Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.12.2008, Az.: 13 LB 13/07
Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen; Anforderungen an ein unverschuldetes Ausreisehindernis i.S.v. § 25 Abs. 5 S. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG); Folgen einer nachträglichen Verdrängung des Ursachenzusammenhangs zwischen fehlender Mitwirkung und unterbliebener Ausreise durch den Eintritt neuer Umstände
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 10.12.2008
- Aktenzeichen
- 13 LB 13/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 27790
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2008:1210.13LB13.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Braunschweig - 24.03.2006 - AZ: 8 A 415/05
Rechtsgrundlagen
- § 25 Abs. 5 S. 1, 3 AufenthG
- Art. 6 Abs. 1 GG
- Art. 8 Abs. 1 EMRK
Fundstelle
- ZAR 2009, 67-68 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
Amtlicher Leitsatz
Orientierungssatz:
Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen
Amtlicher Leitsatz
Zu den Anforderungen eines unverschuldeten Ausreisehindernisses i. S. v. § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG, wenn Umstände eintreten, die den bisherigen Ursachenzusammenhang zwischen fehlender Mitwirkung und deshalb unterbliebener Ausreise nachträglich verdrängen.
Tatbestand
Die Kläger sind aserbaidschanische Staatsangehörige. Sie begehren vom Beklagten, ihnen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Der 1966 geborene Kläger zu 1 reiste am ... 1997, seine 1970 geborene Ehefrau - die Klägerin zu 2 - und ihre 1991 bzw. 1995 geborenen Kinder - die Kläger zu 4 und 5 - reisten am ...1998 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der Kläger zu 3 wurde im ... 2000 in L. geboren. Seit dem rechtskräftigen Abschluss ihrer erfolglos betriebenen Asylverfahren sind die Kläger vollziehbar ausreisepflichtig und werden vom Beklagten geduldet. Ihre Ausreisepflicht konnte nicht durchgesetzt werden, weil sie nicht im Besitz von Reisepässen waren. Passersatzpapiere sind ihnen von ihrer Auslandsvertretung nicht ausgestellt worden.
Am ... 2001 reiste die 1943 geborene Mutter der Klägerin zu 2, Frau M. N., in das Bundesgebiet ein und begehrte die Anerkennung als Asylberechtigte. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte mit Bescheid vom 10. Februar 2003 ihr Asylbegehren ab, stellte aber das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG fest, drohte ihr die Abschiebung nach Aserbaidschan an, setzte diese jedoch für die Dauer von drei Monaten aus (§ 41 AsylVfG a.F.). Zur Begründung des Abschiebungsverbotes führte das Bundesamt aus, Frau N. leide an Diabetes, Bluthochdruck und Herzbeschwerden. Sie sei auf die Einnahme umfangreicher Medikamente angewiesen. Zudem sei sie auf beiden Augen fast erblindet. Sie sei nicht mehr in der Lage, ihr Leben selbständig zu führen und bedürfe ständiger Betreuung. Aufgrund ihrer paranoiden Anfälle und Depressionen sei eine Betreuung durch den in Deutschland lebenden Sohn (richtig: Tochter) sinnvoll. Zwar seien die von ihr benötigten Medikamente zum Teil in Aserbaidschan erhältlich, jedoch nur gegen Bezahlung. Außer der gesetzlichen Rente in Höhe von 20 $ habe sie kein eigenes Einkommen. Sie wäre deshalb nicht in der Lage, in ihrem Heimatland die lebensnotwendigen Medikamente zu erwerben. Dort lebten auch keine Verwandten, die sie unterstützen könnten. Ihr Gesundheitszustand werde sich bei einer Rückkehr in ihr Heimatland wesentlich, wenn nicht sogar lebensbedrohend verschlechtern.
Der Beklagte erteilte ihr unter dem 3. April 2003 eine Duldung, die fortlaufend verlängert wurde (§ 41 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG a.F.). Nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Januar 2005 erteilte der Beklagte ihr am 3. Juni 2005 eine zunächst auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, die in der Folgezeit mehrfach, zuletzt am 13. März 2008 bis zum 12. März 2009, verlängert wurde. Sie lebt seit ihrer Einreise in der Familie der Kläger.
Das Amtsgericht Gifhorn - Vormundschaftsgericht - bestellte mit Beschluss vom 12. Mai 2003 den Kläger zu 1 zu ihrem Betreuer, weil sie aufgrund ihrer Krankheit und Behinderung nicht in der Lage sei, bestimmte Angelegenheiten (Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Briefverkehr, Kontakt zu den staatlichen Stellen) selbst zu besorgen.
Der Amtsarzt des Beklagten bescheinigte in seiner Stellungnahme vom 21. März 2006 zwar ihre Reisefähigkeit, wegen ihrer hochgradigen Sehbehinderung aber nur in Begleitung und unter Mitführung der täglich benötigten Medikamente. Er führte dazu aus:
"Bei Fr. N. besteht eine hochgradige, einer vollständigen Blindheit nahe kommende Einschränkung der Sehfähigkeit beider Augen. An weiteren körperlichen Erkrankungen bestehen ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), und ein medikamentös behandelter arterieller Hypertonus (Bluthochdruck). Es besteht eine Depression, die nur mit einem antidepressiven Medikament behandelt wird. Eine fachpsychiatrische Behandlung besteht derzeit nicht.
Die körperlichen Erkrankungen der Fr. N. schließen eine Reisefähigkeit nicht aus. Hinsichtlich der psychischen Erkrankung ist die Fortsetzung der medikamentösen Behandlung ausreichend, es besteht nach eigener Untersuchung kein Hinweis auf Suizidalität. Bei Frau N. besteht eine leichte Pflegebedürftigkeit unterhalb der Pflegestufe 1".
Anlässlich eines Hausbesuches des (stellvertretenden) Amtsarztes am 24. November 2006 konnte eine Veränderung der pflegebegründenden Erkrankungen nicht festgestellt werden. Der Zeitbedarf für grundpflegerische Maßnahmen von etwa 46 Minuten täglich führte bei ihr zur Feststellung der Pflegestufe 1.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge leitete im Oktober 2007 wegen des bei Frau N. festgestellten Abschiebungsverbotes ein Widerrufs-/Rücknahmeverfahren ein.
Bereits mit anwaltlichem Schreiben vom 28. Juli 2005 stellten die Kläger bei dem Beklagten den Antrag auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Zur Begründung führten sie aus, Frau N. sei die Mutter des Klägers zu 1 (richtig: der Klägerin zu 2). Sie sei vor allem wegen ihrer Herkunft aus Aserbaidschan auf die ständige Pflege und Betreuung ihrer Familie angewiesen und könne deswegen auch nicht in einem Pflegeheim untergebracht werden.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 6. Oktober 2005 ab. Zur Begründung führte er aus: Die Kläger hätten sich während ihres achtjährigen geduldeten Aufenthaltes im Bundesgebiet konsequent geweigert, bei der Beschaffung von Personaldokumenten mitzuwirken. Es sei noch immer ungeklärt, ob der Name "O. " die richtige Identität der Familie sei. Die Bezirksregierung Braunschweig habe noch unter dem 4. März 2004 festgestellt, dass mit den dort vorliegenden unzureichenden Daten eine Passersatzbeschaffung aussichtslos sei. Zu jenem Zeitpunkt sei aber das Verfahren zur Beschaffung über die Botschaft von Aserbaidschan in Berlin bereits seit zwei Jahren anhängig gewesen. Die Kläger hätten sich in den zurückliegenden Jahren nicht ernsthaft um die Ausstellung von Passersatzpapieren oder anderen Personaldokumenten bemüht. Ihren Hinweisen auf die vermeintliche Unmöglichkeit der Beschaffung stehe entgegen, dass es in entsprechenden Vergleichsfällen durchaus auch in kurzer Zeit gelungen sei, direkt aus Aserbaidschan Dokumente zu beschaffen. Die langjährig zur Ausreise verpflichteten Kläger seien jedoch zu keiner Zeit ernstlich daran interessiert gewesen, freiwillig in ihr Heimatland zurückzukehren. Die Mutter des Klägers zu 1 (richtig: der Klägerin zu 2) sei am 30. Dezember 2001 illegal in das Bundesgebiet eingereist. Bis zu dieser Zeit hätten weder der Kläger zu 1 noch seine Ehefrau über ihre (Schwieger-) Mutter und deren Plan, sich auf Dauer bei ihren Kindern in Deutschland niederzulassen, berichtet. Ihre offensichtliche Pflegebedürftigkeit müsse indessen "vollkommen losgelöst" von einem weiteren Aufenthalt der Kläger betrachtet werden. Ihre Pflege könne auch durch öffentliche Einrichtungen übernommen werden. Wegen der Vorgeschichte der Kläger sei es nicht angebracht, für sie aufgrund der Pflegedürftigkeit ihrer Mutter einen Anspruch auf einen dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet herzuleiten. Vielmehr stelle sich die Frage, ob die Einreise der Mutter der Klägerin zu 2 nicht gezielt von Deutschland aus betrieben worden sei. Nach allem stehe der Erteilung der von den Klägern begehrten Aufenthaltserlaubnis § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG entgegen.
Die Kläger haben am 7. November 2005 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgen. Sie sind der Auffassung, an ihrer Ausreise unverschuldet gehindert gewesen zu sein. Die Heiratsurkunde der Kläger zu 1 und 2 und die Geburtsurkunden der Kläger zu 4 und 5 lägen dem Beklagten schon seit längerer Zeit vor. Deshalb sei ihnen nicht erklärlich, warum der Beklagte noch immer behaupte, es sei offen, ob der Name "O. " ihr richtiger Familienname sei. Der Kläger zu 1 habe sich wiederholt an die aserbaidschanische Auslandsvertretung gewandt, sei jedoch mit seinem Anliegen dort immer wieder abgewiesen worden. Im Übrigen habe seine Mutter (richtig: Schwiegermutter) ein Bleiberecht. Das Amtsgericht Gifhorn habe ihn zu ihrem Betreuer bestellt. Sie sei nach ihrem Schwerbehindertenausweis zu 100% schwerbehindert. Zudem sei sie pflegebedürftig und auf die Hilfe und Pflege gerade ihrer Familie dringend angewiesen. In öffentlichen Einrichtungen könne sie nicht gepflegt werden, da sie nahezu erblindet sei und die deutsche Sprache nicht beherrsche. Dies belege das ärztliche Attest von Dr. P. und Dr. Q., L., vom 1. Februar 2006. Im Übrigen besuchten die Klägerinnen zu 4 und 5 mit sehr gutem Erfolg weiterführende deutsche Schulen und seien wie die restliche Familie aufgrund des langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet mit den hiesigen Verhältnissen, insbesondere mit der deutschen Sprache gut vertraut. Einer Erwerbstätigkeit hätten die Kläger zu 1 und 2 bisher nicht nachgehen dürfen.
Die Kläger haben beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 6. Oktober 2005 aufzuheben und ihn zu verpflichten, ihnen Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat im Wesentlichen die Gründe des angefochtenen Bescheides wiederholt und vertieft.
Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 24. März 2006 den Bescheid des Beklagten vom 6. Oktober 2005 aufgehoben und ihn verpflichtet, den Klägern Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Den Klägern sei eine Ausreise aus rechtlichen Gründen unmöglich (§ 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG). Die Beziehung des Klägers zu 1 zu seiner hier lebenden Mutter (richtig: Schwiegermutter) im Rahmen des Betreuungsverhältnisses, die damit verbundene Beziehung zu seiner Ehefrau, der Klägerin zu 2, und zu ihren Kindern, den Klägern zu 3 bis 5, begründeten wegen des grundrechtlich verbürgten Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 GG) ein rechtliches Ausreisehindernis. Das Amtsgericht Gifhorn habe den Kläger zu 1 zum Betreuer seiner Mutter (richtig: Schwiegermutter) bestellt. Sie sei Inhaberin eines Bleiberechts nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Ferner sei sie zu 100% schwerbehindert, pflegebedürftig und auf die Lebenshilfe der Kläger zu 1 und 2 dringend angewiesen. Eine Unterbringung in einem Altenheim sei nach den Ausführungen im ärztlichen Attest vom 1. Februar 2006 nicht möglich. Wegen der bestehenden Beistandsgemeinschaft im Sinne von Art. 6 GG sei der Beklagte verpflichtet, den Klägern zu 1 und 2 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zu erteilen. Dies gelte wegen der familiären Bande zu ihren Eltern auch für die minderjährigen Kläger zu 3 bis 5.
Dagegen richtet sich die vom Senat durch Beschluss vom 30. Januar 2007 - 13 LA 192/06 - wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zugelassene Berufung des Beklagten. Er macht geltend: Das Verwaltungsgericht habe die asyl- und ausländerrechtliche Vorgeschichte der Kläger sowie die von Frau N. nur unzureichend gewürdigt. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG dürfe nach dessen Satz 3 nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert sei. Ein Verschulden liege nach Satz 4 der Vorschrift insbesondere vor, wenn der Ausländer falsche Angaben gemacht oder über seine Identität getäuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Ausreisehindernisses nicht erfüllt habe. Die ausreisepflichtigen Kläger hätten sich in der Vergangenheit nicht ernsthaft darum bemüht, in ihr Heimatland zurückzukehren. Insbesondere hätten sie es pflichtwidrig unterlassen, für sich Heimreisedokumente zu beschaffen. Erst ausländerbehördlich veranlasste akribische Ermittlungen der deutschen Auslandsvertretung in Aserbaidschan hätten ergeben, dass die Kläger jahrelang über ihre Identität getäuscht und damit ihren Aufenthalt unter Inanspruchnahme von Sozialleistungen im Bundesgebiet rechtsmissbräuchlich verlängert hätten. Der Name des Klägers zu 1 laute richtig R.. Er sei nicht - wie bisher angegeben - am ... 1966, sondern am ... 1965 geboren. Der Name der Klägerin zu 2 laute richtig S.. Frau M. N. sei nicht die Mutter des Klägers zu 1, sondern der Klägerin zu 2. Das Geburtsjahr der Klägerin zu 5 sei nicht 1991, sondern 1990. Auch insoweit seien die Behörden offensichtlich getäuscht worden. Die Rückkehr der Kläger nach Aserbaidschan sei schließlich nicht wegen der Pflegebedürftigkeit der Mutter des Klägers zu 1 (richtig: der Klägerin zu 2) unmöglich. Diese habe vor ihrer Einreise nach Deutschland im Jahre 2001 bereits vier Jahre ohne ihre Familie in Aserbaidschan gelebt. Nach einer Mitteilung des Bundesamtes vom 25. Januar 2007 seien die bei Frau N. diagnostizierten Erkrankungen in der Republik Aserbaidschan behandelbar, die entsprechenden Medikamente gegen Kostenerstattung auch erhältlich. Er - der Beklagte - habe sich gegenüber dem Bundesamt auf dessen Bitte unter dem 15. Februar 2007 bereit erklärt, im Falle der Rückkehr von Frau N. die Kosten für die Medikamentenversorgung in Aserbaidschan für den Zeitraum von vorerst zwei Jahren zu übernehmen. Der lediglich geduldete Aufenthalt der Kläger könne deshalb nicht mehr an das gesundheitliche Schicksal von Frau N. geknüpft werden. Auch in ihrem Fall hätten erst ausländerbehördlich veranlasste Ermittlungen in ihrem Heimatland ihre Identität vollständig aufklären können. Der Kläger zu 1 habe den bereits unter dem 11. Oktober 2007 in Aserbaidschan auf seine Schwiegermutter ausgestellten Reisepass erst im April 2008 vorgelegt, als sie bereits Inhaberin des Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 3 AufenthG gewesen sei. Zuvor sei auch in ihrem Falle jahrelang geltend gemacht worden, dass für sie ein Reisepass aus Aserbaidschan nicht beschafft werden könne. Auch bei den Klägern, deren Identität nunmehr aufgeklärt sei, sei davon auszugehen, dass die Beschaffung von Reisedokumenten aus Aserbaidschan nunmehr unproblematisch möglich sein sollte.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil und treten den Ausführungen des Beklagten entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge des Beklagten einschließlich der über Frau {N. geführten Ausländerakte, die der Senat im Berufungsverfahren beigezogen hat und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung bleibt erfolglos. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides zu Recht verpflichtet, den Klägern Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen.
Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf einem Ausländer, dessen Asylantrag wie im Fall der Kläger unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 des Gesetzes erteilt werden. Maßgebliche Rechtsgrundlage ist hier § 25 Abs. 5 AufenhG. Nach Satz 1 der Vorschrift kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Unter "Ausreise" im Sinne dieser Vorschrift ist sowohl die zwangsweise Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise zu verstehen. Nur wenn sowohl die Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise unmöglich sind, kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift in Betracht (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. 6. 2006 - 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192 <196> mit weiteren Nachweisen).
Die vollziehbar ausreisepflichtigen Kläger sind gehindert, freiwillig nach Aserbaidschan auszureisen. Ihrer Ausreise stehen rechtliche Gründe entgegen, mit deren Wegfall in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Nach der bereits erwähnten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist eine freiwillige Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, die die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen unter anderem auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind, als auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG. Bei Bestehen solcher Abschiebungsverbote hat nach dem Gesetzeskonzept die zwangsweise Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben. Dann aber ist ihm in aller Regel auch eine freiwillige Rückkehr in sein Heimatland aus denselben rechtlichen Gründen nicht zuzumuten und damit unmöglich im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. 6. 2006 - 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192, 197).
Auf Grund der nach § 42 Satz 1 AsylVfG bindenden Feststellung des Bundesamtes, dass bezogen auf die Kläger Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG - jetzt § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG - nicht vorliegen, ist aufenthaltsrechtlich davon auszugehen, dass zielstaatsbezogene Gefahren für die Kläger nicht bestehen und deshalb ihre freiwillige Ausreise nach Aserbaidschan grundsätzlich möglich ist.
Aufgrund der von den Klägern angeführten Umstände liegt jedoch ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot vor. Der Senat ist der Auffassung, dass im Hinblick auf den Schutz der familiären Bindungen der Kläger gemäß Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK ihre Ausreise rechtlich unmöglich im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ist.
Dabei geht der Senat davon aus, dass der grundrechtliche Schutz der Familie unmittelbar keinen Anspruch auf einen Aufenthalt im Bundesgebiet gewährt. Die Ausländerbehörde hat jedoch bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, etwa bei Ermessensentscheidungen, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über den Aufenthalt seine Bindungen an im Bundesgebiet berechtigterweise lebende Familienangehörige angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 -, DVBl. 2006, 247 , vom 5. Mai 2003 - 2 BvR 2042/02 -, DVBl. 2003, 1260 , vom 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 -, NVwZ 2000, 59 und vom 1. August 1996 - 2 BvR 1119/96 -, NVwZ 1997, 479; BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1997 - BVerwG 1 C 19/96 -, BVerwGE 106,13). Für die ausländerrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG ist die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern entscheidend, wobei eine Betrachtung des Einzelfalles geboten ist. Der grundrechtliche Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG erfasst auch die familiären Bindungen des volljährigen Kindes zu seinen Eltern und umgekehrt. Allerdings wird eine familiäre Gemeinschaft zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern im Regelfall als Begegnungsgemeinschaft geführt; in diesen Fällen ist die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis unbedenklich. Weitergehende Schutzwirkungen ergeben sich aus Art. 6 Abs. 1 GG aber dann, wenn ein Familienmitglied ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Lebenshilfe des anderen Familienmitglieds angewiesen ist und diese Hilfe in zumutbarer Weise nur im Bundesgebiet erbracht werden kann. Nur unter diesen Voraussetzungen erfüllt die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft. Kann der Beistand nur im Bundesgebiet erbracht werden, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, im Regelfall einwanderungspolitische Belange zurück. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verliert die grundrechtlich geschützte Beistandsgemeinschaft ihre Funktion nicht dadurch, dass sie nicht als Hausgemeinschaft gelebt wird oder die Lebenshilfe auch durch Dritte - etwa Pflegepersonal - erbracht werden kann. Vielmehr besteht eine Beistandsgemeinschaft grundsätzlich so lange, als ein Familienmitglied auf Lebenshilfe angewiesen ist und ein anderes Familienmitglied diese Hilfe auch tatsächlich regelmäßig erbringt (BVerfG, Beschluss des 2. Senats vom 18. April 1989 - 2 BvR 1169/84 -, BVerfGE 80, 81; Kammerbeschlüsse vom 1. August 1996, a.a.O. , vom 25. Oktober 1995 - 2 BvR 901/95 -, NVwZ 1996, 1099 und vom 12. Dezember 1989 - 2 BvR 377/88 -, NJW 1990, 895 ; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. Februar 2004 - 11 S 1131/03 -, VBlBW 2004, 312). Im Fall des Verhältnisses von Eltern und Kindern ist zudem zu berücksichtigen, dass sie bereits nach dem Gesetz einander Beistand und Rücksicht schuldig sind (§ 1618a BGB).
Die Kläger haben substantiiert dargelegt, dass die Mutter der Klägerin zu 2, die seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet in der häuslichen Gemeinschaft der Kläger lebt, ein eigenständiges Leben nicht mehr führen kann, sondern auf ihre familiäre Lebenshilfe unabweisbar angewiesen ist und sie diese als gelebte Beistandsgemeinschaft tatsächlich regelmäßig erbringen. Ein solches Bedürfnis kann bei schwerwiegender Erkrankung/ Behinderung und/oder fortgeschrittenem Alter mit Pflegebedürftigkeit vorliegen. Darunter sind in einem umfassenden Sinne sämtliche persönlichen Betreuungs-, Versorgungs- und Unterstützungsleistungen zu verstehen. Unter den Begriff der familiären Lebenshilfe fallen die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen bei pflegebedürftigen Personen (z.B. Übernahme oder Hilfe bei der Körperpflege, Zubereitung und Verabreichung von Speisen, Hilfe beim Aufstehen, Gehen, Einkaufen, Wäschereinigung) sowie weitere Leistungen wie etwa die Beschaffung und Verabreichung von Medikamenten und die Übernahme sonstiger notwendiger Besorgungen einschließlich des erforderlichen Brief- und Schriftverkehrs. Auch wenn ein Teil der Pflegeleistungen von anderen Personen übernommen wird, ist ein Angewiesensein auf die familiäre Lebenshilfe zu bejahen, wenn der betreffende Familienangehörige die wesentlichen Betreuungs- und Unterstützungsleistungen im Übrigen erbringt. Dazu gehören auch die alltäglichen Versorgungsaufgaben und die Lebenshilfe im geistig-seelischen Bereich (vgl. zu diesen Gesichtspunkten BVerfG, Beschl. v. 1.8.1996, a.a.O.).
Die Kläger haben im Berufungsverfahren ärztliche Bescheinigungen über den aktuellen gesundheitlichen Zustand ihrer Mutter beigebracht, die die Feststellungen des Verwaltungsgerichts bestätigen. Wegen des bei ihr vom Bundesamt durch Bescheid vom 10. Februar 2003 unanfechtbar festgestellten zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist sie zunächst zwar nur geduldet worden, seit dem 2. Juni 2005 aber Inhaberin einer zuletzt bis zum 3. März 2009 befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, so dass ihr unter den gegenwärtigen Umständen eine Ausreise nicht abverlangt werden kann. Die Bindung der Ausländerbehörde und auch des erkennenden Senats an eine positive Entscheidung des Bundesamts über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 53 Abs. 6 AuslG bzw. § 60 Abs. 7 AufenthG besteht nach § 42 Abs. 1 AsylVfG, solange das förmlich festgestellte Abschiebungsverbot nicht unanfechtbar oder vollziehbar nach § 73 Abs. 3 AsylVfG widerrufen oder zurückgenommen ist (BVerwG, Urt. v. 22.11.2005 - 1 C 18/04 -, BVerwGE 124, 326 <331>; vgl. Burr, GK-AufenthG, § 25 Rn. 126 m.w.N.). Das ist bisher nicht der Fall. Zwar hat das Bundesamt nach seiner Mitteilung vom 11. Oktober 2007 ein Widerrufsverfahren nach § 73 Abs. 3 AsylVfG eingeleitet. Dessen Ausgang ist gegenwärtig aber nicht absehbar, so dass auch für die Kläger unter dem Gesichtspunkt der Familieneinheit mit dem Wegfall ihrer Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
Entgegen der Auffassung des Beklagten steht § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nicht entgegen. Danach darf eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt nach Satz 4 der Vorschrift insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt. Danach soll ein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nur den Ausländern zugute kommen, die nicht ausreisen können, nicht aber denen, die nicht ausreisen wollen. Dem persönlichen Verhalten des Ausländers kommt somit insbesondere im Hinblick auf die gesetzlichen Mitwirkungs- und Initiativpflichten (vgl. § 82 Abs. 1 AufenthG) eine wichtige Bedeutung zu. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kommt demnach nicht in Betracht, wenn der Ausländer die Situation der Nichtausreise entweder vorsätzlich oder zurechenbar herbeigeführt (etwa durch Vernichtung des Passes) oder zumutbare Handlungen zur Beseitigung des Ausreisehindernisses unterlassen hat. Zwar spricht nach den Ausführungen des Beklagten im Berufungsverfahren einiges dafür, dass die nach Abschluss ihrer erfolglos gebliebenen Asylverfahren ausreisepflichtigen Kläger in den zurückliegenden Jahren ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht das Maß der gebotenen und zumutbaren Mitwirkung gezeigt haben, um die in ihrem Fall bestehenden Ausreisehindernisse zu beseitigen. Dies gilt insbesondere bei der Aufklärung ihrer richtigen Namen und Geburtsdaten sowie der ihnen ausländerbehördlich aufgegebenen Beschaffung von Reisedokumenten. Andererseits ist dem Senat aus anderen Verfahren mit aserbaidschanischen Staatsangehörigen bekannt, dass die Auslandsvertretung von Aserbaidschan die Beschaffung von Reisedokumenten nicht selten erschwert hat. Selbst wenn insoweit eine Verletzung von Mitwirkungspflichten der Kläger unterstellt wird und die verlangte Mitwirkungshandlung das in ihrem Fall bestehende Ausreisehindernis hätte beseitigen können, bleibt den Klägern ihre Ausreise wegen der schweren Erkrankung und Pflegebedürftigkeit ihrer (Schwieger-, und Groß-) Mutter weiterhin auf unabsehbare Zeit unmöglich, so dass seit der bestandskräftigen Feststellung eines Abschiebungsverbots durch das Bundesamt im Februar 2003 die erforderliche Kausalität zwischen der Unterlassung zumutbarer Handlungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse und der gerade deswegen unterbliebenen Ausreise fehlt (vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. § 25 Rn. 36; Burr, in: GK-AufenthG, § 25 Rn. 43, 173; Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 25 AufenthG Rn. 36). Deshalb steht § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nicht entgegen.
Auch wenn danach die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, "kann" der Beklagte die begehrten Aufenthaltserlaubnisse erteilen und "kann" dabei gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Anwendung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen der Absätze 1 und 2 der Vorschrift absehen. Das ihm insoweit eröffnete Ermessen ist sowohl mit Blick auf die Regelung in § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, wonach die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, wenn die Abschiebung - wie hier - seit 18 Monaten ausgesetzt ist, als auch in Anbetracht der besonderen Umstände des vorliegenden Falles "auf Null" reduziert, weil die Versagung der Aufenthaltserlaubnisse mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen nicht vereinbar wäre. Dazu gehört insbesondere der grundrechtlich gebotene Schutz von Ehe und Familie (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.3.1999 - 1 B 28.99 -, NVwZ-RR 1999, 610), der sowohl im Verhältnis der Kläger untereinander als auch im Verhältnis zu der pflegebedürftigen (Groß- und Schwieger-) Mutter unmittelbar wirkt und etwa gegenläufige einwanderungspolitische und fiskalische Gesichtspunkte angesichts des überragenden Gewichts, das gemäß Art. 6 Abs. 1 GG dem Wunsch nach Bewahrung der Familieneinheit im Falle des Angewiesenseins des aufenthaltsberechtigten Ausländers auf die Lebenshilfe der Angehörigen beizumessen ist, verdrängt.
Die den Klägern zu erteilende Aufenthaltserlaubnis wird zunächst längstens auf sechs Monate zu befristen sein (§ 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Sie darf nicht verlängert werden, wenn das Ausreisehindernis oder die sonstigen einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehenden Gründe entfallen sind (§ 26 Abs. 2 AufenthG). Das könnte der Fall sein, wenn das Bundesamt zu Lasten der Mutter der Klägerin zu 2 die Feststellung des Abschiebungsverbotes widerrufen sollte.