Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 29.11.2023, Az.: 5 A 6258/21

Ausweisung; Begegnungsgemeinschaft; familiäre Lebensgemeinschaft; Gewalt gegen Frauen

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
29.11.2023
Aktenzeichen
5 A 6258/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 47110
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2023:1129.5A6258.21.00

Amtlicher Leitsatz

(Während des gerichtlichen Verfahrens durch Abschiebung vollzogene) Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen wegen Straftaten zum Nachteil der geschiedenen Ehefrau. Negative Prognose der Gefahr weiterer Straftaten infolge des Frauen- und Gesellschaftsbildes und mangelnder Auseinandersetzung mit der eigenen Tat. Überwiegen des Ausweisungsinteresses gegenüber dem Interesse, nach Haftentlassung den Kontakt zu den Kindern wieder herzustellen.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.

Er ist 1956 in der Republik Türkei geboren und türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach den Feststellungen des Landgerichts B-Stadt schloss er die Schule mit der Hochschulreife ab und studierte, um Lehrer für Mathematik zu werden, was ihm aus politischen Gründen verwehrt blieb. Im Jahr 1992 reiste er in das Bundesgebiet ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter, die ihm 1994 zugesprochen wurde. In der Folge erhielt der Kläger 1994 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die seit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes als Niederlassungserlaubnis gem. § 26 Abs. 3 Satz 1 AufenthG fort gilt und ihm auch nach bestandskräftigem Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter im Jahr 2016 belassen wurde.

Der Kläger arbeitete von 1998 bis 2004 in einem Gastronomiebetrieb in E., war seit 2004 oder 2006 arbeitslos und ist seit 2008 arbeitsunfähig erkrankt. Er leidet nach ärztlichen Attesten an einer chronischen obstruktiven Lungenerkrankung, Hypertonie, einer chronischen Schmerzstörung und psychiatrischen Erkrankungen, deren Umfang und Schwere der Kläger und verschiedene Gutachter unterschiedlich beurteilen. Der Kläger ist schwerbehindert mit einem GdB von 60.

Der Kläger heiratete 2003 eine türkische Staatsangehörige. In die Ehe wurden drei Kinder geboren (2004 F. G., 2005 H. G. und 2006 I. G.). Im Jahr 2009 wurde die Ehe geschieden. Nachdem sich der Kläger und seine geschiedene Ehefrau wieder angenähert hatten, heirateten sie 2011 erneut und bekamen 2012 eine weitere Tochter (J. G.). Alle Kinder haben die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit. Nach den Feststellungen des Landgerichts B-Stadt übte der Kläger während beider Ehen Gewalt gegen seine Ehefrau aus, insbesondere schlug er sie, wenn sie seinen "Anweisungen" nicht nachkam. Seit 2014 leben die Eheleute wieder getrennt, seit November 2015 ist die Ehe erneut geschieden. Alle Kinder blieben zunächst bei ihrer Mutter wohnen.

Seit mindestens 2015 lebte der Kläger von Grundsicherung wegen Erwerbsminderung. Seit Mai 2015 stand er unter Betreuung, diese wurde am 9. Dezember 2020 erneut eingerichtet.

Der Kläger ist wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten.

Am 26. Juli 1999 wurde er wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, deren Strafrest zunächst zur Bewährung ausgesetzt und schließlich erlassen wurde. Aufgrund dieser Verurteilung wies die damals zuständige Ausländerbehörde ihn 2001 aus dem Bundesgebiet aus, nahm diese Ausweisung auf den Widerspruch des Klägers jedoch zurück und ermahnte den Kläger, sich künftig absolut straffrei zu verhalten.

Am 4. November 2005 wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung in einem minder schweren Fall zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt.

Am 9. März 2007 wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und versuchter gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und die am 4. Oktober 2011 erlassen wurde.

Am 5. November 2014 erging gegen ihn ein Strafbefehl über eine Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen à 10,00 EUR wegen Körperverletzung. Diese hatte der Kläger zum Nachteil eines Mitarbeiters des Horts seiner Kinder begangen, den er geschlagen hatte, weil er ihn verdächtigte, ein Verhältnis mit seiner getrennt lebenden Ehefrau zu haben.

Im Hinblick auf die letztgenannte Tat schloss das Amtsgericht B-Stadt - Familiengericht - mit Beschluss vom 17. März 2015 den Umgang des Klägers mit seinen Kindern für die Dauer eines Jahres aus; dieser Ausschluss wurde hernach verlängert bis 30. September 2016.

Am 19. Mai 2016 wurde der Kläger durch das Landgericht B-Stadt wegen versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Kläger am 24. Januar 2015 seine von ihm getrennt lebende Ehefrau aufgesucht und von ihr 1.000 EUR für die Zahlung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 5. November 2014 verlangt. Als sie sich weigerte, ihm Geld zu geben, habe er in Anwesenheit der zwei Töchter ein ca. 20 cm großes Küchenmesser aus der Jacke gezogen und auf seine getrennt lebende Ehefrau eingestochen. Er habe sie dabei mehrmals am Bauch, am Oberkörper oberhalb der Brust nahe beider Achselhöhlen, am rechten Arm und an der Handinnenfläche verletzt. Er habe außerdem die Klinge des Messers auf die Wange der Frau gedrückt und sie mit der linken Hand gewürgt. Im Schlafzimmer der Wohnung habe er eine Tasche mit ihren Ersparnissen genommen und sie weiter mit dem Messer bedroht. Als sie ihm die Tasche entrissen und fortgeschleudert habe, habe er sie mit dem Messer zweimal in den Rücken gestochen und auf das Kinderbett gestoßen, dessen Gitter dabei zerbrochen sei. Dann habe er sie in der Wohnung zurückgelassen.

Im Rahmen des Strafprozesses wurde der Kläger durch einen psychiatrischen Sachverständigen untersucht, der ihm eine reaktive Depression bzw. Anpassungsstörung attestierte, die aber nicht den Schweregrad erreiche, dass im forensisch-psychiatrischen Sinne eine krankhafte seelische Störung vorliege. Auch eine wahnhafte Störung liege nicht vor. Dass der Kläger seine getrennt lebende Ehefrau verdächtige, ihn finanziell auszunutzen und sexuelle Verhältnisse mit anderen Männern zu führen, sei keine Wahnvorstellung, sondern die persönliche Wahrnehmung real bestehender Konflikte durch den Kläger. Für eine wahnhafte Störung fehle es an der Unfähigkeit, die eigene Wahrnehmung und das eigene Verhalten zu reflektieren. Das gelinge ihm durchaus. Der Kläger leide auch nicht an einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung. Sein Tathandeln sei nicht einmalig affektgetrieben, sondern funktionell erfolgt. Er habe dem Gutachter ohne gezielte Nachfrage erzählt, dass er seine Frau während der Ehe geschlagen habe, wenn sie seine "Anweisungen" nicht befolgt habe. Die Tat sei Ausdruck des Rollenverständnisses des Klägers.

Vor Haftantritt beantragte der Kläger durch mehrere Instanzen erfolglos, die Strafvollstreckung aufzuschieben, weil er infolge einer schweren psychischen Erkrankung suizidgefährdet und nicht haftfähig sei.

Der Amtsgericht B-Stadt - Familiengericht - verlängerte nach Anhörung der Kinder am 4. April 2017 und mündlicher Verhandlung am 27. April 2017 die Wirkung der einstweiligen Anordnung über den Ausschluss des Klägers vom Umgang mit seinen Kindern bis zum 27. Oktober 2017. Am 17. November 2017 beschloss das Familiengericht den Ausschluss des Umgangs des Klägers mit seinen Kindern mit Ausnahme des Briefkontakts für die Dauer von zwei Jahren. In dem Beschluss führt das Amtsgericht ausführlich aus, dass der psychische Gesundheitszustand des Klägers gegen einen gefahrlosen Umgang mit den Kindern spreche. Nach Einschätzungen des familienpsychologischen Sachverständigen liege bei dem Kläger eine narzisstisch akzentuierte Primärpersönlichkeit vor. Der Kläger könne den bei seinen Kindern infolge der konflikthaften Elternbeziehung vorliegenden Loyalitätskonflikt nicht ausreichend reflektieren, sondern sehe in der verbal geäußerten Ablehnung der Kinder wiederum nur die Folgen einer negativen Beeinflussung der Kinder durch deren Mutter. Aus eigener Wahrnehmung des Amtsgerichts zeigte der Kläger auch in den mündlichen Verhandlungen ein extrem impulsives und teilweise wahnhaftes Verhalten. Er lasse auch jegliche Feinfühligkeit gegenüber seinen Kindern und jegliches Verständnis für deren Verhalten und Gefühlslage vermissen. Aus dieser Haltung heraus habe er Briefe an seine Kinder geschrieben, in denen er angekündigt habe, zwei der Geschwister zu sich zu nehmen, obwohl er darüber nicht allein habe entscheiden können, sein Strafantritt bevorgestanden habe und die Kinder ihren Lebensmittelpunkt bei der Mutter gehabt hätten. Dass diese Briefe wegen einer Gefährdung des Kindeswohls nicht weitergeleitet worden seien, habe er in eine Verschwörung von Anwälten umgedeutet. Die Ankündigungen seien für die Kinder extrem verschreckend und verwirrend oder möglicherweise auch Hoffnungen auslösend, während unsicher sei, ob eine Kontaktaufnahme tatsächlich umsetzbar sei und psychologisch begleitet werden könne. Es sei danach (weiterhin) beinahe sicher davon auszugehen, dass der Kläger in Gegenwart der Kinder abwertende Äußerungen über die Mutter tätige, durch die die Kinder psychisch stark verunsichert würden und sich bedroht fühlen könnten. Auch ein psychologisch geschulter Umgangsbegleiter könne dies kaum verhindern.

Vom 9. Februar 2018 bis 1. November 2018 befand sich der Kläger in psychiatrischer Behandlung in der JVA K.. In der Behandlungsuntersuchung vom 15. März 2018 wird ausgeführt, dass sich "die psychiatrische Erkrankung i. S. einer chronischen schizophrenen Psychose, verbunden mit der momentanen Unterbringung auf der psychiatrischen Station, ... als Gegenindikation einer sozialtherapeutischen Behandlung" sehen lasse. Die eingeschränkten Sprachfertigkeiten und die geringen Introspektions- und Reflektionsfähigkeiten stellten generelle Behandlungshindernisse dar. Aufgrund der psychiatrischen Störung sei in erster Linie eine Behandlung dieser Erkrankung angezeigt. Eine Behandlung weiterer Risikofaktoren wie die vermuteten geringen Konflikt- und Beziehungsfähigkeiten, tatbegünstigender und tatrechtfertigender Kognitionen sowie einem negativen Frauenbild in Zusammenhang mit einem traditionell patriarchalischen Geschlechterrollenverständnis sei gegenwärtig aufgrund der psychiatrischen Erkrankung nicht möglich. Der Kläger sei nicht ansprechbar.

Am 20. Januar 2020 beantragte der Kläger die Aussetzung der zweiten Hälfte der Strafe zur Bewährung. Am 23. Januar 2020 beantragte er beim Familiengericht die Gewährung von Umgang mit seinen Kindern.

Die Justizvollzugsanstalt lehnte in ihrer Stellungnahme vom 14. Februar 2020 die vorzeitige Entlassung des Klägers ab. Sein innervollzugliches Verhalten sei zwar beanstandungsfrei und der Kläger habe ihm gewährte Bewährungschancen für sich nutzen können. Er sei jedoch Wiederholungstäter und auch nicht zum ersten Mal im Strafvollzug. Hinsichtlich der Anlasstat erkenne der Kläger seine Täterschaft an, weise die Verantwortung dafür jedoch seiner geschiedenen Ehefrau zu. Das Rückfallrisiko sei im mittleren/moderaten Bereich, die prognostisch ungünstigen Faktoren seien jedoch nicht behandelt. Der Kläger verfüge nicht über einen stabilen sozialen Empfangsraum. Als Entlassungsanschrift habe er ein Männerwohnheim angegeben. Er bekomme keinen Besuch und habe auch wenig sonstige soziale Kontakte. Dazu sei von einer Alkohol- und Kokainabhängigkeit auszugehen, auch wenn der Kläger gegenwärtig abstinent sei. Nach Rücksprache mit der Psychiaterin liege eine chronische schizophrene Psychose vor, eine relevante zwischenzeitliche Entwicklung personaler Faktoren sei nicht ersichtlich. Eine konsequente Behandlung der vermuteten personalen Folgen sei bislang nicht erfolgt. Insgesamt sei die Wahrscheinlichkeit künftiger spezifischer Risikokonstellationen in Freiheit - vornehmlich bezogen auf Beziehungsdelikte - als im moderaten Bereich einzuschätzen. Bei der beabsichtigten Entlassung in ein Männerwohnheim werde der Kläger erwartungsgemäß mit vielen Menschen auf engem Raum, engen Beziehungsgeflechten und Alkohol- und Drogenproblematiken konfrontiert. Es könne nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass er dann nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurückfalle.

Der Kläger nahm seinen Antrag auf Aussetzung des Strafrests zur Bewährung zur Halbstrafe zurück und beantragte die Aussetzung nach Verbüßung von 2/3 der ausgeurteilten Strafe. Im Hinblick auf die zu stellende Prognose beschloss die Strafvollstreckungskammer am 16. April 2020 die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Dieses Gutachten erstattete der Sachverständige Dr. med. L., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, unter dem 19. Juli 2021 und stellte darin fest, dass sich im Rahmen der Exploration keine Hinweise für schizophreniforme Symptome, formalgedankliche Einschränkungen oder inhaltliche Denkstörungen ergeben hätten. Bei dem Kläger sei von einer depressiv, gegebenenfalls auch persönlichkeitsbedingten Pseudodemenz ohne Hinweise auf wirkliche amnestische Störungen im Rahmen einer demenziellen oder schizophrenen Störung auszugehen. Diagnostisch liege eine rezidivierende depressive Störung (ICD-10: F 33.x) bei Opiat- bzw. Tilidinschmerzmittelabhängigkeit (ICD-10: F 11.2) und zurückliegendem zumindest schädlichen Konsum von Kokain und Alkohol (ICD-10: F 14.1, 10.1) vor.

Anstrengungsbereitschaft und Ehrgeiz des Klägers seien weit unterdurchschnittlich ausgeprägt. Dieser Umstand schlage sich auch in der allgemein passiven Lebensgestaltung nieder, ohne spürbare Tendenzen, seine Lebensqualität aktiv zu steigern. Aufgrund der selbstunkritischen Angaben zum Anlassdelikt müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger keine weitere prosoziale und selbstreflektierte Einsicht in die Hintergründe des Anlassdelikts werde gewinnen können. Er weise die Verantwortung für das Anlassdelikt explizit seiner damaligen Ehefrau zu und könne selbst keine eigenen Anteile an der Tat erkennen. Es sei zweifelhaft, ob er überhaupt willens und dann auch noch in der Lage sei oder absehbar sein werde, alternative Deliktshypothesen zuzulassen, die auch nur eine gewisse Eigenverantwortung für die Geschehnisse beinhalteten. Rein formal bestehe die im Anlassdelikt zutage getretene Gefährlichkeit fort. Es gehe nur um die Frage, ob diese Gefährlichkeit mittels Auflagen und Weisungen kompensiert werden könne. Das sei aus gutachterlicher Sicht der Fall, sofern der Kläger mit einem hohen Betreuungs- und Kontrollbedarf unterstützt werde. Neben einer Wohnperspektive sei unbedingt eine ambulante psychiatrische Betreuung mit Hilfen bei der Alltagsbewältigung und Tagesstrukturierung erforderlich. Es müsse verhindert werden, dass der Kläger in seiner eigenen Wohnung hilflos sich selbst überlassen werde und sich eine zunehmend depressive (aus Sicht des Gutachters gerade nicht schizophrene) Symptomatik im Rahmen eines weiteren Gewaltausbruchs gegenüber seiner Ex-Ehefrau, gegenüber seinen Kindern oder gegenüber sonstigen Menschen in seinem Umfeld Bahn breche. Im Hinblick auf geplante Treffen mit seinen Kindern sei vorerst eine Begleitung durch (Dritte oder) Mitarbeiter.innen des Jugendamts zu empfehlen, weil sonst eine Überforderung des Klägers zu befürchten sei, die er so selbst nicht antizipieren und nicht eigenständig handhaben könne.

Im Umgangsverfahren vor dem Familiengericht wurde den Kindern des Klägers ein Rechtsanwalt als Verfahrensbeistand beigeordnet. Dieser berichtete, dass ihm der älteste Sohn erklärt habe, keinen Kontakt mit dem Kläger zu wollen. Gründe habe er nicht angegeben, aber gesagt, dass man ihn nicht zwingen könne, seinen Vater zu sehen. Die ältere Tochter des Klägers habe sich indifferent geäußert. Sie wisse nicht, ob sie ihren Vater sehen wolle oder welche Meinung sie dazu haben solle. Sie wisse nicht, ob es für sie oder auch für ihre Mutter gut sei. Sie wisse, dass ihre Mutter nichts dagegen habe. Die jüngste Tochter (seinerzeit acht Jahre alt) habe erklärt, dass der Kläger ihr Briefe schreiben könne, die ihr die Geschwister dann vorlesen müssten. Sie fände es außerdem gut, ein Bild von ihrem Vater zu erhalten. Der jüngere Sohn erklärte, er wisse nicht, ob er Kontakt zu seinem Vater wolle. Treffen wolle er ihn auf keinen Fall. Sein Vater könne ihn einmal anrufen oder ihm etwas schreiben. Er werde ihn anhören und dann entscheiden, ob er weiteren Kontakt wolle.

Der Kommunale Sozialdienst äußerte in einer Stellungnahme, dass die Familie dem Jugendamt seit vielen Jahren bekannt sei. Insbesondere seit 2017 hätten alle Kinder starke emotionale und psychische Probleme entwickelt, die offenbar überwiegend aus der miterlebten Gewalt und den Konflikten der Eltern resultierten. Die Kinder seien alle belastet und zeigten weiterhin Auffälligkeiten, die darauf hinwiesen, dass sie weitere Belastungen mit großer Vorsicht mieden. Auch wenn die JVA umfassende und kindgerechte Möglichkeiten für Umgangskontakte anböte, erscheine selbst ein einmaliger Kontakt zwischen dem Kläger und seinen Töchtern nicht ratsam. Die Belastungen und weiteren zusätzlichen Schwierigkeiten in der Entwicklung der Kinder seien nicht zu unterschätzen. Ein Umgang in den Räumen der JVA ohne pädagogische oder psychosoziale Begleitung für die Töchter könne nicht befürwortet werden. Die ablehnende Haltung der Söhne solle auf jeden Fall akzeptiert werden. Seitens des Jugendamts werde angeregt, die Entlassung des Klägers abzuwarten und dann erneut im Rahmen einer Anhörung zu entscheiden, ob begleitete Umgänge angebahnt werden könnten. Die Begleitung sei zumindest in der Anfangsphase unerlässlich, weil die psychische Stabilität des Klägers nicht einzuschätzen sei. Auf Vorschlag des Verfahrensbeistands der Kinder schlossen die Kindeseltern daraufhin am 21. September 2020 einen familiengerichtlichen Vergleich, in dem sich der Kläger verpflichtet, bis zur Entlassung aus der Strafhaft jedem Kind Briefe oder Postkarten zu schreiben, während sich die Kindesmutter verpflichtet, diese Sendungen den Kindern auszuhändigen oder vorzulesen. Der Kläger verpflichtete sich weiterhin, nach Entlassung aus der Strafhaft seiner Familie seine neue Anschrift mitzuteilen, dem Jugendamt zeitnah nach Entlassung mitzuteilen, welche Resozialisierungsmaßnahmen er ergriffen habe und ein Attest eines Facharztes für Psychiatrie vorzulegen, aus dem sich die Unbedenklichkeit der Durchführung begleiteter Umgangskontakte ergebe. Das Jugendamt verpflichtete sich, nach Entlassung des Klägers und Eingang des fachärztlichen Attests ein Gespräch mit allen vier Kindern darüber zu führen, ob sie einen persönlichen Kontakt zu ihrem Vater wollen oder nicht.

Mit Bescheid vom 21. Oktober 2021 wies die Beklagte den Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet aus, kündigte ihm die Abschiebung in die Republik Türkei aus der Haft sowie für den Fall an, dass er bei einer vorherigen Entlassung aus der Haft das Bundesgebiet nicht innerhalb von 14 Tagen freiwillig verlasse. Zugleich ordnete die Beklagte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an, das sie auf sieben Jahre und fünf Monate ab dem Zeitpunkt der Ausreise oder Abschiebung befristete. Zur Begründung führt sie aus, dass der Kläger durch die von ihm begangenen Straftaten ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse verwirkliche. Dem stehe ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenüber, weil der Kläger bis zur Ausweisung eine Niederlassungserlaubnis besessen habe. Ein weiteres schwerwiegendes Bleibeinteresse könne darin liegen, dass der Kläger minderjährige Kinder deutscher Staatsangehörigkeit habe, mit denen er den Umgang zumindest anstrebe. Insoweit sei der Kontakt zu den Kindern bisher nicht wiederhergestellt und die weitere Entwicklung abzuwarten. Zuungunsten des Klägers sei jedoch vom Bestehen des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses auszugehen. Auch wenn der Kläger die tatsächlichen Voraussetzungen nicht nachgewiesen habe, gehe sie zu seinen Gunsten außerdem davon aus, dass er die Rechtsstellung eines Assoziationsberechtigten nach Art. 6 ARB 1/80 innehabe. Auch die erhöhten Ausweisungsvoraussetzungen des § 53 Abs. 3 AufenthG und des Art. 3 ENA seien indes erfüllt, weil der Kläger durch die gefährliche Körperverletzung zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt habe. Die Tat und ihr Hergang ließen erkennen, dass er über eine erhebliche kriminelle Energie verfüge und die körperliche Integrität und das Leben anderer ebenso wenig respektiere wie die deutsche Rechtsordnung. Wegen der fortbestehenden Wiederholungsgefahr sei die Ausweisung unerlässlich; sie sei bei Abwägung der Ausweisungsinteressen mit dem Bleibeinteresse auch angemessen. Der Kläger sei wirtschaftlich und in die allgemeinen Lebensverhältnisse nur schwach integriert. Die Bindung zu seinen Kindern trete gegenüber dem Ausweisungsinteresse zurück, weil seine Kinder (richtig wohl: die Vaterschaft) ihn auch in der Vergangenheit nicht von Straftaten abgehalten hätten. Die Tat am 24. Januar 2015 habe er vor den Augen seiner Töchter begangen. Er habe (in der Haft) nur zu seiner Tochter und seinem jüngsten Sohn überhaupt Kontakt (gehabt). Auch aus der Perspektive der Kinder sei die weitere Trennung zumutbar. Die Integration in der Republik Türkei sei ihm auch im fortgeschrittenen Alter zumutbar. Er habe die Republik Türkei erst im fortgeschrittenen Alter von 36 Jahren verlassen und die prägenden Jahre seines Lebens dort verbracht.

Schließlich stünden auch gesundheitliche Gründe der Ausweisung und der Abschiebung nicht entgegen. Eine zur Reiseunfähigkeit führende Erkrankung habe der Kläger zwar wiederholt geltend gemacht, aber nicht durch qualifizierte ärztliche Bescheinigungen glaubhaft gemacht.

Der Bescheid wurde dem Kläger am 23. Oktober 2021 über seine Bevollmächtigte zugestellt.

Am 4. November 2021 beschloss die Strafvollstreckungskammer den Eintritt der Führungsaufsicht, setzte die Dauer auf drei Jahre fest und wies den Kläger an, mindestens einmal je Kalendermonat die Bewährungshilfe aufzusuchen, sich bei der zuständigen Agentur für Arbeit zur Arbeitsvermittlung zu melden, seine Wohnung nach den Vorgaben seines Betreuers zu nehmen und nicht ohne Rücksprache mit diesem zu kündigen oder zu wechseln, keine alkoholischen Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen und sich einer ambulanten psychiatrischen Betreuung sowie einer psychiatrischen Therapie zu unterziehen und diese nicht gegen ärztlichen Rat abzubrechen. Eine - für das Entfallen der Führungsaufsicht erforderliche - positive Sozialprognose könne nicht gestellt werden. Bei dem Kläger liege eine langjährige Suchtmittelproblematik bei gegenwärtiger Abstinenz vor. Eine Aufarbeitung seiner Tat habe infolge der psychiatrischen Erkrankung, der eingeschränkten Sprachfähigkeit und der geringen Reflexionsfähigkeit des Klägers nicht stattgefunden. Der Kläger verfüge über keine sozialen Bindungen. Seine Wohnsituation und sein Aufenthaltsstatus seien weiter ungeklärt und er sei bereits in der Vergangenheit nicht unerheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten. Am 17. November 2021 wurde der Kläger aus der Strafhaft entlassen.

Der Kläger hat am 23. November 2021 rechtzeitig Klage erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er hält die Ausweisung für rechtswidrig. Von seinem Aufenthalt im Bundesgebiet gehe keine Gefahr mehr aus. Die abgeurteilte Tat sei eine Beziehungstat gewesen, das Rückfallrisiko nach Einschätzung des psychiatrischen Gutachters gering. Er stehe unter Betreuung und unterliege der Führungsaufsicht.

Die Ausweisung verletze ihn in seinen Rechten auf Achtung des Privatlebens und Schutz der familiären Lebensgemeinschaft. Er habe vor dem Hintergrund des familiengerichtlichen Vergleichs mit der Mutter seiner Kinder vereinbart, dass alsbald nach der Haftentlassung der Kontakt zu seinen Töchtern unter Beteiligung des Jugendamts wiederaufgenommen werden solle. Sein jüngster Sohn, der offenbar in einer Jugendhilfeeinrichtung wohne, wolle mit ihm zusammenziehen, sobald er eine eigene Wohnung gefunden habe. Die Bindung zu seiner jüngsten Tochter sei sehr eng, weil er sie nahezu allein großgezogen habe, nachdem seine Ehefrau vor der (wohl: zweiten) Trennung zwei Schlaganfälle erlitten habe und zur Betreuung der Kinder nicht in der Lage gewesen sei.

Auch die Abschiebungsandrohung sei rechtswidrig. Er sei krankheitsbedingt nicht reisefähig.

Er habe trotz der Hilfe seines Betreuers keine Möglichkeit, ein ärztliches Gutachten über seine Reisefähigkeit und die im Vergleich vor dem Familiengericht vereinbarte ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung beizubringen. Er könne auch keine Wohnung finden, solange er keinen Aufenthaltstitel habe.

Bei einer Rückkehr in die Republik Türkei drohe ihm als Kurden die Inhaftierung.

Ergänzend macht der Kläger geltend, dass die Umgangskontakte mit seinen Kindern erst erfolgen könnten, wenn die weiteren Voraussetzungen in der Umgangsvereinbarung erfüllt seien. Diese könne er jedoch erst erfüllen, wenn er einen entsprechenden Aufenthaltsstatus besitze.

Den Antrag des Klägers auf vorläufigen Rechtsschutz hat die Kammer mit Beschluss vom 19. Oktober 2022 abgelehnt. Die Beschwerde des Klägers blieb ohne Erfolg. Am 28. März 2023 wurde der Kläger in die Republik Türkei abgeschoben. Einen unmittelbar vor der Abschiebung gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz lehnte die Kammer mit Beschluss vom selben Tage ab. Eine am 2. April 2023 erhobene Beschwerde wies das Nds. Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 4. Mai 2023 zurück.

Der Kläger hat seitdem eine Erklärung seines Sohnes vom 6. April 2023 vorlegen lassen, nach der dieser ihn ein- bis zweimal wöchentlich besuche und Zeit mit ihm verbringe. Er hat weiter vortragen lassen, dass sein Sohn sich am 24. Juni 2023 telefonisch bei seiner Bevollmächtigten gemeldet und traurig erkundigt habe, wann sein Vater wiederkomme. Er sei über die Abschiebung seines Vaters traurig und entsetzt und empfinde die Abschiebung als neuerlichen Verlust, nachdem er sich seinem Vater gerade wieder angenähert habe. Auch seine jüngste Schwester benötige ihren Vater. Die Ausweisung und Abschiebung des Vaters verletze diesen in seinem Grundrecht auf Schutz der Familie.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 2021 aufzuheben,

hilfsweise,

die Beklagte zu verpflichten, das ausgesprochene Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Zeitpunkt der Abschiebung zu befristen.

Die Beklagte beantragt unter weitgehender Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid,

die Klage abzuweisen.

Die mit der Klage erhobenen Einwände des Klägers seien bereits im Anhörungsverfahren geäußert und bei der Entscheidung berücksichtigt worden. Eine krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit habe der Kläger nicht substantiiert dargelegt. Auch nach dem Vollzug der Abschiebung erachte die Beklagte die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Verhältnis zu den Ausweisungsgründen als angemessen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist mit dem Hauptantrag hinsichtlich der Ausweisung des Klägers und der Abschiebungsandrohung zulässig, auch nachdem der Kläger bereits abgeschoben worden ist.

1. Die Abschiebung führt zwar zur Erreichung des mit der Ausweisung verfolgten Zwecks, die Zweckerreichung führt jedoch nicht zur Erledigung der Ausweisungsentscheidung, weil sie Grundlage der über die Abschiebung andauernden Sperrwirkung ist, die mit dem Einreise- und Aufenthaltsverbot einhergeht. Das gilt auch für die - durch die erfolgte Abschiebung tatsächlich vollzogene - Abschiebungsandrohung. Ein Verwaltungsakt erledigt sich erst dann, wenn er nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.08.2017 - BVerwG 1 A 3.17, juris Rn. 12). Die Abschiebungsandrohung bildet als Rückkehrentscheidung im unionsrechtlichen Sinne - über die Aufenthaltsbeendigung hinaus - gemeinsam mit der Ausweisung die Grundlage für die Aufrechterhaltung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Aus Art. 3 Nr. 6, Art. 11 Abs. 1 RL 2008/115/EG, wonach das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit einer Rückkehrentscheidung "einhergeht", ergibt sich, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot eine Ergänzung der Rückkehrentscheidung darstellt und selbst bei Bestandskraft der Ausweisung nicht aufrechterhalten werden darf, wenn die Rückkehrentscheidung aufgehoben worden ist (EuGH, Urteil vom 3.6.2021 - C-546/19, juris Rn. 52, 61, vgl. auch OVG Bremen, Beschluss vom 4.1.2022 - 2 LB 383/21 -, Rn. 32, juris).

2. Soweit sich die Klage gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots richtet, ist zwar der als Hauptantrag gestellte Anfechtungsantrag nicht von einem Rechtsschutzbedürfnis getragen, weil die bloße Aufhebung der Befristungsentscheidung zu einem unbefristeten Verbot führen würde. Insoweit ist allerdings der Hilfsantrag zulässig.

II. Soweit sie zulässig ist, ist die Klage unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist sowohl hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Ausweisung als auch hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - BVerwG 1 C 45.06 -, BVerwGE 130, 20-28). Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung ist der Rechtsprechung des Eufach0000000005s zu Abschiebungsanordnungen (BVerwG, Urteil vom 22.3.2012 - BVerwG 1 C 3.11 -, Rn. 13, juris) keine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung zu entnehmen, dass insofern der Zeitpunkt der Abschiebung maßgeblich ist/bleibt, weil sich die Abschiebungsandrohung durch sie erledigt. Damit sind auch keine erkennbaren Rechtsnachteile für den Kläger verbunden, wenn später eintretende Änderungen der Sach- und Rechtslage im Rahmen der Prüfung der Ausweisung berücksichtigt werden.

2. Die Ausweisung des Klägers findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

a. Der Aufenthalt eines Ausländers stellt zum einen eine Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG dar, wenn eine (erneute) Verletzung der dort genannten Schutzgüter durch den Ausländer selbst droht (spezialpräventives Ausweisungsinteresse), zum anderen aber auch dann, wenn zwar vom Ausländer selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr mehr ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam von vergleichbaren Verhaltensweisen abgehalten würden (generalpräventives Ausweisungsinteresse) (vgl. BVerwG, Urteil vom 9.5.2019 - BVerwG 1 C 21.18 -, juris Rn. 17; Urteil vom 12.7.2018 - BVerwG 1 C 16.17 -, juris Rn. 16).

b. Ein darüber hinaus gehender besonderer Ausweisungsschutz gem. § 53 Abs. 3 AufenthG kommt dem Kläger nicht zu. Insofern hat er keine Umstände dargelegt, nach denen er aus dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei noch ein Aufenthaltsrecht herleiten kann. Er hat zwar zwischen 1998 und 2004 im Sinne von Art. 6 ARB 1/80 dem Arbeitsmarkt als Arbeitnehmer angehört, ist aber aus dem regulären Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland ausgeschieden. Zwar führt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht jede Abwesenheit eines türkischen Arbeitnehmers vom Arbeitsmarkt zum Ausscheiden aus dem regulären Arbeitsmarkt. Ein türkischer Arbeitnehmer gehört trotz einer vorübergehenden Unterbrechung seines Arbeitsverhältnisses für den Zeitraum, der angemessen ist, um eine andere Beschäftigung zu finden, weiterhin im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats an, und zwar unabhängig davon, welchen Grund die Abwesenheit des Betroffenen vom Arbeitsmarkt hat, sofern diese Abwesenheit vorübergehender Natur ist (EuGH, Urteil vom 7.7.2005 - C-383/03 -, juris Rn. 19). Ein türkischer Arbeitnehmer ist danach erst dann vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen, wenn er objektiv keine Möglichkeit mehr hat, sich in den Arbeitsmarkt wiedereinzugliedern, oder den Zeitraum überschritten hat, der angemessen ist, um nach einer vorübergehenden Beschäftigungslosigkeit eine neue Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis zu finden. Dies ist vorliegend seit 2008, spätestens jedoch seit 2015 der Fall, weil der Kläger erwerbsunfähig erkrankt ist und seit 2015 seinen Lebensunterhalt durch Grundsicherung wegen Erwerbsunfähigkeit bestreitet. Der Kläger ist danach seit mehr als sieben Jahren keiner Beschäftigung als Arbeitnehmer im Bundesgebiet nachgegangen. Aussichtsreiche Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle während der gesamten Dauer der Arbeitslosigkeit oder gegenwärtige Aussichten auf eine Arbeitsstelle sind nicht ersichtlich.

Der Kläger kann sich vor diesem Hintergrund auch nicht auf die assoziationsrechtlichen Stillstandsklauseln in Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (ANBA 1981 S. 4) - ARB 1/80 - und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls (BGBl. II, 1972, S. 386) - ZP - zum Assoziationsabkommen zwischen der EWG und der Türkei vom 12. September 1963 berufen.

c. Am Maßstab des § 53 Abs. 1 AufenthG gemessen, erweist sich die Ausweisungsverfügung als voraussichtlich rechtmäßig.

aa. Der Kläger hat durch sein Verhalten ein besonders schweres Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1a lit. b) und d) AufenthG begründet, weil er am 19. Mai 2016 durch das Landgericht B-Stadt wegen versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden ist. Neben dieser Verurteilung begründen die weiteren Verurteilungen des Klägers ein schweres Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG, weil er nicht nur einen vereinzelten und geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat, sondern über einen längeren Zeitraum immer wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten und verurteilt worden ist.

bb. Von dem Kläger geht gegenwärtig eine beachtliche Gefahr der Begehung weiterer Straftaten aus. Die Gefährdung bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen (BVerwG, Urteil vom 22.2.2017 - BVerwG 1 C 3.16 -, BVerwGE 157, 325, juris Rn. 23). Für die Beurteilung, ob nach dem Verhalten des Ausländers damit zu rechnen ist, dass er erneut die öffentliche Sicherung und Ordnung gefährdet, bedarf es einer Prognose, bei der der Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen und Art und Ausmaß möglicher Schäden zu ermitteln und zu einander in Bezug zu setzen sind. Die Prognose ist von den Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten eigenständig zu treffen, ohne dass diese an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind. Bei der Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe einer verhängten Strafe, die Schwere einer konkret begangenen Straftat und die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr nach dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (Nds. OVG, Urteil vom 6.5.2020 - 13 LB 190/19 -, juris Rn. 38 m. w. N.). Für bestimmte Fallgruppen besonders schwerer und schädlicher Delikte sind an den Grad der Wiederholungsgefahr nur geringe Anforderungen zu stellen. Zu diesen Fallgruppen gehören neben schweren Betäubungsmitteldelikten auch schwere Gewalt- und Eigentumsdelikte.

Eine grenzenlose Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs nach unten ist jedoch auch bei schwersten Schäden nicht zulässig. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Begründung eines spezialpräventiven Ausweisungsinteresses ist bei schwerwiegenden Gefahren bereits die "ernsthafte Möglichkeit" einer Wiederholung (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 23.11.2020 - 1 B 314/20 -, juris Rn. 20 m. w. N.).

Nach diesem Maßstab geht vom Kläger zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit hinreichender Sicherheit die Gefahr weiterer erheblicher Straftaten im Bereich der Rohheitsdelikte aus.

Der Kläger ist seit 1999 wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten und mehrfach empfindlich bestraft worden. Auch eine Ausweisung ist ihm gegenüber bereits 2001 ausgesprochen (indes hernach widerrufen) worden, ohne dass er dadurch von weiteren Taten abgesehen hätte. Die Geburten seiner Kinder in den Jahren 2004, 2005, 2006 und 2012 hatten ebenfalls nicht zur Folge, dass er sich seitdem straffrei gehalten hätte.

Die Taten des Klägers stehen zuletzt erkennbar in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gesellschafts- und Frauenbild des Klägers und seiner eigenen psychischen Verfassung. Während der Behandlung im Zentrum für Transkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie im Jahr 2015 hat der Kläger geäußert, er könne "für seine Kinder" auch seine Frau und andere Menschen töten. Er habe weiter gesagt, seine Frau habe sein Leben zerstört und wenn er sie sähe, werde er sie gleich angreifen. Auch wenn seine Taten im Kern aus der Beziehung des Klägers zu seiner geschiedenen Ehefrau herrühren, hat der Kläger im Übrigen auch Unbeteiligte angegriffen, wenn er sie mit dieser Beziehung in Verbindung gebracht hat.

Wie bereits in dem Beschluss über vorläufigen Rechtsschutz ausgeführt, wird diese Prognose auch durch die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts M. über die Aussetzung der Vollstreckung des Rests der Freiheitsstrafe nicht relativiert. Die Strafvollstreckungskammer hat zwar angenommen, dass der Kläger unter den Bedingungen der Führungsaufsicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit künftig keine weiteren Straftaten begehen werde. Eine Bindungswirkung oder eine widerlegliche Vermutung für das Fehlen einer Rückfallgefahr im Sinne einer Beweiserleichterung für die aufenthaltsrechtliche Prognose folgt daraus jedoch nicht (BVerwG, Urteil vom 16.11.2000 - BVerwG 9 C 6.00 -, BVerwGE 112, 185-194, juris Rn. 17; BVerwG, Urteil vom 2.9.2009 - BVerwG 1 C 2.09 -, juris Rn. 18). Die Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 Abs. 1 StGB sind vielmehr als Indiztatsachen bei der ausweisungsrechtlichen Prognose zu berücksichtigen.

Die aufenthaltsrechtliche Prognoseentscheidung kann von der Entscheidung über die Restaussetzung schon unter dem Gesichtspunkt abweichen, dass sie nach einem anderen zeitlichen Prognosehorizont zu treffen ist. Denn während es bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB vor allem unter dem Aspekt der Resozialisierung um die Frage geht, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen "offen" inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann, geht es im ausländerrechtlichen Ausweisungsverfahren um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft des Staates der Staatsangehörigkeit des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zugrundeliegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat auch in den Blick zu nehmen, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.1.2013 - BVerwG 1 C 10.12 -, juris Rn. 19).

Nach diesem Maßstab geht die Kammer auch im Hauptsacheverfahren davon aus, dass die Aussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer - wenn sie heute überhaupt noch in gleicher Weise ergehen würde - auf die aufenthaltsrechtliche Prognose nicht übertragbar ist. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer beruht auf einer gutachterlichen Prognose, die nur für den begrenzten Prognosehorizont positiv zu treffen war. Denn der Gutachter stellt in seinem Gutachten vom 19. Juli 2021 ausdrücklich fest, dass die im Anlassdelikt zutage getretene Gefährlichkeit grundlegend fortbestehe, weil mangels Aufarbeitung, Distanz, Reflexion und Impulskontrolle bezweifelt werden müsse, ob der Kläger überhaupt willens und in der Lage sei, alternative Deliktshypothesen zuzulassen, die auch nur eine gewisse Eigenverantwortung für die Geschehnisse zuließen. Fraglich sei für die Frage der vorzeitigen Entlassung nur, ob diese Gefährlichkeit mittels Auflagen und Weisungen kompensiert werden könne. Das sei der Fall, sofern der Kläger mit einem hohen Betreuungs- und Kontrollbedarf entsprechend unterstützt werde.

Bereits daraus folgt, dass auf längere Sicht nichts dafür spricht, dass der Kläger auch nach dem Ende der Führungsaufsicht, die diese Betreuung und Kontrolle gewährleistet hat oder hätte gewährleisten können, dauerhaft straffrei bleiben wird.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich selbst die niedrigen Erwartungen in der Prognoseentscheidung des Landgerichts M. vom 4. November 2021 nicht erfüllt haben und zwei wesentlich stabilisierende, die Prognose tragende Umstände nicht wie erwartet eingetreten sind. Der summarischen Feststellung der Kammer im Eilverfahren, dass der Kläger offenbar bis auf die Besuche des Pflegedienstes zur Medikamentengabe weder die angestrebte engmaschige Betreuung noch die nach Auffassung des Sachverständigen "unbedingt" gebotene ambulante psychiatrische Betreuung mit Hilfen bei der Alltagsbewältigung und Tagesstrukturierung erhielt, ist der Kläger nicht entgegengetreten. Nach dem Verlaufsbericht des Ambulanten Justizsozialdienstes über die Führungsaufsicht vom 12. April 2022 nahm der Kläger zwar seine Termine regelmäßig und zuverlässig war, war aber - möglicherweise infolge starker Medikamente und aufgrund der Sprachbarriere - kaum in der Lage, an einem Gespräch teilzunehmen. Er reagiere teilweise nicht auf Fragen und starre in den leeren Raum. Eine Aufarbeitung der Tat und eine rückfallpräventive Arbeit seien angesichts dessen kaum oder nur in sehr geringem Umfang möglich. Der wichtigste Schutzfaktor vor einer erneuten Straffälligkeit sei die Behandlung seiner psychischen Erkrankung und die regelmäßige Medikamentengabe.

Nach einem ärztlichen Attest vom 1. April 2022 ist er an diesem Tag - mehrere Monate nach seiner Haftentlassung - offenbar erstmals bei einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie vorstellig geworden. Dass diesem die fachärztlichen Gutachten vorgelegen haben, in denen insbesondere die Differentialdiagnostik zwischen einer paranoiden Schizophrenie und einer chronifizierten depressiven Episode immer wieder Gegenstand war, ist nicht ersichtlich. Soweit derselbe Arzt dem Kläger in einem weiteren Attest vom 26. April 2022 bescheinigt, dass der Kläger bei der Untersuchung am 1. April 2022 "grundsätzlich psychisch stabil, steuerungsfähig und belastbar und auch einsichtsfähig" gewesen sei, so dass der Arzt keine Bedenken habe, "begleitende" Kontakte mit den Kindern zuzulassen, sind auch diese Ausführungen diagnostisch nicht hinterlegt und insgesamt nicht nachvollziehbar begründet. Auch zu den dahingehenden Ausführungen der Kammer in dem Beschluss über vorläufigen Rechtsschutz hat sich der Kläger nicht mehr geäußert.

Der Kläger wohnte offenbar bis zu seiner Abschiebung, wie in der ärztlichen Epikrise festgehalten, alleine und zurückgezogen in einem Männerwohnheim. In welchem Umfang er Hilfen bei der Tagesstrukturierung und Alltagsbewältigung angeboten bekommen und in Anspruch genommen hat, war schon bei dem Beschluss über vorläufigen Rechtsschutz nicht ersichtlich und ist seitdem nicht dargelegt worden. Ebenso wenig ersichtlich ist, ob und in welchem Umfang dem gutachterlich festgestellten "hohen Betreuungs- und Kontrollbedarf" auch tatsächlich Betreuung und Kontrolle gegenüberstehen. Auch nach der Stellungnahme des Ambulanten Justizsozialdienstes vom 13. Mai 2022 schien der Kläger sehr zurückgezogen zu leben und hatte kaum soziale Kontakte.

Die Situation des Klägers kommt daher der von dem Gutachter beschriebenen Negativprognose bedenklich nahe, "dass der Kläger in seiner eigenen Wohnung hilflos sich selbst überlassen wird", während zugleich keine weiteren stabilisierenden Umstände wie ein geordneter Alltag oder eine soziale Integration eingetreten sind.

Angesichts dessen ist zur Überzeugung der Kammer keine positive Prognose dahingehend zu treffen, dass der Kläger auch über das Ende der Führungsaufsicht hinaus keine erneuten Straftaten begehen wird.

Da er weder in der Haft noch seit seiner Entlassung seine Taten aufgearbeitet hat, ist nicht erkennbar, dass er sein Gesellschafts- und Frauenbild nachhaltig geändert oder auch nur davon Abstand genommen hat, seiner geschiedenen Ehefrau die Schuld an seiner (gegen sie gerichteten) Tat zuzuweisen und ihr die Zerstörung seines Lebens zuzuschreiben. Für die Prognose ist dabei unerheblich, ob diese mangelnde Aufarbeitung auf mangelnder Bereitschaft oder medikamentös bedingtem Unvermögen beruht - maßgeblich ist die unbewältigte innere Einstellung. Auch dass der Kläger möglicherweise infolge medikamentöser Einstellung derzeit keine weiteren Taten begehen kann bzw. konnte, genügt für eine positive Prognose nicht, weil weder absehbar ist, ob der Kläger die Therapie seit seiner Abschiebung fortsetzt, noch überhaupt sicher ist, dass die Therapie tatsächlich indiziert war und nicht zugunsten einer besser angepassten Behandlung abgebrochen werden könnte.

Neben dem spezialpräventiven Ausweisungsinteresse begründen die Straftaten des Klägers auch ein andauerndes generalpräventives Ausweisungsinteresse, das nach dem Wortlaut des § 53 Abs. 1 AufenthG (wonach bereits eine Gefahr durch den "Aufenthalt" des Ausländers ein Ausweisungsinteresse begründet) berücksichtigungsfähig ist und auch durch Zeitablauf nicht zurücktritt, weil die Tilgungsfristen des § 46 Bundeszentralregistergesetz (BZRG) noch nicht abgelaufen sind. Voraussetzung für die Berücksichtigung generalpräventiver Interessen ist, dass die Straftat besonders schwer wiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Es muss von einer derartigen Straftat eine besonders hohe Gefahr für den Staat oder die Gesellschaft ausgehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.2.2012 - BVerwG 1 C 7.11 -, juris Rn. 24). Das ist hier zur Überzeugung der Kammer der Fall, weil die Tat des Klägers zwar tatbestandlich ein gewaltsames Vermögensdelikt war, aber durch das in der Tat zum Ausdruck kommende Frauen- und Gesellschaftsbild besonders schwer wiegt, was auch das Strafmaß abbildet. Insofern geht die Kammer davon aus, dass häusliche Gewalt und sexualisierte Gewalt ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren, weil sie eine besonders erniedrigende Form der Machtausübung und Diskriminierung darstellen. Die Taten dieser Deliktsgruppe weisen abstrakt eine hohe Wiederholungsgefahr auf, weil sie regelmäßig nicht aus Liebe, sondern im Kontext (seitens der Täter) verinnerlichter Abwertungsstrukturen und Herrschaftsansprüche begangen werden, die in der Regel (und auch im Fall des Klägers) nicht nachhaltig aufgearbeitet werden. Sie sind für die Behörden schwer zu verfolgen und aufzuklären, weil sie häufig im privaten Raum ohne Zeugen begangen und bestritten werden. Für die betroffenen Frauen wirken sich diese Delikte ungeachtet häufig geringer Strafen durch eine hohe Eingriffsintensität, dauerhafte Beeinträchtigung des Alltags, bleibende Angst und Ohnmachtsgefühle aus.

cc. Dem Ausweisungsinteresse steht ein gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besonders schweres Bleibeinteresse gegenüber, weil der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat und sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.

Dagegen ergibt sich kein besonders schweres Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG, weil der Kläger zwar minderjährige Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit hat, für diese aber weder die Personensorge noch das Umgangsrecht in ausreichendem Umfang ausübt. Die Begünstigung des Personensorge- bzw. Umgangsrechts setzt voraus, dass es sich um eine tatsächlich gelebte Nähebeziehung, d. h. ein tatsächliches Kümmern um den deutschen Minderjährigen, handelt. Daher vermittelt § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nur dann, wenn der Kläger seiner Pflicht zum Umfang mit seinem Kind gerecht wird und sein Umgangsrecht in dem vorgesehenen Umfang auch tatsächlich wahrnimmt (BayVGH, Beschluss vom 14.3.2019 - 10 ZB 18.2388, juris, BeckRS 2019, 6029 Rn. 7). Das ist ersichtlich nicht der Fall. Der Kläger lebte bis zu seiner Abschiebung mit seinen Kindern keine tatsächliche Nähebeziehung, sondern hat sich, nachdem ihm der Umgang mit seinen Kindern aufgrund seiner Tat zum Nachteil der Kindesmutter untersagt war, darum bemüht, im Wege zunächst begleiteter Umgangskontakte eine bloße Begegnungsgemeinschaft aufzubauen. Auch soweit der Kläger geltend macht, dass er seinen Sohn zuletzt ein- bis zweimal wöchentlich getroffen habe, erreichen diese Kontakte noch nicht die Schwelle zur Ausübung des Umgangsrechts im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG, sondern sind im Rahmen der Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen.

d. Bei der Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse des Klägers überwiegt das besonders schwerwiegende, kombiniert spezial-generalpräventive Ausweisungsinteresse das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse des Klägers.

Zugunsten des Ausweisungsinteresses sprechen im Wesentlichen die Schwere der letzten abgeurteilten Tat, das in ihr zum Ausdruck kommende Frauen- und Gesellschaftsbild und die nicht erfolgte Aufarbeitung der Tat durch den Kläger, der nach Einschätzung des psychiatrischen Gutachtens weder willens noch in der Lage ist, alternative Deliktshypothesen zuzulassen und davon Abstand zu nehmen, seiner Frau die Schuld an seiner Tat oder deren Folgen zuzuschreiben. Bei Berücksichtigung der konkreten Tatumstände ist durch das Verhalten des Klägers daher ein Grundinteresse der Gesellschaft beeinträchtigt (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 11.7.2018 - 13 LB 44/17 -, Rn. 70).

Diesem Ausweisungsinteresse steht formal gleichrangig das gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse aufgrund der Niederlassungserlaubnis des Klägers gegenüber. Der Kläger hält sich zudem weit länger als von § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gefordert rechtmäßig im Bundesgebiet auf und ist Vater von vier Kindern mit deutscher Staatsangehörigkeit. Deren Belange können zugleich ein schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG begründen.

Bei der Abwägung zwischen den gegenläufigen Interessen sind gem. § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Besteht dabei eine durch Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 GG geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind und kann diese Gemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8.12.2005 - 2 BvR 1001/14 -, juris Rn. 19). Wie bei allen aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist dabei maßgeblich auch auf die Sicht der Kinder abzustellen.

Nach diesem Maßstab sind hier keine Umstände gegeben, die das Bleibeinteresse besonders stärken. Der Kläger pflegt mit seinen Kindern keine bisher bestehende Lebensgemeinschaft, die nur im Inland fortzusetzen wäre, sondern beabsichtigt allenfalls, nach jahrelanger Unterbrechung eine bloße Begegnungsgemeinschaft herzustellen. Auch die Belange des Kindeswohls gebieten keine andere Beurteilung, nachdem die Kinder des Klägers sämtlich in einem Alter sind, in dem sie eine räumliche Trennung als vorübergehend begreifen könnten, sie die Trennung von ihrem Vater infolge der Haft und der Trennung der Eltern als jahrelang andauernden Zustand gewöhnt sind und der Umgang zwischen dem Kläger und seinen Kindern gerade unter Berücksichtigung des Kindeswohls ausgesetzt worden war.

Alle Kinder haben nach Mitteilung des Kommunalen Sozialdienstes im familiengerichtlichen Verfahren starke emotionale und psychische Probleme entwickelt, die offenbar überwiegend aus der miterlebten Gewalt und den Konflikten der Eltern resultierten. Die Kinder seien alle belastet und zeigten weiterhin Auffälligkeiten, die darauf hinwiesen, dass sie weitere Belastungen mit großer Vorsicht mieden. Die Söhne des Klägers hätten gegenüber einer Aufnahme des Kontakts eine ablehnende Haltung gezeigt. Auch nach der Mitteilung des Kommunalen Sozialdienstes an die Bevollmächtigte des Klägers vom 4. August 2022 wünschen die drei älteren Kinder keine Kontakte, lediglich die Tochter J. wünsche Kontakte und habe auch mit dem Kläger telefoniert.

Tatsächlich gefestigte persönliche Bindungen zu seinen Kindern hat der Kläger nicht dargelegt. Nachdem die Kammer in ihrem Beschluss über vorläufigen Rechtsschutz bemängelt hatte, dass die Initiative zur Aufnahme dieser Kontakte allein von dem Kläger auszugehen scheine und der Kläger auch ein Jahr nach seiner Entlassung keine belegbare oder sonst nachvollziehbare Willensäußerung seiner Kinder vorgelegt habe, die einen Wunsch der Kinder erkennen ließe, den Kontakt ebenfalls zu wünschen und aktiv zu fördern, hat der Kläger zunächst nur eine maschinengeschriebene Bestätigung mit dem Namenszug seines Sohnes I. vorlegt, die bestätigt, dass sein Sohn ihn ein- bis zweimal wöchentlich besuche und Zeit mit ihm verbringe.

Selbst der von ihm vorgelegte Brief seines Sohnes vom 25. Juni 2023 beschreibt keine regelmäßigen Kontakte (in der Vergangenheit), die auf eine stabile Bindung deuten ließen. Es heißt darin wörtlich: "nachdem ich gehört habe, dass er aus der Justizvollzugsanstalt raus ist, konnte ich es kaum erwarten, ihn endlich kennenzulernen. Wir beiden hatten in einem Gespräch sogar über einen Einzug in eine Wohnung nachgedacht, so dass wir zusammen wohnen können. Ich fühle mich so, als ob er mir weggenommen würde." Weder finden sich Ausführungen dazu, ob der Kontakt zu dem Kläger nach der Abschiebung aufrechterhalten wird, noch lassen diese Ausführungen eine bestehende Bindung erkennen, die über eine Begegnungsgemeinschaft hinausginge.

Eine Begegnungsgemeinschaft im bisherigen Umfang, der gelegentliche Austausch und das gegenseitige Kennenlernen ließen sich im Übrigen auch mit Hilfe von Fernkommunikationsmitteln wie Videotelefonaten aufrechterhalten. Dass der Kläger und seine Kinder von diesen Mitteln Gebrauch machen, hat der Kläger nicht dargelegt. Sein Vorbringen erweckt damit weiterhin den Eindruck, mehr seinen Aufenthalt im Bundesgebiet als die familiären Bindungen im Blick zu haben. Dass der Sohn des Klägers nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, deutet aus Sicht der Kammer ebenfalls darauf hin, dass er kein intrinsisches Interesse am Ausgang des Verfahrens hatte, weil er sich in diesem Fall bei der Bevollmächtigten des Klägers nach dem Termin hätte erkundigen können. Der Einwand der Bevollmächtigten, sie habe erwartet, dass das Gericht den Sohn des Klägers laden würde, und diesen daher nicht von sich aus von dem Termin unterrichtet, räumt diesen Eindruck nicht aus, weil auch das darin zutage tretende Missverständnis kaum hätte eintreten können, wenn der Sohn des Klägers ein so klares Interesse artikuliert hätte, wie es der Kläger immer wieder geltend gemacht hat.

Alle Kinder des Klägers sind im Übrigen im Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit und könnten den Kläger in der Türkei ohne Einreisehindernisse besuchen.

3. Die Anordnung des Einreise- und Abschiebungsverbots ist rechtmäßig; dieses ist gem. § 11 Abs. 1 AufenthG bereits infolge der (rechtmäßigen) Ausweisung zu erlassen.

4. Die Abschiebungsandrohung erweist sich ebenfalls als rechtmäßig. Insofern hat die Kammer bereits in den Beschlüssen über vorläufigen und einstweiligen Rechtsschutz festgestellt, dass weder die familiären Bindungen zwischen dem Kläger und seinen Kindern noch die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers ein Maß erreichen, das ein inlandsbezogenes oder zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot begründen würde.

IV. Auch mit dem Hilfsantrag, der sich auf die Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sechs Monate seit der Abschiebung - und damit auf die Möglichkeit zur sofortigen Wiedereinreise - richtet, ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat nach den vorstehenden Erwägungen keinen Anspruch auf eine Verpflichtung der Beklagten, das Einreise- und Aufenthaltsverbot derart zu befristen

Über die Länge der Frist wird nach Ermessen entschieden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Der geltend gemachte Anspruch auf Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots käme nur in Betracht, wenn das Ermessen der Beklagten in einer Weise reduziert wäre, dass nur im Sinne der begehrten Verkürzung ermessensfehlerfrei entschieden werden könnte. Das ist hier ersichtlich nicht der Fall. Die Frist darf außer in den Fällen des § 11 Abs. 5 bis 5b AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten (§ 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Sie soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG). Bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist hat die Ausländerbehörde das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck zu berücksichtigen. Im Rahmen der Entscheidung, für welche Dauer die Wirkungen einer Ausweisung zu befristen sind, kommt neben spezialpräventiven Erwägungen grundsätzlich auch generalpräventiven Aspekten ein wesentliches Gewicht zu, um eine Verhaltenssteuerung und Abschreckung bei anderen Ausländern zu bewirken.

Gemessen an diesen Vorgaben erweist sich die von der Beklagten festgesetzte Frist von sieben Jahren und fünf Monaten Jahren als ermessensfehlerfrei. Sie liegt im Mittel des nach § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erhöhten Rahmens. Zu Recht hat die Beklagte zunächst darauf abgestellt, dass der Ausweisungsanlass aufgrund der erheblichen (und wiederholten) Straffälligkeit des Klägers und dem Gewicht der durch die letzte Straftat gefährdeten Rechtsgüter in spezialpräventiver Hinsicht schwer wiegt und in Anbetracht des von ihm in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens die Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten als hoch einzustufen ist. Auch erscheint es aus generalpräventiven Erwägungen sachgerecht, der von dem Kläger begangenen Tat zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau mit der Festsetzung eines einschneidenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zu begegnen, um auf diese Weise auch andere Ausländer von der Nachahmung vergleichbarer Verhaltensweisen abzuschrecken. Den schützenswerten Belangen des Klägers nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK wurde Rechnung getragen. Seine privaten Interessen sind nicht so gewichtig, dass die Besorgnis der Wiederholungsgefahr in den Hintergrund gedrängt wird und mit Blick auf seine familiären oder sonstigen Bindungen eine kürzere Fristbemessung geboten wäre. Schutzwürdige soziale Kontakte außerhalb seiner Familie hat der Kläger nicht geltend gemacht. Seine Kinder hatten schon seit der letzten Straftat des Klägers über Jahre keinen gefestigten Kontakt zum Kläger. Der Kläger hat entgegen seiner Beteuerungen, wie wichtig ihm seine Kinder seien, durch seine Tat im Übrigen selbst die Belange seiner Kinder - seine eigene Funktion als Vater und Vorbild, deren Beziehung zu ihm, aber auch ihre unbeschwerte Entwicklung - in drastischer Weise seinen eigenen Interessen und Impulsen untergeordnet und die dauerhafte Trennung von seinen Kindern dabei in Kauf genommen.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

VI. Gründe, gemäß § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4, § 124a Abs. 1 VwGO die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Weder weicht das Gericht von der Rechtsprechung der dort genannten Obergerichte ab, noch hat der Rechtsstreit über den konkreten Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung.