Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.04.1997, Az.: VII 640/95

Von einem Mitglied an eine Genossenschaft geleistete Baukostenzuschüsse als nachträgliche Anschaffungskosten des im Betriebsvermögen gehaltenen Genossenschaftsanteils; Vorliegen einer verdeckten Einlage in einer Genossenschaft

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
03.04.1997
Aktenzeichen
VII 640/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 15984
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:0403.VII640.95.0A

Fundstelle

  • NWB DokSt 1998, 673

Verfahrensgegenstand

Zu den Voraussetzungen für die Annahme eines Baukostenzuschusses bei Kürzung des Anlieferungsentgelts durch Molkereigenossenschaft

Einkommensteuer 1991 und 1992

In dem Rechtsstreit
hat der VII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
durch
den Richter am Finanzgericht Dr. Horn als Berichterstatter
ohne mündliche Verhandlung
am 3. April 1997
für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Änderung der Einkommensteuerbescheide 1991 und 1992 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 6. November 1995 (1991) und vom 27. Dezember 1995 (1992) sowie des Einspruchsbescheides vom 7. November 1995 wird die Einkommensteuer auf den Betrag herabgesetzt, der sich ergibt, wenn die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft des Klägers unter Berücksichtigung eines um 418,13 DM geringeren Gewinns für das Wirtschaftsjahr 1991/92 und eines um 1.731,52 DM geringeren Gewinns für das Wirtschaftsjahr 1992/93 angesetzt werden. Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.

Der Beklagte trägt die Kosten.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der den Klägern zu erstattenden Kosten abwenden, wenn diese nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die von einem Mitglied an eine Genossenschaft geleisteten Baukostenzuschüsse als nachträgliche Anschaffungskosten des im Betriebsvermögen gehaltenen Genossenschaftsanteils zu aktivieren sind.

2

Die Kläger sind Eheleute, die für die Streitjahre 1991 und 1992 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Ehemann erzielt als selbständiger Landwirt Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, die er durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt. Zu seinem Betriebsvermögen gehört eine Beteiligung an der MZO O.-B. Milch e.G., die die von ihren Mitgliedern produzierte und angelieferte Milche verwertet. Aufgrund eines Beschlusses ihrer Generalversammlung/Vertreterversammlung vom 8. März 1979 behält die Genossenschaft von dem Anlieferungspreis einen Teilbetrag von zuletzt 0,05 DM je Kilogramm angelieferter Milch als sogenannten Baukostenzuschuß ein. Nach einer schriftlichen Auskunft, die die Genossenschaft dem Beklagten (dem Finanzamt - FA -) mit Schreiben vom 11. September 1995 (Bl. 24 der Einspruchsheftung zur St.-Nr.: 241/00095) erteilt hat, werden diese Beträge zur Mitfinanzierung von Sachanlagen des Unternehmens verwendet. Auf diese Weise sollen Zinszahlungen auf sonst aufzunehmendes Fremdkapital erspart und die Auszahlung eines entsprechend höheren Milchpreises ermöglicht werden. Eine Rückzahlung der Zuschüsse ist - auch für den Fall des Ausscheidens - nicht vorgesehen. Soweit die Genossenschaft Anlieferungen von Nichtmitgliedern annimmt, wird der Anlieferungspreis um einen sogenannten Nichtmitglieder-Abzug gekürzt, der betragsmäßig dem Baukostenzuschuß entspricht.

3

Im Anschluß an eine Außenprüfung, die in der Zeit zwischen dem 9. Januar und dem 24. Januar 1995 stattfand und sich u.a. auf die Einkommensteuer 1991 und 1992 erstreckte, vertrat der Prüfer die Ansicht, daß die von der Molkerei einbehaltenen Baukostenzuschüsse als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung des Klägers zu aktivieren seien, und erhöhte den Gewinn für das Wirtschaftsjahr 1991/92 um 418,13 DM und den Gewinn für das Wirtschaftsjahr 1992/93 um 1.731,52 DM. Aufgrund dieser und weiterer - hier nicht streitiger - Prüfungsfeststellungen erließ das FA unter dem 10. April 1995 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre.

4

Hiergegen richtet sich die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage. Die Kläger machen geltend, daß eine Aktivierung der von der Genossenschaft einbehaltenen Baukostenzuschüsse nicht in Betracht komme, weil ihnen kein wie auch immer gearteter Gegenwert gegenüberstehe. Weder während der Dauer der Mitgliedschaft noch nach ihrem Ausscheiden könnten die Mitglieder mit einem Rückfluß dieser Beträge rechnen. Kein Erwerber des ganzen Betriebes werde bereit sein, ein um den Betrag der einbehaltenen Baukostenzuschüsse erhöhtes Entgelt zu zahlen. Die Einbehaltung der Zuschüsse habe für die Mitglieder zur Folge, daß sie ebenso wie die Nichtmitglieder eine von vornherein entsprechend geringere Vergütung für die angelieferte Milch erhielten.

5

Nach Klageerhebung hat das FA am 27. Dezember 1995 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1992 erlassen, den die Kläger mit Schriftsatz vom 9. Januar 1996 gemäß § 68 Finanzgerichtsordnung (FGO) in das Klageverfahren übergeleitet haben.

6

Die Kläger beantragen sinngemäß,

unter Änderung der Einkommensteuerbescheide 1991 und 1992 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 6. November 1995 (1991) bzw. vom 27. Dezember 1995 (1992) und des Einspruchsbescheids vom 7. November 1995 die Einkommensteuer auf den Betrag herabzusetzen, der sich ergibt, wenn die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft des Klägers unter Berücksichtigung eines um 418,13 DM geringeren Gewinns für das Wirtschaftsjahr 1991/92 und eines um 1.731,52 DM geringeren Gewinns für das Wirtschaftsjahr 1992/93 angesetzt werden.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Er hält an seiner Auffassung fest, daß die Baukostenzuschüsse wirtschaftlich die Bedeutung zusätzlicher Aufwendungen für den Erwerb der Genossenschaftsanteile hätten und daher als nachträgliche Anschaffungskosten zu aktivieren seien. Wie sich aus der von der Genossenschaft im Einspruchsverfahren erteilten Auskunft vom 11. September 1995 ergebe, diene die Einbehaltung der Baukostenzuschüsse der Verstärkung ihrer Eigenkapitalbasis und ermögliche es, in der Zukunft höhere Milchpreise zu zahlen oder höhere Ausschüttungen an die Mitglieder vorzunehmen.

9

Auch die Abschreibung der Beteiligung auf einen niedrigeren Teilwert komme im Streitfall nicht in Betracht. Grundsätzlich gelte die Vermutung, daß der Teilwert eines nicht abnutzbaren Wirtschaftsguts des Anlagevermögens dessen Anschaffungskosten entspreche. Solle von der Teilwertvermutung abgewichen werden, müsse der Steuerpflichtige konkrete Tatsachen nachweisen oder glaubhaft machen, die den Ansatz eines geringeren Teilwertes rechtfertigten. Der Umstand allein, daß die Baukostenzuschüsse nicht zurückerstattet würden, rechtfertige eine Teilwertabschreibung nicht.

10

Mit Schriftsätzen vom 21. Dezember 1995 (Bl. 8 ff. der Gerichtsakte - GA -) bzw. 16. Januar 1996 (Bl. 18 ff. GA) haben die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

11

Die Klage ist begründet. Das FA hat die von der Genossenschaft einbehaltenen "Baukostenzuschüsse" zu Unrecht als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung des Klägers aktiviert.

12

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind Beteiligungen - zu denen auch Genossenschaftsanteile gehören - grundsätzlich mit ihren Anschaffungskosten anzusetzen. Dazu gehören nicht nur die Aufwendungen für den Erwerb der Mitgliedschaft - d.h. die nach Gesetz und Statut geschuldeten Einzahlungen auf den Geschäftsanteil (§§ 7 Nr. 1 und 15 a Satz 1 des Genossenschaftsgesetzes) -, sondern alle durch die Mitgliedschaft veranlaßten Leistungen des Genossen, durch die das Vermögen der Genossenschaft vermehrt wird. Eine solche - zu nachträglichen Anschaffungskosten führende - verdeckte Einlage liegt auch vor, wenn die Genossen nach der Satzung oder aufgrund eines Beschlusses der Generalversammlung Zuschüsse zur Finanzierung bestimmter Bauvorhaben gewähren (Bundesfinanzhof - BFH -, Urteile vom 27. Juni 1968 IV R 226/66, BStBl II 1968, 714; vom 11. August 1971 VIII R 13/66, BStBl II 1972, 117).

13

Baukostenzuschüsse in diesem Sinne hat der Kläger im Streitfall jedoch nicht geleistet. Er hat weder durch Zahlungen in das Vermögen der Genossenschaft deren Aktiva erhöht noch durch den Verzicht auf bestehende Ansprüche deren Passiva vermindert. Die aufgrund des Beschlusses der Vertreterversammlung vom 8. März 1979 erfolgte Kürzung des Anlieferungspreises um einen als Baukostenzuschuß bezeichneten Teilbetrag von zuletzt 0,05 DM je Kilogramm angelieferter Milch hatte vielmehr zur Folge, daß der aus der Milchanlieferung entstehende Zahlungsanspruch von vornherein in der geringeren Höhe entstand.

14

In einem solchen Fall liegt eine verdeckte Einlage nur dann vor, wenn das Mitglied der Genossenschaft durch die Vereinbarung eines unangemessen niedrigen Preises einen Vermögensvorteil zuwendet, den ein Nichtmitglied bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns (§ 347 des Handelsgesetzbuches) der Genossenschaft nicht eingeräumt hätte (vgl. BFH, Urteile vom 19. Februar 1970 I R 24/67, BStBl II 1970, 442; vom 15. Oktober 1975 I R 186/73, BStBl II 1976, 241, vom 12. Februar 1980 VIII R 114/77, BStBl II 1980, 494; vom 16. April 1991 VIII R 100/87, BStBl II 1992, 234, und vom 7. Juli 1992 VIII R 24/90, BStBl II 1993, 333; siehe ferner R 140 Abs. 4 der Einkommensteuerrichtlinien 1993 sowie Abschn. 36 a Abs. 1 der Körperschaftsteuerrichtlinien 1990). Dafür fehlt im Streitfall jeder Anhaltspunkt. Das FA hat weder festgestellt, daß der Kläger durch Veräußerung der von ihm erzeugten Milch an andere Molkereien einen höheren Anlieferungspreis hätte erzielen können, noch daß die Genossenschaft Nichtmitgliedern ein höheres Anlieferungsentgelt gezahlt hat. Aus der von der Genossenschaft mit Schreiben vom 11. September 1995 erteilten Auskunft ergibt sich das Gegenteil. Hiernach hat sie - nachdem sie im Anschluß an den Prüfungszeitraum dazu übergegangen war, auch Anlieferungen von Nichtmitgliedern anzunehmen - deren Anlieferungspreis um einen sog. Nichtmitgliederabzug gekürzt, der betragsmäßig dem bei Anlieferungen von Mitgliedern einbehaltenen Baukostenzuschuß entsprach, und Mitgliedern damit im Ergebnis dasselbe Entgelt wie Nichtmitgliedern gezahlt. Dies läßt darauf schließen, daß auch die dem Kläger im Prüfungszeitraum gezahlten Anlieferungsentgelte dem Preis entsprachen, den dieser im normalen Geschäftsverkehr erzielen konnte. Bei dieser Sachlage bleibt kein Raum für die Annahme, daß es sich bei der von den Klägern hingenommenen Kürzung des Anlieferungspreises um eine verdeckte Einlage in das Genossenschaftsvermögen gehandelt hat, die zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung führen konnte.

15

Der Gewinn der Wirtschaftsjahre 1991/92 und 1992/93 ist daher um die von dem Prüfer nachträglich aktivierten Beträge von 418,13 DM bzw. 1.731,52 DM zu vermindern. Die Berechnung der sich daraus ergebenden Steuer konnte gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem FA übertragen werden.

16

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO, die sonstigen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 708 Nr. 10 und 711 der Zivilprozeßordnung i.V.m. § 151 Abs. 1 und 3 FGO.