des Landgerichts B-Stadt - Strafvollstreckungskammer - vom 21. Februar 2020 im Bundesgebiet, zuletzt in der JVA R..

Mit Beschluss vom 31. März 2023 lehnte die zuständige Strafvollstreckungskammer es ab, die Vollstreckung des Restes der gegen den Antragsteller mit Urteil des Gerechtshofs Amsterdam vom 15. Juni 2018 verhängten Freiheitsstrafe von zehn Jahren nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe zur Bewährung auszusetzten.

Unter dem 14. April 2023 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zu ihrer Absicht an, bei ihm den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU festzustellen, ggf. die sofortige Vollziehung anzuordnen, gegen ihn ein Einreise- und Aufenthaltsverbot hinsichtlich der Bundesrepublik Deutschland anzuordnen und ihn abzuschieben. Der Antragsteller ließ dazu durch seinen Prozessbevollmächtigten im Wesentlichen wie folgt Stellung nehmen: Er sei griechischer Staatsangehöriger, gehöre aber einer kleinen muslimischen Minderheit an und spreche "kein Wort Griechisch". Er beherrsche ausschließlich die deutsche und türkische Sprache. Zu Griechenland habe er, abgesehen von der Staatsangehörigkeit, keinen Bezug und werde dort auch nicht als Grieche angesehen. Er habe in Griechenland keine Verwandten mehr. In den Jahren 2010 bis 2016 sei er mit einer Ausnahme ausschließlich zu Geldstrafen verurteilt worden. Die geringe Jugendstrafe von neun Monaten aus dem Jahr 2010 sei zur Bewährung ausgesetzt worden und liege so lange zurück, dass aus ihr keine negativen Schlüsse hinsichtlich seines Aufenthalts im Bundesgebiet gezogen werden dürften. Zwar sei er in den Niederlanden zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt worden. Er habe aber freiwillig die Verlegung aus den Niederlanden nach Deutschland beantragt, um näher bei seiner Familie sein zu können. Hätte er dies nicht getan, wäre er "heute auf freiem Fuß", und die Antragsgegnerin hätte von dem niederländischen Urteil keine Kenntnis. Die Antragsgegnerin habe seine familiären Bindungen im Bundesgebiet nicht ausreichend berücksichtigt. Darüber hinaus sei er psychisch in einem schlechten Zustand. Ohne seine Familie und insbesondere seine seit Jahrzehnten in S. lebenden Eltern, die ihn nach wie vor unterstützen würden, habe er in Griechenland keine Perspektive. Nach der Haftentlassung wolle er mit seinen Eltern in der Gastronomie "beruflich durchstarten". Dies sei nur in Deutschland möglich.

Mit Bescheid vom 9. Juni 2023 stellte die Antragsgegnerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Verlust des Rechts des Antragstellers auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet fest, drohte ihm die Abschiebung nach Griechenland an und befristete die Wirkung der Verlustfeststellung sowie einer ggf. noch zu erfolgenden Abschiebung auf acht Jahre nach erfolgter Ausreise/Abschiebung. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU könne gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU unbeschadet des § 2 Abs. 7 FreizügG/EU und des § 5 Abs. 5 FreizügG/EU nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit festgestellt und die Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht oder die Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte eingezogen werden. Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung lägen vor, wenn der Ausländer gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Verfügungen verstoßen habe und es sich bei diesem Verstoß um einen nicht geringfügigen oder vereinzelten Verstoß handele. Der Antragsteller sei seit seiner Einreise in das Bundesgebiet mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten und wiederholt auf Grund verschiedener Delikte rechtskräftig zu mehreren Geld- und Freiheitsstrafen verurteilt worden, sodass nicht nur vereinzelte Verstöße vorlägen Zudem sei er zuletzt wegen Totschlags in den Niederlanden zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt worden, was eindeutig ein erheblicher Rechtsverstoß sei. Bei der Entscheidung über die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet sei im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens das öffentliche Interesse an der Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet gegenüber dem privaten Interesse des Antragstellers am Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland abzuwägen. Dies erfordere gemäß § 6 Abs. 2 FreizügG/EU eine konkret auf die Person und das Verhalten des Ausländers abgestellte Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls. Bei dem vom Antragsteller begangenen Totschlag handele es sich um ein der schweren Kriminalität zuzuordnendes Verbrechen. Hierdurch sowie durch die weiteren von ihm mit großer Deliktbreite begangenen Straftaten habe er schwerwiegende Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erheblich beeinträchtigt. Durch die fehlende Aufarbeitung seiner psychischen Erkrankung, der ebenso fehlenden Tataufarbeitung sowie der Deliktbreite und der zuletzt erheblichen Deliktintensität sei daher, wie auch im Vollzugsplan vom 23. November 2022 aufgeführt, von einer großen Wiederholungsgefahr hinsichtlich zukünftiger Straftaten, auch schwerer Gewaltdelikte, auszugehen. Insofern stehe auch nicht entgegen, dass die Tat in den Niederlanden und nicht im Bundesgebiet begangen worden sei. Da der Antragsteller im Bundesgebiet wohne, sei zu befürchten, dass er ähnlich gelagerte schwere Straftaten vorrangig im Bundesgebiet begehen könnte. Im Hinblick auf § 6 Abs. 3 FreizügG/EU sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller trotz seines langen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht in der Lage gewesen sei, sich wirtschaftlich oder kulturell in die hiesigen Verhältnisse zu integrieren. Auf Grund des bestehenden Kontakts des Antragstellers mit seinen Kindern und der Kindsmutter werde zu seinen Gunsten unterstellt, dass durchaus schutzwürdige Bindungen zu sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Personen bestünden, auch wenn sie nicht in familiärer Lebensgemeinschaft leben würden. Zudem seien die Einreise als Minderjähriger ins Bundesgebiet und die lange Abwesenheit vom Herkunftsstaat zu berücksichtigen. Der lange Aufenthalt im Bundesgebiet führe indessen nicht zu einer Unmöglichkeit der Rückkehr nach Griechenland. Der Antragsteller habe dort die ersten zehn Jahre seines Lebens verbracht, sodass davon auszugehen sei, dass er mit den Verhältnissen und der Gesellschaftsstruktur seines Heimatlandes aufgewachsen sei und im Rahmen seines dortigen Schulbesuchs auch griechische Sprachkenntnisse erworben habe. Weiter führte sie aus, an der Anordnung der sofortigen Vollziehung bestehe ein besonderes öffentliches Interesse, da die Gefahr bestehe, dass der Antragsteller erneut Straftaten von erheblichem Gewicht begehen würde. Diese Wiederholungsgefahr drohe sich auch noch vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu realisieren. Die reguläre Haft ende am 1. August 2026. Anschließend komme ggf. noch eine Ersatzfreiheitsstrafe bis zum 20. Oktober 2026 hinzu. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass ein Hauptsacheverfahren bis zu diesem Datum noch nicht beendet sein werde. Hinzu komme, dass grundsätzlich eine vorzeitige Haftentlassung, insbesondere nach mittlerweile erfolgtem Ablauf von zwei Dritteln der Gesamtstrafe, in Frage komme, auch wenn ein erster Antrag auf vorzeitige Entlassung abgelehnt worden sei. Zudem würde ein längerer Verbleib des Antragstellers im Bundesgebiet die (Re-)Integration in die Verhältnisse seines Heimatlandes erschweren und damit die Durchsetzung des Bescheides erheblich beeinträchtigen. Dem solle mit der Anordnung des Sofortvollzugs ebenfalls entgegengewirkt werden. Der Bescheid wurde am 14. Juni 2023 zugestellt.

Am 12. Juli 2023 hat der Antragsteller Klage erhoben (5 A 3818/23) und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er seinen bisherigen Vortrag. Ergänzend trägt er unter Vorlage einer Medikamentenverordnung sowie von Behandlungsblättern der JVA R. - Fachbereich Medizin - vor, unter einer schwerwiegenden psychischen Störung zu leiden. Allein schon die Tatsache, dass er ein Medikament mit dem Wirkstoff Olanzapin einnehme, das hauptsächlich zur Behandlung schizophrener Psychosen eingesetzt werden, führe den Nachweis, dass er schizophren sei. Seine Erkrankung sei in Griechenland nicht behandelbar. Er könne auf Grund seiner Erkrankung, seiner nicht vorhandenen Sprachkenntnisse und der ethnischen Diskriminierung in Griechenland nicht überleben. Die Tat in den Niederlanden habe er auf Grund seiner psychischen Erkrankung begangen. So habe er fest daran geglaubt, dass ein nicht vorhandener Zwillingsbruder die Tat begangen habe. Er habe schon damals Halluzinationen gehabt. Seine psychische Erkrankung sei im niederländischen Prozess offensichtlich nicht beachtet worden. Bei einer Verurteilung in der Bundesrepublik Deutschland wäre er mit Sicherheit begutachtet worden und in eine Psychiatrie eingewiesen worden. Dies sei auf Grund seiner Auffälligkeiten nunmehr geschehen. Er werde nunmehr medikamentös behandelt, wodurch sich sein Zustand gebessert habe. In Griechenland würde er nicht einmal Medikamente erhalten, sodass schwerste Straftaten vorprogrammiert seien, wenn er nicht weiter behandelt werde.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf den Inhalt des angegriffenen Bescheides. Ergänzend trägt sie vor, soweit der Antragsteller behaupte, seine eventuelle psychische Erkrankung könne in Griechenland nicht behandelt werden, handele es sich um bloße Spekulation. Nachweise über eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit des Antragstellers seien ihr, der Antragsgegnerin, nicht bekannt, sodass eine diesbezügliche Überprüfung einer etwaigen Behandelbarkeit auch nicht erfolgen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Er ist zulässig, aber unbegründet.

Hinsichtlich der Verlustfeststellung ist der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, da die Antragsgegnerin gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung der Verlustfeststellung angeordnet hat. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung entfällt gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i. V. m. § 64 Abs. 4 NPOG. Auch insoweit ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft und zulässig.

Die Antragsgegnerin hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verlustfeststellung ausreichend im Sinne von § 80 Abs. 3 VwGO begründet. Die Begründung erfolgte schriftlich und bezogen auf den konkreten Fall, indem dargelegt wurde, dass an der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verlustfeststellung ein besonderes öffentliches Interesse bestehe, da die Gefahr bestehe, dass der Antragsteller erneut Straftaten von erheblichem Gewicht begehen würde. Diese Wiederholungsgefahr drohe sich auch noch vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu realisieren. Die reguläre Haft ende am 1. August 2026. Anschließend komme ggf. noch eine Ersatzfreiheitsstrafe bis zum 20. Oktober 2026 hinzu. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass ein Hauptsacheverfahren bis zu diesem Datum noch nicht beendet sein werde. Hinzu komme, dass grundsätzlich eine vorzeitige Haftentlassung, insbesondere nach mittlerweile erfolgtem Ablauf von zwei Dritteln der Gesamtstrafe, in Frage komme, auch wenn ein erster Antrag auf vorzeitige Entlassung abgelehnt worden sei. Zudem würde ein längerer Verbleib des Antragstellers im Bundesgebiet die (Re-)Integration in die Verhältnisse seines Heimatlandes erschweren und damit die Durchsetzung des Bescheides erheblich beeinträchtigen. Dem solle mit der Anordnung des Sofortvollzugs ebenfalls entgegengewirkt werden. Die Frage, ob die gegebene Begründung inhaltlich trägt, ist nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung der Einhaltung des Formerfordernisses des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 15.5.2021 - 13 ME 243/21 -, juris Rn. 23).

Das Verwaltungsgericht kann die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anordnen, wenn das Interesse des betroffenen Ausländers oder der betroffenen Ausländerin, von einem Vollzug der Verfügung vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit überwiegt. Bei der Interessenabwägung kommt der Erfolgsaussicht der Klage im Hauptsacheverfahren maßgebliche Bedeutung zu. Bei nach summarischer Prüfung offensichtlich Erfolg versprechendem Rechtsbehelf überwiegt im Hinblick auf die Art. 19 Abs. 4 GG zu entnehmende Garantie effektiven Rechtsschutzes das Suspensivinteresse des Betroffenen das öffentliche Vollzugsinteresse, so dass die aufschiebende Wirkung grundsätzlich wiederherzustellen bzw. anzuordnen ist. Ergibt dagegen eine summarische Einschätzung des Gerichts, dass die Anfechtungsklage offensichtlich erfolglos bleiben wird, reicht dies allein zwar noch nicht aus, die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen. Erforderlich ist vielmehr ein über den Erlass des Grundverwaltungsaktes hinausgehendes öffentliches Interesse. Hierfür ist allerdings nicht ein besonders gewichtiges oder qualifiziertes öffentliches Interesse zu fordern; notwendig, aber auch ausreichend ist vielmehr, dass überhaupt ein öffentliches Vollzugsinteresse vorliegt. Bei einem offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakt reichen daher auch Vollzugsinteressen minderen Gewichts für die Anordnung der sofortigen Vollziehung aus. In den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO, in denen - wie hier bei der Abschiebungsandrohung - die aufschiebende Wirkung bereits kraft gesetzlicher Anordnung entfällt, spricht die gesetzliche Wertung für ein überwiegendes öffentliches Interesse, soweit nicht offensichtlich absehbar ist, dass die Verfügung rechtswidrig ist und die Klage Erfolg hat.

Gemessen hieran überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse, weil sich die Verlustfeststellung und die Abschiebungsandrohung nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig erweisen und keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass das Vollzugsinteresse ausnahmsweise zurücktritt oder entfällt.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.7.2015 - BVerwG 1 C 22.14 -, juris Rn. 11). Insbesondere die Gefahrenbeurteilung hat damit auch Umstände mit in den Blick zu nehmen, die erst nach Erlass der Verfügung eingetreten sind (EuGH, Urteile vom 17. April 2018 - C-316/16 und C-424/16, Vomero - juris Rn. 89 ff. und vom 29. April 2004 - C-482/01, C-493/01, Orfanopoulos und Oliveri -, juris Rn. 82). Etwas anderes gilt für Tatbestandsmerkmale, die - wie die Voraussetzungen des gesteigerten Ausweisungsschutzes nach § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU - nach dem materiellen Recht bereits bei Verfügung der Verlustfeststellung vorliegen müssen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.12.2021 - BVerwG 1 C 60.20 -, juris Rn. 15 m. w. N.).

Rechtsgrundlage für die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts ist § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift kann der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU unbeschadet des § 2 Abs. 7 FreizügG/EU und des § 5 Abs. 4 FreizügG/EU nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Art. 45 Abs. 3, Art. 52 Abs. 1 AEUV) festgestellt und die Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht oder die Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte eingezogen werden.

Die Verlustfeststellung ist nicht an den in § 6 Abs. 4 oder 5 FreizügG/EU normierten erhöhten Anforderungen zu messen, da der Antragsteller die jeweiligen Voraussetzungen nicht erfüllt. Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU darf eine Verlustfeststellung nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden. Hat der Unionsbürger seinen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet gehabt, erfordert eine Verlustfeststellung zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit (§ 6 Abs. 5 FreizügG/EU). Diese Schutzstufe baut auf der vorangegangenen auf und setzt deshalb ebenfalls den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts voraus (vgl. EuGH, Urteil vom 17. April 2018 - C-316/16 und C-424/16 - juris Rn. 60 f.). Danach kann der Antragsteller einen gesteigerten Ausweisungsschutz weder nach § 6 Abs. 4 noch nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU geltend machen, weil er im Bundesgebiet kein Daueraufenthaltsrecht erworben hat. Gemäß § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU haben Unionsbürger, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU das Recht auf Einreise und Aufenthalt (Daueraufenthaltsrecht). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) dürfen Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe für die Zwecke des Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechts allerdings nicht berücksichtigt werden. Diese unterbrechen zudem die erforderliche Kontinuität des - mindestens fünfjährigen - Aufenthalts (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Januar 2014 - C-378/12, Onuekwere -, juris Rn. 17 ff., 28 ff.). Diesen Zeiträumen sind Zeiträume einer Untersuchungshaft gleichgestellt, sofern diese anschließend in eine Strafhaft mündet, weil der Betroffene zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.12.2021 - BVerwG 1 C 60.20 -, juris Rn. 34). Dies zu Grunde gelegt hat der Antragsteller kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erworben, da er sich vor dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des angegriffenen Bescheides vom 9. Juni 2023, mithin ab dem 9. Juni 2018, nicht fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.

Am 9. Juni 2018 befand sich der Antragsteller in den Niederlanden in Haft, nachdem er bereits am 12. September 2016 auf Grundlage des Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Amsterdam vom 8. Juli 2016 zur Strafverfolgung an die Niederlande ausgeliefert und am 17. August 2017 von der Rechtbank Amsterdam wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren unter Abzug des Vorarrests verurteilt worden war. Die Haft in den Niederlanden dauerte fort, nachdem der Gerechtshof Amsterdam den Antragsteller auf seine und die Berufung der Staatsanwaltschaft hin am 15. Juni 2018 wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt hatte. Erst seit dem 26. August 2020 befindet der Antragsteller sich überhaupt erst wieder im Bundesgebiet, und zwar in Folge des Beschlusses des Landgerichts B-Stadt - Strafvollstreckungskammer - vom 21. Februar 2020, mit dem die Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Gerichtshofs Amsterdam vom 15. Juni 2018 für zulässig erklärt wurde, in Haft.

Der im vorliegenden Fall anzulegende Prüfungsmaßstab ergibt sich dementsprechend aus § 6 Abs. 1, Abs. 2 FreizügG/EU. Gründe der öffentlichen Ordnung, die nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 FreizügG/EU eine Verlustfeststellung rechtfertigen, erfordern eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 FreizügG/EU). Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt damit für sich allein nicht, um eine Verlustfeststellung zu begründen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU). Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU). Das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung verlangt eine hinreichende - unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit nach dem Ausmaß des möglichen Schadens und dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts differenzierte - Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Ordnung i.S. des Art. 45 Abs. 3 AEUV beeinträchtigen wird (BVerwG, Urteil vom 3.8.2004 - 1 C 30/02 -, juris, Rn. 24 f.). Eine strafrechtliche Verurteilung kann den Verlust des Freizügigkeitsrechts daher nur insoweit rechtfertigen, als die ihr zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Ob die Begehung einer Straftat nach Art und Schwere ein persönliches Verhalten erkennen lässt, das ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, lässt sich nur aufgrund der Umstände des Einzelfalles beurteilen (vgl. EuGH, Urteil vom 27.10.1977 - C-30/77 "Bouchereau" -, juris; Urteil vom 4.10.2007 - C-349/06 "Polat" -, juris). Nach ständiger Rechtsprechung des Eufach0000000005s haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei der Prüfung, ob im Sinn des § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch ein persönliches Verhalten des Betroffenen zu erkennen ist, ebenso wie bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.1.2013 - BVerwG 1 C 10.12 -, juris Rn. 18). Bei dieser Prognose sind insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und die Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu berücksichtigen. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens zu differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. BayVGH, Beschluss vom 15. Oktober 2019 - 19 ZB 19.914 -, juris, Rn. 9). Nach Maßgabe dieser Grundsätze besteht gegenwärtig eine auf das persönliche Verhalten des Antragstellers zurückzuführende schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Der Antragsteller wurde am 15. Juni 2018 in den Niederlanden wegen eines dort im Mai 2016 begangenen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt, die seit August 2020 im Bundesgebiet vollstreckt wird. Hierbei handelt es sich um eine schwere Straftat. Zur Überzeugung der Kammer geht vom Antragsteller auch weiterhin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Verwirklichung einschlägiger Straftaten aus. Dies gilt insbesondere angesichts der Höhe der verhängten Strafe, der Schwere der konkreten Straftat, der Umstände ihrer Begehung, des Gewichts des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie der Persönlichkeit des Antragstellers, seiner Entwicklung sowie seinen Lebensumständen bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Die hier betroffenen Schutzgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nehmen in der im Grundgesetz und im Unionsrecht enthaltenen Werteordnung einen außerordentlich hohen Rang ein (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GRCh), sodass ausgehend von dem oben dargestellten differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab an die erneute Begehung einer derartigen Straftat durch den Antragsteller geringere Anforderungen zu stellen sind. Für die Annahme einer Wiederholungsgefahr sprechen die Häufigkeit und Schwere der vom Antragsteller begangenen Straftaten sowie der Umstand, dass der Antragsteller sich bisher einer Diagnostik und Behandlung seiner mutmaßlichen psychischen Erkrankung, die für die Begehung der Straftaten möglicherweise mitursächlich ist, verweigert. Der Antragsteller macht letztlich - wenngleich in anderem Zusammenhang - sogar selbst geltend, dass infolge seiner psychischen Verfassung schwerste Straftaten zu erwarten seien. Dass er selbst diese Gefahr bei einem Verbleib im Bundesgebiet ausschließt, weil er hier medikamentös behandelt werde, vermag dabei schon wegen der bisher unterbliebenen Diagnostik nicht zu überzeugen.

Der Antragsteller hat bereits in der Vergangenheit Straftaten begangen, die sich in ihrer Intensität derart steigerten, dass der Antragsteller zuletzt einen anderen Menschen tötete. So ist der Antragsteller bereits vor der Verurteilung in den Niederlanden wegen Totschlags strafrechtlich erheblich in Erscheinung getreten. Ausweislich des im Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin enthaltenen Bundeszentralregisterauszugs vom 5. April 2023 wurde der Antragsteller zwischen dem 28. Juli 2010 und dem 8. März 2016 im Bundesgebiet insgesamt sieben Mal wegen diverser Delikte, darunter Eigentums- und Vermögensdelikten, Freiheitsberaubung sowie einem Verstoß gegen das BtMG zu mehreren Geldstrafen zwischen 20 und 100 Tagessätzen verurteilt. Für ein Körperverletzungsdelikt zu Lasten seiner damals zwei Monate alten Tochter in Tatmehrheit mit Entziehung Minderjähriger erhielt er im Jahr 2010 eine zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe von neun Monaten. Dies sowie die Verurteilung wegen Totschlags zeigen, dass der Antragsteller insbesondere die körperliche Unversehrtheit sowie das Leben anderer Personen nicht zu respektieren bereit ist und rücksichtslos vorgeht. Ausweislich der Ausführungen im Urteil des Gerechtshof Amsterdam vom 15. Juni 2018 nahm der Antragsteller dem Opfer in dessen eigener Wohnung auf äußerst gewalttätige Weise das Leben, indem er ihm mehrere Schnittwunden am Hals zufügte. Das Opfer wurde erst nach einigen Tagen in der Wohnung aufgefunden. Dort konnten DNA-Spuren des Antragstellers gesichert werden. Weiter wird in dem Urteil ausgeführt, dass der Antragsteller sich in der Folgezeit nicht zu den DNA-Spuren äußerte, jedoch falsche Aussagen über die Existenz eines Zwillingsbruders machte und offenbar versuchte, sich mittels Aussagen seiner Exfreundin sowie seiner Mutter ein Alibi zu verschaffen.

Hintergrund des in den Niederlanden vom Antragsteller verübten Tötungsdelikts ist möglicherweise (auch) eine mögliche psychische Erkrankung des Antragstellers. So ist dem Urteil des Gerechtshof Amsterdam zu entnehmen, dass der Antragsteller in den Niederlanden im Rahmen des Strafverfahrens psychiatrisch untersucht werden sollte, hieran aber nicht mitwirkte. Auch eine multidisziplinäre klinische Untersuchung des Antragstellers im T. Centrum, einer vom Nederlands Instituut voor Forensische Psychiatrie en Psychologie betriebenen forensischen psychiatrischen Beobachtungsklinik, scheiterte, weil der Antragsteller sich auch dort weigerte, an der Untersuchung mitzuwirken. Infolgedessen konnte keine gesicherte Diagnose gestellt, sondern lediglich festgestellt werden, dass Betäubungsmittelkonsum gegeben sei und es Indizien für antisoziale Persönlichkeitsmerkmale gebe. Auch im Bundesgebiet verweigert der Antragsteller sich weiterhin einer entsprechenden Diagnostik. So ist dem Vollzugsplan der JVA R. vom 11. Mai 2022 zu entnehmen, dass bislang keine Behandlung der tatursächlichen Problemfelder erfolgen konnte und der Antragsteller keinerlei Mitarbeitsbereitschaft hinsichtlich psychologischer Ergründungen zeigte.

Ausweislich des im beigezogenen Vollstreckungsheft der Staatsanwaltschaft B-Stadt enthaltenen Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 31. März 2023 wurde es abgelehnt, die Vollstreckung des Restes der gegen den Antragsteller mit Urteil des Gerichtshofes Amsterdam vom 15. Juni 2018 verhängten Freiheitsstrafe von zehn Jahren nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe zur Bewährung auszusetzen. Zur Begründung führte die Strafvollstreckungskammer im Wesentlichen aus, die Vollstreckung des verbleibenden Strafrestes könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht zur Bewährung ausgesetzt werden, da die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB nicht vorlägen. Zwar habe der Antragsteller in eine Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung eingewilligt bzw. diese beantragt. Es könne unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit jedoch derzeit nicht verantwortet werden, die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung auszusetzen. Die Abwägung zwischen dem Resozialisierungsinteresse des Antragstellers und dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit ergebe, dass eine Entlassung zur Bewährung nicht verantwortet werden könne, auch wenn eine Gewissheit zukünftiger Straffreiheit nicht erforderlich sei und ein vertretbares Restrisiko verbleiben könne. Das innervollzugliche Verhalten des Antragstellers sei keineswegs beanstandungsfrei gewesen. Eine Bearbeitung der den Taten des Antragstellers zu Grunde liegenden Problematik sei bislang nicht begonnen worden, da der Antragsteller sich nicht auf entsprechende Gesprächsangebote einlasse. Erschwerend komme hinzu, dass das Vorliegen einer dissozialen oder anderen strukturellen Störung oder einer psychotischen Erkrankung bereits im Rahmen eines Anfang 2021 durchgeführten diagnostischen Verfahrens vermutet worden sei. Eine Abklärung bzw. eine psychiatrische Diagnostik seien bislang jedoch nicht möglich gewesen, weil der Antragsteller sich nicht darauf eingelassen habe. Folglich habe auch keine zielgerichtete Behandlung durchgeführt werden können, die es dem Antragsteller ermögliche, die tatursächlichen Hintergründe aufzuarbeiten und Präventionsstrategien zu entwickeln. Im Hinblick auf die bisherige erhebliche Deliktbreite der vorherigen Verurteilungen und die zu beobachtende Steigerung der Deliktintensität sei weiterhin von einer erheblichen Rückfallgefahr bzw. Gefährlichkeit des Antragstellers auszugehen. Dieser Einschätzung schließt sich die Kammer unter eigener kritischer Würdigung an.

Die Antragsgegnerin hat auch das ihr von § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU eingeräumte Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU steht die Verlustfeststellung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde ("kann"). Daran hat der nationale Gesetzgeber auch nach der Umgestaltung des nationalen Ausweisungsrechts, das die Ausweisung jetzt als gerichtlich unbeschränkt überprüfbare Abwägungsentscheidung ausgestaltet hat, festgehalten. Der Vorrang des Unionsrechts steht dem nicht entgegen. Auch wenn das Unionsrecht in Gestalt der Freizügigkeitsrichtlinie eine Ermessensentscheidung im Sinne von § 40 VwVfG nicht verlangt, hindert es den nationalen Gesetzgeber doch nicht daran, eine solche vorzusehen. Die - zwingend vorgegebene - Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Art. 27 Abs. 2 RL 2004/38/EG) ist auch bei einer Ermessensentscheidung sichergestellt und insoweit voll gerichtlich überprüfbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.12.2021 - BVerwG 1 C 60.20 -, juris Rn. 48 f.). Das von § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU eingeräumte Ermessen ist nach dem Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Danach prüft das Gericht, ob die Grenzen des Ermessens überschritten sind und ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Dies zu Grunde gelegt begegnet die Ermessensausübung der Antragsgegnerin keinen rechtlichen Bedenken.

Die Antragsgegnerin hat ihr Ermessen erkannt und in dem angefochtenen Bescheid ausdrücklich dazu ausgeführt. Dabei hat sie die Art und Schwere der vom Antragsteller begangenen Straftaten sowie die tatbezogenen Umstände eingehend gewürdigt, die gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU zu berücksichtigenden Belange ermessensfehlerfrei abgewogen und dabei insbesondere die Dauer des Aufenthalts, den Integrationsstand und die familiäre Situation des Antragstellers bewertet. So hat die Antragsgegnerin auf Grund des während der Haft bestehenden Kontakts des Antragstellers zu Frau L. und den gemeinsamen Kindern zu seinen Gunsten schutzwürdige Bindungen zu sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Personen angenommen. Auch hat sie den langjährigen Aufenthalt des - erstmals im Alter von zehn Jahren ins Bundesgebiet eingereisten -Antragstellers im Bundesgebiet, seine mangelnde wirtschaftliche und kulturelle Integration in der Bundesrepublik Deutschland und das Ausmaß der Bindung zum Heimatstaat berücksichtigt. In der Folge ist die Antragsgegnerin in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass die Bleibeinteressen, insbesondere die schutzwürdigen Bindungen des Antragstellers im Bundesgebiet, nicht so schwer wiegen, dass deswegen die bestehende erhebliche Gefahr der Begehung weiterer gravierender Straftaten hinzunehmen wäre.

Soweit der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren nunmehr erstmals geltend macht, seine Erkrankung sei in Griechenland nicht behandelbar und er würde dort nicht einmal Medikamente erhalten, sodass schwerste Straftaten vorprogrammiert seien, hat er dies schon nicht glaubhaft gemacht. Die vorgelegten medizinischen Unterlagen aus der JVA R. enthalten keine Diagnose. Ihnen ist lediglich zu entnehmen, dass der Antragsteller zwischen dem 18. Juli 2023 und dem 31. August 2023 mit Diazepam behandelt wurde und seit dem 19. Juni 2023 Olanzapin und Atosil sowie seit dem 15. August 2023 Fluoxetin erhält. In Anbetracht dessen ist weiterhin nicht bekannt, woran der Antragsteller überhaupt erkrankt ist. Im Übrigen hat der Antragsteller auch keinen Anspruch darauf, so lange in einer Therapieeinrichtung in der Bundesrepublik zu verbleiben, bis seine Erkrankung geheilt ist (vgl. BayVGH, Beschluss vom 16.4.2020 - 10 ZB 20.536 -, juris Rn. 9).

Die Abschiebungsandrohung ist voraussichtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie entspricht den gesetzlichen Anforderungen der §§ 58, 59 AufenthG. Mit der Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt ist der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU).

Die Frist zur freiwilligen Ausreise hat die Antragsgegnerin zwar mit dem nach § 7 Abs. 1 Satz 3 FreizügG/EU gesetzlich geschuldeten Mindestmaß bemessen. Sie ist vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller derzeit inhaftiert ist, nach dem gegenwärtigen Sachstand aber noch ausreichend, um eine geordnete Ausreise zu ermöglichen. Soweit der Antragsteller auf Grund seiner Erkrankung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Hinblick auf Griechenland geltend macht, indem er vorträgt, seine Erkrankung sei dort nicht behandelbar, steht das der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht entgegen (§ 59 Abs. 3 AufenthG) und wäre in einem gesonderten Verfahren zu prüfen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 1 GKG und entspricht Nr. 1.5, 8.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11).