Landgericht Braunschweig
Beschl. v. 20.10.2009, Az.: 6 T 778/08 (105)

Anforderungen an das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung gem. § 295 Abs. 1 Ziff. 2 Insolvenzordnung (InsO) durch Verzicht des Schuldners auf seinen Pflichtteil; Zeitlicher Geltungsbereich der Obliegenheitspflichten des Insolvenzschuldners

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
20.10.2009
Aktenzeichen
6 T 778/08 (105)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 37875
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBRAUN:2009:1020.6T778.08.105.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Braunschweig - 28.08.2008 - AZ: 274 IK 111/02 a
LG Braunschweig - 04.11.2008 - AZ: 6 T 778/08 (105)
BGH - 16.07.2009 - AZ: IX ZB 72/09

In dem Restschuldbefreiungsverfahren
...
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig
am 20.10.2009
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Hansen als Einzelrichter
beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Gläubiger vom 09.09.2008 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 28.08.2008 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Gläubiger zu tragen, denen auch die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens auferlegt werden.

Dem Schuldner wird rückwirkend ab Antragstellung für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt Andreas Jakob, Braunschweig, zur Vertretung beigeordnet.

Beschwerdewert: 1.250,00 €.

Gründe

1

I.

Mit Schreiben vom 27.09.2002 beantragte der Schuldner die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen und stellte den Antrag auf Restschuldbefreiung gemäß § 287 InsO. Am 18.10.2002 wurde durch das Amtsgericht Braunschweig das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet und Rechtsanwalt Wilhelm Perk als Treuhänder bestellt. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 06.04.2005 wurde dem Schuldner dann die Restschuldbefreiung angekündigt, wenn er während der Laufzeit der Abtretungserklärung die ihm obliegenden Verpflichtungen erfüllt (Blatt 152 der Akte).

2

Unter dem 16.04.2008 hat die geschiedene Ehefrau des Schuldners als gesetzliche Vertreterin der Gläubiger die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt und mitgeteilt, der Vater des Schuldners sei am 04.08.2004 verstorben. Zwar sei der Schuldner nicht Erbe geworden, ihm stehe aber ein Pflichtteilsanspruch zu. Daraufhin teilte der Treuhänder, Rechtsanwalt Perk, dem Insolvenzgericht unter dem 26.05.2008 mit, er sei vom Schuldner über das Ableben des Vaters informiert worden, von einer Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches sei vom Schuldner aber abgesehen worden, da dessen Mutter den schwerstpflegebedürftigen Vater jahrelang bis zum Tode gepflegt habe.

3

Mit Beschluss vom 28.08.2008 ist der Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung durch das Amtsgericht Braunschweig zurückgewiesen worden (Band II Blatt 41 f. der Akte). Diese Entscheidung ist im Wesentlichen damit begründet worden, die Nichtinanspruchnahme des Pflichtteils durch den Schuldner stelle keinen Verstoß gegen die Obliegenheiten des § 295 Abs. 1 Ziffer 2 InsO dar.

4

Mit Beschluss der Kammer vom 04.11.2008 ist zunächst auf die sofortige Beschwerde der Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 28.08.2008 abgeändert und dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt worden.

5

Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners ist dieser Beschluss aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung - auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen worden.

6

Der Beschwerdeführerseite ist ergänzend rechtliches Gehör gewährt worden. Mit Schreiben vom 06.10.2009 wird vorgetragen, das Insolvenzgericht habe sich nicht mit der Problematik ausreichend auseinandergesetzt, sollte die Anzeige des Ablebens während des förmlichen Insolvenzverfahrens erfolgt sein. Ein Gläubiger müsse auch nicht damit rechnen, dass der Gemeinschuldner während des laufenden Insolvenzverfahrens ggf. ein Erbe antritt oder ihm Pflichtteilsansprüche zufallen. Habe der Gemeinschuldner das Ableben seines Vaters zu einem Zeitpunkt, zu dem das förmliche Insolvenzverfahren bereits beendet gewesen sei, dem Gericht angezeigt oder seinem Treuhänder anzeigen lassen, so bleibe festzustellen, dass der Gemeinschuldner seinen Obliegenheiten, nämlich das Gericht und den Treuhänder unverzüglich von allen in Betracht kommenden Sachverhalten zu unterrichten, nicht nachgekommen sei. Für die weiteren Einzelheiten des betreffenden Schreibens wird auf Band II Blatt 102 f. der Akte verwiesen.

7

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

8

Eine Obliegenheitsverletzung im Sinne des § 295 InsO ergibt sich auch unter dem Vortrag der Gläubiger nicht.

9

Der Bundesgerichtshof hat zwar im vorliegenden Fall nicht in der Sache selbst entschieden, aber hinsichtlich der Entscheidung über den Restschuldbefreiungsantrag darauf hingewiesen, dass die Obliegenheiten des Schuldners gemäß § 295 InsO erst ab Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Ankündigung der Restschuldbefreiung gelten. Eine Versagung der Restschuldbefreiung nach § 296 Abs. 1 InsO i.V.m. § 295 Abs. 1 InsO komme nicht in Betracht, wenn der Pflichtteilsanspruch des Schuldners, der mit dem Erbfall entstehe, schon während des eröffneten Verfahrens hätte geltend gemacht werden können, der Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung aber erst nach deren Ankündigung und Aufhebung des Insolvenzverfahrens gestellt werde. So liegt es auch hier, nachdem der Vater des Schuldners nach Mitteilung der Gläubigerseite bereits am 04.08.2004 verstorben war, der Beschluss hinsichtlich der Ankündigung Restschuldbefreiung aber erst am 06.04.2005 getroffen worden ist. Eine Überspannung der Anforderungen an das Gläubigerverhalten ist darin nicht zu sehen.

10

Ferner hat der Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, dass ein Verstoß gegen die Obliegenheiten des Schuldners aus § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht vorliege, wenn der Schuldner es bei einem in der Wohlverhaltensphase eingetretenen Erbfall unterlasse, einen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen. Auch unter diesem Gesichtspunkt hätte die Restschuldbefreiung nicht versagt werden dürfen.

11

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 InsO i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.

Hansen