Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 10.11.2023, Az.: 5 B 4996/23

Abstinenznachweis nach Fahrerlaubnisentzug; Abstinenzphase zu kurz; Alkoholabhängigkeit; Fahreignung; Fahrerlaubnis; Rückfall; Wahlfeststellung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
10.11.2023
Aktenzeichen
5 B 4996/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 46985
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2023:1110.5B4996.23.00

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Antragsgegner.

Dem 1986 geborenen Antragsteller wurde 2004 erstmals eine Fahrerlaubnis erteilt. Nach der Fallhistorie im Verwaltungsvorgang wurde am 4. Dezember 2004 wegen Führen eines Kraftfahrzeugs ohne Haftpflichtversicherung ein Dauerarrest gegen ihn verhängt. Am 19. September 2005 wurde die Teilnahme an einem Aufbauseminar angeordnet. Am 5. November 2006 wurde der Antragsteller erstmals wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr verurteilt. Die Fahrerlaubnis wurde entzogen und eine Sperre für die Wiedererteilung bis 12. Oktober 2006 angeordnet.

Nachdem der Antragsteller an einem Besonderen Aufbauseminar gem. § 36 FeV teilgenommen und ein medizinisch-psychologisches Gutachten über seine Fahreignung vorgelegt hatte, wurde ihm am 27. Februar 2007 die Fahrerlaubnis mit einer Restprobezeit bis 17. Oktober 2010 wieder erteilt.

Am 7. März 2008 erließ die Fahrerlaubnisbehörde ein einmonatiges Fahrverbot wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 35 km/h innerorts zur Tageszeit; am 30. Juli 2008 ordnete sie erneut die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an. Nachdem der Antragsteller das Gutachten nicht vorgelegt hatte, entzog ihm die Fahrerlaubnisbehörde mit Verfügung vom 19. Januar 2009 zum zweiten Mal die Fahrerlaubnis. Im Nachgang reichte der Antragsteller ein Gutachten vom 9. Oktober 2008 ein, in dem die behördlichen Bedenken gegen die Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestätigt werden. Es könne nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller künftig erheblich gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoße. Es sei zweifelhaft, inwieweit er in der Lage sei, ein angepasstes Verkehrsverhalten zu realisieren. Bezüglich der offensichtlich vorliegenden Alkoholproblematik sei eine weitere Begutachtung veranlasst, die aber nur unter der Voraussetzung erfolgen solle, dass der Antragsteller seine Verkehrsgeschichte selbstkritisch aufarbeite und eine stabile Veränderung seines Verkehrsverhaltens erreicht habe.

Der Antragsteller händigte ungeachtet der Entziehungsverfügung seinen Führerschein nicht bei der Fahrerlaubnisbehörde aus; eine Beschlagnahme konnte nicht erfolgen, weil er seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt hatte. Am 2. Juli 2009 wurde der Antragsteller als Fahrer eines Kraftfahrzeugs auf einer Autobahnraststätte kontrolliert und händigte dabei seinen Führerschein aus, der beschlagnahmt wurde. Mit Urteil vom 18. November 2009 wurde er durch das AG Würzburg wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt.

Am 1. August 2009 wurde der Antragsteller in der Schweiz als Fahrer eines Kraftfahrzeugs kontrolliert und konnte keinen Führerschein vorlegen. Eine Atemalkoholkontrolle ergab eine Atemalkoholkonzentration von 2,30 bzw. 2,24 ‰. Ihm wurde daraufhin in der Schweiz die Fahrerlaubnis auf unbestimmte Zeit entzogen und das Führen von Kraftfahrzeugen aller Kategorien in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein untersagt.

Am 14. Oktober 2011 beantragte der Antragsteller zum zweiten Mal die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis. Nachdem er ein angefordertes Eignungsgutachten nicht vorgelegt hatte, lehnte die Fahrerlaubnisbehörde den Antrag am 30. Januar 2012 ab. Nachdem sich der Antragsteller zur Begutachtung bereit erklärt hatte, veranlasste die Fahrerlaubnisbehörde erneut die Begutachtung. Der Antragsteller nahm seinen Antrag auf Wiedererteilung unter dem 12. Juni 2012 zurück; es blieb bei der bestandskräftigen Ablehnung der Neuerteilung.

Am 4. April 2013 beantragte der Antragsteller erneut (zum dritten Mal) die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis Die Fahrerlaubnisbehörde ordnete die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an. Am 14. März 2014 wurde die Fahrerlaubnis (zum zweiten Mal) erneut erteilt; die Entscheidung ist ebensowenig aktenkundig wie ein offenbar vorgelegtes medizinisch-psychologisches Gutachten.

Am 23. August 2018 fuhr der Antragsteller mit seinem Kraftfahrzeug auf ein bei Rotlicht stehendes Fahrzeug auf. Nachdem er den Schaden begutachtet hatte und der Unfallbeteiligte ihn aufforderte, sein Fahrzeug am Straßenrand abzustellen, fuhr der Antragsteller mit hoher Geschwindigkeit davon. Als er bei einer rot zeigenden Ampel anhalten musste, stellte sich der Unfallbeteiligte vor das Fahrzeug des Antragstellers, der langsam losfuhr und den Unfallbeteiligten so zwang, beiseite zu treten.

Am 10. Oktober 2018 führte der Antragsteller mittags ein Kraftfahrzeug auf öffentlichen Straßen, während er unter dem Einfluss von Alkohol stand. Eine Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,61 ‰.

Mit Strafbefehl vom 30. Januar 2019 wurde ihm aufgrund der Trunkenheitsfahrt am 10. Oktober 2018 die Fahrerlaubnis (zum dritten Mal) entzogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von 15 Monaten verhängt.

Am 29. August 2019 wurde der Antragsteller wegen des Geschehens am 23. August 2018 wegen Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt.

Am 4. November 2019 beantragte der Antragsteller bei der örtlich zuständigen Fahrerlaubnisbehörde (zum vierten Mal) die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis. Diese forderte ihn auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Das von dem Antragsteller am 20. Februar 2020 vorgelegte Gutachten bescheinigt dem Antragsteller glaubhafte Einsicht dahingehend, dass er alkoholabhängig sei und zu einem kontrollierten Umgang mit Alkohol nunmehr fähig sei.

Am 27. April 2020 fuhr der Antragsteller mit einem Kraftfahrzeug über einen Gehweg und einen Grünstreifen auf das Gelände einer Tankstelle und beschädigte dabei ein Werbebanner und sein eigenes Fahrzeug. Er habe erst das Kassenhäuschen aufgesucht, dann habe er sich vom Unfallort entfernt. Zeugen berichteten, dass er ausgestiegen sei und augenscheinlich alkoholisiert gewesen sei. Er habe getaumelt und verwaschen gesprochen. Herbeigerufene Polizeibeamte konnten den Antragsteller in der Nähe seiner Wohnanschrift feststellen. Aus einer nach dem Aufgriff des Antragstellers durchgeführten Blutprobe wurde eine Blutalkoholkonzentration von 2,39 ‰ nachgewiesen. Weil sich der Antragsteller gegen die Blutentnahme und die Beförderung dorthin wehrte, wurden ihm Handfesseln angelegt und er wurde während der Blutentnehme fixiert.

Am 30. April 2020 wurde dem Antragsteller auf seinen Antrag vom 4. November 2019 die Fahrerlaubnis (zum dritten Mal) wiedererteilt. Aufgrund der Taten am 27. April 2020 erging gegen den Antragsteller am 20. November 2020 ein (rechtskräftiger) Strafbefehl wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort, vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und Fahrens ohne Fahrerlaubnis über eine Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen. Die Fahrerlaubnis wurde (zum vierten Mal) entzogen und eine Sperrfrist von 15 Monaten für die Wiedererteilung verhängt.

Am 15. August 2020 führte der Antragsteller ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss mit einem Blutalkoholgehalt von mindestens 1,88 ‰. Deshalb erging gegen ihn am 10. Dezember 2020 ein weiterer (rechtskräftiger) Strafbefehl über eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen, mit dem zugleich die Fahrerlaubnis (zum fünften Mal) entzogen und eine Sperrfrist von 15 Monaten verhängt wurde. In der Verhandlung über die Einsprüche über die Strafbefehle vom 20. November 2020 und vom 10. Dezember 2020 ließ der Antragsteller erklären, dass er eine dreimonatige Entgiftungstherapie durchgeführt habe. Er habe außerdem eine Kostenzusage für eine ambulante Therapie zur Rehabilitation, die bald beginne.

Am 29. August 2020 gab der Antragsteller seiner ehemaligen Partnerin, die ihn aufgesucht und zur Rede gestellt habe, eine Ohrfeige und war dabei betrunken. Hierfür wurde er zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt.

Am 13. Oktober 2022 beantragte der Antragsteller (zum fünften Mal) die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis. Diesen Antrag nahm er am 14. April 2023 zurück, nachdem ihn der Antragsgegner ihn aufgefordert hatte, ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen und er das Gutachten nicht innerhalb der Frist vorgelegt hatte. Am selben Tag stellte er einen weiteren Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis und wurde erneut aufgefordert, medizinisch-psychologisches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen. Das angeforderte Gutachten legte der Antragsteller fristgerecht vor. In dem Gutachten ist zur Anamnese ausgeführt, dass sich bei dem Antragsteller eine Alkoholabhängigkeit entwickelt hatte, die durch Unterlagen mit entsprechenden Diagnosen belegt sei. Aus fachlicher Sicht [des Gutachters] sei von einer Alkoholabhängigkeit auszugehen. Die von dem Antragsteller beschriebenen Konflikte infolge seines Konsums zeugten von der Einsicht in eine Alkoholabhängigkeitserkrankung. Alkoholbedingte dauerhafte körperliche Einschränkungen habe die Untersuchung nicht ergeben. Ob die bisherige Aufarbeitung der Alkoholproblematik für einen Ausschluss der Wiederholungsgefahr genüge, sei verkehrspsychologisch zu beantworten.

Der Antragsteller habe angegeben, dass er nach der Trunkenheitsfahrt am 10. Oktober 2018 von 15. Oktober 2018 bis 19. Oktober 2018 eine Entgiftungsbehandlung absolviert habe und danach 15 Monate abstinent geblieben sei. Ab Februar 2020 habe er wieder Alkohol zu trinken begonnen und in der Zeit vor der Trunkenheitsfahrt am 27. April 2020 fast die Konsummengen vor seiner ersten Trunkenheitsfahrt erreicht. Nach der dritten Trunkenheitsfahrt am 27. April 2020 habe er den Alkoholkonsum zunächst reduziert und seit 9. Januar 2021 ganz auf Alkohol verzichtet. Von Januar 2021 bis April 2021 sei er in einer Tagesklinik behandelt worden. Seine erste Therapie habe er nur mit dem Ziel gemacht, die Fahrerlaubnis zurückzuerhalten. Er bemerke körperliche Entzugssymptome wie Schwitzen, Zittern, Schlafstörungen und Unruhe. Den Anlass für die neuerliche Therapie habe die Körperverletzung am 29. August 2020 gegeben. Er habe sich für die Tat geschämt und selbst am Tiefpunkt gesehen.

Eine Haaruntersuchung auf Ethylglucuronid (EtG) sei für den Zeitraum von Juni 2022 bis März 2023 negativ gewesen. Urinkontrollen auf EtG seien für den Zeitraum von Juni 2021 bis Juni 2022 negativ belegt. Seit Januar 2023 besuche er eine Selbsthilfegruppe. Weiterhin habe er einen Nachweis über 12 Therapiestunden bei einem Psychotherapeuten von Januar bis Mai 2023 vorgelegt. Anhand der nachgewiesenen Abstinenz und der einsichtigen Angaben des Antragstellers seien die vollzogenen Veränderungen nachvollziehbar und aus der geleisteten Auseinandersetzung mit der Alkoholproblematik begründet. Der Antragsteller schildere eine Lebensgestaltung, die erneuten Alkoholkonsum nicht mehr erwarten lasse, so dass ein ausreichend stabiler Alkoholverzicht angenommen werden könne. Auch dass der Antragsteller künftig erneut Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begehe sei nicht mehr zu erwarten.

Am 12. Juni 2023 wurde dem Antragsteller daraufhin die Fahrerlaubnis (zum vierten Mal) wieder erteilt.

Am 26. Juni 2023 wurde der Antragsteller während eines Polizeieinsatzes wegen einer häuslichen Auseinandersetzung festgestellt und erhielt eine Wohnungswegweisung. Nach dem Einsatzbericht der vor Ort eingesetzten Beamten war der Antragsteller alkoholisiert und aggressiv. Ein freiwilliger Atemalkoholtest ergab eine Atemalkoholkonzentration von 2,19 ‰. Der Antragsteller sei gleichwohl zeitlich, örtlich, sachlich und personell vollständig orientiert gewesen. Sein Gang sei sicher gewesen, was als Anzeichen einer deutlichen Alkoholgewöhnung wahrgenommen werde. Im Gespräch mit den Polizeibeamten habe er eine Alkoholproblematik eingeräumt und erwähnt, dass er für die Zeit der MPU den Konsum von Alkohol unterlassen habe, um die Fahrerlaubnis wiederzuerlangen. Der Antragsteller habe einen unberechenbaren Eindruck gemacht, so dass die Überprüfung der Fahreignung empfohlen werde.

Mit Verfügung vom 7. September 2023 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller nach vorheriger Anhörung die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung an. Zur Begründung führt der Antragsgegner aus, dass bei dem Antragsteller eine Alkoholabhängigkeit diagnostiziert worden sei und das zuletzt von dem Antragsteller vorgelegte Fahreignungsgutachten die Eignungsprognose an die Erwartung einer dauerhaften Abstinenz knüpfe. Der Wegfall der Fahreignung beruhe nicht auf der Annahme eines fehlenden Trennungsvermögens, sondern aus der andauernden Alkoholabhängigkeit. Das von einem alkoholabhängigen Kraftfahrer ausgehende Verkehrsrisiko sei nur bei dauerhafter Abstinenz hinzunehmen. Angesichts der häufigen Rückfälle des Antragstellers in der Vergangenheit sei eine dauerhaft abstinente Lebensführung nicht zu erwarten.

Der Antragsteller hat am 6. Oktober 2023 Klage erhoben - 5 A 4994/23 -, über die noch nicht entschieden ist, und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Zur Begründung der Klage und seines Antrags macht er geltend, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtswidrig sei. Seine Fahreignung stehe außer Zweifel, nachdem er nachweislich über ein Jahr abstinent gewesen sei. Er sei zwar in dem Gutachten von Mai 2023 als alkoholabhängig eingestuft worden. Das bedeute jedoch nicht, dass er lebenslang abstinent leben müsse, um die Fahreignung zu behalten. Die Abstinenz sei lediglich eine gutachterliche Empfehlung. Dieser Empfehlung nicht zu folgen, bedeute nicht zwingend einen Rückfall und den Entfall der Eignung. Es gebe keine gesetzliche Regel, nach der die Kraftfahreignung nur unter dem Vorbehalt einer andauernden Abstinenz fortbestehe. Eine einmalige Trunkenheit wecke noch keine Zweifel an der Alkoholkontrollfähigkeit, zumal der bei dem Antragsteller durchgeführte Atemalkoholtest eine ungenaue Nachweismethode. Er sei außerhalb des öffentlichen Raums auf dem heimischen Sofa auf Alkohol getestet worden. Wenn überhaupt, habe der Antragsgegner eine erneute Begutachtung anordnen dürfen. Auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei rechtswidrig. Er sei absolut geeignet, am Straßenverkehr teilzunehmen, und stelle keine Gefahr für die Öffentlichkeit dar.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 6. Oktober 2023 gegen die Verfügung des Beklagten vom 7. September 2023 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er verteidigt den angefochtenen Bescheid und führt aus, dass bei dem Antragsteller von einer Alkoholabhängigkeit auszugehen sei, bei der die Fahreignung nur bei dauerhafter Abstinenz bestehe. Die nachgewiesene Abstinenzphase sei angesichts des neuerlichen Alkoholkonsums nicht hinreichend stabil. Das Vorbringen des Antragstellers sei unerheblich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 7. November 2023 zur Entscheidung übertragen hat (§ 6 Abs. 1 VwGO).

Soweit sich der Antrag auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Gebührenfestsetzung richtet, ist der Antrag unzulässig. Insofern handelt es sich um die Anforderung öffentlicher Kosten im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO, so dass der Antrag nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 VwGO zulässig wäre, die weder glaubhaft gemacht noch sonst ersichtlich sind. Der erforderliche Aussetzungsantrag kann nach der gefestigten Rechtsprechung der Kammer auch während des Verfahrens nicht nachgeholt werden.

Der auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis gerichtete Antrag ist statthaft, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt in formeller Hinsicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wonach das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung schriftlich zu begründen ist. Mit dem Hinweis auf das öffentliche Interesse an einem sicheren Straßenverkehr, der durch eine weitere Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr bis zum Abschluss des Klageverfahrens gefährdet sei, hat der Antragsgegner das Überwiegen des öffentlichen Interesses am Sofortvollzug gegenüber dem Interesse des Antragstellers, Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr führen zu dürfen, ausreichend dargelegt. Ob die gegebene Begründung inhaltlich trägt, ist nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung der Einhaltung des Formerfordernisses des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Vielmehr trifft das Gericht in der Sache eine eigene Abwägungsentscheidung.

Bei Entscheidungen nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen und die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO ganz oder teilweise wiederherzustellen, soweit das Interesse des Betroffenen, von einem Vollzug der angefochtenen Entscheidung vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an dem nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordneten sofortigen Vollzug überwiegt. Hierbei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens zu berücksichtigen, soweit diese sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bereits abschätzen lassen. Nach diesem Maßstab überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse. Der Bescheid des Antragsgegners vom 7. September 2023 ist voraussichtlich rechtmäßig.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber der Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Die Inhaber einer Fahrerlaubnis müssen die hierfür notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen. Die Anforderungen sind insbesondere nicht erfüllt, wenn ein Mangel nach den Anlagen 4 oder 5 zur FeV vorliegt, durch den die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 46 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3, § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV).

Nach Nr. 8.3 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV ist die Fahreignung bei alkoholabhängigen Personen ausgeschlossen, ohne dass es darauf ankäme, ob die betroffene Person ein Fahrzeug unter Alkoholeinfluss geführt hat oder eine sonstige Verbindung zum Straßenverkehr besteht. Nach den ausdrücklichen Feststellungen des zuletzt vorgelegten medizinisch-psychologischen Gutachtens ist von einer Alkoholabhängigkeit des Antragstellers auszugehen. Es angesichts der Vorgeschichte und der weiteren Umstände - mehrfacher Trunkenheitsfahrten, einer enormen Alkoholgewöhnung Zeugenaussagen, Selbsteinschätzungen des Antragstellers in Gesprächen mit Gutachter*innen, Therapieversuche und Rückfälle - auch keine Anhaltspunkte, diese Diagnose ernsthaft in Zweifel zu ziehen.

Zwar ist der Antragsgegner bei der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 12. Juni 2023 von einer wiederhergestellten Fahreignung des Antragstellers nach Nr. 8.4 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV ausgegangen. Daraus folgt jedoch nicht, dass die in der Vergangenheit festgestellte Alkoholabhängigkeit vollständig überwunden wäre und die Erkrankung keinerlei Relevanz für den Fortbestand der Fahreignung hat. Denn nach überwiegender verkehrsmedizinischer Auffassung besteht eine Alkoholabhängigkeit, wie sie beim Antragsteller diagnostiziert worden ist, auch bei Alkoholabstinenz bzw. Symptomfreiheit fort. Das von einem ehemals alkoholabhängigen Kraftfahrer ausgehende Verkehrsrisiko ist, wie der Antragsgegner zutreffend anführt, nur dann hinnehmbar, wenn und soweit die Wiedererlangung und der Fortbestand der Fahreignung von einer strikten Alkoholabstinenz abhängig gemacht werden. Hiervon gingen ersichtlich auch die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung aus. Der Einwand des Antragstellers, es gebe für diese Annahme keine gesetzliche Grundlage, greift angesichts dessen nicht durch; ausreichend sind insofern die abstrakten Regelungen in § 11 FeV, die durch die Begutachtungsleitlinien nach dem anerkannten Stand der Wissenschaft konkretisiert werden. Schon angesichts dessen ist unbeachtlich, ob die in dem Gutachten vom 8. Juni 2023 geäußerte Formulierung "er sollte lebenslange Alkoholabstinenz einhalten" tatsächlich, wie der Antragsteller meint, eine unverbindliche Empfehlung darstellt, deren Einhaltung im Ermessen des Antragstellers steht. Ohnehin ergibt sich aus Kontext bei unvoreingenommener Betrachtung, dass die Gutachter keine Empfehlungen aussprechen wollten, sondern die Fahreignung - den Begutachtungsleitlinien entsprechend - an das Fortbestehen der Abstinenz knüpfen. Unter ausdrücklichem Verweis auf die Leitlinien heißt es, dass die Fahreignung erst dann als gegeben angesehen werden kann, wenn Alkoholabstinenz besteht; im weiteren Verlauf heißt es "aus fachlicher Sicht ist bei [dem Antragsteller] von einer Alkoholabhängigkeit auszugehen. Eine Alkoholabhängigkeit wurde bereits extern diagnostiziert. Damit ist Alkoholabstinenz zu fordern, deren erfolgreiche Erprobung und Stabilisierung ... durch ärztliche Untersuchungen innerhalb eines Jahres zu stützen ist." Das gesamte Gutachten zielt auf die prognostische Einschätzung, ob die bereits serologisch nachgewiesene einjährige Abstinenz auch weiter fortbestehen würde. Wenn der Antragsteller meint, die Fahrerlaubnis sei durch eine (hier mehr als) einjährige Abstinenz wiederhergestellt, verkennt er die Maßstäbe der Begutachtungsleitlinien.

Die Voraussetzung einer dauerhaften Abstinenz ist hier offenkundig entfallen. Das ergibt sich aus dem Einsatzbericht der Polizeibeamten, die den Antragsteller im Zustand wahrnehmbarer Alkoholisierung angetroffen haben. Die durchgeführte Atemalkoholkontrolle bestätigt die Wahrnehmung der Beamten. Die dieser Messmethode eigenen Ungenauigkeiten sind angesichts der hohen gemessenen Atemalkoholkonzentration zu vernachlässigen; auch unter Abzug großzügiger Toleranzen bleibt eine erhebliche Alkoholintoxikation, die nicht nur größere Trinkmengen voraussetzt, sondern bei normaler Alkoholgewöhnung auch erhebliche Ausfallerscheinungen begründet, die die Beamten trotz wahrnehmbarer Alkoholisierung gerade nicht festgestellt haben. Das lässt auf eine fortbestehende oder kurzfristig wieder erworbene Alkoholgewöhnung schließen. Auch die in der Begutachtung getroffene Annahme, dass der Antragsteller seine Lebensgestaltung so verändert habe, dass sie erneuten Alkoholkonsum nicht mehr erwarten lasse, hat sich nicht über die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis hinaus bestätigt.

Unbeachtlich ist, dass der Antragsteller nicht - wie in der Vergangenheit - in Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Alkohol geführt hat, sondern sich in seiner Wohnung aufgehalten hat. Denn die Fahreignung entfällt bei bestehender Alkoholabhängigkeit nicht erst, wenn ein fehlendes Trennungsvermögen zwischen Alkoholkonsum und Kraftfahrzeuggebrauch hinzutritt, sondern bereits infolge der Abhängigkeit.

Der Antragsgegner war, auch angesichts der Regelung in § 13 FeV, nicht gehalten, zur Klärung von Eignungszweifeln eine weitere Begutachtung des Antragstellers zu veranlassen. Wie sich insbesondere aus § 11 Abs. 7 FeV (i. V. m. § 46 Abs. 3 FeV) ergibt, kann ein Fahrerlaubnisinhaber im Verwaltungsverfahren zur Entziehung seiner Fahrerlaubnis nicht schematisch beanspruchen, dass ihm vor der behördlichen Feststellung seiner Nichteignung ausnahmslos aufgegeben wird, zunächst ein ärztliches oder ggf. medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Vielmehr setzt die Notwendigkeit einer solchen Aufklärungsanordnung stets einen entsprechenden fachgutachterlichen Klärungsbedarf voraus. Ein solcher Klärungsbedarf besteht beim erneuten Alkoholkonsum einer alkoholabhängigen Person nur in wenigen Ausnahmefällen, nämlich (allenfalls) dann, wenn ein vormals Alkoholabhängiger aufgrund besonderer menschlicher Veranlagung und/oder besonderer Verhaltenssteuerungen (im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV) die Fähigkeit eines nicht an der Alkoholsucht vorerkrankten Gesunden zu kontrolliertem Trinken zurückerworben hat, oder wenn es sich um einen nur kurzfristigen Alkoholkonsum während einer ansonsten eingehaltenen Abstinenz handeln, der sich als "Ausrutscher" qualifizieren lässt und (noch) mit der Erwartung einer langfristig alkoholabstinenten Lebensweise vereinbaren lässt. Beide Alternativen sind hier nach summarischer Prüfung nicht gegeben. Soweit der Antragsteller Ansätze einer Fähigkeit zu kontrolliertem Trinken zeigt, beschränken diese sich auf die geforderten Abstinenzzeiträume im Vorfeld von Begutachtungen; eine intrinsisch getragene Kontrollfähigkeit lässt sich angesichts der mehrfachen und unmittelbar nach (bzw. sogar unmittelbar vor) Wiedererteilung der Fahrerlaubnis aufgetretenen Rückfälle nicht erkennen. Weder nach der bei dem Antragsteller festgestellten Atemalkoholkonzentration noch nach der dafür erforderlichen Trinkmenge oder der Trinksituation - häusliche Streitigkeit mit Polizeieinsatz - lässt sich der Alkoholkonsum als Ausrutscher tolerieren. Gegen einen "Ausrutscher" sprechen weiterhin die von den vor Ort eingesetzten Polizeibeamten wahrgenommene Alkoholgewöhnung des Antragstellers und dessen Vorbringen im gerichtlichen Verfahren. Insbesondere die Ausführungen, dass er "eine geringe Menge getrunken habe", die Fahreignung nicht von dauerhafter Abstinenz abhängig und er selbst "absolut geeignet" sei, und seine Deutungsversuche der gutachterlichen Äußerungen lassen dabei deutliche Relativierungstendenzen und die Erwartung augenfällig werden, dass die Alkoholabhängigkeit jedenfalls aus fahrerlaubnisrechtlicher Sicht mit einjähriger Abstinenz "ausgestanden" sei; auch die Einsichtsbekundungen des Antragstellers in den Gutachtergesprächen lassen sie in einem anderen Licht erscheinen, zumal sich bisher keine der positiv getroffenen Prognosen früherer Gutachten bestätigt hat.

Der Alkoholkonsum des Antragstellers am 24. Juni 2023 stellt mithin entweder bereits den - die Fahreignung in jedem Fall ausschließenden - Rückfall in das Vollbild der Alkoholabhängigkeit oder einen gelegentlichen, abstinenzdurchbrechenden Konsum dar, der allerdings die Annahme der Fahreignung nach Nr. 8.4 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV ebenfalls nicht mehr trägt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 9.11.2022 - 12 ME 118/22 -, V.n.b.). Der Betroffene ist deshalb ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, selbst wenn das Vollbild einer Alkoholabhängigkeit im Sinne der Nr. 8.3 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV (noch) nicht wieder eingetreten ist. Dabei kann dahinstehen, ob diese Fallgestaltung dem Tatbestand der Alkoholabhängigkeit nach Nr. 8.3 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV zugeordnet werden kann, oder sie in der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV nicht oder nur unvollständig geregelt ist; denn dies wäre im Hinblick auf den gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV nicht abschließenden Charakter der Anlage 4 unschädlich. Eine Begutachtung des Antragstellers ist auch nicht zur Differenzierung zwischen diesen beiden Fallvarianten erforderlich; insofern kann die Ursache des feststehenden Eignungsmangels nach Art einer Wahlfeststellung offenbleiben (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 17.1.2023 - 12 ME 149/22 -, Rn. 24, juris).

Die Fahrerlaubnis ist gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 3 Abs. 1 Satz 1, § 46 Abs. 1 FeV zwingend zu entziehen. Ein Ermessen ist der Behörde insoweit nicht eröffnet. Eine Wiedererlangung der Fahreignung bei erneuter Stabilisierung der Abstinenz wäre im Wege der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zu prüfen; eine vorübergehende Aussetzung der Fahrerlaubnis sieht die FeV nicht vor.

Selbst wenn man ungeachtet der vorstehenden Ausführungen den Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen ansehen wollte, fiele eine von den Erfolgsaussichten der Klage losgelöste allgemeine Interessenabwägung ebenfalls zu Lasten des Antragstellers aus. Bei Betrachtung einer sogenannten Doppelhypothese wären die Gefahren für die Allgemeinheit und die Rechtsgüter Dritter, wenn die Fahrerlaubnis belassen würde und der Antragsteller im Vollbild der Alkoholabhängigkeit Kraftfahrzeuge führen würde, ungleich höher. Im Falle des Antragstellers kommen dessen zahlreiche Verkehrs- und Alkoholverstöße, die hohe Rückfallgeschwindigkeit nach Wiederteilung der Fahrerlaubnis und der Umstand hinzu, dass er in der Vergangenheit sogar nach der Entziehung der Fahrerlaubnis weiter Kraftfahrzeuge geführt hat. Angesichts dieser auffälligen Neigung zu Normverstößen steht es im überwiegenden öffentlichen Interesse, den Antragsteller schon während der Dauer eines Rechtsmittelverfahrens von weiterer Teilnahme am Straßenverkehr fernzuhalten, wenn wieder einmal die Entziehung der Fahrerlaubnis gegen ihn verfügt worden ist.

Die Aufforderung, den Führerschein bei der Fahrerlaubnisbehörde abzuliefern, findet ihre Rechtsgrundlage in § 47 Abs. 1 FeV. Die zugrunde liegende Verpflichtung besteht gem. § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV ungeachtet der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis, weil der Antragsgegner die sofortige Vollziehung seiner Verfügung angeordnet hat. Sie erweist sich angesichts der vorstehenden Erwägungen auch als materiell rechtmäßig.

Soweit sich der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und die Klage auf die Erhebung von Auslagen für die Zustellung richtet, ist der Antrag statthaft, aber aus den vorstehenden Erwägungen unbegründet. Die Erhebung von Auslagen ist veranlasst, weil der Antragsteller Anlass zu der Amtshandlung gegeben hat; er ist insoweit auch der richtige Kostenschuldner.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG und entspricht Nr. 1.5 Satz 1 Alt. 1 und 46.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11).