Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 06.11.2023, Az.: 13 A 1092/21

Abschiebeandrohung; Abschiebungsverbot (verneint); Familienasyl; humanitäre Lage; Libanon; mehrere Staatsangehörigkeiten; Trennung; Ausländer mit mehreren Staatsangehörigkeiten; kein Familienasyl vom Ehegatten bei endgültiger Trennung; Berücksichtigung Kindeswohl und familiäre Bindungen bei Abschiebungsandrohung gegen Vater

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
06.11.2023
Aktenzeichen
13 A 1092/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 42750
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2023:1106.13A1092.21.00

Amtlicher Leitsatz

Der Ausländer hat sich insbesondere dann substantiiert und erschöpfend zu seiner Staatsangehörigkeit zu erklären, wenn in dem Bescheid, mit dem der Asylantrag abgelehnt worden ist, eine bestimmte Staatsbürgerschaft angenommen und hierauf eine Verfolgungsprognose (für einen bestimmten Staat) gestützt worden ist, der Ausländer aber der Meinung ist, diese Prämisse treffe in Bezug auf seine Staatsbürgerschaft nicht zu. Familienasyl nach § 26 Abs. 1 S. 1 AsylG ist ausgeschlossen, wenn die Ehe formal zwar noch besteht, da eine Scheidung (noch) nicht eingeleitet oder erfolgt ist, die tatsächliche eheliche Lebensgemeinschaft infolge einer endgültigen Trennung aber faktisch aufgehoben ist. Das Kindeswohl und die familiären Bindungen sind entgegen der Konzeption des deutschen Asylgesetzes als inlandsbezogene Abschiebungsverbote bereits vor Erlass der Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 S. 1 AsylG in Verbindung mit § 59 AufenthG durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu prüfen, auch wenn die Rückkehrentscheidung gegenüber einem Elternteil ergangen ist.

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 2021, Geschäftszeichen: , wird hinsichtlich der Ziffern 4 und 5 aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 3/4 und die Beklagte zu 1/4. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt unter anderem die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Der im Jahr 1962 im Libanon geborene Kläger reiste eigenen Angaben zufolge am 28. Juni 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 14. August 2020 einen Asylantrag.

Seine volljährige Tochter F. wurde mit Bescheid vom 11. April 2016 als Flüchtling anerkannt (Geschäftszeichen: 6333916). Seine im Mai 2002 geborene Tochter G. wurde mit Bescheid vom 28. April 2017 unter Ablehnung des Asylantrags im Übrigen als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt (Geschäftszeichen: 6824259). Die gegen die teilweise ablehnende Entscheidung erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht Hannover mit Urteil vom 19. Februar 2021 abgewiesen (Aktenzeichen: 4 A 4374/17). Der Ehefrau des Klägers, die syrische Staatsangehörige ist, wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 24. August 2021 der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt (Geschäftszeichen: 8202083-1 - 475). Die Beklagte erkannte zudem mit bestandskräftigem Bescheid vom 8. April 2022 die im Juni 2005 geborene Tochter H. und den im November 2009 geborenen Sohn I. als subsidiär Schutzberechtigte an (Geschäftszeichen: 8202083-1-1 - 451). Dabei legte die Beklagte bei beiden Kindern die syrische und die libanesische Staatsangehörigkeit zugrunde und stützte das zuerkannte Schutzrecht auf § 26 Abs. 2, 5 AsylG. Zur Begründung führte sie aus, dass die Kinder zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährig gewesen seien und ihrer Mutter mittlerweile bestandskräftig der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden sei.

In seiner persönlichen Anhörung bei der Beklagten am 14. September 2020 gab der Kläger zur Begründung im Wesentlichen Folgendes an: Er besitze die syrische und die libanesische Staatsangehörigkeit. Als Kind zweier Syrer sei er im Libanon geboren worden und habe dort bis zu seinem 20. Lebensjahr gelebt. Er habe die Schule bis zur achten Klasse besucht und habe danach als Friseur gearbeitet. Im Libanon sei ihm nie etwas passiert. Anschließend habe er mit seiner Ehefrau und seinen vier Kindern in Syrien gelebt und als Damenfriseur gearbeitet. Zunächst habe er in Anstellung gearbeitet, später habe er einen eigenen Salon betrieben.

Vor etwa zwei Jahren habe er mit seiner Familie einen Antrag gestellt, um die libanesische Staatsangehörigkeit zu erhalten. Er habe sie erhalten, weil er im Libanon geboren sei und dort viele Jahre gelebt habe. Seine vier Kinder hätten sie dadurch auch erhalten. Er und seine Kinder hätten nun sowohl die syrische als auch die libanesische Staatsangehörigkeit. Im Jahr 2019 habe er Syrien verlassen. In Syrien gebe es keine Sicherheit mehr. Er habe auch Probleme gehabt, weil er in keiner Partei sei und mit Politik nichts am Hut gehabt habe. Es sei ihm drei- oder viermal auf dem Weg zur Arbeit der Weg versperrt worden, da er zu keiner Partei gehöre. In den Libanon wolle er nicht zurückkehren, da auch dort momentan keine Sicherheit herrsche. Im Libanon würden noch drei Geschwister und Tanten leben. In Deutschland würden nur seine Kinder und seine Ehefrau leben.

Mit Bescheid vom 8. Februar 2021 lehnte die Beklagte den Asylantrag ab. Sie erkannte dem Kläger weder die Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1) noch den subsidiären Schutzstatus (Ziffer 2) zu. Ferner stellte sie fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 3). Sie forderte den Kläger unter Fristsetzung zur Ausreise auf und drohte bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung in den Libanon an (Ziffer 4). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG befristete sie auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 5).

Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus nicht gegeben seien. Insbesondere könne der Kläger als Vater seiner Tochter G. nicht gemäß § 26 Abs. 3 AsylG anerkannt werden, da die Voraussetzungen nicht vorlägen, denn die Tochter sei bereits im Zeitpunkt der Antragstellung volljährig gewesen. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die Beklagte wies ferner darauf hin, dass die Ausländerbehörde gemäß § 43 Abs. 3 S. 1 AsylG über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung entscheide, um eine gemeinsame Ausreise mit Familienangehörigen im Sinne des § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG zu ermöglichen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung des angefochtenen Bescheides Bezug genommen.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 22. Februar 2021 Klage erhoben und zudem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Zur Begründung seiner Klage verweist er auf seine Angaben beim Bundesamt und trägt darüber hinaus vor, dass seine Ehefrau und er sich getrennt hätten. Die Trennung von seiner Ehefrau im Jahr 2019/2020 habe endgültigen Charakter. Eine Scheidung sei bisher weder erfolgt, noch beantragt. Der gemeinsame Sohn lebe bei der Mutter, komme aber täglich zu seinem Vater. Er, der Kläger, könne ihn auch jederzeit bei seiner Ehefrau abholen und bezahle für Kleidung, Schuhe, Lebensmittel, Essen, etc.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 8. Februar 2021 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,

hilfsweise festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 21. Dezember 2022 auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist durch Beschluss vom 22. Dezember 2022 abgelehnt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Diese sind, ebenso wie die in der Ladung genannten Erkenntnismittel, Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, ihm die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie zu seinen Gunsten Abschiebungsverbote in Bezug auf den Libanon festzustellen. Hinsichtlich der Ziffern 1, 2 und 3 ist der Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 2021 rechtmäßig, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO (I.). Jedoch erweist er sich im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nach § 77 Abs. 1 S. 1 AsylG hinsichtlich der Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 und des in Ziffer 5 angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO (II.).

I.

Die Klage ist unbegründet, soweit der Kläger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie des subsidiären Schutzstatus und die Feststellung von Abschiebungsverboten begehrt. Denn er hat keinen Anspruch auf eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Sie hat insoweit zutreffend festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie des subsidiären Schutzstatus nicht vorliegen und keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG gegeben sind. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht diesbezüglich gemäß § 77 Abs. 3 AsylG auf die ausführliche und zutreffende Begründung in dem angefochtenen Bescheid (dort S. 3 bis S. 11) Bezug und folgt dieser.

Lediglich ergänzend wird hierzu ausgeführt:

Das Gericht teilt die Auffassung der Beklagten, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG und des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG nicht vorliegen. Denn dem Kläger droht im Libanon weder Verfolgung noch ein ernsthafter Schaden im Sinne von §§ 3, 4 AsylG. Auf die Lage in Syrien kommt es insoweit nicht an, da der Kläger zur Überzeugung des Gerichts neben der syrischen auch die libanesische Staatsangehörigkeit besitzt.

Bei Personen, die zwei oder mehr Staatsangehörigkeiten besitzen, sind in die asylrechtliche Prüfung sämtliche Staaten, deren Staatsangehörigkeiten der Betroffene besitzt, einzubeziehen. Nur wenn diese Staaten keinen Schutz gewähren, kommt nach dem Prinzip der Subsidiarität eine Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung von internationalem Schutz in Betracht (BVerwG, Beschluss vom 14. Juni 2005 - 1 B 142.04 -, BeckRS 2005, 28779 Rn. 4; VG Augsburg, Urteil vom 3. April 2019 - Au 6 K 19.30153 -, juris Rn. 16). Vorliegend kann der Kläger als libanesischer Staatsbürger den Schutz des libanesischen Staats in Anspruch nehmen. Aus seinem Vortrag ist nicht ersichtlich, dass ihm im Libanon mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden drohen.

Der Kläger kann die Zuerkennung von internationalem Schutz auch nicht aus seinem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung herleiten, er sei ausschließlich syrischer Staatsangehöriger und besitze nicht die libanesische Staatsangehörigkeit. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass der Kläger neben der syrischen auch die libanesische Staatsangehörigkeit besitzt.

Der Staatsangehörigkeit eines Asylbewerbers kommt im Asylprozess eine besondere Bedeutung zu. Zur Prüfung der Aktivlegitimation des Asylklägers bedarf es zunächst der Feststellung, welchem Staat der Betroffene angehört, das heißt wessen Staatsangehörigkeit er besitzt, da für die von dem Gericht für die Entscheidung über das Asylbegehren anzustellende Asylprognose auf die Verhältnisse des Landes abzustellen ist, dessen Staatsbürgerschaft der Betroffene besitzt (OVG Lüneburg, Urteil vom 22. Juni 2004 - 2 LB 86/03 -, BeckRS 2004, 154340 Rn. 28). Der Betroffene ist daher im Rahmen seiner Darlegungs- und Mitwirkungspflichten gehalten, nicht nur über sein Asylschicksal, sondern auch über seine sonstigen persönlichen Verhältnisse (erschöpfend) Auskunft zu geben, wozu insbesondere seine Staatsbürgerschaft gehört. Diese Rechtsbeziehung - die Staatsbürgerschaft eines bestimmten Landes - stellt einen wesentlichen Bestandteil der persönlichen Verhältnisse des Betroffenen dar, bezüglich derer er eine Schilderung geben muss, die den geltend gemachten Anspruch auf Gewährung von Asyl lückenlos zu tragen imstande ist (BVerwG, Urteil vom 24. April 1990 - 9 C 3/89 - NVwZ 1990, 876, 877 [BVerwG 24.04.1990 - BVerwG 9 C 4.89]). Der Betroffene hat sich daher substantiiert und erschöpfend zu seiner Staatsangehörigkeit zu erklären. Diese Verpflichtung trifft ihn jedenfalls dann, wenn in dem Bescheid, mit dem der Asylantrag abgelehnt worden ist, eine bestimmte Staatsbürgerschaft angenommen und hierauf eine Verfolgungsprognose (für einen bestimmten Staat) gestützt worden ist, der Betroffene aber der Meinung ist, diese Prämisse treffe in Bezug auf seine Staatsbürgerschaft nicht zu (OVG Lüneburg, Urteil vom 22. Juni 2004 - 2 LB 86/03 -, BeckRS 2004, 154340 Rn. 28).

Diesen Maßstab zugrunde gelegt, sieht das Gericht keine Veranlassung, an der Annahme der Beklagten, der Kläger sei sowohl syrischer als auch libanesischer Staatsbürger, zu zweifeln. Denn der Kläger hat die Annahme der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid, er sei libanesische Staatsangehöriger, nicht substantiiert und widerspruchsfrei widerlegt. Vielmehr hat er sowohl im behördlichen Verfahren als auch im gerichtlichen Verfahren bis zu mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass er neben der syrischen Staatsangehörigkeit auch die libanesische Staatsangehörigkeit besitze. So hat er ausweislich des Anhörungsprotokolls (Bl. 69 d. Beiakte BA001) gegenüber der Beklagten im Rahmen der persönlichen Anhörung am 14. September 2020 auf die Frage, ob er neben der syrischen Staatsangehörigkeit eine weitere Staatsangehörigkeit besitze, geantwortet, dass er darüber hinaus noch die libanesische Staatsangehörigkeit habe. Er hat zudem angegeben, dass er einen libanesischen Personalausweis besitze. Er habe vor etwa zwei Jahren beantragt, dass er und seine Kinder die libanesische Staatsangehörigkeit erhalten würden, was geklappt habe. Außerdem hat der Kläger ausweislich der Klageschrift vom 22. Februar 2021 im gerichtlichen Verfahren vorgetragen, dass er sowohl syrischer als auch libanesischer Staatsangehöriger sei. Des Weiteren ist auch in den Asylverfahren seiner beiden jüngeren Kinder H. und I. vorgetragen worden, dass sie sowohl die libanesische als auch die syrische Staatsangehörigkeit besitzen würden. Die Beklagte nahm daraufhin im Bescheid vom 8. April 2022, mit dem die beiden Kinder im Wege des Familienasyls als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt worden sind, an, dass sie sowohl syrische als auch libanesische Staatsangehörige seien. Im sich anschließenden gerichtlichen Verfahren (Aktenzeichen: 13 A 4896/21) ist die libanesische Staatsangehörigkeit nicht in Frage gestellt worden. Außerdem hat die Ehefrau des Klägers im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung bei der Beklagten am 14. September 2020 mitgeteilt, dass ihr Ehemann neben der syrischen Staatsangehörigkeit auch die libanesische Staatsangehörigkeit besitzen würde. Er habe sie vor etwa zwei Jahren beantragt und erhalten (Bl. 70 d. Beiakte BA001).

Die bloße, nicht näher erläuterte Behauptung, er sei nicht libanesischer Staatsbürger, die der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, vermag die Annahme der libanesischen Staatsbürgerschaft nicht zu erschüttern. Er hat weder substantiiert noch widerspruchsfrei dargelegt, dass er nicht im Besitz der libanesischen Staatsangehörigkeit ist. Seine Behauptung lässt sich nicht mit seinem übrigen Vortrag, den Angaben seiner Ehefrau und der im Asylverfahren seiner beiden jüngeren Kinder zugrunde gelegten Annahme in Einklang bringen. So hat er in der mündlichen Verhandlung im Rahmen der informatischen Befragung zunächst angegeben, einen Antrag auf Einbürgerung bei libanesischen Behörden gestellt und daraufhin einen libanesischen (Personal-)Ausweis erhalten zu haben. Wegen einer gesetzlichen Ausnahmeregelung sei es möglich gewesen, die libanesische Staatsangehörigkeit zu erhalten. Auf Nachfrage des Gerichts, ob sein Antrag auf Einbürgerung mit dem Erhalt des Ausweises positiv beschieden worden sei, hat der Kläger geantwortet, dass sein Antrag auf Einbürgerung etwa zwei bis drei Jahre vor seiner Einreise nach Deutschland positiv beschieden worden sei. Er habe daraufhin einen libanesischen Ausweis erhalten. Entgegen der ihm obliegenden Darlegungs- und Mitwirkungspflichten, die ihn vorliegend jedenfalls deshalb treffen, weil die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid von seiner libanesischen Staatsangehörigkeit ausgegangen ist, hat der Kläger nicht nachvollziehbar dargelegt, weshalb er - wie von ihm behauptet - trotz der positiven Bescheidung seines Einbürgerungsantrags nicht libanesischer Staatsangehöriger ist. Eine überzeugende Erklärung hat er nicht geliefert und ist auch sonst nicht ersichtlich. Eine solche ergibt sich auch nicht daraus, dass er erst auf Nachfrage seines Prozessbevollmächtigten vorgetragen hat, dass der libanesische Ausweis, den er im Rahmen der Bescheidung seines Antrags auf Einbürgerung erhalten habe, möglicherweise eine bloße Aufenthaltserlaubnis gewesen sei. Denn der Kläger hat diese Behauptung nicht substantiiert. So hat er weder den Ausweis vorgelegt, noch eine schlüssige Erklärung für diese Vermutung geliefert. Zudem steht diese Vermutung in Widerspruch zu den übrigen Angaben, die er in der mündlichen Verhandlung zu seinem Antrag auf Einbürgerung und dem Erhalt des Ausweises gemacht hat. Denn er hat unter anderem vorgetragen, dass es ein ganz normaler Ausweis gewesen sei, wie alle anderen Ausweise auch. Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit seines neuen Vorbringens ergeben sich für das Gericht auch deshalb, weil der Kläger entgegen seiner Angaben im behördlichen Verfahren sowie im Asylverfahren seiner jüngeren Kinder H. und I. in der mündlichen Verhandlung nunmehr erstmals behauptet hat, seine Kinder würden die libanesische Staatsangehörigkeit nicht besitzen. Auch diese Behauptung ist nicht näher substantiiert worden.

Unabhängig hiervon ist dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus auch nicht nach § 26 Abs. 1, 3, 5 AsylG im Wege des Familienasyls zuzuerkennen. Zwar kommt die Ableitung des seiner Ehefrau mit Bescheid vom 24. August 2021 zuerkannten subsidiären Schutzes gemäß § 26 Abs. 1, 5 AsylG in Betracht. Jedoch liegen nach Einschätzung des Gerichts die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1, 5 AsylG nicht vor, da die Lebensgemeinschaft der Eheleute infolge ihrer Trennung nicht mehr besteht. Denn zur Überzeugung des Gerichts setzt die Ableitung eines internationalen Schutzrechts von dem Ehegatten voraus, dass die eheliche Lebensgemeinschaft tatsächlich besteht und nicht durch eine Trennung faktisch aufgelöst ist.

Sowohl der Gesetzeswortlaut als auch der Zweck des § 26 AsylG legen nahe, dass eine eheliche Gemeinschaft zwischen dem Betroffenen und seinem Ehegatten, von dem ein Schutzrecht abgeleitet werden soll, gegeben sein muss. Denn § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 5 AsylG setzt ausdrücklich voraus, dass die Ehe "schon" in dem Staat, in dem die Verfolgung oder der ernsthafte Schaden droht, bestehen muss. Daraus ist zu schließen, dass sie auch in Deutschland jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylanspruch andauern muss. Denn nur dann besteht eine hinreichende Nähe zu den Asylgründen des Inhabers des internationalen Schutzrechtes (vgl. VG Köln, Urteil vom 19. Juni 2018 - 17 K 637/18.A -, juris Rn 28 f.). Dabei darf zur Überzeugung des Gerichts nicht darauf abgestellt werden, ob die Ehe formal besteht oder geschieden worden ist. Vielmehr ist unter Berücksichtigung des Zwecks des Familienasyls nach § 26 AsylG zu fordern, dass zur Ableitung unter Ehegatten nach § 26 Abs. 1 AsylG im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung eine tatsächliche Lebensgemeinschaft zwischen den Ehegatten bestehen muss. Denn der Zweck des § 26 AsylG liegt neben einem Beschleunigungs- und Vereinfachungseffekt bei der Entscheidung über Asylanträge insbesondere darin, die Integration der nahen Familienangehörigen der Asylberechtigten bzw. der Inhaber eines internationalen Schutzrechtes zu fördern (vgl. Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 11/6960, S. 29 f.; OVG Münster, Beschluss vom 4. Mai 2020 - 11 A 1252/20, BeckRS 2020, 8960 Rn. 8). Die Rechtsprechung folgert daraus, dass keine Veranlassung besteht, auch dem geschiedenen Ehegatten eines Asylberechtigten nach § 26 Abs. 1 AsylG Familienasyl zu gewähren (OVG Münster, Beschluss vom 4. Mai 2020 - 11 A 1252/20, BeckRS 2020, 8960 Rn. 9). Sofern die Ehe geschieden ist, könne der gesetzlich intendierte Zweck des einheitlichen Aufenthaltsstatus der Familie und des Schutzes der Familieneinheit nicht mehr erreicht werden. Zur Überzeugung des Gerichts muss dies auch dann gelten, wenn die Ehe zwar formal noch besteht, da die Eheleute (noch) nicht geschieden sind, die tatsächliche Lebensgemeinschaft infolge einer endgültigen Trennung aber faktisch aufgehoben ist. Hierfür spricht, dass auch bei einer tatsächlichen Aufhebung der Lebensgemeinschaft der gesetzlich intendierte Zweck des einheitlichen Status der Familie und des Schutzes der Familieneinheit nicht mehr erreicht werden kann (vgl. VG Köln, Urteil vom 19. Juni 2018 - 17 K 637/18.A -, juris Rn. 41; Günther/Nuckelt in BeckOK AuslR, 38. Ed. 1. Juli 2023, AsylG, § 26 Rn. 10). Für diese Auffassung ist ferner anzuführen, dass das Bundesverwaltungsgericht bereits klargestellt hat, dass es für die Prüfung, ob eine Ehe bereits im Herkunftsstaat gemäß § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AsylG bestanden hat, nicht auf die rechtliche Gültigkeit oder Rechtswirksamkeit des familienrechtlichen Rechtsgeschäfts "Eheschließung" im Heimatland ankommt, sondern auf das tatsächliche Bestehen einer Lebensgemeinschaft (BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1992 - 9 C 61/91 -, juris Rn. 7; VGH Kassel, Beschluss vom 25. August 2000 - 2 ZU 3216/96.A - juris, 2. Orientierungssatz). Dies muss entsprechend dem Zweck des Familienasyls auch für die Prüfung des Bestands der Ehe in der Bundesrepublik gelten. Denn auch hier kann es nicht auf die rechtliche Gültigkeit oder Rechtswirksamkeit einer Ehe ankommen, sondern auf das Bestehen einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft zwischen den Ehegatten, die eine Ableitung des Schutzrechts wegen der Nähe zu den asylrelevanten Gründen und zugunsten der Förderung der Integration der nahen Familienangehörigen rechtfertigt.

Diesen Maßstab zugrunde gelegt, kann der Kläger den subsidiären Schutzstatus von seiner Noch-Ehefrau nicht ableiten. Dabei kann dahinstehen, ob die Ehe wegen der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung mitgeteilten, in Syrien eingeleiteten Scheidung bereits formal geschieden ist. Jedenfalls besteht nach den Angaben des Klägers die tatsächliche Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau nicht mehr. Denn die Eheleute haben sich kurz nach der Ankunft in Deutschland getrennt. Die Trennung hat endgültigen Charakter. Sie leben nicht mehr zusammen, sondern haben getrennte Wohnungen.

Auch kann der Kläger nicht als Vater seiner Kinder H. und I. als subsidiär Schutzberechtigter nach § 26 Abs. 3, 5 AsylG anerkannt werden. Zwar ist seinen Kindern mit Bescheid vom 8. April 2022 der subsidiäre Schutz zuerkannt worden. Unabhängig davon, ob von seiner im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung volljährigen Tochter H. eine Ableitung überhaupt möglich ist, scheidet sie vorliegend jedenfalls wegen § 26 Abs. 4 S. 2 AsylG aus. Nach der Rechtsprechung ist § 26 Abs. 4 S. 2 AsylG weit zuzulegen. Er schließt die Gewährung von abgeleitetem Schutz nach § 26 AsylG von einem Familienangehörigen, der diesen Schutzstatus selbst nur über § 26 AsylG erhalten hat, über den ausdrücklich geregelten Fall der Ableitung des Schutzes zugunsten eines Kindes hinaus auch für andere Familienangehörige aus (OVG Lüneburg, Beschluss vom 29. Oktober 2019 - 4 LA 217/19, BeckRS 2019, 26423 Rn. 6; VGH München, Urteil vom 26. April 2018 - 20 B 18.30332 -, Rn. 27). Da die beiden Kinder des Klägers ihren Schutzstatus von deren Mutter abgeleiteten haben nach § 26 Abs. 2, 5 AsylG, scheidet eine Ableitung für den Kläger aus.

Des Weiteren teilt das Gericht die Auffassung der Beklagten, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG zu Gunsten des Klägers nicht vorliegen.

Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der EMRK unzulässig ist. Einschlägig ist hier Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Der Verweis auf die EMRK erfasst lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, die dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen.

Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK ist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 8). Der EGMR entnimmt Art. 3 EMRK die Verpflichtung, den Betroffenen nicht in ein bestimmtes Land abzuschieben, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass er im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (vgl. nur EGMR, Urteil vom 13. Dezember 2016 - 41738/10 [Q. v. Belgium] - HUDOC Rn. 173; vom 23. August 2016 - 59166/12 [J. K. and others v. Sweden] - HUDOC Rn. 79). Insoweit sind die vorhersehbaren Folgen einer Rückkehr unter Berücksichtigung sowohl der allgemeinen Lage im Abschiebungszielstaat als auch der persönlichen Umstände des Ausländers zu prüfen (EGMR, Urteil vom 23. August 2016, a.a.O., Rn. 83). In außergewöhnlichen Einzelfällen können schlechte humanitäre Verhältnisse im Abschiebungszielstaat ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 23 und 25; Beschluss vom 8. August 2018, a.a.O., Rn. 9; OVG Lüneburg, Urteil vom 29. Januar 2019 - 9 LB 93/18 - juris Rn. 45; VGH Mannheim, Urteil vom 17. Dezember 2020 - A 11 S 2042/20 - juris Rn. 26). In diesen Ausnahmefällen müssen zu schlechten humanitären Verhältnissen ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten, um diese als unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK qualifizieren zu können (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 25; VG Saarlouis, Urteil vom 27. Januar 2023 - 3 K 1208/22 -, juris Rn. 37).

Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist jedoch keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG erforderlich (BVerwG, Beschluss vom 23. August 2018 - 1 B 42.18 - juris Rn. 13). Allerdings müssen die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren ein gewisses "Mindestmaß an Schwere" erreichen. Diese Voraussetzung kann erfüllt sein, wenn der Ausländer nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Zielstaat der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann. Die Unmöglichkeit der Sicherung des Lebensunterhalts kann auf der Verhinderung eines Zugangs zum Arbeitsmarkt oder auf dem Fehlen staatlicher Unterstützungsleistungen beruhen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. August 2018, a.a.O., Rn. 11; VG Göttingen, Urteil vom 22. Dezember 2021 - 1 A 74/21 -, juris Rn. 25). Bei "nichtstaatlichen" Gefahren für Leib und Leben ist allerdings ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem etwa die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK "zwingend" sind. Dabei sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen sowie die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15/12 - juris Rn. 38; OVG Lüneburg, Urteil vom 28. Juli 2014 - 9 LB 2/13 - juris Rn. 26; zur Lage im Libanon vgl. auch die Beschreibung in VG Hamburg, Urteil vom 9. September 2021 - 14 A 6163/21 - juris Rn. 37 ff.; VG Stuttgart, Urteil vom 14. Dezember 2022 - A 7 K 3714/20 - juris Rn. 48 ff.; VG Saarlouis, Urteil vom 27. Januar 2023 - 3 K 1208/22 -, juris Rn. 29 ff.).

Der Libanon ist aus eigener Kraft weder in der Lage, die eigene Bevölkerung zu ernähren noch substanziell den eigenen Staatshaushalt nachhaltig zu finanzieren (BAMF, Länderreport 32 - Libanon, Stand 12/2020, S. 6). Das Land ist auf die Einfuhr von Gütern wie auf Zufluss von Devisen angewiesen, die in erster Linie durch Remittenten aus dem Ausland erbracht werden. Die Staatsbank (Banque Du Liban) hielt den seit 1997 bestehenden festen Wechselkurs der libanesischen Lira zum Dollar nach dem im Oktober 2019 einsetzenden Währungsverfall künstlich aufrecht und verhinderte den Abfluss von Devisen (BAMF, ebd.); wichtige Güter wie Nahrungsmittel - 85 % werden importiert -, Treibstoff oder Medikamente wurden subventioniert, indem die Staatsbank Devisen zum offiziellen Wechselkurs bereitstellte. Dieses System ist zusammengebrochen. Die Dollar-Reserven der Banken sind aufgebraucht, die Lira hat auf dem Schwarzmarkt mehr als 90 % ihres Wertes verloren (Congressional Research Service, Focus Lebanon, Stand 21. April 2021, S. 29). Die durch einen Kollaps des Banken- und Finanzsystems ausgelöste und durch die Zerstörung des Beiruter Hafens am 4. August 2020 sowie die COVID-19-Pandemie weiter stark verschärfte Wirtschaftskrise, in deren Zuge die Mehrheit der libanesischen Bevölkerung ihre Ersparnisse verloren hat, hat unter anderem zu einer Hyperinflation geführt, die nicht durch einen Anstieg von Löhnen kompensiert wird.

Insbesondere sind die Preise für Lebensmittel so stark gestiegen, dass viele Geschäfte vorübergehend gar keine Lebensmittel mehr anbieten können und sich die Preise unter anderem für Grundnahrungsmittel vervielfacht haben. Die Verteuerung der Lebensmittel lag im Juni 2020 bei circa 200 % (Zeit online: Hälfte der Lebensmittelbestände im Libanon bald aufgebraucht, 1. Februar 2021, https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-02/corona-wirtschaftskrise-libanon-lebensmittel-nahrungsversorgung-armut-lockdown). Die Verteuerung einiger Grundnahrungsmittel hat bis August 2021 sogar 350 % erreicht (Euro-Med Human Rights Monitor, Lebanon: Falling Into The Abyss, August 2021, S. 7), im Juni 2022 lag sie bei 332 % (Länderinformation Libanon, Staatendokumentation des BFA, 1. März 2023, S. 60). Die Preise für Strom, Wasser und Gas sind zwischen Juni 2021 und Juni 2022 um 595 % angestiegen (Länderinformation Libanon, Staatendokumentation des BFA, S. 60). Die Inflation wird durch den beabsichtigten und zum Teil bezüglich Benzin und Weizen bereits durchgeführten Wegfall der staatlichen Subventionierung insbesondere von Lebensmitteln voraussichtlich noch weiter ansteigen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, 4. Januar 2021, S. 20; Euro-Med Human Rights Monitor, a.a.O., S. 8; zur Einstellung der Subventionen für Treibstoffimporte: BAMF Briefing Notes. 16. August 2021, S. 9; Länderinformation Libanon, Staatendokumentation des BFA, S. 61). Hinzu kommen nunmehr noch weitere erhebliche Probleme durch die im Zuge des Krieges in der Ukraine verursachten großen Folgen bei der Lieferung von Weizen. Vor dem Krieg bezog der Libanon 80 % der gesamten Weizenzufuhr aus der Ukraine und etwa 15 % aus Russland (Länderinformation Libanon, Staatendokumentation des BFA, S. 61; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 15. September 2023 - VG 3 K 1207/19.A -, juris). Russland ist seit 2018 der weltgrößte Exporteur von Weizen, die Ukraine ist auf dem Weg zu Platz Nummer drei gewesen. Weil die ukrainischen Häfen zunächst länger geschlossen waren, konnte kein Getreide das Land verlassen. Die Preise für Weizen sind in kurzer Zeit sehr stark gestiegen (vgl. FAZ-Online: Ukraine-Krieg sorgt für Chaos an den Rohstoffmärkten, 28. Februar 2022, https://www.faz.net/aktuell/finanzen/finanzmarkt/ukraine-konflikt-sorgt-fuer-chaos-an-den-rohstoffmaerkten-17839798.html). Trotz der zwischenzeitlich erfolgten Auslieferung von Weizen aus der Ukraine ist die Versorgung der Bevölkerung mit Brot im Libanon jedoch weiterhin kritisch. Der anhaltende Krieg in der Ukraine treibt die Preise für Grundnahrungsmittel und Energie weiter in die Höhe und führt zu Versorgungsengpässen, was insbesondere durch das Auslaufen des Getreideabkommens im Sommer 2023 verschärft wird (vgl. Tagesschau.de: Hohe Weizenpreise - im Libanon wird das Brot knapp, 7. Juni 2022 - https://www.tagesschau.de/ausland/asien/libanon-brotmangel-101.html; Tagesschau.de: Getreideabkommen ausgelaufen, 18. Juli 2023 - https://www.tagesschau.de/ausland/europa/getreideabkommen-reaktionen-verlaengerung-104.html; Länderinformation Libanon, Staatendokumentation des BFA, S. 61).

Die Verknappung von Treibstoff hatte auch negative Auswirkungen auf die Stromversorgung, die erheblich eingeschränkt ist (vgl. Spiegel Online: Stromkrise im Libanon, der perfekte Kurzschluss, 15. Mai 2021, https://www.spiegel.de/ausland/libanon-strom-krise-der-perfekte-kurzschluss-a-a8482a17-1bdd-4022-995d-c322205aeb06). Durch den Ukraine-Krieg sind nunmehr auch die Treibstoffpreise weiter enorm gestiegen. Private Betreiber von Stromgeneratoren haben immer größere Probleme, den für den Betrieb der Generatoren erforderlichen Treibstoff zu erhalten, zumal die Banken vielfach die für den Einkauf erforderlichen Kredite nicht auszahlen. Hinzu kommt schließlich, dass dem öffentlichen Wasserversorgungssystem akut der Kollaps droht. Es gibt weder ausreichend Elektrizität noch Treibstoff, um Wasserpumpen umfassend funktionstüchtig zu erhalten, noch hinreichend Ersatzteile oder beispielsweise Chlor, um die Trinkwassersicherheit zu gewährleisten. Nach einem Bericht von UNICEF droht die Wasserversorgung von etwa vier Millionen Menschen im Libanon zusammenzubrechen (vgl. Euro-Med Human Rights Monitor, a.a.O., S. 34 ff m.w.N.)

Das im regionalen Vergleich bislang gut ausgestattete Gesundheitssystem ist ebenfalls unter Druck geraten, da die meisten Medikamente eingeführt werden müssen. Seit Oktober 2019 stellte die Banque du Liban für 85 % des Warenwertes Devisen bereit und subventionierte so die Einfuhr zum günstigen offiziellen Wechselkurs (BAMF, Länderreport, a.a.O., S. 10). Der regional günstige Preis von Medikamenten führte zu Schmuggel ins Ausland in erheblichem Umfang, zu Vorratskäufen und Zurückhalten von Medikamenten durch die Importunternehmen, so dass bereits Ende 2020 zahlreiche Apotheken mangels Ware schließen mussten (BAMF, Länderreport, ebd.). Die Subventionierung des Imports wurde im Sommer 2021 eingestellt (Euro-Med Human Rights Monitor, Lebanon: Falling Into The Abyss, August 2021, S. 8). Mittlerweile können Medikamente wegen des Devisenmangels nur noch sehr begrenzt importiert werden (BAMF, Briefing Notes, 16. August 2021, S. 9).

Die Armut in der libanesischen Bevölkerung ist im Verlauf der anhaltenden schweren Wirtschaftskrise rasant angestiegen. Bereits 2019 konnten 28 % der libanesischen Bevölkerung nicht das Existenzminimum selbständig durch Einkommen erwirtschaften, wobei bereits vor der Explosion des Beiruter Hafens geschätzt wurde, dass dieser Wert im Laufe des Jahres 2020 auf 55 % steigen würde (BAMF, Länderreport, a.a.O., S. 6). In absoluter Armut lebten 2020 geschätzte 23 % der Bevölkerung (ebd.). Geschätzte 77 % der Familien verfügen nicht über ausreichende finanzielle Mittel, um genügend Lebensmittel zu kaufen (Euro-Med Human Rights Monitor, a.a.O., S. 43, a.a.O. m.w.N.). Dreiviertel der Bevölkerung leben an oder unter der Armutsgrenze von ca. vier US-Dollar pro Tag (Länderinformation Libanon, Staatendokumentation des BFA, S. 61). Die Arbeitslosigkeit in der libanesischen Bevölkerung liegt derzeit nach Schätzungen bei über 30 % (vgl. Auswärtiges Amt, 4. Januar 2021, S. 20; Euro-Med Human Rights Monitor, a.a.O., S. 61, wonach die Arbeitslosigkeit bei knapp 37 % liegen soll). Etwa 37 % der Beschäftigten verdienen weniger als 1 Mio. libanesische Lira, was zwischenzeitlich bei einem Schwarzmarkt-Wechselkurs von 8500 Lira je Dollar umgerechnet 117 Dollar entsprach (Euro-Med Human Rights Monitor, ebd.).

Insoweit sind die wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage im Libanon zwar sehr schlecht (vgl. zum Ganzen: VG Göttingen, Urteil vom 27. September 2021 - 1 A 35/19 - juris Rn. 24 ff.; VG Hamburg, Urteil vom 9. September 2021 - 14 A 6163/21 -, juris Rn. 37 ff.). Allerdings lässt sich vor diesem Hintergrund für libanesische Staatsangehörige nicht pauschal feststellen, dass grundsätzlich eine ernsthafte Gefahr einer mit Art. 3 EMRK unvereinbaren Behandlung oder fehlenden Existenzsicherung bei der Rückkehr in den Libanon besteht. Eine hiervon abweichende Betrachtung ergibt sich auch nicht hinsichtlich der aktuellen Entwicklungen im Zuge des Krieges im Nahen Osten. So kommt es derzeit zwar vereinzelt zu wechselseitigem Raketenbeschuss aus Israel und dem Süden des Libanons. Jedoch sind diese Angriffe Israels (bisher) lokal begrenzt auf den von der Hisbollah beherrschten Süden des Libanons und gelten nicht der Zivilbevölkerung (Spiegel Online: Beschuss aus dem Libanon - Israels Armee spricht von getroffenen "Terrorzellen", 22. Oktober 2023, https://www.spiegel.de/ausland/beschuss-aus-dem-libanon-israels-armee-spricht-von-getroffenen-terrorzellen-a-b5be1e5f-5b02-4040-ad21-cae7bb9f18e7). Zwar haben sich die Lebensbedingungen für die meisten Bewohner des Libanons in den letzten Jahren erheblich verschlechtert und viele müssen in prekären Verhältnissen leben. Hinreichende Anhaltspunkte, dass es der libanesischen Bevölkerung allgemein nicht mehr möglich ist, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen und deswegen allgemein die konkrete Gefahr von Hunger und Entbehrungen besteht, liegen jedoch nicht vor (vgl. VG Saarlouis, Urteil vom 17. April 2023 - 3 K 84/23 -, juris Rn. 16; OVG Bremen, Beschluss vom 19. Juli 2022 -1 LA 130/21-, juris Rn. 19). Eine hiervon abweichende Bewertung ergibt sich fallbezogen und hängt von den individuellen Umständen und Faktoren des Einzelfalls ab wie etwa Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Volkszugehörigkeit, Ausbildung, Vermögen und den familiären oder freundschaftlichen Verbindungen (VG Saarlouis, Urteil vom 17. April 2023 - 3 K 84/23 -, juris Rn. 17). Wie bereits ausgeführt müssen zu schlechten humanitären Verhältnissen ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten, um diese als unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK qualifizieren zu können.

Ein solch außergewöhnlicher Fall ist zur Überzeugung des Gerichts vorliegend nicht gegeben. Den dargestellten Maßstab zugrunde gelegt, sind keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Libanon Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Es ist angesichts der Umstände des Einzelfalls nicht davon auszugehen, dass er in eine existenzgefährdende Situation geraten wird. Vielmehr ist der Kläger aus Sicht des Gerichts in der Lage, für sich den Lebensunterhalt zu bestreiten, wenn auch auf einem gegebenenfalls niedrigen Niveau, sodass er im Libanon ein Leben (jedenfalls) am Rande des Existenzminimums wird führen können.

Hierfür spricht, dass der Kläger bis zu seiner Ausreise in Syrien seinen Lebensunterhalt als Friseur erwirtschaftet hat. Er verfügt über jahrzehntelange Berufserfahrung und hat in Syrien sogar einen eigenen Friseursalon betrieben. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage im Libanon ist davon auszugehen, dass der Kläger durch Friseurtätigkeiten, sonstige Aushilfstätigkeiten oder Gelegenheitsjobs ein Einkommen wird generieren können, wodurch er zumindest sein Existenzminimum sichern kann. Denn der Kläger ist im noch arbeitsfähigen Alter und nach eigenen Angaben geht es ihm derzeit gesundheitlich gut, sodass Anhaltspunkte, die gegen eine Erwerbstätigkeit sprechen, nicht ersichtlich sind. Auch in Deutschland wäre er mit Anfang 60 noch nicht im rentenfähigen Alter. Zudem ist anzunehmen, dass er aus Deutschland zumindest in finanzieller Hinsicht Unterstützung erhalten wird. Denn drei seiner vier Kinder sind mittlerweile volljährig und können daher zum Einkommen beitragen.

Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG sind nicht ersichtlich.

II.

Die von der Beklagten in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids ausgesprochene Abschiebungsandrohung sowie das in Ziffer 5 angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot sind jedoch rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.

Die Abschiebungsandrohung ist rechtswidrig, weil Kindeswohlbelange und die familiären Bindungen des Klägers im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nach § 77 Abs. 1 S. 1 AsylG dem Erlass einer Abschiebungsandrohung entgegenstehen.

Die im deutschen Asyl- und Ausländerrecht auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 S. 1 AsylG in Verbindung mit § 59 AufenthG zu erlassende Abschiebungsandrohung stellt eine "Rückkehrentscheidung" im Sinne des Art. 3 Nr. 4, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 UAbs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG (sogenannte Rückführungsrichtlinie) dar (BVerwG, Urteil vom 16. Februar 2022 - 1 C 6.21 - juris, Rn. 41, 45 und 56; BVerwG, Beschluss vom 8. Juni 2022 - 1 C 24.21 - juris Rn. 18). Daher muss die Abschiebungsandrohung als Rückkehrentscheidung unionsrechtlichen Anforderungen genügen. Nach Art. 5 Buchst. a) und b) der Rückführungsrichtlinie berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Richtlinie in gebührender Weise das Wohl des Kindes und die familiären Bindungen. Der Europäische Gerichtshof hat nunmehr beschlossen, dass Art. 5 Buchst. a) und b) der Rückführungsrichtlinie dahingehend auszulegen ist, dass das Kindeswohl und die familiären Bindungen (bereits) im Rahmen eines Verfahrens, das zum Erlass einer gegen den Minderjährigen ergehenden Rückkehrentscheidung führt, zu schützen sind (EuGH, Beschluss vom 15. Februar 2023 - C-484/22 -, Rn. 28). Danach genügt es nicht, wenn der Minderjährige diese beiden geschützten Interessen (erst) im Rahmen eines nachfolgenden Verfahrens, das den Vollzug der Rückkehrentscheidung betrifft, geltend machen kann (EuGH, Beschluss vom 15. Februar 2023 - C-484/22 -, Rn. 28). Vielmehr hat ein Mitgliedstaat vor dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gegenüber einem Minderjährigen eine umfassende und eingehende Beurteilung der Situation des Minderjährigen vorzunehmen und dabei das Wohl des Kindes und dessen familiäre Bindungen zu berücksichtigen (EuGH, Beschluss vom 15. Februar 2023 - C-484/22 -, Rn. 26 f.).

Aus dieser Rechtsprechung folgt, dass die in Art. 5 Buchst. a) und b) der Rückführungsrichtlinie genannten Belange nicht ausschließlich einer späteren Vollzugsentscheidung der Ausländerbehörde einschließlich der dagegen eröffneten Rechtsschutzmöglichkeiten vorbehalten bleiben können. Vielmehr sind das Wohl des Kindes und dessen familiäre Bindungen entgegen der Konzeption des deutschen Asylgesetzes als inlandsbezogene Abschiebungsverbote bereits vor Erlass der Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 S. 1 AsylG in Verbindung mit § 59 AufenthG durch das A. zu prüfen (VG Minden, Beschluss vom 4. Mai 2023 - 2 L 847/22.A -, juris Rn. 59 m.w.N.; VG München, Urteil vom 3. April 2023 - M 27 K 22.30441 -, juris Rn. 27 ff.; VG Hannover, Beschluss vom 17. Oktober 2023 - 1 B 2537/23 -, juris Rn. 6).

Daran gemessen genügt die in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheids erlassene Abschiebungsandrohung unter Würdigung der konkreten familiären Verhältnisse des Klägers nicht den unionsrechtlichen Anforderungen, denn der Abschiebung des Klägers stehen im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt das Kindeswohl des minderjährigen Sohnes und die familiären Bindungen im Sinne des Art. 5 Buchst. a) und b) der Rückführungsrichtlinie entgegen.

Zwar betrifft die gegenständliche Abschiebungsandrohung - anders als in dem vorgelegten Fall (vgl. EuGH, Beschluss vom 15. Februar 2023 - C-484/22 -, Rn. 2) - nicht die gegenüber einem Minderjährigen erlassene Rückkehrentscheidung. Jedoch ist bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen maßgeblich auf die Sicht eines Kindes abzustellen, wenn durch sie der Umgang mit einem Kind berührt wird. Im Einzelfall ist zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (vgl. VG Hannover, Beschluss vom 9. Oktober 2023 - 1 B 1628/23 -, juris Rn. 25). Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen, insbesondere in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 -, juris Rn. 25 f. m. w. N.). Da Art. 5 Buchst. a) der Rückführungsrichtlinie unter anderem bezweckt, die Grundrechte eines Kindes nach Art. 24 GRCh zu gewährleisten, darf er nicht eng ausgelegt werden (vgl. EuGH, Beschluss vom 15. Februar 2023 - C-484/22 -, juris Rn. 23 m. w. N.). Folglich kann er nicht dahingehend verstanden werden, dass das Wohl des Kindes nur im Verfahren des Kindes selbst zu berücksichtigen ist (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 25. Juli 2023 - W 8 S 23.30389 -, juris Rn. 27). Außerdem ist das Kindeswohl bei der Entscheidung über den Erlass einer Abschiebungsandrohung gegen ein Elternteil im Rahmen der Beurteilung der familiären Bindungen nach Art. 5 Buchst. b) der Rückführungsrichtlinie zu berücksichtigen. Denn Art. 5 der Rückführungsrichtlinie verwehrt den Erlass einer Rückkehrentscheidung, ohne die relevanten Aspekte des Familienlebens des betreffenden Drittstaatsangehörigen zu berücksichtigen, die er zur Verhinderung des Erlasses einer solchen Entscheidung geltend macht (vgl. EuGH, Beschluss vom 15. Februar 2023 - C-484/22 -, juris Rn. 25 m. w. N.).

Verfassungsrechtlich verpflichtet zudem die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, dazu, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 2021 - 2 BvR 1333/21 -, juris Rn. 45 ff.; VG Hannover, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 12 B 8/22 -, juris Rn. 28). Auch bei der Berücksichtigung von Art. 8 EMRK ist davon auszugehen, dass das Wohl des Kindes grundsätzlich für einen Erhalt der Bindungen zu den Eltern spricht. Außerdem schützt Art. 7 GRCh in vergleichbarer Weise das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (vgl. VG Hannover, Beschluss vom 9. Oktober 2023 - 1 B 1628/23 -, juris Rn. 26).

Ob zwischen einem Elternteil und einem Kind eine grundrechtlich, konventionsrechtlich und europarechtlich geschützte familiäre Gemeinschaft besteht, hängt im Wesentlichen von den konkret-individuellen Umständen des Familienlebens ab. Eine schützenswerte Eltern-Kind-Gemeinschaft lässt sich nicht allein anhand quantitativer Aspekte wie etwa Daten und Uhrzeiten des persönlichen Kontakts oder am Inhalt einzelner Betreuungshandlungen bestimmen. Eine schematische Einordnung verbietet sich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 19 ff.). Es kommt in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob die Beziehung der Eltern zerbrochen ist, ob eine Hausgemeinschaft gegeben ist oder ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 20; EGMR, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 22028/04 - juris Rn. 37). Entscheidend ist vielmehr, ob zwischen den Familienmitgliedern eine tatsächliche Verbundenheit besteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Januar 2009 - 2 BvR 1064/08 - juris Rn. 15). Denn eine schützenswerte Eltern-Kind-Gemeinschaft zeichnet sich dadurch aus, dass das Elternteil ein nachweisbares Interesse an dem Kind hat sowie am Leben und Aufwachsen des Kindes Anteil nimmt (vgl. EGMR, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 22028/04 - juris Rn. 37; BVerfG, Beschluss vom 9. Januar 2009 - 2 BvR 1064/08 - juris Rn. 16). Im Falle eines regelmäßigen Umgangs des Elternteils wird in der Regel von einer familiären Gemeinschaft auszugehen sein (BVerfG, Beschluss vom 9. Januar 2009 - 2 BvR 1064/08 - juris Rn. 16).

Vorliegend besteht zwischen dem Kläger und seinem minderjährigen Sohn eine grundrechtlich, europarechtlich und konventionsrechtlich gemäß Art. 6 GG, Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK geschützte familiäre Gemeinschaft. Unabhängig davon, dass der Kläger nicht in häuslicher Gemeinschaft mit seinem Sohn lebt, da dieser bei seiner Mutter wohnt und der Kläger alleine lebt, ist das Gericht insbesondere unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass zwischen dem Kläger und seinem Sohn eine tatsächliche Verbundenheit besteht. Denn der Kläger hat glaubhaft dargelegt, dass er regelmäßigen Umgang mit seinem Sohn hat, sich für seinen Sohn interessiert und an dessen Leben Anteil nimmt. So hat er angegeben, dass er sich um seinen Sohn kümmere. Er sehe seinen Sohn mehrmals die Woche, etwa alle zwei Tage. Sein Sohn könne zu ihm kommen, wann immer dieser möchte. Oft rufe sein Sohn einfach an, würde nach etwas fragen und dann würden sie das gemeinsam unternehmen. Auch habe er eine PlayStation gekauft, mit der sein Sohn und er häufig gemeinsam spielen würden. Dass der Sohn bei seiner Mutter lebe, sei auch sein Wunsch gewesen. Er wolle sich aber nicht vor der Verantwortung drücken. Bei der Schulanmeldung sei er beispielsweise auch dabei gewesen. Offiziell bezahle er zwar keinen Unterhalt, da er lediglich Leistungen aus dem Jobcenter beziehe. Er kaufe seinem Sohn allerdings regelmäßig Kleidung und auch Schulmaterialien. Ohne seinen Sohn könne er nicht leben. Sein Sohn und seine Kinder seien alles für ihn.

Die Vollstreckung der Ausreisepflicht des Klägers nach dem zu erwartenden fruchtlosen Ablauf der gesetzten Ausreisefrist von 30 Tagen ab Rechtskraft des Urteils berücksichtigt das Kindeswohl und die familiären Bindungen nicht in verhältnismäßiger Weise, sodass gleiches auch für die Androhung der Abschiebung gilt. Eine zur Vermeidung der Abschiebung grundsätzlich erforderliche freiwillige Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens ist derzeit nicht zu erwarten, da von dem minderjährigen Sohn des Klägers, dem bestandskräftig der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, nicht zu erwarten ist, dass er freiwillig mit seinem Vater in den Libanon ausreisen wird, zumal dessen Mutter, bei der er lebt, auch als subsidiär Schutzberechtigte bestandskräftig anerkannt worden ist.

Durch einen Vollzug der dem Kläger angedrohten Abschiebung käme es aufgrund des dem minderjährigen Sohn zuerkannten Schutzstatus zu einer nicht zu rechtfertigenden Trennung von Vater und Kind. Denn es ist nicht absehbar, dass die zu erwartende Dauer der Trennung, insbesondere vor der Bedeutung der Eltern-Kind-Beziehung und auch angesichts des Alters des Sohnes, verhältnismäßig kurz und damit hinnehmbar ist (vgl. hierzu auch VG München, Urteil vom 3. April 2023 - M 27 K 22.30441 -, juris Rn. 30 f.). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zum getrenntlebenden Elternteil und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dient und das Kind beide Eltern braucht (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 -, juris Rn. 26). Angesichts der räumlichen Distanz zwischen dem Libanon und Deutschland sowie den überschaubaren finanziellen Möglichkeiten des Klägers ist nicht zu erwarten, dass es dem Kläger auch nur ansatzweise möglich sein wird, die Beziehung zu seinem Sohn aus dem Libanon heraus in ähnlicher Weise aufrecht zu erhalten. Daher muss das öffentliche Interesse an einer wirksamen Vollstreckung der Ausreisepflicht im Fall des Klägers hinter dem Schutz des Kindeswohls und der familiären Bindungen zurückstehen.

Den unionsrechtlichen Anforderungen des Art. 5 Buchst. a) und b) der Rückführungsrichtlinie wird auch nicht dadurch genügt, dass der Kläger im streitgegenständlichen Bescheid auf ein dem Erlass der Abschiebungsandrohung nachgelagertes Verfahren verwiesen wird, in dem die Ausländerbehörde über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gemäß § 43 Abs. 3 S. 1 AsylG entscheidet, um eine gemeinsame Ausreise mit Familienangehörigen im Sinne des § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG zu ermöglichen. Denn nach der erwähnten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind das Wohl des Kindes und dessen familiäre Bindungen bereits bei Erlass der Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen (EuGH, Beschluss vom 15. Februar 2023 - C-484/22 -, Rn. 28).

Damit ist auch der Erlass und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids rechtswidrig und aufzuheben. Denn ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG kann gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG nach Aufhebung der Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S.1 Alt. 2 VwGO und § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 S. 1 und 2 ZPO.